Autorin: Kathy Kelly
„Freiheit für Daniel Hale!“
Diese Worte hingen an einem Samstagabend in der Luft, projiziert auf mehrere Gebäude in Washington, D.C., über dem Gesicht eines mutigen Whistleblowers, dem zehn Jahre Gefängnis drohen.
Die Künstler wollten die US-Öffentlichkeit über Daniel E. Hale informieren, einen ehemaligen Analysten der Air Force, der die Folgen des Drohnenkriegs an die Öffentlichkeit brachte. Hale wird am 27. Juli zur Urteilsverkündung vor Richter Liam O‘Grady erscheinen.
Die U.S. Air Force hatte Hale als Mitarbeiter der National Security Agency eingesetzt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt diente er auch in Afghanistan, auf der Bagram Air Force Base.
„In dieser Rolle als Signalanalytiker war Hale an der Identifizierung von Zielen für das US-Drohnenprogramm beteiligt“, schreibt Chip Gibbons, Policy Director von Defending Rights and Dissent, in einem längeren Artikel über Hales Fall. „Hale erzählte den Filmemachern des Dokumentarfilms National Bird aus dem Jahr 2016, dass ihn die ‚Ungewissheit, ob jemand, an dessen Tötung oder Gefangennahme ich beteiligt war, ein Zivilist war oder nicht‘ beunruhigte. ‚Es gibt keine Möglichkeit, das herauszufinden.'“
Der dreiunddreißigjährige Hale glaubte, dass die Öffentlichkeit keine entscheidenden Informationen über die Art und das Ausmaß der US-Drohnenmorde an Zivilisten erhält. In Ermangelung dieser Beweise konnte die US-Bevölkerung keine fundierten Entscheidungen treffen. Bewegt von seinem Gewissen, entschied er sich, ein Wahrheitsverkünder zu werden.
Die US-Regierung behandelt ihn als eine Bedrohung, einen Dieb, der Dokumente gestohlen hat, und einen Feind. Wenn die normalen Menschen mehr über ihn wüssten, würden sie ihn vielleicht als Helden betrachten.
Hale wurde unter dem Espionage Act angeklagt, weil er angeblich geheime Informationen an einen Reporter weitergegeben hat. Der Espionage Act ist ein antiquiertes Gesetz aus dem Ersten Weltkrieg, das 1917 verabschiedet wurde und für den Einsatz gegen Feinde der USA gedacht war, die der Spionage beschuldigt wurden. Die U.S.-Regierung hat es in jüngster Zeit wieder entstaubt, um es gegen Whistleblower einzusetzen.
Personen, die unter diesem Gesetz angeklagt werden, dürfen keine Fragen bezüglich Motivation oder Absicht aufwerfen. Es ist ihnen buchstäblich nicht erlaubt, die Grundlage für ihr Handeln zu erklären.
Ein Beobachter der Kämpfe von Whistleblowern mit den Gerichten war selbst ein Whistleblower. Angeklagt und verurteilt unter dem Espionage Act, verbrachte John Kiriakou zweieinhalb Jahre im Gefängnis, weil er Fehlverhalten der Regierung aufgedeckt hatte. Er sagt, dass die US-Regierung in diesen Fällen „Anklagepunkte stapelt“, um eine lange Gefängnisstrafe zu gewährleisten, und dass sie den Gerichtsort wechselt, um solche Fälle in den konservativsten Bezirken der Nation zu verhandeln.
Daniel Hale stand im Eastern District of Virginia vor Gericht, dem Sitz des Pentagon sowie Wohnort vieler CIA- und anderer Bundesagenten. Ihm drohten bis zu 50 Jahre Gefängnis, wenn er in allen Anklagepunkten für schuldig befunden würde.
Am 31. März bekannte sich Hale in einem Anklagepunkt der Aufbewahrung und Weitergabe von Informationen zur nationalen Verteidigung für schuldig. Ihm droht nun eine Höchststrafe von zehn Jahren Gefängnis.
Zu keinem Zeitpunkt war er in der Lage, vor einem Richter seinen Alarm über die falschen Behauptungen des Pentagons zu erheben, dass die gezielte Ermordung durch Drohnen präzise ist und die zivilen Todesfälle minimal sind.
Hale war mit den Details einer Sondereinsatzkampagne im Nordosten Afghanistans, der Operation Haymaker, vertraut. Er sah Beweise, dass zwischen Januar 2012 und Februar 2013, „U.S. Special Operations Luftangriffe mehr als 200 Menschen töteten. Von diesen waren nur 35 die beabsichtigten Ziele. Während einer fünfmonatigen Periode der Operation waren nach den Dokumenten fast 90 Prozent der Menschen, die in Luftangriffen getötet wurden, nicht die beabsichtigten Ziele.“
Wäre er vor Gericht gegangen, hätte ein Geschworenengericht vielleicht mehr Details über die Folgen von Drohnenangriffen erfahren. Bewaffnete Drohnen sind in der Regel mit Hellfire-Raketen ausgestattet, die für den Einsatz gegen Fahrzeuge und Gebäude konzipiert sind.
Living Under Drones, die bisher vollständigste Dokumentation über die menschlichen Auswirkungen von US-Drohnenangriffen, berichtet:
„Die unmittelbarste Folge von Drohnenangriffen ist natürlich der Tod und die Verletzung derjenigen, die das Ziel sind oder sich in der Nähe eines Angriffs befinden. Die von Drohnen abgefeuerten Raketen töten oder verletzen auf verschiedene Weise, unter anderem durch Verbrennung, Schrapnelle und die Freisetzung mächtiger Druckwellen, die innere Organe zerquetschen können. Diejenigen, die Drohnenangriffe überleben, erleiden oft entstellende Verbrennungen und Schrapnellwunden, Gliedmaßenamputationen sowie Seh- und Hörverlust.“
Eine neue Variante dieser Rakete kann etwa 100 Pfund Metall durch das Dach eines Fahrzeugs oder Gebäudes schleudern; die Raketen entfalten außerdem kurz vor dem Aufprall sechs lange, surrende Klingen, die dazu bestimmt sind, jede Person oder jedes Objekt in der Flugbahn der Rakete aufzuschlitzen.
Jeder Drohnenbediener oder -analytiker sollte wie Daniel Hale entsetzt sein über die Möglichkeit, Zivilisten mit solch grotesken Mitteln zu töten und zu verstümmeln. Aber Daniel Hales Tortur könnte dazu dienen, eine abschreckende Botschaft an andere Analysten der US-Regierung und des Militärs zu senden: Halten Sie den Mund!
Nick Mottern von der Kampagne „Ban Killer Drones“ begleitete Künstler, die das Bild von Hale an verschiedene Wände in Washington D.C. projizierten. Nicht eine einzige Person, mit der er sprach, hatte etwas gewusst. Auch wusste niemand etwas über die Drohnenkriegsführung.
Hale ist jetzt im Alexandria (VA) Adult Detention Center inhaftiert und wartet auf sein Urteil.
Unterstützer fordern die Menschen auf, „sich mit Daniel Hale zu solidarisieren“. Eine Solidaritätsaktion besteht darin, Richter O‘Grady zu schreiben, um seine Dankbarkeit dafür auszudrücken, dass Hale die Wahrheit über den US-Einsatz von Drohnen zum Töten unschuldiger Menschen gesagt hat.
In einer Zeit, in der der Verkauf und Einsatz von Drohnen weltweit zunimmt und immer grausamere Schäden verursacht, fährt Präsident Joe Biden fort, Killerdrohnenangriffe auf der ganzen Welt durchzuführen, wenn auch mit einigen neuen Einschränkungen.
Hales Ehrlichkeit, sein Mut und seine beispielhafte Bereitschaft, im Einklang mit seinem Gewissen zu handeln, werden dringend benötigt. Stattdessen hat die US-Regierung ihr Bestes getan, um ihn zum Schweigen zu bringen.
Quelle: antikrieg.com, 7. Juli 2021