Angela Merkel wirbt in Argentinien und Mexiko für engere Kooperation

Bundesregierung will Bündnisse vor G20-Gipfel stärken. Menschenrechtsgruppen weisen auf Relativierung der Diktaturverbrechen unter Präsident Macri hin

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist am Mittwochabend zu einem Besuch in Argentinien und Mexiko aufgebrochen, um die Beziehungen mit den dortigen wirtschaftsliberalen Regierungen zu stärken. Es gehe bei dem Besuch auch um die Vorbereitung des G20-Gipfels Anfang Juli in Hamburg. Merkel wird am heutigen Donnerstag unter anderem mit dem argentinischen Präsidenten Mauricio Macri zusammenkommen. Am Freitag reist sie nach Mexiko-Stadt weiter.

Argentinien und Mexiko gehören mit Chile und Peru der neoliberalen Pazifik-Allianz an, die 2012 als Gegenpol zum linksgerichteten Alba-Staatenbund in Lateinamerika gegründet wurde. Sowohl Präsident Macri als auch der mexikanische Staatschef Enrique Peña Nieto verfolgen eine wirtschaftsliberale Politik, die in ihren Ländern heftigen sozialen Widerstand provoziert hat. In Argentinien hatten in diesem Zusammenhang Anfang April die drei größten Gewerkschaftsdachverbände CGT, CTA und CTA Autónoma einen Generalstreik gegen die Politik der Regierung Macri angeführt. Daran beteiligten sich nach Angaben der Gewerkschaften zehntausende Menschen im ganzen Land. Im Zentrum stand die Forderung nach Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit, die seit Macris Amtsantritt im Dezember 2015 angestiegen ist. Dieser hat in seinem ersten Regierungsjahr etwa die Entlassung zehntausender öffentlicher Angestellter durchgesetzt. Laut einer Studie der Katholischen Universität Argentiniens in Buenos Aires sind heute 1,5 Millionen mehr Menschen von Armut betroffen als zum Ende der Amtszeit von Macris Vorgängerin Cristina Fernández de Kirchner. Rund 600.000 Menschen rutschten gar in die extreme Armut ab.

Die Reise von Merkel wird auch von dem Konflikt um die Außenpolitik der US-Regierung unter Präsident Donald Trump überschattet werden. Erwartet wird, dass sich die Bundeskanzlerin von der Politik Trumps abgrenzt, vor allem mit Blick auf die Freihandels- und Klimapolitik. Die neoliberalen Regierungen Lateinamerikas haben indes ihre Hoffnung geäußert, die Zusammenarbeit mit der EU vertiefen zu können.

Der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte Argentinien zuletzt Anfang Juni vergangenen Jahres besucht und dort unter anderem eine Absprache für ein Arbeitsprogramm für Jugendliche und jungen Erwachsene aus beiden Ländern unterzeichnet. Anfang Juli 2016 besuchte Macri Berlin und traf unter anderem mit Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Merkel, Bundestagspräsident Norbert Lammert, den damaligen Ministern für Äußeres und Wirtschaft, Steinmeier und Sigmar Gabriel (beide SPD) zusammen. „Die Unterzeichnung von neun Erklärungen über die Verstärkung der deutsch-argentinischen Zusammenarbeit, nicht zuletzt in den Bereichen Wirtschaft und Wissenschaft, verdeutlicht das Interesse beider Seiten, die Beziehungen noch weiter auszubauen bzw. zu intensivieren“, heißt es auf der Internetseite der Bundesregierung.

Indes hat der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck als Vertreter der Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights und der deutschen Koalition gegen Straflosigkeit die Kanzlerin im Vorfeld des Besuches auf einen „wenig erfreulichen Aspekt der deutsch-argentinischen Beziehungen“ hingewiesen, der nicht vergessen werden sollte: das Verhalten deutscher Behörden, Unternehmen und Öffentlichkeit während der argentinischen Militärdiktatur (1976-1983). Deutsche Wirtschaftsvertreter und Konzerne hätten die Wirtschaftspolitik der Militärdiktatur ausdrücklich begrüßt. Der Autobauer Mercedes-Benz stehe noch heute im Fokus strafrechtlicher Ermittlungen in Argentinien sowie eines Zivilverfahrens in den USA wegen des Vorwurfs der Beihilfe am Verschwindenlassen von 16 Gewerkschaftern im Werk von Mercedes-Benz Argentina heißt es in einem Brief an Merkel, der amerika21 vorliegt.

Zugleich warnt Kaleck vor aktuellen Tendenzen in Argentinien, die Diktaturverbrechen zu relativieren und ihre juristische Aufarbeitung zu beenden. Seit 2005 seien in dem südamerikanischen Land hunderte von Militärs, Polizisten und Geheimdienstlern vor Gericht gestellt und verurteilt worden, dies sei „etwas weltweit Einzigartiges.“ Nach der Regierungsübernahme durch Präsident Macri gebe es jedoch zunehmend Stimmen, insbesondere aus dem rechten Lager, wonach die Verfahren wegen der Diktaturverbrechen gestoppt werden sollten. Vertreter der Regierung stellten die Zahlen der Opfer in Frage, heißt es in dem Brief an Merkel, die das Mahnmal Parque de la Memoria besuchen wird.

Als Beispiel für die neuen Geschichtsrevisionisten in Argentinien wird neben dem Präsidenten selbst auch der ehemalige Kulturmanager Darío Lopérfido genannt, der im vergangenen Jahr nach umstrittenen Aussagen zu den Todeszahlen und starkem gesellschaftlichem Druck zurücktreten musste. Dennoch wurde er nun von der Regierung als erster „Sonderbeauftragter für die argentinische Kultur“ an die Botschaft in Berlin berufen.

Der Brief, der von zehn argentinischen Menschenrechtsorganisationen mit unterzeichnet wurde – u.a. von den Müttern und Großmüttern der Plaza de Mayo und der Ständigen Versammlung für die Menschenrechte – schließt mit der Aufforderung an die Kanzlerin „die Wichtigkeit von Erinnerungskultur und der fortwährenden juristischen Aufarbeitung bei Ihrem Treffen mit argentinischen Regierungsmitgliedern, insbesondere auch mit dem Präsidenten Mauricio Macri zu erörtern.“

Erstveröffentlichung am 8. Juni 2017 auf Portal amerika21.de