Gorleben – Der Fisch stinkt vom Kopf her

Mitteilung der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. vom 22.2.2017

40 Jahre verlorene Zeit

Die Gorleben-Story ist längst Geschichte und doch wieder nicht. Die Ausbauarbeiten im sogenannten “Erkundungsbergwerk” ruhen. Der “Offenhaltungsbetrieb” scheint zum Dauerzustand zu werden. Dieses Mal gründet sich der Ausbau- und Erkundungsstopp auf das “Standortauswahlgesetz”, das in von einer Super-Koalition – CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen – im Juli 2013 verabschiedet wurde.

Ein zehnjähriges Moratorium ging dem voraus. Es war gespeist aus den Zweifeln an der Eignung des Salzstocks Gorleben-Rambow, denn die Erkundungsergebnisse zwangen die Befürworter, die Sicherheitskriterien immer wieder an die miesen geologischen Befunde anzupassen. Aber ein Kompromiss ist eben ein Kompromiss und enthält nur einen Teil der Wahrheiten.

So hieß es im sogenannten “Atomkompromisses”, der im Juni 2000 zwischen Rot-Grün und der Energiewirtschaft ausgehandelt wurde: Mindestens 3, höchstens 10 Jahre sollten die Bauarbeiten unter Tage eingestellt werden, um grundsätzliche forschungspolitische Fragen zu klären. Im Gegenzug hatte Rot-Grün eine Passage übernommen, in der die “Eignungshöffigkeit” des umstrittenen Salzstocks bestätigt wurde. Der Begriff “Eignungshöffigkeit” ersetzt in beispielloser Form ein gesetzlich vorgeschriebenes Eignungsverfahren, einen Eignungsbeschluss nach Atomrecht.

Ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren wurde 1977 zwar eingeleitet, aber wurde nie eröffnet, stattdessen wurde in Gorleben auf der Basis des Bergrechts, das die Öffentlichkeit von dem Verfahren aussperrt und ein Klagerecht ausschließt, vorgegangen.

Rund 50 Jahre nach der Inbetriebnahme des ersten kommerziell genutzten Reaktors (Kahl, 1962) (Quelle: Joachim Radkau, Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft, Reinbek bei Hamburg, 1983) gibt es weder in Deutschland noch anderswo ein Endlagers für die hochradioaktiven Abfälle, die beim Betrieb von Atomkraftwerken anfallen.

1983 legte die Fachbehörde PTB (der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt) nach Abschluss der Tiefbohrungen einen Zwischenbericht vor. Auf Druck der Bonner Kohl-Regierung wurde dieser umgeschrieben wurden: massive geologische Bedenken gegen diesen Standort und der Rat, auch andere Standorte zu erkunden, wurden getilgt. (Quelle: Frankfurter Rundschau 25.8.2009) Statt der ursprünglichen Forderung, auch andere Standorte auf ihre Eignung hin zu untersuchen (also nicht mit Ausbau, dem Abteufen von Schächten zu beginnen), wurde in die Schlussfassung die gewünschte Formel aufgenommen, der Salzstock sei “eignungshöffig”. Der Ratschlag, andere Standorte zu untersuchen wurde vollends gestrichen. Schon zwei Monate später stimmte das Bundeskabinett unter Helmut Kohl der untertätigen “Erkundung” zu.

Im Februar 1977 hatte der niedersächsische Ministerpräsident Ernst-Albrecht (CDU) Gorleben als Standort für ein Nukleares Entsorgungszentrum ausgewählt. Nach massenhaftem Protest gegen die Pläne, im nordöstlichen Teil Niedersachsens, der damals wie eine Halbinsel in die DDR hineinragte, eine Wiederaufarbeitungsanlage (WAA), eine Brennelementefabrik wie auch ober- und unterirdische Atommülldeponien zu errichten, revidierte der CDU-Politiker zwei Jahre später sein Angebot an das Kabinett Helmut Schmidt (SPD). Eine WAA sei politisch nicht durchsetzbar.

Am 4. Juli 1979 sagte Ernst-Albrecht in der Energiedebatte vor dem Deutschen Bundestag, die niedersächsische Landesregierung sei nicht bereit, “auf verängstigte Menschen zu schießen”, damit die Anlage gebaut werden könne, die zwar wünschenswert, aber im Augenblick nicht notwendig sei. (Quelle: Elbe-Jetzel-Zeitung vom 5.7.1979).Es hielt allerdings an dem Plan fest, das Tiefbohrprogramm zur Erkundung des Salzstocks durchzuführen. Hydrogeologische Untersuchungen begannen im April 1979, das Tiefbohrprogramm im Januar 1980, es wurde nur kurz unterbrochen durch die Besetzung der Tiefbohrstelle 1004 im Juni 1980. (Quelle: Wolfgang Ehmke, Zwischenschritte. Köln 1987)
Schon die Wahl des Standorts war politisch und nicht geologisch begründet.

1993 wurde der ehemalige Vizepräsident des Niedersächsischen Landesamtes für Bodenforschung (NLfB) am Rande eines internationalen Endlagersymposiums in Braunschweig mit der Bemerkung zitiert, nach seinem damaligen Urteil sei Gorleben “dritte Wahl” gewesen. Mit den Worten “Jetzt werden wir´s denen mal zeigen” und “Da wird sich die Ostzone schön ärgern”, habe Albrecht dann erklärt, warum er sich für einen grenznahen Ort entschieden habe: Es war die Retourkutsche gegen die DDR, die mit Morsleben in der Nähe zu Helmstedt eine Atommülldeponie direkt an der Grenze zur BRD gewählt hatte. Gegenteilige Empfehlungen der Geologen habe Albrecht mit den Worten abgetan: “Ihr kommt auch noch zu eurem Recht”. (Quelle: Frankfurter Rundschau 27.11.1993) Lüttigs Kollege Prof. Dieter Ortlam stützt diese Aussage. Die NLfB sei bei der Standortwahl übergangen worden, die Fachleute hätten, als sie von der Entscheidung des CDU-Politikers hörten, die Hände über dem Kopfzusammengeschlagen.(Quelle: Frankfurter Rundschau 2.9.2009) Ortlam hatte als junger Geologe bereits in den 60er Jahren bei der Suche nach Trinkwasser für den Großraum Hamburg Gorleben hydrogeologisch erschlossen und war auf eine Salzwasserextrusion gestoßen, er hält den Salzstock als Atommülllager wegen fehlender toniger Sedimente in Deckgebirge und des direkten Kontakts zu Oberflächenwässern für völlig ungeeignet.(Quelle: Dieter Ortlam, Bewirtschaftung mariner Süßwasserquellen, Bremen 2000)
Aus der Akteneinsicht, die die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg im April 2009 beantragt hatte, ergab sich, dass die PTB weitaus größere Zweifel an der Eignung Gorleben als nukleares Endlager hatte als bisher bekannt.

Die Vorläuferbehörde des heutigen Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) sprach nach Auswertung der Tiefbohrungen 1983 in zwei Vorentwürfen zum offiziell vorgelegten “Zwischenbericht” die Empfehlung aus, neben Gorleben sollten auch andere Standorte untersucht werden, um Sachzwänge bei der Realisierung des Endlagers im Salzstock Gorleben zu vermeiden. Am 5.5.83 hieß es im Vorentwurf, der an jenem Tag mit der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern (DBE) laut handschriftlichem Vermerk diskutiert wurde: “Es ist daher nicht auszuschließen, dass nach erfolgter untertägiger Erkundung aufwendige Maßnahmen an den technischen Barrieren notwendig werden, um die Einhaltung von Grenzwerten sicherzustellen. Ob diese Ausgaben dann grundsätzlich unvermeidbar sind, kann nur beantwortet werden, wenn Vergleichsdaten von anderen Standorten vorliegen.” Wörtlich heißt es in den ersten Fassungen des PTB- Berichts, es sei “festzustellen, dass die über den zentralen Bereichen des Salzstocks Gorleben vorkommenden tonigen Sedimente keine solche Mächtigkeit und durchgehende Verbreitung haben, dass sie in der Lage wären, Kontaminationen auf Dauer von der Biosphäre fernzuhalten.” Mit dem Eintreten von Schadstoffen in den untersten Grundwasserleiter müsse nach 600 bzw. 1170 Jahren gerechnet werden.

Als Begründung für die Untersuchung anderer Standorte führt die PTB hingegen nach der Debatte mit den Vertretern der BGR und DBE in dem zweiten Entwurf an, der auf den 6.5.83 datiert ist, “dies würde auch die Akzeptanz des Standortes Gorleben erhöhen”. Erstmalig taucht der Schlüsselbegriff “Eignungshöffigkeit” auf, die Zusammenfassung wird nun mit dieser Bekenntnisformel eingeleitet. Die bisherigen Erkenntnisse über den Salzstock Gorleben hätten die “Aussagen über seine Eignungshöffigkeit für die Endlagerung der vorgesehenen radioaktiven Abfälle voll bestätigt.” Doch immer noch schlägt die PTB vor, nunmehr aus “Gründen der Akzeptanz”, andere Standorte zu untersuchen. Auch dieser Vorschlag ging der Bundesregierung noch zu weit. Im offiziellen “Zwischenbericht”, datiert “Mai 1983″, ist dieser Vorschlag dann vollständig gestrichen. Das Abteufen der Schächte – und damit der Bau des Erkundungsbergwerks – begann auf der Grundlage dieses Votums drei Jahre später, im März 1986.

Die Genese der Berichte war nicht das Ergebnis fachlicher Diskussionen, sondern politischer Einflussnahme war, das entfuhr Prof. Helmut Röthemeyer, dem ehemalige Abteilungsleiter der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), erstmalig 1985 vor der Landespressekonferenz in Hannover. “Maulkorb für kritische Äußerungen über Gorleben”, hieß es in einem Pressebericht. (Quelle: Frankfurter Rundschau 25.7.1985)

Professor Helmut Röthemeyer präzisierte schließlich in einem Interview, wie es zur Einflussnahme der Kohl-Regierung kam. Zu einem weiteren Treffen mit den Experten der BGR am 11. 3.1983 seien unerwartet auch Vertreter des Bundeskanzleramtes und der Bonner Ministerien für Forschung und Technologie und des Inneren erschienen. Die Ministeriumsvertreter hätten die Physikalisch-Technische Bundesanstalt zur Änderung ihres Gutachtens aufgefordert. “Es gab nichts Schriftliches, keine schriftliche Weisung, aber wir mussten das Gespräch klar als Weisung auffassen”, sagt der Röthemeyer, der inzwischen pensioniert ist. (Quelle: Tageszeitung 18.4.2009)

Das Missing-Link, den schriftlichen Beweis, lieferte schließlich die Süddeutsche Zeitung. Ein Telex aus dem Bundesforschungsministerium vom 13. 5.1983 fordert vom PTB – in durchaus höflicher Form “es ist zu prüfen” oder “ich wäre Ihnen dankbar” – die notwendigen Änderungen des Berichts, um in Gorleben bauen zu können. Verräterisch ist der direkte Bezug auf das Gespräch am 11. Mai, die Einflussnahme der Kohl-Regierung auf die Fachbehörde ist offensichtlich. (Quelle: Süddeutsche Zeitung 9.9.2009)

Als Reaktion auf diese Enthüllungen hatte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) Gorleben für politisch tot erklärt. Die Grünen zogen nach, sie hatten in der Vergangenheit trotz der Bedenken gegen Gorleben aus realpolitischen Überlegungen wie die SPD einen Standortvergleich vorgeschlagen, Gorleben sollte ursprünglich aber im Pool möglicher Standorte bleiben und mit verglichen werden. Auch aus der CDU gibt es neue Töne in altem Gewand. “Ich will nicht ausschließen, dass weitere mögliche Standorte unter die Lupe genommen werden”, sagte Baden-Württembergs Umweltministerin Tanja Gönner (CDU). “Wir müssen uns gut überlegen, ob wir es uns leisten können, am Ende möglicherweise mit leeren Händen dazustehen.” Sollte sich herausstellen, dass der Salzstock im niedersächsischen Gorleben nicht als Endlager geeignet ist, “brauchen wir einen neuen Suchlauf”.

Vier Jahre später, nach Abschluss des PUA Gorleben standen die Auffassungen hingegen diametral gegeneinander. Die Regierungsparteien sahen sich bestätigt, in Gorleben sei alles rechtens zugegangen, SPD, Grüne und Linke sahen – wie wir – Lug und Trug und halten Gorleben für delegitimiert. Was SPD und Grüne nicht davon abhielt, in das Standortauswahlgesetz (StandAG) Gorleben hinein zu schreiben und damit zu legitimieren.

Wolfgang Ehmke, Pressesprecher