Massiver Angriff der Polizei in Brasilien auf Landlose

Räumung der Siedlung Quilombo Campo Grande sorgt für anhaltende Kritik. 450 Familien vertrieben. Solidarität aus dem In- und Ausland

In Brasilien kommt es zu anhaltenden Auseinandersetzungen nach der gewaltsamen Räumung einer Landarbeiter-Siedlung im Bundesstaat Minas Gerais im Südosten des Landes vor einer Woche. Dabei hatten Hunderte zum Teil schwer bewaffnete Polizeibeamte die Siedlung Quilombo Campo Grande eingekesselt, um die dort lebenden 450 Familien zu vertreiben. Sie lebten dort seit über 20 Jahren auf besetztem Boden.

Mit solchen Landbesetzungen wehren sich landlose Bauernfamilien gegen die ungleichen Eigentumsverhältnisse. Die Regierung des amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro ist eine aggressive Verteidigerin der Interessen der Großgrundbesitzer. Bolsonaro und Vertreter seines Lagers haben mehrfach auch den Einsatz von Gewalt gegen Landlosenaktivisten befürwortet und propagiert.

Nach Angaben der Landlosenbewegung MST (Movimento dos Sem Terra) begannen die ersten Angriffe von rund 150 Polizisten auf die Siedlung bereits am 30. Juli. In Quilombo Campo Grande, einer ehemaligen Zuckerrohrplantage, leben Familien von Landarbeitern seit über zwei Jahrzenten und produzieren Mais, Kaffee und Lebensmittel vor allem für Kooperativen. Auf 40 Hektar wurde Gemüse angebaut, in der Siedlung gibt es etwa 60.000 einheimische Bäume und 60.000 Obstbäume. Auch eine Schule hatten die Siedler eingerichtet.

Zu Beginn des Angriffs der Polizei hätten Drohnen und Hubschrauber das Gebiet überflogen, mutmaßlich, um Luftbilder zu machen. In der Folgezeit habe die Polizei begonnen, Häuser zu durchsuchen und Bewohner festzunehmen. Alle entsprechenden Aktionen der Polizei und von spezialisierten Aufstandbekämpfungseinheiten seien ohne gültigen Gerichtsbeschluss durchgeführt worden. Die MST macht den Gouverneur von Minas Gerais, Romeo Zema, für die Eskalation verantwortlich. Zema hatte über soziale Netzwerke bekanntgegeben, dass er den Räumungsbefehl erteilt hat. Für Empörung sorgte auch, dass die Polizei umgehend begann, die nach dem urguayischen Schriftsteller Eduardo Galeano benannte Schule mit Baggern niederzureißen und Gebäude sowie Felder anzuzünden. In sozialen Netzwerken machte der Hastag #zemacovarde („Zema-Feigling“) die Runde.

Die vertriebenen Familien wurden vom MST in einer nahen Siedlung aufgenommen und erstversorgt. Tuira Tule, Aktivistin der Organisation, kritisierte das polizeiliche Vorgehen scharf. Solche Angriffe seien inzwischen Realität der landlosen Bevölkerung. Daran habe auch die in Brasilien wütende Corona-Pandemie nichts geändert, so Tule, die schwere Vorwürfe gegen „die faschistische Regierung“ von Jair Bolsonaro erhob.

Obwohl alle Institutionen von der Räumung ohne richterlichen Beschluss gewusst hätten, habe keine der zuständigen Behörden eingegriffen, um die Familien und ihre Heime zu schützen, beklagte sie. Eine solche Vertreibung inmitten der schweren Pandemie wiege umso schwerer. „Aber wir lernen stetig und werden daraus gestärkt hervorgehen. Dieses Land gehört rechtmäßig uns, und wir haben keinen Zentimeter aufgegeben“, fügte sie an.

Die MST prangerte zugleich Versuche der Sicherheitsbehörden an, die Landarbeiter zu kriminalisieren. So hieß es in einer Mitteilung der Polizei, auf dem Gelände sei „eine Machete und Feuerwerkskörper“ beschlagnahmt worden, eine Person sei wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte inhaftiert worden.

Der Erzbischof von Belo Horizonte und Präsident der Nationalen Bischofskonferenz Brasiliens (CNBB), Walmor Oliveira de Azevedo, entsandte inzwischen eine Solidaritäts- und Beobachtermission nach Quilombo Campo Grande. Die katholische Kirche stehe den betroffenen Familien solidarisch bei und spreche sich für einen Dialog aus, um den sozialen Frieden zu wahren, hieß es von dieser Seite. Zeitgleich kam es in ganz Brasilien zu Unterstützungskundgebungen, die auf der Seite der MST dokumentiert wurden.

Der US-Linguist und Philosoph Noam Chomsky und der indische Historiker Vijay Prashad sandten eine Solidaritätserklärung an die 450 Familien in Quilombo Campo Grande. Chomsky und Prashad bedauern die Räumung und insbesondere auch die Zerstörung der Eduardo-Galeano-Volksschule. „Als Freunde von Eduardo Galeano (1940-2015) plagt uns das Gewissen angesichts der Vertreibung und der Zerstörung Südamerikas“, heißt es in dem Schreiben.

Veröffentlichung am 21.8.2020 auf Portal amerika21.de