Nach dem Putsch

Autor: Christoph Marischka

EU will Militärausbildung in Mali „so schnell wie möglich“ wieder aufnehmen

Das hat aber nicht lange gedauert: Seitdem am 18. August das Militär in Malis Hauptstadt Bamako die Macht übernommen hat, haben die EU, Deutschland, Frankreich und die USA den Militärputsch öffentlich verurteilt und eine Rückkehr zur verfassungsgemäßen Ordnung angemahnt. Dass es sich dabei eher um Lippenbekenntnisse gehandelt hat, konnte man spätestens ahnen, nachdem die Führer der Putschisten (allesamt Männer) bereits in ihrer ersten öffentlichen Stellungnahme angekündigt hatten, nicht nur mit der UN-Mission MINUSMA, sondern auch mit der EU-Trainingsmission EUTM und der französischen Anti-Terror-Mission Barkhane weiter zusammenarbeiten zu wollen.

Es hat dann nur gut eine Woche gedauert, bis die EU-Verteidigungsminister*innen auf ihrem Gipfel in Berlin am 26. August die Forderung nach der Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung weitgehend fallen gelassen haben und stattdessen ankündigten, die Ausbildung malischer Soldaten schnellstmöglich wieder aufzunehmen. Außerdem hat der EU-Außenbeauftragte Borrell jede Verantwortung für den Putsch zurückgewiesen: „Wir bilden keine Streitkräfte aus, damit sie zu Putschisten werden … Dieser Staatsstreich steht in keinem Verhältnis zu der Ausbildung, die wir den malischen Soldaten anbieten“. Gleichzeitig stellte er jedoch fest, dass 90% der malischen Armee im Rahmen der EUTM trainiert worden seien. Von den führenden Personen des Putsches sei jedoch keiner von „uns“ ausgebildet worden, wohl aber von Russland, den USA und Großbritannien.

Ertüchtigung und Putsch

Die deutsche Verteidigungsministerin hatte bereits zuvor einräumen müssen, dass „einige führende Köpfe des Putsches eine Ausbildung in Deutschland und Frankreich genossen hätten“, so die FAZ. Nach deren Informationen „wurden zwei Putschisten vor längerer Zeit in Deutschland ausgebildet, einer an der Bundeswehr-Universität in München“. Da dies nicht im EU-Rahmen stattfand, ist Borrells Aussage streng genommen nicht falsch, wirklich vollständig jedoch auch nicht.

Bereits am Tag nach dem Putsch hatte allerdings Nils Metzger für zdf.de aus einem älteren Lagebericht des Presse- und Informationsstabes zitiert, wo das Militärlager in Kati, von dem der Putsch ausging, mehrfach in Zusammenhang mit EUTM Erwähnung fand, etwa in der Ausgabe 5/2019 mit Stand Ende Januar 2019. Dort heißt es u.a.: „Der Schwerpunkt lag im Berichtszeitraum weiterhin auf dem dezentralen Ausbildungs- und Beratungsvorhaben in Kati, das noch bis zum 15.02.19 andauern soll. EUTM Mali führt dieses Vorhaben mit insgesamt 88 Ausbildern und Beratern durch“. Auf Nachfrage des ZDF habe das Verteidigungsministrium mitgeteilt, „dass gegenwärtig im Rahmen einer sogenannten ‚Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung‘ in Kati ein Munitionsdepot der malischen Streitkräfte modernisiert wird. Auch ein Zentrallager und eine Werkstatt befinden sich im Aufbau. Für dieses Projekt seien zuletzt jedoch keine Bundeswehrsoldaten in Kati direkt im Einsatz gewesen, so der Sprecher“. Außerdem verweist der findige Journalist darauf, dass die Bundesregierung erst am 16. Juli 2020 „den malischen Streitkräften in Kati 29 gepanzerte Fahrzeuge vom Typ ‚Casspir‘, Tausende Schutzwesten und Helme“ übergeben hätte. Auch dies erfolgte im Rahmen der sog. Ertüchtigungsinitiative. Insgesamt erscheint es schwer haltbar, dass die deutsche „Ertüchtigung“ nicht auch bei jenen angekommen ist, die am Putsch vom 18. August beteiligt waren.

Auch ansonsten waren die Worte des EU-Außenbeauftragte Borrell nach dem Treffen der EU-Verteidigungsminister*innen mit Bedacht gewählt – und sorgten für eine unklare Nachrichtenlage. Mehrere Medien und Agenturen setzten den Schwerpunkt darauf, dass EUTM und EUCAP – ihr Pendant für die Ausbildung „ziviler“ Sicherheitskräfte (Gendarmerie und Polizei) – „wegen des Putsches“ (so tagesschau.de) vorübergehend „auf Eis gelegt“ (reuters) habe. Andere Medien stellten die Aussage in den Mittelpunkt, dass diese so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden solle: „Man habe neunzig Prozent der malischen Armee ausgebildet, insgesamt 18.000 Mann, und wolle diese Arbeit fortsetzen“, so die FAZ nonchalant. Der Deutschlandfunk berichtete noch am späten Abend des 26. August, quasi aus der laufenden Pressekonferenz des EU-Gipfels heraus: „Mali war ein Thema, wir wissen, dort hat es einen Staatsstreich gegeben. Das hat der Außenbeuftragte Borrell gerade noch einmal verurteilt und hat gesagt, es hat jetzt Priorität dort eine Lösung zu finden. Die Missionen dort sind im Augenblick noch sozusagen on hold, bis die Umstände es erlauben, dort wieder aktiv zu werden. ‚Aber wir sind da und wir werden da weiter bleiben und so schnell wie möglich die Arbeit wieder aufnehmen denn‘, so Borrell ‚wir haben dort so viel investiert und wollen das nicht einfach wieder wegwerfen’“.

EUropäischer Pragmatismus

Das trifft die Sache eigentlich ganz gut auf den Punkt. Laut Transkript der Stellungnahme Borrells, meinte dieser wörtlich, „dass unsere zivilen und militärischen Operationen in Mali [EUTM Mali und EUCAP Sahel Mali] vorübergehend eingestellt wurden, weil die Umstände es nicht zugelassen haben, deren normale Aktivitäten fortzusetzen“. Das klingt einleuchtend – schließlich bringt so ein Putsch logischerweise erstmal ziemlich viel Unruhe in die Befehlskette und für Soldaten und Gendarmerie auch dringlichere Fragen und Aufgaben mit sich, als vor europäischen Ausbildern durch den Sand zu robben oder Manöver zu planen. Die Aussage Borrells ist pragmatisch und vermeidet – anders als Teile der Berichterstattung darüber – jede Andeutung, wonach das Aussetzen der Missionen eine politische Reaktion auf den Putsch sei. Neben der floskelhaften Verurteilung des Putsches ist auch anders als in vergleichbaren Situationen keine Rede von Sanktionen oder anderen gängigen Methoden, Druck auf die – letztlich illegale – neue politische Führung in Mali auszuüben.

Die zentrale Aussage besteht also darin, dass man dableiben und – so Borrell laut Transkript wörtlich – „so schnell wie möglich“ die Ausbildung der malischen Armee und Gendarmerie wieder aufnehmen werde. Hierzu ist zu erwähnen, dass zumindest EUTM wegen anderer „Umstände“, Corona, bereits seit 3. April 2020 nur noch auf Sparflamme läuft. Die letzte offizielle „Pressemitteilung“ der EUTM datiert auf den 23. April und berichtet von der zehnten nachgewiesenen Corona-Infektion innerhalb der EUTM: „Das Hauptquartier der Mission in Bamako befindet sich im Lockdown, seit die ersten Fälle aufgetreten sind und alle Ausbildungsaktivitäten wurden [bereits] eine Woche zuvor eingestellt.“ Eine Pressemitteilung über eine offizielle Wiederaufnahme der Ausbildung im Rahmen von EUTM findet sich hingegen nicht, obwohl der Betrieb im Juni offenbar wieder langsam anlief. Die vom Pressestab publizierten „News“ portraitierten in der Zwischenzeit einzelne Missionselemente oder berichteten von Treffen und Zeremonien. Vom 1.-19. Juni jedoch fand offenbar wieder ein Fortbildungslehrgang für malische Militärausbilder statt. Am 27. Juli 2020 fand demnach ein Treffen des Koordinationskreises des Militärs in Mali (Instance de Coordination Militaire au Mali, ICM) statt, in dem vierteljährlich Vertreterinnen von EUTM, MINUSMA, Barkhane und der malischen Streitkräfte zusammenkommen. Die EUTM stellte hier ihre Pläne zur Wiederaufnahme ihrer Aktivitäten unter dem neuen Mandat vor, das der Mission vom Europäischen Rat am 23. März 2020 gegeben wurde. Dieses Mandat – das erstmalig gleich für vier Jahre verabschiedet wurde – sah eine beträchtliche Ausweitung des Einsatzegebietes auch auf die Nachbarstaaten sowie erstmals auch die „Begleitung [der malischen Truppen] bis auf die taktische Ebene vor“. Der deutsche Bundestag passte das Mandat der Bundeswehr bei der turnusmäßigen Verlängerung Ende Mai 2020 entsprechend an und erweiterte es auf 450 Kräfte.

Aktuell sind von diesen allerdings – coronabedingt – nur wenige Dutzend in Mali vor Ort. Auch das ist ein Hinweis darauf, dass der EUTM-Einsatz aktuell ohnehin nur auf Sparflamme läuft und dessen Zuschnitt auf das neue, ausgeweitete EU-Mandat sich noch in der Konzeptionsphase befindet. Diese wird nun in Absprache mit den Putschisten und der daraus wahrscheinlich hervorgehenden „Übergangsregierung“ fortgesetzt, um die Ausbildung entsprechend dem neuen Mandat „so schnell wie möglich“ wieder aufzunehmen. Es wird also vermutlich nicht lange dauern, bis die Bundeswehr unter einer de-facto-Putschregierung die unter deren Kontrolle stehenden Soldaten (weiter) ausbildet. Auch angesichts der tiefgreifenden Neuformulierung des EU-Mandates scheint der Zeitpunkt des Putsches insofern ganz passend gewählt.

Die lokalen Partner

Von Seiten der Putschisten allerdings dürften die Massenproteste in Bamako gegen den zuvor amtierenden Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita (IBK) bzw. dessen Regierung das wichtigere Motiv gewesen sein. Die Unzufriedenheit war groß und entsprechend wurde der Putsch in den Straßen Bamakos zunächst begrüßt – obwohl auch von Plünderungen und aufgelösten Gegendemonstrationen berichtet wurde. Die Unzufriedenheit mit der amtierenden Regierung und die Unterstützung des Putsches durch die Bevölkerung lässt sich nicht wegdiskutieren. V.a. linke Medien sprachen in Deutschland im Zusammenhang mit dem Putsch von einem „Befreiungsschlag“ und kritisierten tw. scharf dessen Verurteilung durch Bundesregierung, EU und ECOWAS. Dass es sich dabei zumindest vonseiten der deutschen Regierung und der EU eher um vorübergehende Lippenbekenntnisse gehandelt haben dürfte, wird durch den Gipfel der EU-Verteidigungsminister nun deutlich. Zu fragen wäre auch, wie man wohl reagiert hätte und welche Präzedenz dies für die Gepflogeheiten der internationalen Beziehungen (Völkergewohnheitsrecht) bedeutet hätte, wenn ein Militärputsch offiziell begrüßt und (wie es de facto geschieht) achselzuckend zur Kenntnis genommen wäre, während man mit einer Vielzahl von Truppen im Land ist und eben jenes Militär begleitet und ausbildet.

Ähnliches gilt für die häufig erhobene Kritik an Frankreich, Deutschland und der EU, dass diese trotz Massenprotesten und Korruption an der vorangegangenen Regierung festgehalten oder diese „gestützt“ hätte. Schließlich brauchte man diese Regierung, um u.a. die internationale Truppenpräsenz abzusichern und zu legitimieren. Eine Alternative wäre gewesen, die Regierung – auf deren Einladung man (Frankreich, Deutschland, EU) sich im Land befindet und mit der man seine Projekte abwickelt – für illegitim zu erklären (obwohl sie gewählt wurde). Der nächste Schritt wäre gewesen, den Abzug der Truppen anzudrohen, falls die gewählte Regierung nicht zurücktritt oder gestürzt wird. Dies hätte jedoch nicht im Interesse der intervenierenden Staaten gelegen und eine mindestens ebenso (post-)koloniale Einflussnahme bedeutet. Aus denselben Gründen werden EU, Frankreich und Deutschland auch jetzt nicht umhin kommen, mit der Putsch- bzw. der daraus hervorgehenden „Übergangsregierung“ zusammen zu arbeiten.

Autor*innen der Oxford Research Group warnten bereits 2014, als sich die Vielfalt militärischer Interventionen in der Region zu entfalten begann davor, dass diese „Militarisierung“ demokratische Räume schließen und autoritären Regierungen Vorschub leisten werde: „Operationen zur Bekämpfung des Terrorismus, Militärbasen oder logistische Infrastruktur in der Sahel-Sahara-Region erfordern [gute] Beziehungen und Stationierungsabkommen mit den nationalen Regierungen: den lokalen Partnern. Dies hat eine Anzahl undemokratischer Regime gestärkt, da ihre Wahrnehmung als verlässlicher Partner im ‚Krieg gegen den Terror‘ eng mit den Investitionen autoritärer Regime in ihren Sicherheitsapparat zu korrelieren scheint. Der algerische Machtapparat, das quasi-Militärregime in Mauretanien und insbesondere das Regime Déby im Tschad wurden so zu Pfeilern externer Strategien zur Terrorismusbekämpfung und weitgehend immun gegenüber Druck, den repressiven Umgang mit ihrer Bevölkerung und politischen Gegnern zu verbessern“.

veröffentlicht am 28.8.2020 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)