Das schreckliche Problem

Der Sohn Menachem Begins Ze’ev Begin ist ein sehr freundlicher Mensch. Man muss ihn einfach mögen. Er ist gut erzogen, höflich und bescheiden, einer, den man gerne zum Freund hätte.

Leider sind seine politischen Ansichten weit weniger liebenswert. Sie sind noch extremer als selbst das Handeln seines Vaters. Sein Vater hatte die Irgun geleitet und dann setzte er sich hin und schloss Frieden mit Anwar al-Sadat of Egypt. Ze’ev ist Golda Me’ir ähnlicher. Sie ignorierte Sadats Friedensangebote und führte uns in den verheerenden Jom-Kippur-Krieg.

Begin jr. ist ein strikter Anhänger des „revisionistischen“ zionistischen Glaubens, den Vladimir Ze’ev Jabotinsky begründet hat. Eine besondere Eigenschaft dieser Bewegung war immer, dass sie geschriebenen Texten und Deklarationen besondere Bedeutung zuschrieb. Die Arbeits-Bewegung, der David Ben-Gurion vorstand, kümmerte sich kein bisschen um Worte und Deklarationen, sondern sie erkannten nur „tatsächliche Begebenheiten“ an.

Letzte Woche schrieb Ze’ev Begin einen seiner seltenen Artikel. Sein Hauptanliegen war es zu beweisen, dass Frieden mit den Palästinensern unmöglich sei, ein Hirngespinst israelischer Friedensliebhaber (Haaretz 9.10.). Begin zitiert zahlreiche palästinensische Texte, Reden und sogar Schulbücher und zeigt, dass die Palästinenser niemals, niemals, niemals ihr „Recht auf Rückkehr“ aufgeben werden.

Eine solche Rückkehr würde das Ende des jüdischen Staates bedeuten und deshalb versichert Begin, Frieden sei ein Hirngespinst. Es wird niemals Frieden geben. Schluss und aus.

ÄHNLICH hat sich Alexander Jakobson in einem bedeutsamen Artikel in Haaretz (26.9.) geäußert. Auch er ist so ein tiefer Denker. Dieser Artikel wendet sich persönlich gegen mich und in seiner Überschrift wird behauptet, ich sei zwar „Israel, aber nicht der Wahrheit treu“. In dem Artikel werde ich beschuldigt, ich verhielte mich der BDS-Bewegung gegenüber duldsam, die ja bekanntlich darauf aus sei, Israel ein Ende zu bereiten.

Woher weiß er das? Ganz einfach: BDS bestätigt das „Recht der Palästinenser auf Rückkehr“, das, wie jeder weiß, die Zerstörung des jüdischen Staates bedeutet.

Also in Wirklichkeit erhebe ich aus verschiedenen Gründen Einwände gegen BDS. Gusch Schalom, die Bewegung, der ich angehöre, war die erste, die den Boykott für Waren aus den Siedlungen erklärte. Unser Ziel war es, die Menschen im eigentlichen Israel von den Siedlungen zu trennen. Die BDS (Boykott, Kapitalabzug und Sanktionen)-Bewegung erreicht damit, dass sie ganz Israel boykottieren will, genau das Gegenteil: Sie treibt die Israelis den Siedlern in die Arme.

Außerdem schätze ich es durchaus nicht, wenn Leute dazu aufgerufen werden, mich zu boykottieren.

Aber von allen Themen der BDS-Plattform kümmert mich die Forderung, dass der Staat Israel das Recht der Palästinenser auf Rückkehr anerkennen sollte, am allerwenigsten. Es ist einfach lächerlich. Der BDS wird den Staat Israel nie und nimmer dazu zwingen können. Warum sollten wir uns also darüber Sorgen machen?

WIR WOLLEN erst einmal etwas Licht in die Sache bringen.

Als sich die Briten 1948 aus Palästina zurückzogen, lebten im Land zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan etwa 1,2 Millionen Araber und 635.000 Juden. Nach dem Ende des Krieges waren 700.000 Araber geflohen und/oder vertrieben worden. Es war ein Krieg von der Art, die man später „ethnische Säuberung“ nannte. Zwar waren in den von den jüdischen Waffen eroberten Gebieten nur wenige Araber übrig, man sollte jedoch auch daran denken, dass in den Gebieten, die die arabischen Waffen erobert hatten, gar keine Juden übrig geblieben waren. Zum Glück für unsere Seite konnten die Araber nur kleine Streifen Land, die von Juden bewohnt worden waren (z. B. Gusch Etzion, Ostjerusalem und andere), zu erobern, während unsere Seite große von Arabern bewohnte Gebiete eroberte. Als Frontsoldat habe ich das mit eigenen Augen gesehen.

Die arabischen Flüchtlinge vervielfachten sich durch natürliche Vermehrung und zählen jetzt etwa 6 Millionen. Etwa 1,5 Millionen von ihnen leben im besetzten Westjordanland, etwa eine Million im Gazastreifen und die übrigen verteilten sich auf Jordanien, den Libanon, Syrien und die ganze Welt.

Würden sie alle zurückkommen, wenn man ihnen Gelegenheit dazu gäbe? Wir wollen das erwägen.

VOR JAHREN hatte ich ein einmaliges Erlebnis.

Ich war zu einem Vortrag in New York eingeladen worden. Zu meiner freudigen Überraschung sah ich in der ersten Reihe meinen guten Freund den jungen arabischen Dichter Raschid Hussein sitzen. Raschid war in einem Dorf in der Nähe Nazareths geboren worden. Er bat mich, ihn in seiner Wohnung in New Jersey zu besuchen.

Als ich ankam, fiel ich aus allen Wolken. Die kleine Wohnung war mit Leuten überfüllt. Es waren Palästinenser aller Arten: junge und alte, Männer und Frauen. Wir führten ein langes und äußerst emotionales Gespräch über das Thema Flüchtlinge.

Auf dem Nachhauseweg sagte ich zu meiner Frau: „Weißt du, was ich gedacht habe? Dass nur wenige von ihnen wirklich gerne zurückkehren würden, aber dass sie alle für das Recht auf Rückkehr zu sterben bereit wären!“

Rachel, die eine scharfe Beobachterin war, sagte, sie habe denselben Eindruck gehabt.

HEUTE, DUTZENDE von Jahren später, bin ich überzeugt, dass die Grundwahrheit immer noch gilt: Es gibt einen riesigen Unterschied zwischen dem Prinzip und seiner Umsetzung.

Das Prinzip darf nicht bestritten werden. Es ist das Eigentum eines jeden einzelnen Flüchtlings. Es wird vom Völkerrecht geschützt. Es ist heilig.

Jeder künftige Friedensvertrag zwischen dem Staat Israel und dem Staat Palästina muss einen Paragrafen enthalten, in dem es heißt, dass Israel im Prinzip das Recht der palästinensischen Flüchtlinge und ihrer Nachkommen auf Rückkehr bestätigt.

Es ist kaum zu erwarten, dass ein palästinensischer Führer einen Vertrag unterzeichnet, der diese Klausel nicht enthält.

Erst wenn dieses Hindernis vom Tisch ist, kann oder wird ein wirkliches Gespräch über die Lösung beginnen.

Ich kann mir die Szene vorstellen: Nachdem in der Friedenskonferenz darüber Übereinstimmung erzielt worden ist, wird der Vorsitzende tief durchatmen und sagen: „Jetzt, Freunde, wollen wir zum wirklichen Punkt kommen: Wie sollen wir das Flüchtlingsproblem praktisch lösen?“

Sechs Millionen palästinensische Flüchtlinge stellen sechs Millionen einzelne Situationen dar. Es gibt viele Arten von Flüchtlingen. Man kann nicht auf alle dieselbe Situation anwenden.

Viele der Flüchtlinge – vielleicht die meisten – haben sich in den vergangenen 50 Jahren in einem anderen Land ein neues Leben aufgebaut. Für diese ist das Recht auf Rückkehr ein Prinzip. Sie denken nicht im Traum daran, ins Dorf ihrer Vorfahren zurückzukehren, auch nicht, wenn es dieses Dorf noch gäbe. Einige von ihnen sind wohlhabend, einige reich, einige sehr reich.

Einer der reichsten ist mein Freund (darf ich dich so nennen?) Salman Abu Sitta. Er begann sein Leben als barfüßiger Junge im Negev, floh 1948 mit seiner Familie nach Gaza und wurde später ein immens erfolgreicher Unternehmer in England und den Golfstaaten. Wir lernten uns bei einer Friedenskonferenz kennen, trafen uns danach zu einem emotionalen privaten Abendessen und waren nicht einer Meinung.

Abu Sitta bestand darauf, dass allen Flüchtlingen die Rückkehr nach Israel erlaubt werden müsse, auch wenn sie dann in der Negev-Wüste angesiedelt würden. Ich kann darin keine praktische Logik erkennen.

Ich habe mit Palästinensern Hunderte von Gesprächen über mögliche Lösungen geführt, von Jasser Arafat bis zu Menschen in Flüchtlingslagern. Die große Mehrheit heute würde eine Formel unterschreiben, die besagt, eine „gerechte und vereinbarte Lösung des Flüchtlingsproblems“ werde angestrebt. „Vereinbart“ heißt, dass die Lösung mit Israel vereinbart werden muss.

Diese Formel taucht auch im „Arabischen Friedensplan“ auf, der von Saudi-Arabien entworfen und von der gesamten muslimischen Welt offiziell akzeptiert worden ist.

Wie würde das praktisch aussehen? Es bedeutet, dass jeder Flüchtlingsfamilie die Wahl zwischen tatsächlicher Rückkehr und angemessener Entschädigung angeboten würde.

Rückkehr – wohin? In einigen außergewöhnlichen Fällen stehen ihre Herkunftsdörfer noch leer. Ich kann mir vorstellen, dass ihre früheren Bewohner solche Dörfer – sagen wir zwei oder drei – symbolisch wieder aufbauten.

Einer vereinbarten Anzahl von Flüchtlingen muss gestattet werden, auf israelisches Gebiet zurückzukehren, besonders, wenn sie hier noch Verwandte haben, die sie dabei unterstützen können, wieder Wurzeln zu fassen.

Das ist für Israelis schwer zu schlucken – jedoch nicht zu schwer. Israel hat schon 2 Millionen arabische Bürger, das sind mehr als 20% der Bevölkerung. Eine weitere, sagen wir, viertel Million würde nicht viel ausmachen.

Allen anderen würden großzügige Entschädigungen gezahlt. Sie würden die dazu verwenden, ihr Leben dort, wo sie sind, zu festigen, oder nach Australien oder Kanada auszuwandern, die sie (mit ihrem Geld) gerne aufnehmen würden.

Etwa 1,5 Millionen Flüchtlinge leben im Westjordanland und in Gaza. Eine große Anzahl weiterer lebt als jordanische Bürger in Jordanien. Einige leben noch in Flüchtlingslagern. Ihnen allen wäre eine Entschädigung willkommen.

Woher wird das Geld dafür kommen? Israel muss seinen Anteil zahlen (und gleichzeitig sein riesiges Militär-Budget kürzen). Die Weltorganisationen werden einen großen Teil dazu betragen müssen.

IST DAS machbar? Ja, das ist es.

Ich wage es, noch mehr zu sagen: Wenn die Atmosphäre stimmt, ist es sogar wahrscheinlich. Im Gegensatz zu Begins Glauben an Texte, die heute von Demagogen geschrieben werden, um die Tageszwecke zu erfüllen, ist eine Lösung wie diese – so oder ähnlich -, wenn der Prozess erst einmal ins Rollen kommt, fast unvermeidlich.

Wir wollen keinen Augenblick lang vergessen: Diese „Flüchtlinge“ sind Menschen.

14. Oktober 2017