Machtfrage in der U.S.-Republik: Präsident oder Verfassung?

Washingtoner Bundesanwalt Bob Ferguson und sein Rechtsferent Noah Purcell bei ihrer Pressekonferenz nach dem historischen Gerichtsbeschluss in Seattle.

Ein U.S. Bundesgericht hebt eine Executive Order des Präsidenten mit sofortiger Wirkung vorläufig auf. Das stellt eine Jahrhunderte lang nie beantwortete Machtfrage.

Gestern gab in Seattle U.S.-Bundesrichter James L. Robart vom westlichen Bezirk des nordwestlichen Bundestaates Washingtons der Klage des Washingtoner Bundesanwalts Bob Ferguson in der Sache „Bundesstaat Washington gegen Donald Trump“ in einer einstweiligen Anordnung vorläufig statt. Der Befehl des Präsidenten ist damit vorläufig aufgehoben, bis der Washingtoner Bundesrichter Robart endgültig entschieden hat. Der Klage gegen den Präsidenten, das Heimatschutzministerium, das Außenministerium und gegen die Vereinigten Staaten von Amerika (repräsentiert durch dessen Bundesregierung) hatte sich zuvor auch der U.S. Bundesstaat Minnesota angeschlossen.

Auf einer Pressekonferenz nach der Gerichtsentscheidung dankte Bundesanwalt Bob Ferguson ausdrücklich seinem Team, das „die letzten sechs oder sieben Tage wortwörtlich rund um die Uhr“ gearbeitet habe, besonders seinem jungen Rechtsferenten Noah Purcell, der die Klage vorgetragen hat und offenbar einen entscheidenden Beitrag zu diesem Sieg gegen den Präsidenten und für die Verfassung der Republik der Vereinigten Staaten von Amerika leistete.

Bundesanwalt Ferguson:

„Es ist offensichtlich eine historische Entscheidung und eine wichtige für den Rechtsstaat („the rule of law“), und für die Menschen im Bundesstaat Washington und die Menschen in unserem Land. Ich habe es von Anfang an gesagt: es ist nicht die lauteste Stimme, die sich in einem Gerichtssaal durchsetzt – es ist die Verfassung. Und das ist es, was wir heute von Richter Robart gehört haben.

Ich möchte hier ausdrücklich klarstellen, was seine Entscheidung verfügt (…) Richter Robarts Entscheidung,- unverzüglich in Kraft, ab sofort in Kraft – verfügt einen Halt von Präsident Trumps verfassungswidriger und ungesetzlicher Executive Order. Ich will das wiederholen: es verfügt dessen Stopp, unverzüglich, im ganzen Land.“

Bundeswalt Bob Ferguson ringt sichtbar um Fassung. Dann fährt er fort.

„Das Gesetz ist eine mächtige Sache. Es hat die Fähigkeit alle vor ihm verantwortlich zu machen. Und das schließt den Präsidenten der Vereinigten Staaten mit ein.“

Wie Fergusons Rechtsferent Noah Purcell in der Pressekonferenz weiter ausführte, richtete sich die nun vorläufig erfolgreiche Klage konkret gegen Abschnitt 3 und 5 von Trumps Präsidentenbefehl. Dessen Abschnitt 3(c) verfügte, dass

„Ausländer („Aliens“) aus Ländern, auf die in 217(a)(12) vom INA („Immigration and Nationality Act“), 8 U.S.C. 1187(a)(12)“

verwiesen werde, die Einreise in die U.S.A. verweigert wird.

Wie wir bereits dokumentierten, werden die betreffenden Länder, gegen deren Bürgerinnen und Bürger (auch mit doppelter Staatsbürgerschaft, z.b. deutsche Bundestagsabgeordnete und Anwärter auf den Oscar Filmpreis) sich der Einreisebann richtete (Irak, Syrien, Iran, Sudan, Libyen, Somalia und Jemen), in diesem Abschnitt des INA Act überhaupt nicht erwähnt.

Es waren bis dato unbekannte Beamte des Heimatschutzministeriums, welche letztlich am Freitag, dem 27. Januar in einer „gesetzlichen Interpretation“ („legal interpretation“) diese Entscheidung trafen, während sogar Trumps neuer Heimatschutzminister General John F. Kelly laut „New York Times“ noch im Flugzeug saß und laut „CNN“ die neue Executive Order erst kurz vor ihrer Fertigstellung überhaupt zu Gesicht bekam („saw the final details shortly before the order was finalized“.)

Dass General Kelly keine Ahnung hat, was da in seinem neuen Ministerium überhaupt vor sich ging, will er nun ändern: Kelly ordnete eine Untersuchung an, wie diese Interpretation des Präsidentenbefehls und diese ominöse Länderliste überhaupt zustande kam.

Die Klage des Bundesstaates Washington, vertreten durch Bundesanwalt Ferguson, gegen den Präsidenten und dessen Bundesregierung stellt in Abschnitt 65 fest:

„Die Executive Order war motiviert von Feindseligkeit und dem Begehren einer bestimmten Gruppe Schaden zuzufügen.“

Und in Abschnitt 81 der Klage:

„Abschnitt 3 und 5 der Executive Order“, zusammen mit Stellungnahmen der Beklagten (Anm.: der Regierung Trump) betreffend ihrer Absicht und Anwendung, diskriminieren auf der Basis von Rasse, Nationalität, Geburtsort und / oder Wohnort in der Ausstellung von Visas, unter Verletzung des Einwanderungs- und Nationalitätsgesetzes („Immigration and Nationality Act).“

Abschnitt 103 der Klage stellt fest:

„Im Umsetzen von Abschnitt 3 und 5 der Executive Order, haben die Bundesbehörden verfassungswidrige und ungesetzliche Handlungen begangen, wie hier behauptet, in Verletzung des Administrative Procedure Act.

Konkrete Auswirkung des nun ergangenen vorläufigen Urteils, wie bereits dargelegt: der Einreisebann bzw das Einreiseverbot aus den betroffenen Ländern bzw gegen die Betroffenen mit der Staatsbürgerschaft von Irak, Syrien, Iran, Sudan, Libyen, Somalia und Jemen in die Vereinigten Staaten ist ab sofort aufgehoben.

Die weiteren Auswirkung dieser historischen Gerichtsentscheidung sind noch nicht abzusehen.

Wie wir bereits in 2014 beschrieben, ist Hunderte von Jahren nach Inkrafttreten der U.S. Constitution durch den Obersten Gerichtshof noch immer nicht abschließend geklärt, ob Befehle des Präsidenten über der Verfassung stehen oder nicht. Zum Zeitpunkt unseres Artikels in 2014 fanden wir nur zwei Beispiele in der gesamten Geschichte der Vereinigten Staaten, in denen eine Executive Order durch ein Gericht oder den Kongress wieder aufgehoben wurden:

  • am 10. Juni 1993 hob der Kongress Executive Executive Order 12806 von George Bush Senior wieder auf, der das Anlegen eines Lagers mit menschlichen Totgeburten, einer „Fötenbank“, zu Forschungszwecken verfügt hatte.
  • am 2. Februar 1996 hob der „United States Court of Appeals for the District of Columbia Circuit“ Executive Order 12954 von Bill Clinton wieder auf, die zugunsten von Gewerkschaften den Bossen in Arbeitskämpfen die Einstellung von Streikbrechern verboten hatte.

Beide Mal scheute die U.S.-Regierung, sowohl die unter George Bush Senior, als auch die von Bill Clinton, davor zurück die Sache vor den Obersten Gerichtshof zu bringen.

Ein im jünst eilig neu interpretierten Wikipedia-Eintrag zu „Executive Order“ angeführtes anderes Beispiel trägt nicht: am 7. Januar 1935 hatte der Oberste Gerichtshof in der Sache „Panama Refining Co. v. Ryan“ zwei Befehle des damaligen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt, Executive Order 6199 und 6204, zwar als „ohne verfassungsmäßige Autorität“ bezeichnet. Ausdrücklich aufgehoben („reversed“) aber wurde nur der Beschluss eines Berufungsgerichts, welche ausführende Bestimmungen des Innenministeriums nun zu revidieren hatte. Die eigentliche Machtfrage also blieb ungeklärt.

Die Macht für ausführende Befehle („Executive Orders“) des Präsidenten wird in der U.S. Verfassung nicht erwähnt. Sie basiert im Prinzip lediglich auf der Akzeptanz dieser Befehle, also quasi als Gewohnheitsrecht.

Die Rechtsinterpretation, die bis heute ein Recht des Präsidenten auf Executive Orders behauptet, basiert auf einer Interpretation des Ex-F.B.I.-Juristen T.J. Halstead, die im März 2001 „geupdated“ worden war. Und von dieser Interpretation wiederum ihr erfuhr die Öffentlichkeit überhaupt erst im Jahre 2009 durch Veröffentlichungen von Wikileaks.

Präsident Trump hat bereits auf den Gerichtsbeschluss regiert, präzedenzlos wie bisher. Er bezeichnete den  Bundesrichter als „sogenannten Richter“ und dessen Beschluss als „Meinung“.

Es bleibt abzuwarten, ob die U.S. Bundesregierung von Donald Trump letzten Endes den Gang zum Obersten Gerichtshof wagt, um die Machtfrage – wer hat das Kommando: Der Präsident oder die Verfassung? – ein für alle Mal klären zu lassen.

Dies hätte nicht nur Auswirkungen auf die sowohl älteste Republik der Welt von Bedeutung (wir vernachlässigen jetzt einmal San Marino), als auch dessen letztes Imperium („Supermacht); es beträfe auch unmittelbar die Macht von winzigen Interessengruppen, die dem „mächtigsten Mann der Welt“, dem Präsidenten dieses Imperiums, selbstentworfene Befehle unterjubeln können, die dieser nicht einmal versteht und die dann von irgendwelchen Beamten in irgendwelchen Behörden interpretiert werden, mit weltweiten Auswirkungen.

Auch und gerade in der Hegemonie der Vereinigten Staaten von Amerika.