Autorin: Jacqueline Andres
In den letzten Tagen versuchen die staatlichen Sicherheitskräfte in Chile die Proteste in den Griff zu bekommen – die Wut, die in der Bevölkerung herrscht, lässt sich jedoch nicht so schnell bremsen, da sich die Menschen in Chile für ihre fundamentalen Rechte und ein Ende des Neoliberalismus einsetzen. Bilder von Panzern in den Straßen Chiles gingen um die Welt und mehr als insgesamt 10.000 Soldat_innen wurden in der Hauptstadt Santiago de Chile, in Valparaíso und Concepción eingesetzt.[1] Mittlerweile wurden mehr als 2.410 Menschen festgenommen – 200 von ihnen sind minderjährig. Mehr als 1.000 Menschen wurden verletzt – 546 von diesen durch Schusswaffen. Es wird von 19 Personen berichtet, die bei den Protesten gestorben sind – fünf von ihnen wurden durch Polizei oder Militär umgebracht.[2]Die chilenische Menschenrechtsorganisation Instituto Nacional de Derechos Humanos (INDH) untersucht aktuell neben diesen fünf Mordfällen mindestens acht Fälle von sexueller Gewalt gegen Demonstrierende, die von Polizei- und Militärkräften ausging.[3]
Auch die Bundesregierung und die Bundesrepublik haben mit den Niederschlagungen der Proteste zu tun – ausgestattet mit Produkten „Made in Germany“ und ausgebildet von der Bundesregierung bzw. der Bundeswehr oder dem BKA, greifen die Sicherheitskräfte hart durch. Hier ein grober Überblick, über die Zusammenhänge mit der BRD.
Militärische und polizeiliche Zusammenarbeit
Der wohl spektakulärste Fall der militärischen Zusammenarbeit zwischen der BRD und Chile kam im Jahr 2008 zu Vorschein: Chile erhielt eine Bediener- und Fahrlehrerausbildung für den Kampfpanzer Leopard 2 durch Ausbilder der Bundeswehr.[4] Öffentlich wurde dieser Einsatz, nachdem Jugendliche im Alter von 14 bis 20 Jahren (wie die Bundesregierung es formulierte – von Kriminellen) diese Ausbilder als Geisel nahmen und erst nach einer Schießerei mit der Polizei wieder frei ließen. Im Jahr 2014 waren „179 Soldatinnen und Soldaten sowie 13 wehrtechnische Attachés der Bundeswehr im Militärattachédienst oder in vergleichbaren Positionen an insgesamt 64 deutschen Auslandsvertretungen eingesetzt.“[5] Zwei davon waren in Santiago de Chile eingesetzt. Informationen über ihre Tätigkeitsfelder und ob sie weiter in Chile aktiv sind, liegen nicht vor. Darüber hinaus musizierte die Bundeswehr-Big-Band in dem Theater der Corporación Cultural Carabineros de Chile in Santiago und normalisierte damit sich selbst, das Militärwesen und die Militärkultur in Chile. Gastgeber war der deutsche Botschafter Hans-Henning Blomeyer-Bartenstein.[6] Auszeichnungen gibt es auch: Am „25. Januar 2019 wurde der Kommandeur des Infanterieregiments Nr. 12 ‚Sangra‘, Oberstleutnant Eugenio Ribba Thormann, für seine besonderen Verdienste um die deutsch-chilenische Militärkooperation mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr in Silber ausgezeichnet.“[7] Das Bundeskriminalamt bildete vom 1. November 2018 bis zum 16. April 2019 einen Stipendiaten der chilenischen Sicherheitskräfte aus – zunächst im Vorbereitungsmodul und anschließend im Basismodul. Unklar sind die Inhalte der Ausbildung und ob diese weiter läuft.[8]
Waffenexporte
Abgesehen von den Leopard 2 Panzern, die Chile aus den Beständen der Bundeswehr der Bundesregierung abkaufte (erst 2009 lieferte die Bundeswehr 60 Kampfpanzer vom Typ „Leopard 2“) und den Schützenpanzer „Marder“ (2009 gingen 146 Stück an Chile), nutzen die chilenischen Streitkräfte zahlreiche Rüstungsprodukte aus der Bundesrepublik. In den Jahren 2000 bis 2018 erteilte die Bundesregierung Genehmigungen für die Ausfuhr von Kriegswaffen nach Chile mit einem Gesamtwert von mehr als 118,6 Millionen Euro, wie aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage (Drucksache 19/6295) hervorgeht.[9] Darunter scheint auch die Lieferung von 52 Flugkörpern im Wert von mehr als 5 Millionen Euro im Jahr 2012 zu fallen.[10]Aufgezählt werden die beteiligten Unternehmen in der besagten parlamentarischen Anfrage leider nicht. Doch ältere Informationen belegen folgende Profiteure: JUNGHANS Feinwerktechnik GmbH (10.000 Stückteile für Mörsermunition im Jahr 2002 und erneute 30.000 Stück im Jahr 2006)[11], LFK Lenkflugkörpersysteme GmbH (Teile für Lenkflugkörper im Jahr 2007)[12], Heckler&Koch (4.000 HK-33 Waffen, die Heckler&Koch an die Pinochet-Diktatur lieferte – dabei nahm das Unternehmen einen verschleiernden Umweg über Thailand).[13]
Diese kurze Darstellung ist zwar alles andere als vollständig, dennoch wird eines deutlich: Auch in Chile sind bei der Niederschlagung der Proteste deutsche Rüstungsprodukte im Einsatz – und zwischen den deutschen und den chilenischen Sicherheitskräften, die nun mit exzessiver Gewalt gegen Demonstrierende vorgehen, findet immer wieder militärische und polizeiliche Zusammenarbeit statt. Lasst uns solidarisch sein mit den Protesten in Chile und ein sofortiges Stopp weiterer Waffenlieferungen an Chile und ein Ende dieser Zusammenarbeit des Militärs und der Polizei fordern.
Anmerkungen
[1] Chile registra nueva jornada de protestas ante asedio policial, telesurtv.net, 20.10.2019
[2] Naomi Larsson: Chile protests: President to lift state of emergency at midnight, aljazeera.com, 28.10.2019
[3] John Bartlett: Chile protests: UN to investigate claims of human rights abuses after 18 deaths, theguardian.com, 24.10.2019
[4] Drucksache 17/766, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Christine Buchholz, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Deutsche Beteiligung an Ausbildung und Ausrüstung von Sicherheitskräften im Ausland und zu Sicherheitssektorreformen, dip21.bundestag.de, 22. 02. 2010
[5] Drucksache 18/1410, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Dr. Alexander S. Neu, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Auslandsaufenthalte der Bundeswehr ohne Mandat des Deutschen Bundestages, dipbt.bundestag.de, 12.05.2014
[6] Aufbruch zum Zuckerhut….Die Big Band der Bundeswehr auf Konzertreise in Südamerika, bigband-bw.de
[7] Verleihung des Ehrenkreuzes der Bundeswehr an chilenischen Offizier, santiago.diplo.de, 25.01.2019
[8] Drucksache 19/10445 Polizei- und Zolleinsätze im Ausland (Stand: erstes Quartal 2019), Kleine Anfrage eingereicht von: Gökay Akbulut, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Die Linke, dipbt.bundestag.de, 23.05.2019; Drucksache 19/8783 Polizei- und Zolleinsätze im Ausland (Stand: viertes Quartal 2018), Kleine Anfrage eingereicht von: Gökay Akbulut, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Die Linke, dipbt.bundestag.de, 27.03.2019
[9] Drucksache 19/6295, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan Korte, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Aktivitäten deutscher Geheimdienste in Chile und deutsche Zusammenarbeit mit der Pinochet-Diktatur in den Jahren 1973 bis 1990, dipbt.bundestag.de, 05.12.2018
[10] Drucksache 18/1422, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan van Aken, Christine Buchholz, Annette Groth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Rüstungsexporte von Kleinwaffen und leichten Waffen, dipbt.bundestag.de, 15.05.2014
[11] Drucksache 18/4194, Rüstungsexportentscheidungen des Bundessicherheitsrates, Kleine Anfrage eingereicht von: Annette Groth, Christine Buchholz, Jan van Aken, Die Linke, dipbt.bundestag.de, 04.03.2015
[12] Ebd.
[13] Roman Deckert: HK33. German Arms in Ecuador, bits.de, März 2008
Veröffentlicht am 30.10.2019 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)