Autorin: Johanna Ross
Vor kurzem gab der UN-Sonderberichterstatter für Folter Nils Melzer dem Schweizer Magazin Republik ein Interview über Julian Assange. Die Schlagzeile lautet: „Vor unseren Augen wird ein mörderisches System geschaffen“. In dem Interview erläutert Melzer, warum er sich so sehr mit dem Fall Assange beschäftigt hat und welche Auswirkungen dieser auf die Zukunft der Menschheit hat.
Nur um noch einmal zusammenzufassen: Julian Assange, der ehemalige Herausgeber von WikiLeaks, wurde im vergangenen Jahr verhaftet, nachdem er jahrelang in der ecuadorianischen Botschaft eingeschlossen war, wo er Asyl gesucht hatte, weil er befürchtete, in die USA abgeschoben zu werden, um wegen seiner Veröffentlichung durchgesickerter Dokumente angeklagt zu werden.
Bereits 2010 veröffentlichte WikiLeaks vernichtende Beweise für Folter und unrechtmäßige Tötungen durch die US-Armee, die von Chelsea Manning bereitgestellt worden waren. Später wurde er von Schweden wegen Vergewaltigung gesucht. Diese Anklage wurde inzwischen fallen gelassen, und es wird angenommen, dass sie Teil eines Komplotts war, um Assanges Abschiebung in die USA zu planen. Ecuador übergab ihn schließlich im April letzten Jahres an die britischen Behörden, indem es diese in die Botschaft hineinbat, um Assange nach sieben Jahren des Eingeschlossenseins innerhalb der Botschaftsmauern herauszuholen.
Die Tortur des WikiLeaks-Gründers wird aber anscheinend weitergehen. Der 48-Jährige verkümmert derzeit im Belmarsh-Gefängnis, wo er monatelang in Isolierhaft gehalten wurde, bevor unglaublicherweise die Gefangenen selbst protestierten und verlangten, dass es ihm erlaubt wird, sich unter die anderen zu mischen. Die Behörden haben kürzlich diesem Zugeständnis zugestimmt, aber das alles scheint zu wenig und zu spät zu sein für einen Mann, der von der amerikanischen und britischen Regierung fertig gemacht wurde, weil er im Wesentlichen versucht hat, die Wahrheit zu sagen.
Was Nils Melzer betrifft, so erklärt er in seinem jüngsten Interview, warum er sich speziell auf den Fall Assange eingelassen hat. Seine Gründe werden wie folgt dargelegt: 1. Er sagt, dass Assange Beweise für systematische Folterungen durch die US-Armee vorgelegt hat, er aber selbst dafür verfolgt worden ist. 2. Assange wurde so schlecht behandelt, dass er jetzt Anzeichen von psychologischer Folter zeigt. 3. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er an ein Land ausgeliefert wird, das von Amnesty International wegen der Anwendung von Folter verurteilt wurde. Er ist auch der Ansicht, dass der Fall eine besondere symbolische Bedeutung für die Zukunft unserer Demokratien hat.
Es gibt viele außergewöhnliche Punkte in dem Interview mit Melzer, dessen Lektüre ich sehr empfehle: die erfundene Vergewaltigungsbehauptung und die gefälschten Beweise in Schweden, der Druck der britischen Behörden, den Fall nicht fallen zu lassen, die voreingenommene Richterin, die Inhaftierung in einem Hochsicherheitsgefängnis, psychologische Folter – und die bevorstehende Auslieferung an die Vereinigten Staaten von Amerika, wo er bis zu 175 Jahren Gefängnis verurteilt werden könnte, weil er Kriegsverbrechen aufgedeckt hat. Aber ich denke, einer der wichtigsten Punkte ist die Rolle, die die Medien in diesem Fall gespielt haben. Denn Melzer gibt zu, dass selbst er anfangs, bis er von allen Fakten erfuhr, aufgrund dessen, was er in den Medien gesehen und gehört hat, gegenüber Assange voreingenommen war. Und es waren die Mainstream-Medien, die als erste falsche Anschuldigungen veröffentlichten, Assange sei der Vergewaltigung beschuldigt worden, es waren die Medien, die seinen Charakter angeschwärzt haben.
Die Rolle der Medien bei Assanges Untergang kann gar nicht unterschätzt werden. Selbst jetzt sind nur sehr wenige Mainstream-Journalisten bereit, über seine Notlage zu berichten. Melzer erklärt, dass der ganze Sinn von Assanges „Schauprozess“ darin bestand, Journalisten vor dem einzuschüchtern, was Assange getan hat: „Die Botschaft an uns alle lautet: Das wird Ihnen passieren, wenn Sie dem WikiLeaks-Modell nacheifern.“
Melzer hält den Fall für einen Skandal, der „das Versagen des westlichen Rechts darstellt“. Wenn Julian Assange verurteilt wird, wird er das als „Todesurteil für die Pressefreiheit“ betrachten.
Wenn jemand verurteilt werden sollte, so Melzer, dann sollten es die Personen sein, die die Massaker und die Folterungen, über die Julian Assange berichtet hat, durchgeführt haben. Doch bisher wurde weder eine Person angeklagt noch wurden strafrechtliche Ermittlungen zu ihren Handlungen durchgeführt. Stattdessen ist Assange das Opfer einer neuen harten Realität geworden: „Es wird zu einem Verbrechen, die Wahrheit zu sagen“, sagt Melzer.
Am Mittwoch wurde berichtet, dass eine Petition für die Freilassung von Julian Assange von über 130 prominenten Deutschen unterzeichnet wurde. Zu den Unterzeichnern gehören Namen wie der ehemalige deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel und der frühere Vizepräsident der Europäischen Kommission, Gunter Verheugen. In der Petition heißt es, dass Assanges fortgesetzte Inhaftierung im strengsten Sicherheitsgefängnis des Vereinigten Königreichs – Belmarsh – seine Menschenrechte verletzt, insbesondere angesichts seines schlechten Gesundheitszustandes.
Aber diese Appelle werden wahrscheinlich auf taube Ohren stoßen. Im Fall von Assange ist klar, wer das Sagen hat, und dass sogar europäischen Regierungen den Forderungen der Vereinigten Staaten von Amerika ausgeliefert waren. Und doch folgen die westlichen Nationen in ihrer eigenen Torheit dem Beispiel der USA – unsere Demokratien zerbröckeln direkt vor unseren Augen.
Orginalartikel „Assange’s Case Represents ‘Failure of Western Law,’ says UN’s Nils Melzer“ vom 7. Februar 2020
Quelle: antikrieg.com