Autorin: Claudia Haydt
Im Januar 2019 wurde öffentlich bekannt, dass die Deutsche Bahn mit der Bundeswehr einen Rahmenfrachtvertrag zum Transport militärischer Güter abgeschlossen hatte. Die Vereinbarung belief sich auf ein Maximalvolumen von 97,5 Mio. Euro für 2019 und 2020 (plus eine dreimalige jährliche Verlängerungsoption). Hierfür sicherte die Bahn zu, 300 zusätzliche Waggons vorzuhalten und Militärtransporte im In- wie auch Ausland durchzuführen. Besonders irritierend war dabei eine „Expressoption“, bei deren Aktivierung eine Art „Vorfahrtsregel“ des Militärs gegenüber dem zivilen Verkehr in Kraft treten sollte.[1] Nachdem der Vertrag selbst nur in Auszügen öffentlich zugänglich ist und beide Vertragspartner sich auch sonst mit Details eher bedeckt hielten, förderte nun eine parlamentarische Anfrage einige weitere Informationen über diese Kooperation zu Tage.
Expressoption für den Ernstfall
Wie gesagt, einige Rätsel gab nicht zuletzt die im Rahmenfrachtvertrag verankerte „Expressoption“ auf. Erst auf Nachfrage über fragdenstaat.de rückte die Bundesregierung im März vorigen Jahres mit einigen Details heraus: „Mit dieser Expressoption wird gewährleistet, dass ein Zug auf der angemieteten Trasse einen Vorrang gegenüber allen anderen Zügen erhält, mit denen er im selben Gleisabschnitt zusammentrifft.“[2]
Damit waren aber die Umstände, unter denen diese Expressoption zur Anwendung kommen soll, immer noch nicht geklärt. Aus der teils öffentlichen damaligen Vorlage für den Haushaltsausschuss ging bereits hervor, dass die Expressoption im Zusammenhang mit der deutschen Rolle im Rahmen der Ultraschnellen Eingreiftruppe der NATO (Very High Readiness Joint Task Force, VJTF) steht. Dabei handelt es sich um eine 5.000 SoldatInnen starke Einheit, die in kürzester Zeit an die Grenze zu Russland verlegbar sein soll. Die VJTF-Kräfte sollen innerhalb von fünf bis sieben Tagen verlegt werden können, die sogenannten Vorauskräfte gar innerhalb von 72 Stunden.[3]
Hier brachte nun die Antwort auf eine kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten und IMI-Vorstands Tobias Pflüger etwas mehr Licht ins Dunkel. Darin erklärte die Bundesregierung Ende Juli 2020, die Expressoption sei bisher „nicht in Anspruch genommen“ worden: „Die Expressoption ist bei Aktivierung und Einsatz der VJTF zur Erfüllung der Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der NATO erforderlich. […] Aktivierung und Einsatz der VJTF in einer krisenhaften Lage erfolgt nach Aktivierung durch die NATO und mit Zustimmung des Deutschen Bundestages. Auf Grundlage dieser Entscheidung wird die Expressoption durch das Bundesministerium der Verteidigung auf Basis des Vertrags abgerufen. […] Transporte im Rahmen der VJTF wurden nicht durchgeführt.“[4]
Im Klartext heißt das, die Expressoption greift „nur“ bei einer Aktivierung der VJTF und auch dann ausschließlich in den Jahren, in denen die Bundeswehr die Führung der VJTF (2019) innehat oder Zusagen für die Folgekräfte (Initial Follow-on Forces Group/ IFFG) gegeben hat (2020), weshalb die Verlängerungsjahre auch keine explizite Expressoption beinhalten.
Zwar geht aus den militärischen Planspielen der Bundesregierung gegen Russland hervor, dass eine VJTF-Aktivierung noch deutlich vor Ausbruch kriegerischer Auseinandersetzungen vorgesehen ist, dies ist jedoch momentan nur in einer sehr zugespitzten Lage denkbar.[5] Im Regelbetrieb ist also – zumindest noch – der zivile Personenverkehr privilegiert, wie auch die Bundesregierung betonte: „Ein genereller Vorrang aller Militärtransporte gegenüber dem zivilen Personenverkehr besteht im Rahmen des vorgenannten Vertrages nicht.“[6] Völlig unklar ist jedoch, welche Regelungen für den Fall greifen, dass eine andere Armee die Führung der VJTF-Kräfte hat und im Krisenfall auf die Bahnverbindungen durch Deutschland zurückgreifen will.
Dauer, Kosten und Volumen
Der Rahmenfrachtvertrag unterscheidet zwischen Inlandsfahrten (LOS 1 „Grundbetrieb / Übungen Inland“) sowie Auslandsverbringungen (LOS 2 „Grundbetrieb / Übungen Ausland“). Laut Antwort der Bundesregierung wurden im Jahr 2019 insgesamt im Zusammenhang mit dem Vertrag 272 Transporte durchgeführt (LOS 1: 198 / LOS 2: 74). Im ersten Halbjahr 2020 fanden insgesamt 57 Bahnfahrten statt (LOS 1: 42 / LOS 2: 15).[7]
Hochumstritten ist in diesem Zusammenhang besonders die „Enhanced Forward Presence“, die sich aus je einem Bataillon à 1.000 SoldatInnen in den drei baltischen Staaten und Polen zusammensetzt. Obwohl es sich dabei recht eindeutig um einen Bruch der NATO-Russland-Akte aus dem Jahr 1997 handelt, in der Russland zugesichert wurde, die NATO werde keine substanziellen Truppen dauerhaft an seiner Grenze stationieren, hat Deutschland die Führung des Bataillons in Litauen übernommen – und genau in diesem Zusammenhang finden augenscheinlich auch Fahrten im Rahmenfrachtvertrag statt. Denn als wichtige noch 2020 anstehende Fahrten seien laut Bundesregierung der „Kontingentwechsel der Kräfte der Enhanced Forward Presence (eFP) in Litauen und ein Übungsvorhaben in Schweden mit voraussichtlich 14 Transporten geplant.“[8]
Wieviel von den 97,5 Mio. Euro im Rahmenfrachtvertrag genannten Maximalkosten tatsächlich ausgeschöpft werden, lässt sich aufgrund lückenhafter Angaben der Bundesregierung nur erahnen. Auf die Frage, auf welchen Betrag sich die Kosten des Rahmenvertrags im Jahr 2019 belaufen hätten, lieferte die Bundesregierung – aus welchen Gründen auch immer – lediglich die Angaben für die Auslandsfahrten (LOS 2): „Die Gesamtausgaben für den Rahmenfrachtvertrag R 1299 LOS 2 betrugen für das Kalenderjahr 2019 insgesamt 41.925.438,46 Euro.“[9]
Zu schlechterletzt geht aus den Antworten der Bundesregierung auch hervor, dass der Rahmenfrachtvertrag als eine Art Dauereinrichtung geplant ist. Zum einen ist die Verlängerungsoption für 2021 bereits gezogen worden und es sei geplant, sie „auch für die Folgejahre zu nutzen“. Außerdem wird Deutschland im Jahr 2023 erneut die VJTF-Führung und im Folgejahr IFFG-Verpflichtungen übernehmen – der Rahmenfrachtvertrag soll dann augenscheinlich in dieser oder ähnlicher Form neu aufgelegt werden: „Eine Folgelösung gesicherter Zugriff auf Schienentransporte für die Verlegung deutscher Kräfte VJTF 2023 ist grundsätzlich vorgesehen. Details werden derzeit untersucht.“[10]
Proteste
Obwohl die Bahn durch den Vertrag zu einem integralen Bestandteil der Logistik des neuen Kalten Krieges wird, wurde dem Rahmenfrachtvertrag leider kaum Beachtung geschenkt. Eine löbliche Ausnahme stellte die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Rheinland-Pfalz dar, die letztes Jahr den Antrag „EVG gegen Militarisierung und Kriegsvorbereitung bei der Deutschen Bahn“ verabschiedete, über den das Neue Deutschland berichtete: „Dieser Beschluss enthält eine Aufforderung an die gewerkschaftlichen Gremien, ‚sich gegen die im Rahmenfrachtvertrag zwischen der Deutschen Bahn und der Bundeswehr vereinbarten Kriegsvorbereitungen […] durch die Deutsche Bahn zu positionieren‘. Bundestagsabgeordnete aus den Reihen der EVG- und anderer DGB-Gewerkschaften werden aufgefordert, den Rahmenfrachtvertrag ‚in den parlamentarischen Gremien zu thematisieren und die Umsetzung zu verhindern‘. Zudem werden die Betriebsräte und gewerkschaftlichen Vertrauensleute aufgefordert, ‚aufzuklären und zu mobilisieren, sich dieser Militarisierung zu verweigern‘, so der Wortlaut.“[11]
Anmerkungen
[1] Haydt, Claudia: Bahn frei für das Militär. Der Rahmenfrachtvertrag zwischen Bahn und Bundeswehr, in: AUSDRUCK (Februar 2019), S. 1-2.
[2] BMGg: Antwort: Informationen zum sog. Rahmenfrachtvertrag [#58683], www.fragdenstaat.de, 05.03.2019.
[3] Bundeswehr übernimmt Führung der NATO-Eingreiftruppe, dw.com, 01.01.2019.
[4] Antwort auf die Bundestags-Drucksache 19/20767 von Tobias Pflüger u.a.: „Militärische Schienentransporte“.
[5] Kommando Heer (Hg.): Thesenpapier I: Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig?, o.J.
[6] www.fragdenstaat.de, 05.03.2019.
[7] Antwort auf Bundestags-Drucksache 19/20767.
[8] Antwort auf Bundestags-Drucksache 19/20767.
[9] Antwort auf Bundestags-Drucksache 19/20767.
[10] Antwort auf Bundestags-Drucksache 19/20767.
[11] Öfinger, Hans-Gerd: Nicht alles soll auf die Schiene, Neues Deutschland, 27.03.2019.
Veröffentlichung am 2.9.2020 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)