Massenmord und amerikanische Geschichte

„Scheiß auf deine Philosophie, ich gehe rein.“

Das geht über Hass hinaus, diese letzte Massenerschießung am vergangenen Wochenende in der Baum-des-Lebens-Synagoge in Pittsburgh, in der, oh mein Gott, 11 weitere unschuldige Seelen durch die Hände eines einheimischen Terroristen starben.

Die Anti-Immigranten-Tweets des Präsidenten mögen in grotesker Synchronizität mit denen des Mörders gewesen sein: „Viele Bandenmitglieder und einige sehr böse Menschen haben sich in die Karawane gemischt, die auf dem Weg zu unserer Südgrenze ist. … Das ist eine Invasion unseres Landes und unser Militär wartet auf euch!“ Und sie haben zweifellos das Klima, in dem Robert Bowers agierte, genährt, aber das geht über Donald Trump hinaus. Er mag der Auslöser sein, aber die Waffe ist schon lange bereit und hat darauf gewartet.

Jede Massenschießung geschieht in einem Kontext, und jede Massenschießung schreit danach, dass wir die soziale Infrastruktur von Entmenschlichung und Gewalt untersuchen müssen.

„Aber auch das muss als aktuelle Manifestation der rassistischen Grundlagen unseres Landes kontextualisiert werden“, schrieb Rabbi Michael Lerner am Tag nach den Morden und erinnerte uns an Themen wie Sklaverei, indianischen Völkermord und die Kriege des letzten halben Jahrhunderts.

„Dieses Muster von Gewalt und Erniedrigung ‚des Anderen‘ ist so tief in die Kultur der USA eingebettet, dass nur eine echte Bewusstseinstransformation seine Vorherrschaft in beiden großen politischen Parteien untergraben wird.“

„Scheiß auf deine Philosophie, ich gehe rein.“

Das sind die Worte, die ich nicht aus meinem Kopf bekommen kann – der letzte Beitrag des Mörders auf seiner Social Media-Plattform, bevor er seine Waffen nahm und zur Baum-des-Lebens-Synagoge aufbrach. Das ist Kriegsgerede – oder besser gesagt, das vorgetäuschte Kriegsgerede eines Jungen, der mit Waffen spielt … ein Junge, der erwachsen geworden ist und jetzt echte Waffen und einen „echten“ Feind hat – die Einwanderer, die mit Hilfe der Juden in unser Land strömen – und der dabei ist, zur Berühmtheit zu gelangen und sein Volk zu retten.

Vielleicht beginnt hier das Problem der amerikanischen Gewalt, in der Fantasie von bewaffneter Rettung und bewaffneter Erlösung. In dieser Fantasy-Mentalität, dem Standardplot zehntausender mittelmäßiger Filme und Fernsehsendungen ist die einzige Folge von Gewalt, dass sie den Bösewicht eliminiert.

In der Kindheit dreht sich alles um Ruhm, aber die Jungen wachsen auf und lernen eine tiefere Realität – es sei denn, sie tun es nicht. Und der amerikanische Militarismus verlangt, dass die Amerikaner psychologisch in ihrer frühen Jugend verbleiben und sich nicht in ihrem Verständnis anderen Menschen gegenüber verändern, sondern lediglich bezüglich der gegen sie verwendeten Waffen. Jenseits der Unterhaltungsindustrie und der Spieleindustrie befindet sich das Verteidigungsministerium, das sich selbst erhält, indem es Kinder rekrutiert, bevor sie erwachsen sind, und ihnen beibringt, den Anderen zu hassen – und zu töten. Die United States Army hat tatsächlich eine Website, die sich dem Anwerben von Kindern schon im Alter von 13 Jahren widmet. Sie heißt America‘s Army und ist eine Spiele-Website mit der Botschaft, dass Krieg großartig ist.

Wie ich vor einigen Jahren schrieb, ist die Seite „die Essenz der festgefahrenen Entwicklung Amerikas selbst: Wir verfügen über das größte Arsenal der Welt und werfen unser Gewicht mit jugendlicher Großtuerei herum. Die Neokonservativen erklärten berühmtermaßen Saddam Hussein den ‚High Noon‘. Wenn die Militaristen mit langfristiger oder auch kurzfristiger Verantwortung für den Schaden, den sie anrichten, konfrontiert wären, wäre der Krieg im Handumdrehen obsolet.“

Und Krieg kommt immer, immer, immer nach Hause. Tatsächlich durchdringt sein Bewusstsein die soziale Ordnung. Er packt den Verstand und lässt ihn nicht los.

Und diejenigen, die selbstständig einen Krieg führen wollen, ohne die Unannehmlichkeit, den Befehlen eines anderen folgen zu müssen, können nicht nur ihren eigenen Feind definieren, sondern auch ihren eigenen Waffenvorrat zusammenstellen und, wenn sie bereit sind, „hineingehen“ und einige Leben zerstören. Das ist Amerika, wo wir die Freiheit haben, uns gegenseitig zu töten.

Und …

Das ist der entscheidende Punkt. Es ist uns in keiner Weise erlaubt, dies offiziell zu wissen. Während wir vielleicht eine Billion Dollar pro Jahr in das Militär stecken, ist der Betrag, der für die Erforschung der Ursachen sozialer Gewalt ausgegeben wird, durch ein Edikt des Kongresses Null. Das gilt seit 1996, als der Kongress auf Drängen der NRA den Dickey-Gesetzesänderungsantrag verabschiedete, der im Wesentlichen alle Bundesmittel für die Erforschung der Ursachen von Waffengewalt einstellte.

Konkret verbietet dieses Gesetz, das Teil des Sammelausgabengesetzes der Bundesregierung von 1996 ist, den Centers for Disease Control and Prevention, jegliches Bundesgeld für Forschungsarbeiten zu verwenden, die „verwendet werden können, um die Waffenkontrolle zu befürworten oder zu fördern“ – was eine eingebaute Zwickmühle ist. Da die Erforschung von Waffengewalt wahrscheinlich die Notwendigkeit einer Waffenkontrolle offenbaren wird, kann die Forschung nicht staatlich finanziert werden.

Die New York Times wies darauf hin: „Das Ergebnis ist, dass 22 Jahre und mehr als 600.000 Schussopfer später ein Großteil der Bundesregierung die Bemühungen weitgehend aufgegeben hat, zu erfahren, warum Menschen einander oder sich selbst erschießen und was getan werden kann, um Waffengewalt zu vermeiden.“

Und das ist der Kontext, in dem Politiker Angst und Krieg verhökern. Die Angst vor Einwanderern ist kaum neu, kaum die Erfindung von Trump. Sie ist seit langem Bestandteil des amerikanischen Rassismus. Da Trump droht, den 14. Zusatzartikel zu demontieren und einen Erlass zu unterzeichnen, der die Staatsbürgerschaft aufgrund der Geburt im Land beendet (ein Wahltrick, nachdem die Midtermwahlen näher rücken), sollten wir vielleicht über den guten alten Erlass 9066 nachdenken, den Franklin Roosevelt 1942 unterzeichnet hat – einfach so, mit einem Federstrich, zwang er damit etwa 117.000 Japaner für die nächsten drei Jahre in Konzentrations … entschuldigen Sie mich, Internierungslager.

Wir könnten uns auch an die europäischen Juden erinnern, die nicht in die Vereinigten Staaten von Amerika einreisen durften, als sie versuchten, vor Hitler zu fliehen, während wir über die moralischen Mängel der Nation nachdenken. Diese Geschichte, der es so sehr an offizieller Sühne mangelt, steht jedem zur Verfügung, der die Schuld auf einen bestimmten anderen projizieren will. Tatsächlich gibt es keinen Nationalismus – sei er weiß oder anderweitig – ohne einen anderen, den man fürchten und mitunter auch töten kann.

„Scheiß auf deine Philosophie, ich gehe rein.“

Die Massenerschießungen werden weitergehen. Das wissen wir alle. Und wir können unsere Geschichte nicht ungeschehen machen. Aber wir haben eine Wahl: Wir können uns ihr stellen und über sie hinausblicken, auf die Liebe, auf die Vergebung, auf ein Verständnis unserer vermeintlichen Feinde. Wenn wir das tun, beginnt der schwierige Teil. Dann beginnen wir aber auch, uns selbst zu verstehen.

Orginalartikel Mass Murder and American History vom 31.10.2018

Quelle: antikrieg.com