„Faktisch muss man Schlupflöcher schaffen“

von Jürgen Wagner und Marc Bebenroth

Nur ein Lippenbekenntnis: Regierungsankündigung, Rüstungsexporte einzuschränken.

Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung heißt es, dass Rüstungswettläufe die Welt viel unsicherer machen. Trotzdem wird der deutliche Wille zur Aufrüstung ausgedrückt. Was sagen Sie zu diesem Widerspruch?

Es ist üblich, dass man in solchen Papieren blumige Formulierungen wählt, hinter denen sich bei genauem Hinsehen aber harte Rüstungspolitik verbirgt. Zum Ziel der NATO, die nationalen Militärausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, hat man sich im Koalitionsvertrag indirekt verpflichtet. Und da wird jetzt so getan, als ob das eine bindende Abmachung sei. Dabei ist es eine nicht bindende Absichtserklärung. So wird einmal mehr eine politische Entscheidung als Sachzwang dargestellt. Das ist im übrigen auch der politische Kern dieser völlig bizarren Debatte um die angeblich chronisch unterfinanzierte Bundeswehr.

Die neue Bundesregierung kündigt an, Rüstungsexportrichtlinien zu verschärfen. Mit welchen Strategien werden Rüstungskonzerne sie weiterhin umgehen können?

Da sind zum einen Lizenzvergaben im Ausland, mit denen Firmen dort deutsche Rüstungsgüter selbst herstellen können. Zweitens wäre da die direkte Gründung von Firmenniederlassungen durch deutsche Rüstungskonzerne. Der dritte und potentiell bedeutendste Punkt sind deutsch-französische Rüstungsprojekte. Da hat man ja im Juli 2017 eine ganze Reihe von gemeinsamen Projekten, darunter die Anschaffung von Kampfpanzern, Kampfflugzeugen, Drohnen, beschlossen. Dabei scheint man sich auf eine uralte Vereinbarung zu beziehen, die die damaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt und Michel Debré im Jahr 1972 getroffen hatten. Darin heißt es, dass keine der beiden Regierungen die andere daran hindern wird, Rüstungsgüter aus gemeinsamer Entwicklung oder Fertigung zu exportieren. Und französische Richtlinien sind noch viel laxer als deutsche. Die neue Panzergeneration aus deutsch-französischer Entwicklung wird genau mit Hilfe dieses alten Abkommens in alle Welt exportiert werden können.

Welche Notwendigkeit besteht eigentlich für Rüstungsexporte?

Die deutsche Rüstungsindustrie kann allein von heimischen Aufträgen überhaupt nicht überleben. Wenn man also eine eigenständige Rüstungsindustrie möchte, dann ist man auf Exporte angewiesen. Das ist eine politische Notwendigkeit, die nur bedingt etwas mit Profitinteressen einzelner Rüstungsunternehmen zu tun hat. Formal mag es Lippenbekenntnisse zu strengen Rüstungsexportrichtlinien geben. Faktisch aber muss man alle möglichen Schlupflöcher schaffen, damit diese Beschränkungen in der Praxis löchrig wie ein Fischernetz sind.

Union und SPD planen, die Entwicklungshilfegelder im selben Maße wie den Wehretat zu erhöhen. Wie bewerten Sie das?

Hier werden weitere Rüstungsausgaben teilweise versteckt, und zwar auch jetzt schon. Offizielle Verpflichtung aus den 70er Jahren ist es, 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Entwicklungshilfe auszugeben. Da man heute schon alles Mögliche dort reinpackt, was dort nicht hineingehört, ist man davon gar nicht so weit weg. Damit geht eine Einbindung entwicklungspoltischer Instrumente in die militärische Logik einher. So werden sie zum integralen Bestandteil eines, wie es nenne, machtpolitisch-imperialistischen Gesamtpakets.

Was genau wird unter Entwicklungshilfe abgebucht?

Unter Entwicklungshilfe wird zunehmend der gesamte Bereich der sogenannten Ertüchtigung gefasst. Das heißt Ausbildung und Aufrüstung von mit Berlin befreundeten Akteuren, wo Maßnahmen teilweise aus dem Etat für Entwicklungshilfe gezahlt werden. Wir haben in Afghanistan eine ganz starke Tendenz gehabt, zum Beispiel Hilfsgüter nur als Belohnung für Kooperation mit der westlichen Besatzungsmacht zu verteilen. Das ist eine militärstrategische Instrumentalisierung von Hilfe, die dann auch die zivilen Kräfte vor Ort diskreditiert und zu Zielen der Aufständischen gemacht hat.

Veröffentlichung am 19. März 2018 auf Militarisierung e.V.