Schneehelden im Schneechaos

Autor: Martin Kirsch

Die Inszenierung der Bundeswehr und die Unterhöhlung des zivilen Katastrophenschutzes

Am Sonntag, 13. Januar 2019 besuchte die Oberbefehlshaberin von der Leyen die Gebirgsjägertruppe bei ihrem Schnee-Einsatz in Südbayern.[1] Ein vorläufiger Höhepunkt in der propagandistischen Darstellung der Aktivitäten der Bundeswehr in der Alpenregion. Während Focus Online bereits zwei Tage zuvor vom „Mini-Panzer der Schnee-Helden“ berichtet hatte – alle technischen Details des Kriegsgeräts inklusive – war sich die Lokalzeitung Berchtesgardener Anzeiger nicht zu schade, die Pressemitteilung der Bundeswehr zum Besuch der Ministerin vor ihrer Haustür eins zu eins wiederzugeben.[2] Neben der miserablen journalistischen Arbeit und der Verherrlichung der Armee durch die jeweiligen Medien handelt es sich dabei allerdings auch um einen Effekt der massiven Pressearbeit der Bundeswehr, die ihren Einsatz zur medialen Charmeoffensive zu nutzen weiß. Während die Verantwortlichen in einigen Gemeinden in Österreich, wie z.B. in Lech am Arlberg noch am Wochenende feststellen,[3] dass es sich trotz Lawinenabgängen mit Todesfolge um keine ungewöhnliche Lage handele, herrschte in den deutschen Medien bereits Katastrophenstimmung.

Katastrophenfall als Mittel zur Mobilisierung der Bundeswehr

Die Berichterstattung des Bayerischen Rundfunks legt nah, dass der Katastrophenfall in Teilen des Berchtesgadener Landes von Landrat Georg Grabner am 10.01. u.a. deshalb ausgerufen wurde, um den großflächigen Einsatz der Bundeswehr zu ermöglichen.[4] Einen ersten Einsatz für die Bundeswehr gab es bereits am 08. Januar bei Berchtesgaden, als drei Kettenfahrzeuge der Gebirgsjäger der lokalen Feuerwehr zu Hilfe kamen, um eine wegen Lawinengefahr eingeschlossene Schulklasse zu evakuieren.[5] Bis zum Wochenende stieg die Zahl der eingesetzten Soldat*innen dann kontinuierlich an. Koordiniert werden diese Bundeswehraktivitäten aus dem Lagenzentrum des Kommando Territoriale Aufgaben in Berlin, das für alle Inlandseinsätze zuständig ist. Vor Ort kommen Soldat*innen und Reservist*innen vom Landeskommando aus München und den lokalen Verbindungskommandos hinzu. Ist dieser Apparat erst einmal angelaufen sitzen Bundeswehrangehörige in den lokalen Katastrophenstäben um die zivilen Hilfsorganisationen zu beraten – so der offizielle Auftrag.

Die Praxis der letzten Jahre zeigt allerdings, dass dort die Fähigkeiten der Bundeswehr für den Katastrophenschutz aktiv angepriesen werden. Dementsprechend wurde am 11. Januar der sogenannte „militärische Katastrophenalarm“ ausgerufen, den die Bundeswehr zur inneren Mobilisierung nutzt. Zu Spitzenzeiten waren am folgenden Sonntag bis zu 1.200 Bundeswehrangehörige im Einsatz und weitere in Bereitschaft. Ihre Hauptaufgabe war es – neben vereinzelten Evakuierungseinsätzen und der Räumung von eingeschneiten Straßen und Lawinensprengungen mittels Hubschrauber – vor allem, Schnee mit Schaufeln von Dächern zu räumen.

Die offene Frage bleibt allerdings, warum die zivilen Katastrophenschutzbehörden des Freistaats z.T erst Tage später in Bewegung gesetzt wurden. Die Mobilisierung von 500 bayerischen Bereitschaftspolizisten erfolgte am selben Tag wie das Anlaufen des militärischen Großeinsatzes. Die (Freiwilligen-)Feuerwehren und das THW aus der Region um Nürnberg machten sich hingegen erst am 13. Januar in die Schneegebiete auf den Weg[6] – zwei Tage nachdem der „militärische Katastrophenalarm“ bereits ausgelöst worden war. In diesem Vorgehen zeigt sich deutlich, dass der Mythos der Bundeswehr als letzte Hilfsinstanz für den absoluten Ausnahmefall längst der Vergangenheit angehört.

Konsequenzen für den zivilen Katastrophenschutz

Während es den Bewohner*innen der betroffenen Regionen egal sein dürfte, wer ihr Dach vom Schnee befreit oder Zugangsstraßen räumt und sich einige Angehörige der lokalen Hilfsorganisationen sicher über die konkrete Unterstützung der Bundeswehr freuen, wird oftmals vergessen, dass auch staatliche Behörden in einem Konkurrenzverhältnis stehen. Wenn es sich nicht um politische Hardliner handelt, die ohnehin das Militär für die Lösung aller Probleme halten, scheint einigen Landräten nicht bewusst zu sein, dass sie sich mit der frühen Mobilisierung der Bundeswehr über die Zeit selbst schaden. So ist davon auszugehen, dass die Ausfinanzierung der Hilfsorganisationen auf lokaler Ebene immer schwerer durchzusetzen sein wird, wenn die Bundeswehr entsprechende Kapazitäten vorhält, die vermehrt zum Einsatz kommen. Zu ernsthaften Problemen kommt es allerdings dann, wenn der Katastrophenschutz sich auf die Armee verlässt. Sollten die Bundeswehrstrukturen im jeweiligen Bundesland, in diesem Fall v.a. die Gebirgsjäger, zum Zeitpunkt eines Extremwettereignisses oder Großunfalls etwa im Auslandseinsatz, in der entsprechenden Vorbereitung oder in Abrufbereitschaft für die NATO-Ostflanke befinden, stehen die Strukturen der Armee schnell nicht mehr zur Verfügung und die betroffenen Kommunen bleiben sich selbst überlassen.

Die Effekte der wachsenden Nähe zeigen sich allerdings nicht nur im Katastrophenfall, sondern auch dann, wenn die Bundeswehr für repressive Inlandseinsätze unter dem Stichwort „Terrorabwehr“ mobilisiert werden soll. Beispiele hierfür sind die Bereitschaft der Feldjägertruppe während eines Amoklaufs in München 2016[7] und die GETEX-Übung von Bundeswehr, Polizei und Katastrophenschutz 2017.[8] Während es im unmittelbaren Interesse der Bundeswehr liegt, zivile Organisationen an sich zu binden und sich in immer weiteren Bereichen der Gesellschaft unverzichtbar zu machen, kann es nur verwundern, dass sich aus den Hilfsorganisationen und Kommunalverwaltungen kein Widerstand gegen die Militarisierung des Katastrophenschutzes regt.

Anmerkungen:

[1] Pressestelle Gebirgsjägerbrigade 23, Die Bundesministerin der Verteidigung, Ursula von der Leyen, besucht Gebirgssoldaten auf der Buchenhöhe, 13.01.19, streitkräftebasis.de

[2] Berchtesgardener Anzeiger, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen besucht Soldaten auf der Buchenhöhe, 13.01.2019, bertesgardener-anzeiger.de

[3] Tagesschau (20 Uhr) vom 13.01.2019, tagesschau.de

[4] BR 24, Katastrophenalarm in Bayern – Söder besucht verschneite Regionen, 11.01.2019, br.de

[5] Streitkräftebasis, Eckhard Michel, Schneechaos: „Struber Jager“ bringen Schüler in Sicherheit, 10.01.2019,streitkräftebasis.de

[6] Nordbayern, Hier schickt die Nürnberger Feuerwehr Hilfe nach Südbayern, 13.01.2019, nordbayern.de

[7] IMI-Analyse 2016/33b, Martin Kirsch, Bundeswehr in den Straßen? – Einschätzungen zur aktuellen Debatte um Bundeswehreinsätze zur Terrorabwehr in Deutschland, imi-online.de

[8] IMI-Analyse 2017/10 , Martin Kirsch, GETEX – Polizei und Bundeswehr üben Anti-Terror-Einsatz im Inland, imi-online.de

Erstveröffentlichung am 15.1.2019 auf Informationsstelle Militarisierung e.V.