Politiker reagiert zurückhaltend auf Minderung seiner Strafe. Inhaftierter und Anwalt beklagen politische Justiz
Der ehemalige brasilianische Präsident (2003-2011) Luiz Inácio Lula da Silva hat nach der Reduzierung seiner Haftstrafe eine vollständige Aufhebung des Urteils aus dem Jahr 2018 gefordert. Der Politiker ließ über seinen Anwalt Emídio de Souza eine Nachricht aus dem Gefängnis in Curitiba, der Hauptstadt des südbrasilianischen Bundesstaates Paraná, veröffentlichen. Kurz zuvor war die Strafe vom Obersten Gerichtshof (STJ) von zwölf Jahren und einem Monat auf acht Jahre, zehn Monate und 20 Tage heruntergesetzt worden.
Diese Minderung der Strafe, die in erster Instanz neun Jahre betragen hatte und in zweiter Instanz auf zwölf verlängert worden war, wurde am Dienstag von den vier Mitgliedern der fünften Kammer des Obersten Gerichtshofs einstimmig beschlossen
„Auch eine reduzierte Strafe ist nicht gerecht gegenüber einem Mann, der kein Verbrechen begangen hat“, entgegnete Lula. Zugleich zeigte sich der ehemalige Präsident skeptisch gegenüber den Justizbehörden. Die jüngste Entscheidung sei nichts weiter als „ein weiteres Kapitel in einer Justizfarce“. Auch Lulas Anwalt sprach von einem abgekartetem Spiel: Die Richter am Obersten Gerichtshof seien dieselben gewesen, die in zweiter Instanz das nun revidierte Urteil erlassen hatten.
„Die jüngste Gerichtsentscheidung ist ein weiteres Kapitel eines durch und durch politischen Prozesses“, erklärte Lula. Es sei, so sein Anwalt, „ein Prozess, bei dem die Beweise nichts wert sind, in dem die Beweise der Verteidigung ignoriert und Aussagen von Informanten über alles andere gestellt wurden“. Man warte weiterhin auf ein Verfahren, „das die Gesetze, die Verfassung und die Fakten respektiert“.
Anwalt Souza bekräftigte zugleich, dass die Haftverkürzung keinen grundlegenden Erfolg im Kampf gegen die juristische Verfolgung seines Klienten darstellt. Angesichts weiterer drohender Verfahren könne sie aufgrund neuer möglicher Strafen schließlich wieder zurückgenommen werden.
Mit seiner jüngsten Entscheidung hatte der Oberste Gerichtshof auf ein Gesuch von Lulas Anwälten reagiert, dessen Schuldspruch für ungültig zu erklären. Die Entscheidung des zweithöchsten Gerichts des Landes eröffnet Lula nun die Chance, noch in diesem Jahr in den Hausarrest entlassen zu werden. In Brasilien können Verurteilte nach mindestens einem Sechstel der Haftzeit beantragen, ihre Reststrafe im Hausarrest zu verbringen.
Lula sitzt seit April 2018 wegen Korruption und Geldwäsche im Gefängnis und hätte im September ein Sechstel der verkürzten Haft hinter sich. Er wurde für schuldig befunden, einem Bauunternehmen im Gegenzug für die Zusage einer Strandwohnung lukrative Aufträge für die Regierung verschafft zu haben. Weder die Staatsanwaltschaft noch der zuständige Ermittlungsrichter Sérgio Moro legten jedoch Beweise für die Anschuldigungen vor. Der Prozess wurde in Brasilien und international heftig kritisiert. Moro wurde nach dem Wahlsieg des Ultrarechten Jair Bolsonaro, der nach Lulas Inhaftierung zum Präsidenten aufstieg, zum Justizminister ernannt.
Mehrere zehntausend Menschen haben erst vor zwei Wochen in Brasilien die Freilassung Lulas gefordert. Die Demonstranten verwiesen auf die fehlende Beweislast sowie Unregelmäßigkeiten des Verfahrens, das als politisch motiviert zu bewerten sei. Unter dem Slogan „Freiheit für Lula“ fanden auch in zahlreichen lateinamerikanischen und europäischen Ländern Dutzende Veranstaltungen, Mahnwachen und Kundgebungen statt.
Zum Auftakt der Proteste zum ersten Jahrestag der Inhaftierung Lulas waren jeweils hunderte Menschen in verschiedenen brasilianischen Städten zu einem Sternmarsch nach Curitiba aufgebrochen. Bis zur zentralen Protestveranstaltung gegen die Haft des ehemaligen Präsidenten wuchs die Zahl auf rund 10.000 Menschen an. Die Abschlusskundgebung fand in Hörweite des Gefängnisses statt, in dem Lula vergangenes Jahr seine Haftstrafe angetreten hatte. Sprechchöre wünschten „ihrem Präsidenten“ einen guten Tag. Zentrale Funktionäre der Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores, PT) wie Ex-Präsidentschaftskandidat (2018) Fernando Haddad und Parteichefin Gleisi Hoffmann nahmen an der Veranstaltung teil. Die Tochter Lulas, Lurian Lula da Silva, sprach von „Liebe und Wärme“ die dem politischen Gefangenen damit übermittelt wurde und ihm Kraft gebe.
Erstveröffentlichung auf Portal amerika21.de am 25.4.2019