Autor: Dominik Nicola Wetzel
Amazons Rolle in der Militärtechnik und dem Cyber Valley
Der US-Konzern Amazon hat sich in kürzester Zeit zu einem der reichsten Unternehmen der Welt entwickelt. Im derzeit in Baden-Württemberg entstehenden „Cyber Valley“ will das Unternehmen in Tübingen zu künstlicher Intelligenz forschen. Eine Analyse der aktuellen Firmenpolitik zeigt, dass der Konzern damit auch Überwachung und Kriegstechnik vorantreiben kann.
Was den Reichtum ausmacht
Amazon-Gründer Jeff Bezos ist mittlerweile der reichste Unternehmer der Welt. Mit Amazon, das 1994 als Online-Buchversand begann,[1] hat er kürzlich den Unternehmenswert von 1 Billion Dollar geknackt und es selbst zu einem Privatvermögen von etwa 127 Milliarden Dollar gebracht.[2] 2013 hat Bezos sogar für rund eine viertel Milliarde die Washington Post gekauft.
Für sein „visionäres Unternehmertum“ und seine „konsequente Digitalisierungsstrategie“ der Zeitung bekam er am 24. April 2018 den Axel Springer Award.[3]
Unter Bezos‘ Unternehmertum findet sich z.B. das Raumfahrtprogramm Blue Origin. Das Projekt, das er als seine wichtigste Arbeit bezeichnet,[4] hat zum Ziel, dass „Millionen von Menschen im Weltraum leben und arbeiten“, um die Erde zu erhalten und die unbegrenzten Ressourcen des Weltalls anzuzapfen.[5]
Aktuell hat Amazon weltweit mehr als eine halbe Million Beschäftigte. Der Umgang mit diesen hat dem Konzern schlechte Schlagzeilen und Proteste eingebracht. In den USA steht Bezos‘ Firma unter den Top 20 derjenigen Unternehmen, die die meisten von Essensmarken abhängigen Angestellten hat. In Arizona z.B. ist jede*r Dritte Amazon Angestellte abhängig von Essensmarken, in Ohio und Pennsylvania jede*r Zehnte.[6] In Europa streiken die Angestellten gegen „Ausbeutung, Überwachung und Kontrolle am Arbeitsplatz“.[7] Durch Smart Watches überwacht der Konzern jeden Schritt, Pausen und Toilettengänge, um die Arbeiterschaft zu optimieren.[8]
Berühmt ist Amazon auch für seine Steuervermeidung. Die Otto-Brenner Stiftung der IG Metall nutzt Amazon sogar als Fallbeispiel für aggressive Steuerplanung.[9] Das Unternehmen wirtschaftet viel über Briefkasten und Tochterfirmen, beispielsweise in Luxemburg. Das hat effektiv dazu geführt, dass in England traditionelle Bücherläden 11-mal mehr Steuern zahlen als der Global Player[10], lokale Buchhändler in Deutschland zahlen „nur“ dreimal mehr.[11] In den USA hat Amazon 2017 keine Bundeseinkommenssteuer[12] gezahlt, aber gleichzeitig 1,2 Milliarden an Steueranreizen bekommen, um seine Infrastruktur auszubauen.[13] Für seine Firmenpolitik ist Bezos 2014 vom Internationalen Gewerkschaftsbund zum schlechtesten Boss der Welt gekürt worden.[14]
Tübinger Connections
In Tübingen soll neben Aachen, Berlin und Dresden Amazons viertes Forschungszentrum in Deutschland entstehen.[15] Dazu steuert das Unternehmen 1,25 Millionen Euro bei und fördert das Max-Planck-Institut im Rahmen des Amazon Research Awards mit 420.000 € jährlich. Der Konzern will laut eigenen Angaben in Tübingen verstärkt daran forschen, dass künstliche Intelligenz visuelle Daten verarbeiten kann, um z.B. Amazon Web Services, Alexa und das Online-Shopping zu verbessern. Dazu hat sich Amazon zum Ziel gesetzt, auf dem Campus innerhalb der nächsten 5 Jahre ein eigenes Forschungsteam aus 100 Wissenschaftler*innen zusammenzustellen.[16]
Einer der Verantwortlichen ist Bernhard Schölkopf. Der Experte für Maschinelles Lernen hat diese Sparte in Tübingen erst etabliert.[17] Schölkopf und Michael Black sind die Direktoren des Tübinger Max-Planck-Instituts für intelligente Systeme.[18] Black hat unter anderem eine Software entwickelt, mit der Menschen einen virtuellen Zwilling erstellen können, um Kleidung in der digitalen Welt anzuprobieren. Sein Start-Up „Body Labs“, mit dem er die Cyberumkleide zum Onlineshopping erfand, wurde 2017 für $ 50-100 Mio. an Amazon verkauft.[19]
Der Kunde ist König
Amazon will das kundenfreundlichste Unternehmen der Welt sein.[20] Was die Kundin will, wird produziert – auch wenn diese die Regierung und Polizei ist.
Identifizieren, Verfolgen und Analysieren, dazu soll Amazons Gesichtserkennungssoftware „Rekognition“ fähig sein.[21] Das Unternehmen wirbt damit, dass das Programm 100 Gesichter in einem Bild identifizieren kann und es der Polizei so erleichtert Verdächtige zu finden. Die Software soll sogar einzelne Menschen in einer Gruppe verfolgen und Stimmungen aufgrund von Gesichtsanalyse bestimmen können.[22] Als die Angestellten Amazons von dem Deal mit der US-Regierung erfuhren, schrieben sie einen offenen Brief an ihren Chef. In diesem forderten sie dazu auf, aufzuhören, Infrastruktur an Polizeieinheiten wie ICE[23] oder Homeland Security bereitzustellen. Die Angestellten Amazons mahnten die Macht ihrer Software an, den Überwachungsstaat zu fördern, Militarisierung voranzutreiben und Aktivisten ins Visier zu nehmen. Angesichts der „unmoralischen Politik“ der USA und der zunehmend unmenschlichen Behandlung von Zufluchtsuchenden verwiesen sie auf IBMs Rolle während des Nationalsozialismus und forderten, nicht den gleichen Weg zu gehen.[24] IBM hatte der NSDAP damals Lochkartentechnologie bereitgestellt, die es der Hitler-Regierung ermöglichte, die Bevölkerung effizient zu kategorisieren und katalogisieren.[25] Darauf entgegnete Amazon Web Services Vize-Präsidentin Teresa Carslon, Amazon sei seinen Kunden verpflichtet und versicherte „unumstößliche“ Unterstützung für die US-Regierung und Kunden innerhalb anderer Regierungen. Der Konzern hat sich selbst keine roten Linien oder Standards gesetzt, was er im Bereich Militärtechnik tut oder unterlässt.[26]
Der Rüstungskonzern Amazon
Die Militärzusammenarbeit wächst. Wikileaks hat veröffentlicht, dass Amazon seit 2013 über den Planeten verteilt – aber auch in Deutschland – Server und Clouddienste für die CIA bereitstellt. Dafür bekam Amazon von der US-Regierung 600 Millionen US-Dollar, damit Geheimdienste sicher Informationen austauschen können. Derzeit ist Amazon der führende Bewerber um den Vertrag zur Umsetzung des JEDI-Programms[27] des US-Verteidigungsministeriums, der auf 10 Mrd. US-Dollar geschätzt wird.[28] Die Joint Enterprise Defense Infrastructure soll die Sicherheit und Datenzugänge des Militärs verbessern und es Geheimdiensten vereinfachen, Cloud Dienste anzupassen, zu benutzen[29] und Bodentruppen diese Informationen bereit zu stellen.[30] Wer die Gewinnerin des 10-jährigen Vertrages sein wird, wird im April verkündet. Aufgrund der bestehenden Zusammenarbeit ist es sehr wahrscheinlich, dass Bezos‘ Firma den Zuschlag bekommt. Die Unternehmen Oracle und IBM hatten sogar protestiert, dass Amazon in der Bewerbung um den Vertrag unfair bevorzugt wird.[31]
Dana Deasy, Abteilungsleiter für Informationsmanagement des US-Verteidigungsministeriums, beschrieb JEDI als eine Initiative, welche die Art und Weise „Kriege zu führen und zu gewinnen“ revolutionieren wird.[32]
Eng verwandt damit ist auch Projekt „Maven“. Dabei handelt es sich um ein Projekt des US-Militärs, in dem künstlicher Intelligenz beigebracht werden soll, Drohnenoperatoren das Erkennen von Zielen zu erleichtern. Es geht darum, den gewaltigen Datenmengen Herr zu werden, und es den Computern zu ermöglichen, Objekte (Autos, Gebäude, Menschen) zu erkennen und zu klassifizieren.[33] Bislang arbeitet Google noch an dem Projekt, hat aber angekündigt, bis 2019 auszusteigen[34], nachdem 12 Angestellte des Unternehmens aus Protest gekündigt und etwa 4.000 in einer Petition gefordert hatten, die Zusammenarbeit mit dem Pentagon zu unterbinden.[35] Die Entwicklung in diesem Bereich verläuft beeindruckend schnell. Im Krieg gegen den IS im Irak und Syrien z.B. wird diese Technologie schon verwendet.[36] Geleakten Emails zu Folge hat auch Amazon Web Services schon einiges an Arbeit in dem Projekt geleistet. Verantwortliche von Google machten deutlich, dass das Projekt Maven direkt im Zusammenhang mit einem großen, mehrere Milliarden schweren Cloud-Vertrag – mutmaßlich JEDI – steht.[37]
Was genau Amazon Web Services bei Projekt Maven geleistet hat, ist bisher nicht bekannt. Weder hier noch beim JEDI-Vertrag lässt sich bisher klar voraussagen, dass Amazon den Zuschlag bekommen und genau an diesen Projekten arbeiten wird. Es ist jedoch deutlich zu beobachten, dass Amazon nicht abgeneigt ist, sich weiter in Sachen Militär und Überwachung zu engagieren. In der Universitätsstadt Tübingen sind mit dem Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme und dem darum wachsenden Cyber Valley die richtigen Voraussetzungen für selbstlernende Maschinen gegeben, um die gefragten Sparten, wie Maschinelles Sehen sowie die Verarbeitung von Big Data, deutlich voran zu bringen.
Anmerkungen
[1] Hall, Mark; “Amazon.com”, Encyclopaedia Britannica, 01.11.2018, https://www.britannica.com/topic/Amazoncom
[2] Jerzy, Nina; “Der Aufstieg von Jeff Bezos zum reichsten Mensch der Welt“, Capital, 04.11.2018.
[3] „Jeff Bezos erhält den Axel Springer Award 2018“, Axel Springer, 23.01.2018.
[4] Schwär, Hannah; „Jeff Bezos says his most important work isn’t Amazon — here’s the side project he’s investing £1bn a year in”, Business Insider Deutschland, 27.04.2018.
[5] Blue Origin Website, https://www.blueorigin.com/
[6] Brown, Claire; “Amazon Gets Tax Breaks While Its Employees Rely on Food Stamps, New Data Shows“, The Intercept, 19.04.2018.
[7] Blackfriday, „3. PM: ‘Make amazon Pay!’ – Demonstration und Kundgebung in Berlin“, Make Amazon Pay, 23.04.2018.
[8] Weishaupt, Georg; „Armbänder für Angestellte-Amazon will jeden Handgriff seiner Mitarbeiter überwachen“, Handelsblatt, 02.02.2018.
[9] Trautvetter/Ötsch/Henn, Unternehmensteuern in Deutschland, Otto Brenner Stiftung, 2018, S. 51ff.
[10] Flood, Alison; “Amazon ‚pays 11 times less corporation tax than traditional booksellers’”, The Guardian, 12.09.2017.
[11] Trautvetter/Ötsch/Henn, Unternehmensteuern in Deutschland, Otto Brenner Stiftung 2018, S. 55
[12] Federal Income Tax
[13] Brown, Claire; “Amazon Gets Tax Breaks While Its Employees Rely on Food Stamps, New Data Shows“, The Intercept, 19.04.2018.
[14] “Jeff Bezos von Amazon gewinnt die IGB-Abstimmung über den schlechtesten Boss der Welt“, International Trade Union Confederation, 22.05.2014.
[15] Bachmann, Angelika; „Amazon baut ein Forschungszentrum in Tübingen – Kooperation mit der Max-Planck-Gesellschaft“, neckar-chronik.de, 23.10.2017.
[16] “Amazon and Max Planck Society plan to enter into strategic collaboration on research in artificial intelligence”, Amazon Blog, 23.10.2017.
[17] “Süddeutsche Zeitung publiziert Meinungsbeitrag von Bernhard Schölkopf“, Max-Planck- Institute for Intelligent Systems – Empirical Inference Department – Tübingen Campus, 16.03.2018.
[18] Max-Planck- Institute for Intelligent Systems Website, http://is.tuebingen.mpg.de/
[19] Sawall, Achim; “Amazon kauft 3D-Startup Body Labs”, golem.de, 04.10.2017.
[20] Amazon on Facebook, https://www.facebook.com/pg/Amazon/about/?tab=page_info
[21] Cage, Matt; Ozer, Nicole; „Amazon Teams Up With Government to Deploy Dangerous New Facial Recognition Technology”, ACLU, 22.05.2018.
[22] Das, Ranju; „Amazon Rekognition Announces Real-Time Face Recognition, Support for Recognition of Text in Image, and Improved Face Detection”, Amazon Web Services, 21.11.2017.
[23] Immigration Customs Enforcement.
[24] Keane, Sean; “Amazon employees protest sale of face recognition software to police”, C-Net, 22.06.2018.
[25] Bernstein, Richard; Books of the Times – I.B.M.’s Sales to the Nazis: Assessing the Culpability, The New York Times, 07.03.2001.
[26] Fang, Lee; „Amazon Promises “Unwavering” Commitment to Police, Military Clients Using AI Technology“, The Intercept, 30.07.2018.
[27] Joint Enterprise Defense Infrastructure.
[28] „Amazon Atlas”, Wikileaks, 11.10.2018, https://wikileaks.org/amazon-atlas/
[29] Macias, Amanda; “The Pentagon just got one step closer to awarding its $10 billion cloud contract”, CNBC, 26.07.2018.
[30] Williams, Lauren; “DOD’s JEDI cloud contract released”, Government Cloud Insider, 26.07.2018.
[31] Miller, Ron; “Jeff Bezos is just fine taking the Pentagon’s $10B JEDI cloud contract”, Tech Crunch, 2018.
[32] Williams, Lauren; “DOD’s JEDI cloud contract released”, Government Cloud Insider, 26.07.2018.
[33] Fang, Lee; „Google Is Quietly Providing AI Technology for Drone Strike Targeting Project“, The Intercept, 06.03.2018.
[34] Peitz, Dirk; „Project Maven: „Google wird einfach ersetzt““, Zeit-Online, 05.06.2018.
[35] Brühl, Jannis; „Krieg steckt in der DNA des Silicon Valley“, Süddeutsche Zeitung, 03.06.2018.
[36] Weisberger, Marcus; „The Pentagon’s New Artificial Intelligence Is Already Hunting Terrorists”, Defense One, 21.12.2017.
[37] Fang, Lee; “Leaked Emails Show Google Expected Lucrative Military Drone AI Work to Grow Exponentially“, The Intercept, 01.06.2018 [alle Websites zuletzt zugegriffen am: 18.11.18].
Erstveröffentlichung auf Informationsstelle Militarisierung e.V. am 23. November 2018