Der Militärhaushalt steigt an, wird aber kleingeredet und gerechnet
Der seit Jahren rasant steigende Militärhaushalt wird vor allem durch das Märchen gerechtfertigt, die Bundeswehr sei seit über einem Vierteljahrhundert chronisch unterfinanziert. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bemühte anlässlich des Tags der Bundeswehr am 15. Juni dieses Hirngespinst: »Es gab viele Jahre, in denen die Bundeswehr nicht ausreichend mit Mitteln versorgt war. Und deshalb ist es gut, dass wir seit einigen Jahren für unsere Sicherheit, für unsere Bundeswehr den Etat gesteigert haben, und wir werden das auch im nächsten Jahr wieder tun.«
Von der Kanzlerin stammt auch der Spruch, hier gehe es nicht um »Aufrüstung«, sondern um »Ausrüstung«. So soll signalisiert werden, es würde »nur« ein über Jahre hinweg angehäufter Investitionsstau behoben. Auch die frischgebackene Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) bediente sich gleich in ihrer ersten Regierungserklärung Ende Juli dieser Sprachfigur: »Es geht hier um Ausrüstung und Personal, es geht um unsere Bundeswehr. Es geht um eine Bundeswehr, die die Aufgaben erfüllen kann, die wir ihr geben.« Und weiter sagte die CDU-Chefin: »Ich sage in aller Klarheit: Damit wir in Deutschland in Zukunft gut und sicher leben können, braucht es auch eine einsatzbereite Bundeswehr.« Lange habe man daran geglaubt, führte AKK aus, dass die Welt um uns herum immer friedlicher, die Ordnung immer stabiler werde. Die Entwicklungen der letzten Jahre hätten gezeigt: »Das war ein trügerisches Bild. Deshalb haben wir nach 25 Jahren des Sparens den Schalter umgelegt.«
Wie hoch der deutsche Militärhaushalt de facto sein sollte, darüber lässt sich trefflich streiten – nicht aber darüber, dass er entgegen dem sorgsam gepflegten Bild in der Öffentlichkeit schon seit vielen Jahren real ansteigt. Aus diesem Grund bedienen sich die üblichen Verdächtigen verschiedener anderer Argumente, um dennoch massiv auf weitere Etaterhöhungen zu drängen: Erstens sei das Budget über lange Jahre deutlich gesunken – und zwar relativ zum Bruttoinlandsprodukt (BIP); zweitens sehe der aktuelle Finanzplan für 2020 zwar eine weitere Erhöhung vor, nur um dann wieder abzusinken; und drittens reiche das alles so oder so nicht aus, um eine »Vollausstattung« der Bundeswehr für die kommenden Aufgaben zu gewährleisten.
All diese Argumente sind – salopp formuliert – quatsch, und für den Fall, dass sie nicht verfangen sollten, wird derzeit parallel daran gearbeitet, sich milliardenschwere Finanzquellen außerhalb des offiziellen Haushaltes nutzbar zu machen.
Verquere Debatte
In Zahlen wuchs der Militärhaushalt von 24,3 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf 43,2 Milliarden in 2019. Das ist auch inflationsbereinigt ein deutlicher Anstieg. Für 2020 ist in der mittelfristigen Finanzplanung ein Budget von 45,1 Milliarden Euro vorgesehen. Anschließend sind tatsächlich auf den ersten Blick sinkende Beträge eingestellt worden (44,26 Mrd. in 2021, 44,29 Mrd. in 2022 und 44,16 Mrd. Euro in 2023). Hieran entzündet sich ein Teil der Kritik. Entscheidend ist allerdings nur die Zahl für 2020. Denn die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass sich bei der mittelfristigen Finanzplanung immer wieder dasselbe Spiel wiederholt: Die üppigen – und verbindlichen – Erhöhungen finden sich stets im kommenden Jahr, und sie werden damit begründet, dass die späteren Haushaltsprojektionen ja deutlich moderater ausfielen. Erscheint dann im Folgejahr die nächste Finanzplanung, geht das Ganze von vorne los.
Von einem sinkenden Militärhaushalt kann deshalb nur die Rede sein, wenn er ins Verhältnis zum BIP gesetzt wird – und da diese Relation für 2019 bei »nur« 1,3 Prozent statt der von den USA geforderten zwei Prozent liegt, wird dies zum Anlass genommen, auf deutlich höhere Ausgaben zu pochen. Nun sagt es aber viel über die Qualität der Debatte hierzulande aus, wenn es ernsthaft möglich ist, die Höhe und Sinnhaftigkeit eine Budgets aus seiner Relation zur Wirtschaftsleistung abzuleiten. Und für den Verteidigungshaushalt trifft dies in besonderem Maße zu. Für bestimmte Ausgaben leuchtet es zumindest bis zu einem gewissen Grad ein, dass mehr davon immer wünschenswert wäre – Kitas wären ein Beispiel. Für Militärgerät ist dies aber nicht der Fall: Ob und wenn ja wie viele Panzer ein Land zu benötigen meint, sollte nichts mit der Wirtschaftsleistung, sondern mit politischen Bewertungen zu tun haben.
Tatsächlich hört sich eine Zahl wie 1,3 Prozent des BIP für den Militärhaushalt 2019 überschaubar an, in Wahrheit geht es aber um eine enorme Summe: nämlich um 43,2 Milliarden Euro. Betrachtet man diesen Betrag im Kontext des aktuellen Bundeshaushaltes, so handelt es sich dabei hinter Arbeit und Soziales (144,2 Mrd. Euro, 40,4%) um den zweithöchsten Einzelposten; er verschlingt rund zwölf Prozent der Gesamtausgaben. Hinzu kommt: Arbeit und Soziales setzt sich aus diversen Posten zusammen. Die Ausgaben für Hartz IV etwa werden für 2019 mit 20,6 Mrd. Euro veranschlagt. Dennoch sind Politik und Truppe der Auffassung, die vorgesehenen Gelder seien für eine »Vollausstattung« der Bundeswehr bei weitem nicht ausreichend. So heißt es in einem Papier von Jürgen Schnell, Leiter des Forschungsbereichs Militärökonomie an der Bundeswehr-Universität München: »Bliebe es bei dem Eckwertevorschlag des Bundesministers der Finanzen, dann hätte dies gravierende negative Auswirkungen insbesondere auf die Ausrüstung der Bundeswehr. Eine gut ausgerüstete Bundeswehr wäre in der Perspektive bis 2023 nicht realisierbar. Es bliebe bei einer Mangelwirtschaft mit einem System von Aushilfen.«
Die anvisierte Vollausstattung sei nur bei einem Haushalt in Höhe von 1,5 Prozent des BIP zu haben, was nach gegenwärtigen Berechnungen rund 58 Milliarden Euro im Jahr 2024 wären, so das Papier weiter. Das ist genau der Betrag, den die Bundesregierung ohnehin der NATO für dieses Jahr relativ fest zugesagt hat. Auch die neue Verteidigungsministerin stellte sich in ihrer Regierungserklärung voll hinter eine solch drastische Steigerung des Haushalts – allerdings nur als Zwischenschritt zu nochmaligen Erhöhungen: »An dem Ziel der Bundesregierung, zwei Prozent anzustreben, ein Ziel, auf das sich alle Verbündeten wiederholt geeinigt haben, halte ich daher fest. Auf dem Weg dahin müssen und wollen wir bis 2024 ein Verteidigungsbudget in Höhe von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen.«
Der hohe Bedarf für die »Vollausstattung« ergibt sich im Übrigen aus dem Bestreben, gleichzeitig flexible Interventionstruppen für Kriege im Globalen Süden als auch Großkampfverbände für Auseinandersetzungen mit Russland aufstellen zu wollen. Doch selbst wenn man der Auffassung wäre, die Bundeswehr benötige ein derartiges Anforderungsprofil, wäre die nächste Frage, weshalb dann nicht zunächst einmal ein genauerer Blick auf das Beschaffungswesen geworfen wird, bevor die Truppe noch mehr Geld erhält. Denn die Großprojekte der Bundeswehr verursachen weiterhin Verzögerungen und milliardenschwere Kostensteigerungen, wie auch aus dem jüngsten Bericht des Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) zu Rüstungsangelegenheiten vom Juni 2019 hervorgeht: »Aktuell beträgt die Verzögerung im Mittel 63 Monate gegenüber der ersten parlamentarischen Befassung. … Die vertraglich fixierte Preiseskalation stellt unverändert mit 8,9 Mrd. Euro oder rund 66% den mit Abstand größten Anteil bei den gestiegenen Veranschlagungen im Haushalt gegenüber dem Projektbeginn dar. […] Nach der vertraglich vereinbarten Preiseskalation ist die Veränderung der haushalterischen Abbildung gegenüber dem Projektbeginn maßgeblich durch Leistungsverbesserungen und Leistungsänderungen begründet (2,1 Mrd. Euro oder 24%).«
Schattenhaushalte
Seit Jahren hat es Tradition, den Militärhaushalt in Deutschland »kleinzurechnen« – realistischer sind deshalb die Zahlen der NATO, die verschiedene hierzulande in andere Haushalte verschobene Posten mit berücksichtigen: »Nach NATO-Kriterien würde ein Verteidigungshaushalt von ca. 55 Mrd. in 2023 infolge von einzurechnenden Ausgaben aus anderen Einzelplänen zu Verteidigungsausgaben in Höhe von ca. 58 Mrd. Euro führen«, heißt es etwa in dem Papier von Bundeswehr-Professor Jürgen Schnell.
Wenig Beachtung fand bislang, dass der deutsche Anteil in Höhe von knapp 500 Millionen Euro jährlich für den ab 2021 geplanten EU-Verteidigungsfonds, mit dem die Erforschung und Entwicklung von Rüstungsgütern querfinanziert werden soll, ebenfalls nicht dem Verteidigungs-, sondern dem allgemeinen Haushalt entnommen werden soll. Das ging kürzlich aus einer parlamentarischen Anfrage des Linkspartei-Bundestagsabgeordneten Tobias Pflüger hervor. Auch wenn es noch nicht bestätigt ist, dürfte dasselbe auch für die beiden Töpfe »Military Mobility« und »Europäische Friedensfazilität« gelten. Dabei geht es um rund 600 Millionen Euro im Jahr.
Der eigentliche Knaller kam aber Mitte Juni, als Ex-Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) nicht nur das 1,5-Prozent-Ziel bekräftigte, sondern auch noch mit einem überaus kreativen Vorschlag aufwartete. Diesem zufolge sollen weitere 15 Milliarden Euro für Rüstungsmaßnahmen freigeschaufelt werden, um auf die vor allem von den USA geforderten zwei Prozent des BIP zu kommen. Bei Euractiv hieß es dazu: »Es waren ungewohnt klare Ansagen, die heute am Podium der German American Conference fielen. So kündigte Annegret Kramp-Karrenbauer an, die deutschen Militärausgaben auf das 2-Prozent-Ziel der NATO anheben zu wollen. Und der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel schlüsselte auf, wie diese investiert werden sollen: 1,5 Prozent in die Bundeswehr und 0,5 Prozent in die Verteidigung Osteuropas.« Gabriel ließ auf der Konferenz vor allem mit einer Metapher aufhorchen: »Europa ist der einzige Vegetarier auf einer geopolitischen Bühne von Kannibalen. Davon sollten wir uns verabschieden und zum Flexitarier werden.« Europa müsste endlich zu einem Weltakteur werden.
Der Artikel erschien zuerst in analyse & kritik Nr. 61/2019
Veröffentlicht am 3.9.2019 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)