Auch Ex-Polizist und Attentäter Oscar Pérez unter Toten. Zahlreiche Opfer nach schweren Gefechten. Disput zwischen Regierung und Opposition
In Venezuela ist es nach dem gewaltsamen Tod des Attentäters und militanten Regierungsgegners Oscar Pérez zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen Vertretern der Opposition und der Regierung von Präsident Nicolás Maduro gekommen. Während die Regierung den Tod des ehemaligen Polizisten als Sieg über den Terrorismus feierte, bezeichneten führende Oppositionelle die tödliche Polizeiaktion gegen Pérez und seine Gruppierung als politischen Mord, den Attentäter ehrten sie als „Märtyrer“. Dieser Diskurs herrschte auch in der westlichen Presse vor.
In einer großangelegten, zehnstündigen Operation waren die militanten Regierungsgegner am Montag aufgerieben worden. Beteiligt waren der Inlandsgeheimdienst, der Militärgeheimdienst, die Nationalgarde, die Sondereinheit FAES und die Nationalpolizei, insgesamt mehrere Hundert Uniformierte. Nach Augenzeugen- und Medienberichten kamen bei der Aktion auch schwere Waffen zum Einsatz. Bei heftigen Gefechten wurden zwei FAES-Mitglieder getötet und sechs weitere Mitglieder der Sicherheitskräfte verletzt. Neben Pérez wurden fünf weitere Mitglieder der Gruppierung getötet, sieben wurden festgenommen.
Pérez und seine Gruppe hatten im vergangenen Juni von sich reden gemacht, als sie aus einem gekaperten Polizeihubschrauber das Innenministerium in Caracas und den Sitz des Obersten Gerichtshofs angriffen. Präsident Maduro sprach damals im staatlichen Fernsehsender VTV von einem terroristischen Putschversuch. Der Sitz des Gerichts liegt im historischen Stadtkern von Caracas in der Nähe mehrerer Regierungsgebäude, darunter der Präsidentenpalast Miraflores. Das politische Motiv war früh klar: In einem Video sprach der Pilot von einem „Angriff auf die Tyrannei“, auf einem Transparent am entführten Helikopter der Kriminalpolizei CICP war „Libertad“ (Freiheit) und „350“ zu lesen, in Anspielung auf den entsprechenden Artikel der Verfassung, der das Recht auf Rebellion definiert. Aus Regierungskreisen hieß es später, vom Helikopter seien 15 Schüsse auf das Innenministerium abgefeuert worden. Danach sei er zum Obersten Gerichtshof weitergeflogen, dort seien vier Granaten abgeworfen worden. Zum Zeitpunkt der Attacke hatten sich rund 80 Personen auf der Terrasse des Obersten Gerichtshofs zu einem Empfang versammelt, konnten sich aber noch rechtzeitig in Sicherheit bringen.
An der Ortung und dem Angriff auf die Gruppierung um Pérez waren offenbar auch Mitglieder eines bekannten „Colectivo“ beteiligt, einer bewaffneten Gruppierung, die der Regierung nahesteht. Nach einem Bericht der oppositionellen Tageszeitung El Nacional soll bei den Gefechten Heiker Vázquez, Anführer des Colectivo Las Tres Raíces aus dem Hauptstadtviertel 23 de Enero getötet worden sein. Das bestätigte Agrarminister Freddy Bernal. Unklar blieb, ob auch andere Mitglieder der regierungsnahen Gruppierung ums Leben kamen und welche Rolle sie spielten. „Heute ist im Kampf eine Gruppe von Patrioten, unter ihnen Heiker gefallen, so wie Revolutionäre fallen“, zitiert das Nachrichtenportal aporrea.org Bernal.
Im Widerspruch hierzu stand das Urteil führender Vertreter der Opposition. Der ehemalige Bürgermeister des Großraums Caracas, Antonio Ledezma, bezeichnete Pérez als „Märtyrer“, der auf direkte Weisung von Präsident Maduro „exekutiert“ worden sei. Dieses Narrativ wurde von dem Attentäter selbst bedient: Während der bewaffneten Auseinandersetzung veröffentlichte er über das Soziale Netzwerk Instagram mehrere Videos, in denen er behauptet, die Gruppe wolle sich ergeben, man wolle sie aber töten. Ledezma nahm dies zum Anlass, von einer „Todesstrafe“ zu sprechen. Man werde eine Anklage gegen Präsident Maduro vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag anstreben. Ledezma, der die bewaffneten Aktionen von Pérez und die Toten Polizisten nicht erwähnte, hatte unlängst nach einer umstrittenen Entscheidung den Sacharow-Preis für Menschenrechte des Europäischen Parlaments erhalten.
Obwohl die Rollenverhältnisse relativ klar sind und Pérez noch in seinem letzten Interview vor wenigen Tagen von einem baldigen Ende der Regierung sprach und mit bevorstehenden Aktionen drohte, taten sich deutsche Medien heute schwer, sachlich zu berichten. Eine Korrespondentin des ARD-Studio Mexiko-Stadt schrieb von der Tötung mehrerer „Aufständischer“, Sicherheitskräfte seien gewaltsam gegen eine „Rebellengruppe“ vorgegangen, die von der Regierung „terroristisch“ genannt werde. Der Bericht kulminierte in der Beschreibung von Pérez als „der junge, gutaussehende Ex-Polizist“. Der von ihm geleitete Angriff im Juni sei verübt worden, so betonte die ARD, „ohne dass Menschen zu Schaden kamen“. Spiegel Online schrieb indes auf Basis von Meldungen der Nachrichtenagenturen AFP und dpa, es handele sich um eine „Gruppe um den „Hubschrauberpiloten“ und „prominenten Piloten“ Oscar Pérez. Als Attentäter oder Terrorist wurde Pérez in keinem der Berichte bezeichnet. Weniger zimperlich war das bezahlpflichtige Format Spiegel Daily in einem Beitrag über Präsident Maduro, den es – einer gewissen journalistischen Tradition folgend – als „Schlächter“ bezeichnete.
Erstveröffentlichung auf Portal amerika21.de am 17. Januar 2018