In seinem höchst lesenswerten Artikel „Die Rückkehr der Menschenfeindlichkeit“ schreibt Harald Welzer unter anderem, dass vor/in der Nazizeit zwar von einer „Judenfrage“ die Rede ist, nicht aber von einer „Nazifrage“.
Die Schlussfolgerung, dass die heutzutage hochgepeitschte „Flüchtlings/Migranten-Frage“ als Rauchschleier dienen soll, hinter dem sich die Rechten, die Welzer als Menschenfeinde bezeichnet, wieder ausbreiten, liegt nahe. Menschenfeinde, dafür Kapitalfreunde und Kriegstreiber …
Harald Welzer: Sozialpsychologisch ist das ein Klassiker: Vorurteile und Ressentiments gedeihen dort am besten, wo es die Hassobjekte in Gestalt etwa von „Ausländern“, „Muslimen“, „Flüchtlingen“, „Juden“ und so weiter gar nicht gibt, wo mithin keine Realitätsprüfung stattfinden muss. Und so haben wir jetzt eine „Flüchtlingsfrage“, keine „Menschenfeindefrage“.
„Demokratien gehen nicht an zu vielen Feinden, sondern an zu wenigen Freunden und Verteidigerinnen zugrunde. Auch dies zeigt das Beispiel Weimar. Anders gesagt: Wenn die Demokratie angegriffen wird und man sich selbst als Demokrat versteht, sollte man sich auch selbst gemeint fühlen und die Sache persönlich nehmen. Dann versteht man sofort, dass es sich bei alldem um einen gesellschaftspolitischen Konflikt handelt, nicht um ein pädagogisches Problem.“
„Vor diesem historischen Hintergrund ist die Renaissance der Menschenfeindlichkeit in der in fast jeder Hinsicht hervorragend funktionierenden Bundesrepublik der Gegenwart nur auf mangelnde Gegenwehr zurückzuführen.
Noch einmal: Wir haben keinen Mangel an Analyse, sondern an Engagement für die offene Gesellschaft. Das ist auch keine komplizierte Aufgabe. Es bedeutet für jeden und jede, im Job und im Privaten, im Freundeskreis und in der Familie, in der Straßenbahn und in sozialen Netzwerken für Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten einzutreten, und für eine Gesellschaft, die beides garantiert. Und zwar, wenn es ganz alltäglich konkret wird und Menschen verächtlich gemacht werden.“
Nicht zuletzt angesichts des Flüchtlinge/Migranten-Gekläffs des Wiener Rechzregimes, das in den kommenden sechs Monaten die Lärmkulisse der EU bilden wird, hinter der sich die reaktionäre Offensive versteckt, sollte man sich an die alte Weisheit „Wehret den Anfängen“ halten. Dass die Anfänge schon lange den Kinderschuhen entwachsen sind, macht die Sache nicht einfacher, aber umso dringlicher!
antikrieg.com, 4. Juli 2018