Autor: Tobias Pflüger
Steigender Militärhaushalt trotz Pandemie
Die Bundeswehr versucht, auf mindestens zwei Arten von der Corona-Krise zu profitieren. Einmal ist da das Bestreben, sich Gelder aus dem Konjunkturpaket der Bundesregierung einzuverleiben – und auch darüber hinaus wird aktuell eine beachtliche Kreativität an den Tag gelegt, sich neue Finanzquellen zu erschließen, doch hierzu später mehr. Und zum anderen sind da die Versuche, die Einsatzbefugnisse im Inland auszuweiten und die Pandemie zur Imagepflege zu nutzen.
Pandemie und die Bundeswehr im Inland
Der im Zuge der Pandemie unternommene Vorstoß, die Bundeswehr mit exekutiven Befugnissen im Inland einsetzen zu können, wäre eine eindeutige Überschreitung der sogenannten Amtshilfe gewesen. Und es gab ja mehrere Anläufe, u.a. von Innenminister Thomas Strobl in Baden-Württemberg, diese Linie bewusst zu übertreten. Was in diesem Kontext noch einmal spannend ist, ist das berühmt-berüchtigte Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 3. Juli 2012, bei dem mit 15 zu 1 Stimmen ein Bundeswehreinsatz im Inneren ermöglicht wurde. In dem Urteil hieß es: „Es ist sicherzustellen, dass die Streitkräfte niemals als innenpolitisches Machtinstrument eingesetzt werden. Abgesehen von dem extremen Ausnahmefall des Staatsnotstandes, in dem nur zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer als letztes Mittel auch Kampfeinsätze der Streitkräfte im Inland zulässig sind (Art. 87a Abs. 4 GG), bleibt die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit allein Aufgabe der Polizei.“
Was wir gerade erleben ist, dass immer mehr an dieser Formulierung gesägt wird und es sich hier also durchaus auch um ein Austesten von Leuten wie Strobl und Co handelt, inwieweit sie hier eine Überschreitung hinbekommen. Gleichzeitig versucht die Bundeswehr die derzeitigen Pandemie-Einsätze zur Imagepflege zu nutzen. Gegen diese Versuche, aus der Corona-Krise Kapital zu schlagen, wendete sich Anfang März 2021 ein Kommentar im Tagesspiegel: „Zum einen tragen die Bilder von Uniformierten in Seniorenresidenzen oder Gesundheitsämtern zur Normalisierung des Einsatzes der Bundeswehr im zivilen Bereich im Inland bei und stärken das Militär auf längere Sicht als Institution. Schon jetzt argumentieren Sicherheitspolitiker:innen in Deutschland und Europa für höhere Militärausgaben mit Verweis auf die wichtige Rolle der europäischen Armeen in der Pandemiebekämpfung. […] Stattdessen sollten wir uns fragen, warum unsere Militärs anrücken müssen und unsere Krankenhäuser, Pflegeheime und Gesundheitsämter nicht genügend Personal und Schutzausrüstung haben, um die Pandemie effektiv zu bekämpfen und sich und andere zu schützen. […] Langfristig nützen militärische Ausgaben nie den Schwachen der Gesellschaft. In diesem Kontext sollten wir fordern, dass im Lockdown auch die Rüstungsindustrie (neben anderen nicht lebensnotwendigen Industriezweigen) stillsteht, um zur Kontakt- und Infektionsreduktion beizutragen. […] Wir dürfen nicht vergessen, dass auch die Pandemie in direktem Zusammenhang mit dem Klimawandel steht, der zentralen Herausforderung unserer Zeit. Gewehre bekämpfen weder den Klimawandel noch Pandemien. Vielleicht bietet der Einsatz des Militärs in deutschen und europäischen Pflegeheimen, Test- und Impfzentren die Gelegenheit, dies zu erkennen und einen neuen Weg einzuschlagen.“
Von einem „Lockdown der Rüstungsindustrie“ kann allerdings leider nicht die Rede sein – im Gegenteil. Vielmehr gelang es ihr und der Bundeswehr auch direkt finanziell von der Pandemie zu profitieren.
Bundeswehr und Konjunkturpaket
Interessant war, als das Corona-Konjunkturpaket vorgelegt wurde, dass sich darin auch ein Abschnitt fand, der konkret aussagte, es sollen in der Höhe eines Projektvolumens von 10 Mrd. Euro auch Rüstungsprojekte davon gefördert werden. Was das mit Corona zu tun hat und weshalb dies da drinsteht, ist, denke ich, offensichtlich: Die Situation soll genutzt werden. Wörtlich heißt es im Konjunkturpaket: „Der Bund wird in allen Bereichen prüfen, inwieweit geplante Aufträge und Investitionen jetzt vorgezogen werden können. Insbesondere sollen Digitalisierungsvorhaben in der Verwaltung, Sicherheitsprojekte sowie neue Rüstungsprojekte mit hohem deutschen Wertschöpfungsanteil, die noch in den Jahren 2020 und 2021 beginnen können, sofort umgesetzt werden. {Projektvolumen: 10 Mrd. Euro}“.
Übersetzt heißt das, man zieht insbesondere die Projekte vor, bei denen sich die entsprechenden Rüstungsfirmen innerhalb der Bundesrepublik befinden. In der „Europäischen Sicherheit & Technik“ hieß es dazu: „Nach einer Übersicht des Bundesfinanzministeriums sollen Projekte der Bundeswehr mit 3,2 Mrd. Euro aus dem Konjunktur- und Zukunftspaket der Bundesregierung finanziert werden. Das Paket hatte die Bundesregierung im Juni 2020 beschlossen, um die heimische Wirtschaft bei der Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie zu unterstützten. Mit einem Projektvolumen von 10 Mrd. Euro sollen in allen Bereichen geplante Aufträge und Investitionen vorgezogen werden, bei Rüstungsprojekten sollen solche ausgewählt werden, die einen hohen deutschen Wertschöpfungsanteil enthalten.“
Als es dann darum ging, welche Projekte nun sofort finanziert werden sollten, gab es eine 25-Millionen-Vorlage (Projekte, die diesen Betrag überschreiten, müssen vom Verteidigungs- und Haushaltsausschuss extra bewilligt werden). In dieser Vorlage ging es dann um die Neuanschaffung von Militär-LKWs, die nun plötzlich eine Corona-Maßnahme in Höhe von 800 Mio. Euro sind – also einem Viertel dieser 3,2 Mrd. Euro. Allein schon, dass diese LKWs darüber finanziert werden sollen, ist interessant, aber es wird noch besser: Als dann abgefragt wurde, was denn bereits finanziert worden sei, kam heraus, dass die größte bisherige Ausgabe mit 10,5 Mio. Euro im Rüstungsbereich die Anschaffung von Pistolen-Patronen war.
Neben den vorgezogenen Rüstungsprojekten finden sich im Corona-Paket zusätzlich auch noch 500 Mio. Euro für ein neues Cyberzentrum der Bundeswehr: „Die Fähigkeit zu souveränem Handeln im Cyber- und Informationsraum ist untrennbar mit digitaler Souveränität verbunden. Daher wollen wir ein Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr aufbauen, um die nationale Verfügbarkeit digitaler und technologischer Innovationen für öffentliche und private Bereiche zu verbessern und innovative und interdisziplinäre Forschung in einem sicheren Umfeld zu betreiben. (Finanzbedarf: 0,5 Mrd. Euro).“
Insgesamt ist meine politische Bewertung die, dass gerade so etwas wie eine Umschichtung innerhalb der Rüstungsprojekte der Bundeswehr stattfindet, bei der insbesondere kleinere Vorhaben vorgezogen werden. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte ja im November 2020 eine Grundsatzrede gehalten, in der eine Formulierung enthalten war, über die inzwischen viele Rätseln, nämlich dass sie nicht mehr bereit wäre, die Großprojekte in der bisherigen Form weiter zu finanzieren: „Das führt mich zu einem zentralen Punkt: Ich werde einer Finanzierung von Großprojekten zu Lasten der Grundausstattung und der Mittel des täglichen Betriebs nicht zustimmen. […] Neue Großprojekte, so attraktiv sie scheinen und so schön es wäre, die damit versprochenen Fähigkeiten zu haben, können nur dann realisiert werden, wenn dafür in der Finanzplanung zusätzliches Geld bereitgestellt wird – oder wenn andere Großprojekte dafür nicht realisiert werden.“
Der Hintergrund dieser Aussagen ist relativ einfach: Die Bundesregierung hat eine ganze Reihe 25-Mio-Vorlagen in den Verteidigungsausschuss eingebracht – insgesamt 30 Stück. Dazu gehören zum Beispiel: das Eurofighter-Kampfflugzeug (5,6 Mrd. Euro), die MKS-180-Fregatte (bzw. F-126: 2,8 Mrd.) oder auch das Transportflugzeug A400M (1,6 Mrd.). Das sind unglaubliche Summen, die in diesem Kontext durchgeschoben werden sollen – und es scheint der Versuch des Ministeriums zu sein, zusätzlich zu diesen Großprojekten sogenannte kleine Rüstungsprojekt nun über das Corona-Paket mitfinanziert zu bekommen.
Outsourcing von Rüstungsgroßprojekten?
Lautstark versucht das Verteidigungsministerium also zu signalisieren, dass zahlreiche der politisch gewollten Rüstungsgroßprojekte mit dem aktuellen und künftigen Haushalt nicht zu finanzieren seien. Anfang Februar 2021 ließ man etwa die geheime „Finanzbedarfsanalyse 2022“ an den Spiegel durchsickern, in der deutlich davor gewarnt wurde, mit den in Aussicht stehenden Geldern seien die NATO-Planziele nicht zu erfüllen. Die aus Sicht der Verteidigungsministeriums hierfür benötigten Summen beschrieb der Spiegel folgendermaßen: „Um aber den kompletten Bedarf bis 2026 zu decken, schreiben die Planer, müsste der Verteidigungshaushalt (…) im nächsten Jahr um 9 Milliarden Euro erhöht werden, 2024 um 15,9 Milliarden und zwei Jahre später sogar um 20,7 Milliarden. Völlig undenkbar, vor allem nachdem Corona die öffentlichen Haushalte verwüstet hat.“
Um die Finanzlage zu verbessern, werden aktuell vor allem zwei Optionen diskutiert: Einmal ist das die übliche Debatte um noch höhere Steigerungen des Militärhaushaltes (siehe unten). Hinzu kam in jüngster Zeit aber eine weitere Option, die „originelle“ Forderung, die besonders teuren europäischen Rüstungskooperationsprojekte – z.B. das geplante europäische Kampfflugzeug „Future Combat Air System“ (FCAS), den geplanten europäischen Kampfpanzer „Main Ground Combat System“ (MGCS) und Eurodrohne – aus dem Verteidigungshaushalt auszuklammern.
Dies deuteten Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn in ihrem „Positionspapier: Gedanken zur Bundeswehr der Zukunft“ vom 9. Februar 2021 an: „Umfassende Sicherheit gibt es nicht zum Spartarif. In diesem Zusammenhang weisen wir mit besonderem Nachdruck darauf hin, dass Verteidigung eine gesamtstaatliche Aufgabe ist, die sich nicht allein im Verteidigungshaushalt niederschlagen kann. Für die Finanzierung von politisch übergeordneten Großvorhaben, vor allem in der multinationalen Rüstungskooperation, steht die Bundesregierung gemeinschaftlich in der Verantwortung. Die staatliche Kernaufgabe Sicherheit muss breit getragen werden.“
Der Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl (CSU) konkretisierte dies dann in der folgenden Sitzung des Verteidigungsausschusses: er regte an, dass die milliardenschweren Rüstungsprojekte FCAS und MGCS über den Einzelplan 60 („Allgemeine Finanzverwaltung“) finanziert werden sollen. Sollte dies umgesetzt werden, entstünde mit dem Einzelplan 60 ein zweiter Schatten-Militärhaushalt, da ja auch geplant ist, dort z.B. auch die Ausgaben für den „Europäischen Verteidigungsfond“ (EVF) einzustellen.
Militärhaushalte auf Höhenflug
Insgesamt kann man davon ausgehen, dass das Konjunkturprogramm eine zusätzliche Finanzspritze für den Militärhaushalt darstellt. Und um hier einfach noch einmal den Zusammenhang herzustellen: Die Bundesregierung schlug für 2021 einen offiziellen Militärhaushalt von 45,6 Mrd. Euro vor (ohne NATO-Kriterien, die noch einmal höher liegen), plus 1,2 Mrd. Euro aus dem Corona-Paket (nach der letzten Bereinigungssitzung stieg der Gesamtbetrag sogar auf 46,93 Mrd. Euro). Dabei werden die Gelder aus dem Konjunkturpaket nicht etwa im Einzelplan 14 (Verteidigungshaushalt), sondern im Einzelplan 60 (Allgemeiner Haushalt) verbucht, also dort, wo sich in Zukunft auch der deutsche Anteil zum Europäischen Verteidigungsfonds finden lassen wird. Das sind gewaltige Steigerungen des Bundeswehrhaushaltes von offiziell 24,3 Mrd. Euro (2000) über 31,1 Mrd. Euro (2010) und 32,5 Mrd. (2014) bis hin zu den heutigen Summen.
Dazu muss man wissen, dass insgesamt nicht nur die Bundesrepublik, sondern natürlich auch andere NATO-Staaten enorm aufrüsten und diese Situation nutzen, dass die Ausgaben in diesem Bereich nicht etwa heruntergefahren, sondern sogar erhöht werden. So stiegen die Militärausgaben der NATO-Staaten von 1031 Mrd. Dollar (2019) weiter auf 1092 Mrd. Dollar (2020) an (2015 waren es noch 895 Mrd. Dollar). Parallel dazu gibt es bei der Europäischen Union einzelne Bereiche, in denen jetzt de facto so etwas wie EU-Militärhaushalte installiert werden. Dazu gehört die Militärische Mobilität mit ca. 1,7 Mrd. Euro, der Europäische Verteidigungsfonds mit etwa 8 Mrd. Euro, die militärischen Weltraumprogramme mit ungefähr 15 Mrd. Euro und die sog. EU-Friedensfazilität mit ca. 5 Mrd. Euro.
2%-Ziel – 10%-Ziel?
Politisch zusammengefasst geht es der Bundesregierung darum, die Corona-Pandemie zu nutzen, um die Militärausgaben noch weiter hochzufahren. Sie haben aber gerade ein spannendes Phänomen, von dem sie nicht so genau wissen, wie sie damit umgehen sollen: Bisher hieß es ja, sie müssten die NATO-Vorgabe einhalten, sich in Richtung eines Militärhaushaltes von 2% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zu bewegen. Dadurch, dass das Bruttoinlandsprodukt aktuell coronabedingt logischerweise nach unten geht, ist es plötzlich aber so, dass der Anteil der Militärausgaben am BIP jetzt im Jahr 2020 auf 1,57 % gestiegen ist, nachdem es 2019 noch 1,36% gewesen waren. Ursprünglich hat die Bundesregierung gegenüber der NATO zugesagt, dass diese 1,5% „erst“ 2024 erreicht werden, aber das tat sie in der Annahme, das Bruttoinlandsprodukt würde weiter steigen. Jetzt haben aber die Regierungsfraktionen erklärt, das würde sie nicht daran hindern, die Rüstungsausgaben dennoch weiter anzuheben.
Hierfür schlug das „Institut der deutschen Wirtschaft“ am 11. März 2021 vor, einen Militärhaushalt von 2% des BIP einfach deutlich früher als bislang anvisiert aufzustellen. Damit man auch weiß, um welche Summen es hier geht, rechnete das arbeitgebernahe Institut den fehlenden Betrag gleich aus: „Für die Jahre 2021 bis 2024 müssten insgesamt zusätzlich 86 Milliarden Euro eingeplant werden, um das NATO-Ziel in diesem Zeitraum durchgehend zu erreichen.“
Weil das aber dann womöglich doch ein wenig illusorisch sein dürfte, erklärte Annegret Kramp-Karrenbauer, das 2%-Ziel sei in Zukunft nicht mehr ihre Größe, sondern man wolle in Zukunft als Bundesrepublik Deutschland 10% der gesamten NATO-Fähigkeiten beisteuern: „Das Thema zwei Prozent ist zuerst einmal eine Chiffre, von der wir eben sehen, dass in einer Situation, in der das Bruttoinlandsprodukt zurückgeht, man eine höhere Prozentzahl erreichen kann, ohne dass es de facto mehr Geld für die Verteidigung gibt. […] Konkret: Für das Jahr 2030 zehn Prozent der Fähigkeiten in der Nato, was im Umkehrschluss bedeutet, dass wir auch von 90 Prozent Fähigkeiten profitieren, die andere zur Verfügung stellen.“
Pandemiegewinner: Bundeswehr und Rüstungsindustrie
Zusammengefasst soll Corona als Brandbeschleuniger für die Rüstungsausgaben genutzt werden. Sie können natürlich nicht erklären, was diese Pistolen oder diese LKWs, die nun aus dem Coronapaket finanziert werden, konkret mit der Pandemie zu tun haben, trotzdem werden sie nun darüber bezahlt – und das eben zusätzlich zu dem, was im Militärbereich ohnehin bereits finanziert wird. Die Bundeswehr und die Rüstungsindustrie als Pandemiegewinner, das ist besonders in einer Zeit, in der endlich mehr als offensichtlich geworden sein sollte, dass wir Gelder für ganz andere Dinge benötigen, ein Skandal!
Veröffentlichung am 12. März 2021 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)