Neues Militärgelände bei Tannheim – Bevölkerung dagegen

Autor: Alexander Kleiß

Das Verteidigungsministerium (BMVg) plant einen neuen Standortübungsplatz bei Tannheim in der Nähe von Donaueschingen. Auf diesem sollen künftig das Jägerbataillon 292 und die 3. Kompanie des Deutsch-Französischen Versorgungsbataillons trainieren. Bisher übten beide Einheiten auf dem Standortübungsplatz Donaueschingen, wo sie auch stationiert sind. Doch nun reicht dieses Militärgelände nach Angaben des BMVg angeblich plötzlich nicht mehr für die „speziellen Ausbildungsbelange“ der Einheiten aus. Deshalb sollen bei Tannheim die 300 ha große, in Privatbesitz befindliche Fläche „Ochsenberg“ und die 100 ha große Fläche „Weißwald“, die sich in Besitz des Landes Baden-Württemberg befindet, zu einem Standortübungsplatz gemacht werden bzw. dem bestehenden Standortübungsplatz zugeschlagen werden.

Insgesamt soll das Militärgelände eine Größe von 512 ha umfassen. Dort sollen dann „Übungsanlagen für die personen- und radfahrzeuggebundene Ausbildung sowie von Schießanlagen mit Manöver- und Übungsmunition“ entstehen.[1] Im Einzelnen sind dafür Schießanlagen für Panzerfäuste und Granatpistolen sowie Anlagen für Waldkampfübungen vorgesehen.[2]

Nachsorgeklinik bedroht

Ein großes Problem ist dabei neben grundsätzlichen Bedenken, dass sich in unmittelbarer Nachbarschaft des geplanten Militärareals eine Nachsorgeklinik für chronisch kranke Kinder und deren Familien befindet. Roland Wehrle, der Geschäftsführer der Nachsorgeklinik, bezeichnet die Pläne der Bundeswehr als „schieren Wahnsinn“. Die Ruhe, für die Kinder und Eltern aus ganz Deutschland nach Tannheim kommen, würde durch einen Standortübungsplatz zerstört: „Das wäre nicht nur ein Qualitätsverlust, sondern auch ein Schlag ins Gesicht aller Unterstützer, die bislang rund 50 Millionen Euro in die Klinik investiert haben“, kritisiert Wehrle.[3] Tatsächlich wäre es mehr als fraglich, ob die Nachsorgeklinik weiter bestehen kann, falls die Bundeswehr nicht von ihrem Vorhaben abrückt.

Hinzu kommt, dass sich das Gelände des geplanten Standortübungsplatzes mitten im Naturschutzgroßprojekt „Baar“ befinden würde, das der Bevölkerung bisher gleichzeitig auch als Naherholungsgebiet dient. Der BUND stellt sich gegen die Pläne der Bundeswehr. Das gesamte Gebiet ist ein EU-Vogelschutzgebiet. Außerdem sei ein Großteil des Geländes Wasserschutzgebiet. Der „Weißwald“ ist zudem ein Fördergebiet, in dem Entwicklungs- und Pflegemaßnahmen zur Stärkung der Resilienz der Arten gegen den Klimawandel durchgeführt werden. Diese Ziele könnten im Falle einer Realisierung des Militärgeländes nicht erreicht werden, so der BUND.[4]

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass ein Großteil der Menschen vor Ort gegen das geplante Militärgelände ist. Es wurde sogar eine Petition erstellt, die bereits mehr als 31.000 Personen unterschrieben haben (Petition hier[5]). Auch die umliegenden Gemeinden Tannheim, Brigachtal und Wolterdingen sprachen sich mehrheitlich dagegen aus.[6] In Tannheim wurden sogar große Protestplakate gegen den Standortübungsplatz aufgehängt.[7]

Kann das Projekt noch verhindert werden?

Im Rahmen einer am 6. Mai 2020 angelaufenen Machbarkeitsstudie des BMVg werden nun u.a. ein Lärmschutzgutachten, eine Umweltverträglichkeitsprüfung, ein Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz und eine artenschutzrechtliche Prüfung durchgeführt. Mit der Durchführung der Machbarkeitsstudie wurde das Staatliche Hochbauamt Freiburg beauftragt. Die Gutachten sollen Mitte 2022 vorliegen.[8] Erfahrungsgemäß sollte diesen Prüfungen jedoch nicht allzu viel Hoffnung auf ein Ende des Projekts geschenkt werden, da ähnliche Militärprojekte häufig trotz erheblicher Natur- und Lärmschutzbedenken durchgesetzt wurden – ein Beispiel hierfür ist das Gefechtsübungszentrum in der Colbitz-Letzlinger Heide. Vielmehr ist es wichtig, nicht nur juristisch alle Wege auszuschöpfen, sondern auch breiten politischen Druck aufzubauen.

Leider sind quasi keine direktdemokratischen Möglichkeiten vorgesehen, mit denen sich das Militärgelände verhindern lassen könnte. Ein Bürgerentscheid auf lokaler Ebene wäre für die Bundeswehr nicht bindend, da auf dieser Ebene nur über die Positionierung der Gemeinden gegenüber der Bundeswehr entschieden werden könnte. Die betroffenen Kommunen haben ein förmliches Anhörungsrecht, verfügen jedoch über keinerlei Entscheidungskompetenzen. Die letztendliche Entscheidung wird im BMVg (also auf Bundesebene) getroffen, wo Volksentscheide nicht möglich sind.

Das BMVg ist aber verpflichtet, darzulegen, dass der Bedarf für das Militärgelände wirklich vorhanden ist und andere Orte nicht infrage kommen, um diesen Bedarf zu decken. Dies könnte ein Hebel sein, das Militärgelände auf juristischem Wege zumindest deutlich zu verzögern bzw. in direkter Nachbarschaft der Nachsorgeklinik tatsächlich zu verhindern. Hier scheint das Militär zumindest Probleme zu haben, zu rechtfertigen, weshalb es unbedingt nötig sei, diesen neuen Standortübungsplatz gerade genau dort einzurichten und weshalb die Militärmanöver nicht in bereits bestehenden militärischen Sperrbereichen durchgeführt werden können. So befindet sich z.B. in 78 km Entfernung der große Truppenübungsplatz Heuberg bei Stetten a.k.M., auf dem die zwei Einheiten aus Donaueschingen ebenfalls trainieren könnten. Dem BMVg zufolge[9] seien die damit verbundenen zwei Stunden Fahrzeit wegen der „damit einhergehenden Umweltbelastung und verlorenen Ausbildungszeit“ und dem „damit verbundenen organisatorischen Aufwand“ nicht zumutbar. Deshalb sei diese Lösung verworfen worden. Das Argument der Umweltbelastung kann in diesem Zusammenhang getrost als vorgeschoben bezeichnet werden – immerhin stößt die Bundeswehr bei zahlreichen anderen Manövern ein Vielfaches der hier anfallenden Emissionen aus und nimmt auch deutlich längere Anfahrtswege in Kauf. Allgemein scheint eine Auseinandersetzung seitens des Militärs mit der eigenen Rolle in Klimafragen nicht gewollt.[10]

Gegenkonversion

Die bei Tannheim konkret anvisierte Inbesitznahme ziviler Flächen durch das Militär ist Teil einer allgemeinen Trendwende, die sich mit dem Begriff „Gegenkonversion“ beschreiben lässt (vgl. dazu: IMI-Studie 03/2018). Während nach dem Kalten Krieg einige militärische Sperrgebiete wieder eine zivile Nutzung (Konversion) erfuhren, lässt sich etwa seit 2014/15 feststellen, dass aufgegebene Flächen wieder vom Militär in Betrieb genommen, Konversionsprozesse abgebrochen und zivile Flächen vom Militär besetzt werden. Dies ist mit Blick auf die vergangenen Jahrzehnte eine neue Entwicklung, die als Teil der aktuellen Aufrüstungspolitik zu begreifen ist.

Gegenkonversion in Form einer Reaktivierung ehemaliger militärischer Einrichtungen passiert in den letzten Jahren flächendeckend in ganz Deutschland: So wurde beispielsweise die ursprünglich aufgegebene Carl-Schurz-Kaserne in Hardheim (Baden-Württemberg) wieder von der Bundeswehr erworben. Dort sind nun eine Stabs- und Führungsunterstützungskompanie des Kommando Spezialkräfte (KSK) sowie ein Panzerbataillon untergebracht.[11] Anfang 2019 wurde dann bekannt gegeben, dass acht Material- und Munitionslager in fünf Bundesländern reaktiviert werden sollen.[12] Im August 2019 ließ das BMVg verlauten, man werde elf weitere ursprünglich aufgegebene Kasernen und Flugplätze weiter nutzen.[13] Zudem sollen ehemalige Bundeswehr-Liegenschaften in Bitburg und Pirmasens nun künftig von der US-Armee genutzt werden, anstatt diese – wie ursprünglich geplant – einer zivilen Nutzung zuzuführen.[14]

Im Vergleich zur Reaktivierung ehemaliger Militärgelände stellt die Inbesitznahme neuer Flächen durch das Militär jedoch eine noch krassere Form der Gegenkonversion dar, die für die betroffenen Gemeinden mit noch heftigeren Einschnitten einhergehen. Die Schaffung neuer militärischer Flächen war bislang seit dem Kalten Krieg einmalig. Der einzige Fall ist Haiterbach,[15] wo ein Absprunggelände für das KSK entstehen soll – ebenfalls gegen den Widerstand der lokalen Bevölkerung. Mit Tannheim kommt nun – nicht weit entfernt – ein zweiter Fall hinzu. Diesem Trend zur Schaffung neuer Militärareale gilt es entschieden entgegenzutreten.

Die ursprünglich einmal als Friedenspartei angetretenen „Grünen“ spielen bei der Gegenkonversion in Baden-Württemberg eine unrühmliche Rolle. Nach Haiterbach ist das Gelände bei Tannheim bereits die zweite ursprünglich zivile Fläche, die unter dem grünen Ministerpräsidenten Kretschmann zum Militärgelände werden soll. Die Landesregierung unterstützt die Bundeswehr in beiden Fällen bei der Suche nach einem neuen Militärgelände[16] – auch indem sie versucht, den Protest in den betroffenen Gemeinden durch vermeintliche Beteiligung zu ersticken. Bei der sogenannten „Bürgerbeteiligung“ der Landesregierung handelt es sich jedoch bestenfalls um Informationsveranstaltungen. Eine Beteiligung der Bürger*innen an der Frage, ob und wenn ja wo das jeweilige Militärgelände realisiert werden soll, ist ausdrücklich nicht vorgesehen. In Haiterbach, wo der Prozess bereits seit Anfang 2017 läuft, lässt sich dies sehr eindrücklich beobachten.[17]

Anmerkungen

[1] Antwort der Bundesregierung auf die Schriftlichen Fragen 9/474 und 9/475 des Abgeordneten Tobias Pflüger vom 29.9. 2020.

[2] Schwarzwälder Bote: Keine Handhabe gegen Bundeswehr-Übungsplatz. 29.7. 2020.

[3] Schwarzwälder Bote: „Truppenübungsplatz ist der schiere Wahnsinn“. 24.7. 2020.

[4] Hieronymus Online: BUND Stellungnahme zum geplanten Standortübungsplatz im Weißwald. 14.10. 2020.

[5] Zu finden unter https://www.openpetition.de (Kein Übungsplatz der Bundeswehr in der Nähe der Nachsorgeklinik Tannheim!)

[6] Schwarzwälder Bote: Auch Wolterdingen gegen Truppenübungsplatz. 18.10. 2020.

[7] Südkurier: Bund legt umfangreiche Stellungnahme zum Truppenübungsplatz vor und lehnt Standort im Weißwald ab. 2.10. 2020.

[8] Antwort der Bundesregierung auf die Schriftlichen Fragen 9/474 und 9/475 des Abgeordneten Tobias Pflüger vom 29.9. 2020.

[9] Antwort der Bundesregierung auf die Schriftlichen Fragen 9/474 und 9/475 des Abgeordneten Tobias Pflüger vom 29.9. 2020.

[10] Vgl. IMI-Analyse 2020/34. Jacqueline Andres: Krieg und Klima.

[11] Mannheimer Morgen: Bundeswehr beginnt mit dem Aufbau. 30.9. 2017; Augen geradeaus: Bundeswehr stellt weiteres Panzerbataillon auf. 6.12. 2018.

[12] Pressemitteilung BMVg: Eine wachsende Bundeswehr braucht Platz. Rund 600 Dienstposten und geschätzte 200 Millionen Euro Investitionen für acht zusätzliche Munitions- und Materiallager. 15.1. 2019.

[13] Pressemitteilung BMVg: Wichtige Bundeswehrliegenschaften können erhalten bleiben. Die Bundeswehr wächst wieder und braucht Platz. Eine Reihe von Liegenschaften werden entgegen ursprünglicher Planungen nicht geschlossen. 1.8. 2019.

[14] Pfälzischer Merkur: US-Militär durchkreuzt Pirmasenser Pläne mit alten Panzerhallen. 23.8. 2020; Triescher Volksfreund: Verschlusssache Flugplatz: Was planen die Amerikaner in Bitburg? 8.1. 2020.

[15] IMI-Analyse 2017/38b. Alexander Kleiß: Scheinbeteiligung oder „Politik des Gehörtwerdens“? Das Kommando Spezialkräfte und die Suche nach einem neuen Absprunggelände.

[16] Ebd.; Land Baden-Württemberg: Land unterstützt Bundeswehr bei Suche nach Absprunggelände. 11.3.2017.

[17] IMI-Analyse 2017/38b. Alexander Kleiß: Scheinbeteiligung oder „Politik des Gehörtwerdens“? Das Kommando Spezialkräfte und die Suche nach einem neuen Absprunggelände.

Veröffentlicht am 23.10.2020 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)