Übersetzung der Dokumentation “The Power of Nightmares – The Rise of Politics of Fear, Episode II: The Phantom Victory“
Die Macht der Albträume – Der Aufstieg der Politik der Furcht, Episode II: Der Fantomsieg
Erstausstrahlung auf BBC 2, am 27.10.2004, 21 Uhr
Geschrieben und produziert von Adam Curtis
Transkript englisch: vaara
deutsche Übersetzung: Mahaf (Radio Utopie)
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Sprecher: In der Vergangenheit versprachen Politiker, eine bessere Welt zu erschaffen. Sie bedienten sich diverser Methoden um dies zu erreichen. Aber ihre Macht und Autorität resultierten aus den optimistischen Visionen, die sie ihrem Volk darboten. Jene Träume scheiterten jedoch. Und heute hat die Bevölkerung den Glauben an Ideologien verloren. Zunehmend werden Politiker nur noch als Organisatoren des öffentlichen Lebens angesehen. Doch nun haben sie eine neue Rolle entdeckt, die ihre Macht und Autorität wieder herstellt. Anstelle des Lieferns von Träumen versprechen sie nunmehr, uns zu beschützen – vor Albträumen. Sie sagen, dass sie uns vor entsetzlichen Gefahren retten werden, die wir weder erkennen noch verstehen könnten. Und die allergrößte Gefahr von allen sei der internationale Terrorismus. Ein machtvolles und finsteres Netzwerk, mit Schläferzellen, die sich über die gesamte Welt erstrecken. Eine Bedrohung, die durch einen Krieg über Terror (”war on terror”) bekämpft werden müsse. Aber viel von dieser Bedrohung ist eine Fantasie, welche von Politikern übertrieben und verzerrt dargestellt worden ist. Es ist eine düstere Illusion, die, ohne hinterfragt zu werden, sich durch Regierungen, Sicherheitsdienste und die internationalen Medien verbreitete.
Hier ist also eine Reihe von Filmen, die darüber Aufschluss geben sollen, wie und warum diese Fantasie erzeugt wurde und wem sie nützt. Im Kern der Geschichte geht es um zwei Gruppen: Die amerikanischen Neokonservativen und die radikalen Islamisten. In der Episode dieser Woche tun sich die beiden Gruppen zusammen um gegen die Sowjetunion in Afghanistan zu kämpfen. Und beide glauben, dass sie das böse Reich besiegen und so die Macht hätten, die Welt zu verändern.
Untertitel über Szene: „Wir kämpfen für einen islamischen Staat, wir werden dafür sterben“
Aber beide scheitern in ihren Revolutionen. Als Erwiderung darauf, erfinden die Neokonservativen einen neuen Fantasie-Feind, Bill Clinton, um zu versuchen ihre Macht wieder zu erlangen; währenddessen fallen die Islamisten in einen verzweifelten Strudel von Gewalt und Terror („Schrecken“), um zu versuchen die Menschen davon zu überzeugen, ihnen zu folgen. Aus all dem entsteht die Saat einer seltsamen Welt von Fantasie, Betrug, Gewalt und Angst, in der wir heute leben.
[Eröffnung des Titels: Die Macht der Albträume – Der Aufstieg der Politik der Furcht – Zweiter Teil : Der Fantomsieg]
Afghanischer Junge (hält ein Gewehr und macht Gewehrgeräusche: Ka-tschu! Daga daga daga! Pam pam pam! (etc.)
Sprecher: 1982 widmete Ronald Reagan das Space Shuttle Columbia den Widerstandskämpfern in Afghanistan.
Präsident Ronald Reagan: „Wir denken, dass ebenso, wie die Columbia das höchste Streben der Menschheit auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technologie repräsentiert, so auch der Kampf des afghanischen Volkes für das höchste Streben der Menschheit nach Freiheit steht. Ich widme hiermit im Namen des amerikanischen Volkes den Start der Columbia an diesem 22. März dem Volk von Afghanistan.“
Sprecher: Seit 1979 hatte der Widerstand der Mujaheddin einen brutalen Krieg gegen die sowjetische Invasion in Afghanistan geführt. Aber nun erblickte eine kleine Gruppe im Weissen Haus Reagans in diesen Kämpfern einen Weg, ihre Vision von der Transformation der Welt zu erreichen. Für sie waren diese nicht einfach nur Nationalisten; sie waren Freiheitskämpfer, die die Sowjetunion niederringen und helfen konnten, die Demokratie auf der ganzen Welt zu verbreiten. Dies wurde die „Reagan-Doktrin“ genannt.
Jack Wheeler, 1981-1984 Berater in Reagans Weißem Haus: „Es war eine kleine Gruppe von Leuten und – ja, die hatten wir. Jeder denkt „oh, die Reagan-Doktrin, die Reagan Administration“, dass jeder dafür war. Nein. Es war eine kleine Ränkeschmiede im Sowjet…innerhalb Reagans Weißem Haus, die das wirklich durchzog.
Was diese kleine Gruppe von uns einte, war die Vision, der Welt mehr Freiheit, mehr Sicherheit zu bringen; eigentlich die Sowjetunion selber los zu werden. Im Ergebnis wurde die Unterstützung der Freiheitskämpfer das Hauptanliegen der gesamten konservativen Bewegung während der Reagan-Jahre.“
Sprecher: Aber die Amerikaner machten sich daran, einen mythologischen Feind zu besiegen. Wie die Episode in der letzten Woche aufzeigte, hatten die Neokonservativen, welche nun in Reagans Weissem Haus an der Macht waren, eine übertriebene und verzerrte Sicht der Sowjetunion als die Quelle allen Übels auf der Welt kreiert. Einer ihrer Haupteinflüsse waren die Theorien des Philosophen Leo Strauss. Er glaubte, dass freiheitliche Gesellschaften einfache, machtvolle Mythen bräuchten, um das Volk zu begeistern und zu einigen. Und während der 1970er Jahre hatten die Neokonservativen genau dies getan. Paul Wolfowitz, Richard Perle und andere Neokonservative hatten sich daran gemacht, den Mythos Amerikas als einem einzigartigen Land wieder geltend zu machen, dessen Bestimmung darin lag, gegen das Böse auf der ganzen Welt zu kämpfen. Nunmehr an der Macht, fingen sie an diesen Mythos zu glauben. Sie sahen sich selbst als Revolutionäre, die die Welt verändern würden; beginnend mit der Niederschlagung des Reiches des Bösen.
Richard Perle: 1981-1987 stellvertretender Verteidigungsminister: „Wir sind eher Revolutionäre als Konservative in dem Sinne, dass wir einige tief verwurzelte Vorstellungen bezüglich einer angemessenen Rolle Amerikanischer Macht in der Welt ändern wollen. Wir wollen diese Macht konstruktiv genutzt sehen und um die Gelegenheit einer anständigen Regierungsform rund um die Welt zu vergrößern. Wir sind nicht glücklich über die alten, gemütlichen Beziehungen zu Diktatoren.“
Sprecher: Und der Mann der daranging, den Neokonservativen dabei zu helfen dies zu tun, war der neue Chef der CIA, William Casey. Er war überzeugt, dass Afghanistan einer der Schlüssel für diese aggressive neue Politik war. Amerika sendete bereits begrenzte Hilfsbeiträge an die Mujaheddin. Aber jetzt befahl Casey einem seiner Agenten, dorthin zu gehen und eine Allianz mit den Freiheitskämpfern zu bilden und ihnen so viel Geld und hoch entwickelte Waffen zu geben wie sie wollten, um die sowjetischen Militärkräfte zu schlagen.
Milton Bearden, 1985-89 CIA-Stabsoffizier, Afghanistan: „Für Casey schien Afghanistan möglicherweise einer der Schlüssel zu sein. Also drang er eines Tages darauf, dass ich gehe. Er sagt:“Ich will, dass Du nach Afghanistan gehst. Ich will, dass Du nächsten Monat gehst und ich werde Dir geben, was immer Du brauchst, um zu gewinnen.“ Yeah. Er sagte: „Ich will, dass Du dorthin gehst und gewinnst.“ Im Gegensatz zu „Lasst uns dahin gehen und diese Typen bluten lassen,“ mit Blick auf Vietnam, „Ich will, dass Du dahin gehst und gewinnst. Was immer Du brauchst, kannst Du haben.“ Er gab mir die Stinger-Raketen und eine Milliarde Dollar.“
[Untertitel der afghanischen Kriegsszenerie: Gott ist groß!]
Sprecher: Nun begannen amerikanisches Geld und Waffen über die pakistanische Grenze nach Afghanistan zu fließen. CIA-Agenten trainierten die Mujaheddin in Attentats-Techniken und Terror, eingeschlossen Autobomben. Und sie gaben ihnen Satellitenbilder russischer Truppen um bei ihren Angriffen zu helfen.
[Untertitel der afghanischen Kriegsszenerie: Beweg‘ deinen Lahmarsch und schieß‘ die verdammte Rakete ab!]
Sprecher: Genau zur gleichen Zeit begann eine andere Gruppe in Afghanistan einzutreffen um an der Seite der Mujaheddin zu kämpfen. Es waren Araber aus dem gesamten mittleren Osten, denen ihre religiösen Führer gesagt hatten, dass es ihre Pflicht sei los zu ziehen und moslemische Länder von den sowjetischen Invasoren zu befreien.
Abdullah Anas, 1984-1989 Generalkommandeur Afghanischen Araber, Nord Afghanistan: „Ich sah die Fatwa, den Befehl, der besagt, dass jeder Moslem die Pflicht hat, den Afghanen bei der Befreiung ihres Landes zu helfen. Aber ich hatte keine Ahnung, wo ist dieses Afghanistan? Wie komme ich da hin? Ich habe noch nie von Afghanistan gehört und ich habe es noch nie auf der Landkarte gefunden. Welche Fluglinie fliegt dorthin? Woher bekomme ich das Visum? Also – 100 Fragen! Aber dann traf ich Abdullah Azzam.“
Sprecher: Abdullah Azzam war ein charismatischer religiöser Führer, der begonnen hatte die arabischen Freiwilligen in Afghanistan zu organisieren. Er hatte in Peshawar an der afghanischen Grenze etwas aufgebaut, was er „Büro für Dienstleistungen“ nannte. Es wurde das Hauptquartier einer internationalen Brigade arabischer Kämpfer. Azzam wurde schnell eine der machtvollsten Persönlichkeiten in der Schlacht gegen die Sowjets. Es wurde ihm bei vielen Gelegenheiten erlaubt, Amerika zu besuchen, sowohl um Mittel aufzutreiben, als auch Freiwillige für den Jihad zu rekrutieren.
Dr. Azzam Tamimi, Institut für islamische politische Theorie: „Als Abdullah Azzam so förderlich für die afghanische Sache bei den Arabern wurde, wurde er sehr wichtig. Er wurde der „Emir der arabischen Mujaheddin“ genannt. Der Führer der arabischen Mujaheddin. Und er baute in Peshawar ein Büro auf, welches Arabern, die gekommen waren um am Jihad teilzunehmen, Dienstleistungen anbot. Es gab keine verschlossenen Türen, denn alle Türen waren geöffnet, weil die Amerikaner, die Saudis, die Pakistaner und viele andere Leute wollten, dass die Sowjetunion in Afghanistan verliert und gedemütigt wird. Dies führte zahlreiche Araber mit verschiedenen Hintergründen herbei in den Jihad in Afghanistan. Er ging nach Amerika, er ging nach Saudi Arabien; er reiste, wohin immer er wollte, weil die Afghanische Sache eine Sache war, die jeder gern unterstützte.“
Sprecher: Aber wie die Neokonservativen sah auch Azzam den Kampf gegen die Sowjets als nur einen ersten Schritt in einer viel umfassenderen Revolution. Er war Mitglied der „Muslim-Bruderschaft“, die wollte, dass der Islam eine politische Rolle in der Regentschaft über moslemische Gesellschaften spielte. Und Abdullah Azzam glaubte, dass die Araber in Afghanistan der Zellkern einer neuen politischen Macht sein könnten. Sie würden in ihre Länder zurückkehren und die Völker dazu überreden, die korrupten, autokratischen Regimes abzulehnen, die den mittleren Osten dominierten.
Aber diese Regimes, darauf beharrte Azzam, mußten mit politischen Mitteln gestürzt werden. Er ließ jeden Kämpfer versprechen, dass sie keinen Terrorismus gegen Zivilisten zur Verfolgung ihrer Vision einsetzen würden. Einer von Azzams engsten Gehilfen war ein Saudi, Osama bin Laden.
Anas: „Osama kam ‘85 um teilzunehmen. Als er war…als er kam, wie sie wissen, er ist, er kam aus einer reichen Saudi-Familie, und er hatte viel, viel Geld zum Ausgeben. Scheich Abdullah Azzam war ein Gelehrter, er kann die Afghanen organisieren, aber er ist kein reicher Mann. Als also Osama kam, füllte er diese Lücke aus. Deshalb war es zu dieser Zeit die Hauptaufgabe von Osama, Geld auszugeben. Neben seinen guten persönlichen Qualitäten.“
Sprecher: Aber dann, 1985, begann eine neue Macht in Afghanistan einzutreffen, die sich anschickte, Azzams Herangehensweise herauszufordern. Sie waren die extrem radikalen Islamisten, die der Gefängnisse aus der arabischen Welt verwiesen worden waren.
Bearden: „Und dann, ganz im Stillen, begannen die meisten Regierungen des Mittleren Ostens, die arabischen Regierungen, ihre Gefängnisse von ihren miesen Typen zu leeren und sie in der innigsten Hoffnung zum Jihad zu schicken, dass sie dort ihr Martyrium finden würden. Viele von ihnen waren..waren diejenigen Leute aus Ägypten, die nach dem Mord an Sadat nicht hingerichtet worden waren, aber darin verwickelt waren und deswegen im Gefängnis saßen. Ab mit ihnen.“
Sprecher: Einer der mächtigsten dieser Neuankömmlinge („newcomer“) war Ayman Zawahiri. Er war der Führer einer radikalen Fraktion aus Ägypten namens „Islamischer Jihad“. Und er war überzeugt, dass sie – und nicht die Moderaten – die wahren Islamisten waren.
Ayman Zawahiri, im Käfig: „Hier sind wir! Hier sind wir! Die wahre islamische Front! Hier sind wir! Die wahre islamische Front und die wahre islamische Opposition gegen die Zionisten. Hier sind wir! Die wahre islamische Front gegen Zionismus, Kommunismus und Imperialismus.“
Sprecher: Ayman Zawahiri war ein Anhänger des ägyptischen Revolutionärs Sayyed Qutb, der 1966 hingerichtet wurde. Wie die Sendung letzte Woche aufzeigte, glaubte Qutb, dass die liberalen Ideen der westlichen Gesellschaften die Gemüter der Moslems verdürben, weil sie die selbstsüchtigsten Aspekte der menschlichen Natur freisetzten. Zawahiri interpretierte Qutbs Theorien so, dass dies bedeutete, dass diese Verderbnis im westlichen System der Demokratie enthalten sei. Demokratie, so glaubte Zawahiri, ermutigte Politiker, sich selbst zur Quelle aller Autorität aufzuschwingen und dadurch die höhere Autorität des Korans abzulehnen. Dies bedeutete, dass sie nicht länger wahre Moslems wären und deshalb, so wie diejenigen welche sie unterstützten, berechtigterweise getötet werden könnten. Der Schrecken („terror“), den dies verursachte – so sagte er- würde die Massen dahingehend schockieren, dass sie die Wahrheit hinter der korrupten Fassade der Demokratie erblicken würden.
Anas: „Als die Ägypter, die Jihadisten-Gruppe, aus Ägypten kamen mit ihrer eigenen Erklärung, mit ihren eigenen Ideen, dass jedweder, der an irgendeinem Parlament teilnahm, oder irgendeiner politischen Partei, oder zur Wahl ging, oder Leute zur Wahl aufrief oder eine Art dieser Betätigungen, den Koran total ablehnt. Also wenn Sie das sagen, bedeutet das, wenn ein Moslem den Koran ablehnt, muß er einfach getötet werden. Und sollte getötet werden bedeutet muß getötet werden! Und das ist es, was geschah.“
Sprecher: Zawahiri und seine kleine Gruppe siedelten in Peshawar. Sie begannen damit, diese neue Idee unter den fremden Kämpfern zu verbreiten und radikalisierten die islamische Bewegung. Dies war nicht nur eine direkte Herausforderung für die gemäßigten Ideen des Abdullah Azzam, sondern dies beinhaltete auch eine militante Ablehnung allen amerikanischen Einflusses auf den Jihad, weil Amerika die Quelle dieser Korruption war.
Bearden: „Das einzige Mal, dass ich jemals in echte Schwierigkeiten in Afghanistan geriet, war als ich unter diese Typen geriet. Wissen Sie, es gab so ein oder zwei Momente, wo es ein bisschen so aussah, wie in der Star Wars Bar-Szene, jede Gruppe rangelt so herum und schließlich muß jemand die Situation entschärfen.“
[Titel: Moskau 1987]
Nachrichtensprecher (russisch sprechend, untertitelt): Die Anzeigeleuchten sind nicht an. Bitte stellen sie sie ein. (Pause) Sowjet-Präsident Mikhail Gorbachov hat eine Anordnung erlassen…..
Sprecher: Damals, 1987, beschloss der neue sowjetische Führer Mikhail Gorbatschow, dass er die russischen Truppen aus Afghanistan abziehen werde. Gorbatschow war überzeugt, dass das ganze Sowjetsystem kurz vor dem Zusammenbruch stand. Er war entschlossen zu versuchen, es durch politische Reformen zu sichern und dies bedeutete, die Politik seiner Vorgänger umzukehren, einschliesslich der Besetzung Afghanistans.
Mikhail Gorbatschow, Generalsekretär, Sowjetische Kommunistische Partei (spricht in Russisch, via Dolmetscher): „Der Staat der Sowjetunion und seine Gesellschaft konnte sehr einfach mit einem Satz beschrieben werden, der von Leuten im ganzen Land benutzt wurde: „Wir können nicht länger so weiterleben wie bisher.“ Und das bezog sich auf alles. Die Wirtschaft stagnierte. Es gab Mängel. Und die Qualität von Waren war sehr schlecht.
Wir mussten diesen Krieg beenden, aber auf eine solche Art, dass das Russische Volk verstehen würde, warum Zehntausende gestorben waren. Nein, wir konnten von dort nicht einfach verschämt fortrennen. Wir benötigten eine Prozessfindung.
Sprecher: Gorbatschow bat die Amerikaner, ihm dabei zu helfen, einen Frieden auszuhandeln, der eine dauerhafte Regierung in Afghanistan schaffen würde. Aber die Hardliner in Washington lehnten rundheraus ab. Sie würden fortfahren, den Mujaheddin zu helfen bis die letzten Russen gegangen waren, ohne jegliche Verhandlung. Die Zukunft Afghanistans würde dann von den „Freiheitskämpfern“ entschieden werden, sagten sie.
Vladimir Pozner, sowjetischer Sprecher in den Vereinigten Staaten 1987: „Ich denke, dass im Wesentlichen wir die Vereinigten Staaten darum gebeten haben, uns heraus zu helfen, falls Sie wirklich daran interessiert sind, das Blutvergiessen zu beenden.“
Moderator: „Aber können Sie herausgehen und eine Regierung in Afghanistan zurücklassen, die ein Freund der Sowjetunion ist und diesen unterstützt?“
Pozner: „Ich glaube, dass wir herausgehen können, vorausgesetzt dass es keine Hilfe mehr gibt für das, was die Leute hier Freiheitskämpfer nennen und wir jedoch Konterrevolutionäre. Ich glaube, dass das möglich ist, vorausgesetzt die Vereinigten Staaten sind daran gleichsam interessiert.“
Richard Perle, stellvertretender Verteidigungsminister 1981-1987: „Gut, es ist nicht sehr kompliziert. Sie kamen an binnen Tagesfrist, Heiligabend 1979; sie könnten Heiligabend zu Hause sein, wenn sie sich entschlössen, Afghanistan zu verlassen und die Afghanen ihre eigene Zukunft bestimmen zu lassen. Wenn sie gehen, löst sich das Problem der Unterstützung der Mujaheddin von selbst.“
Sprecher: Gorbatschow war von der Unnachgiebigkeit der U.S. Administration geschockt. Durch den KGB sandte er eine private Botschaft, in der er die Amerikaner warnte, dass wenn sie den Mujaheddin erlauben würden Afghanistan zu kontrollieren, dies keine Demokratie erzeugen würde. Stattdessen, so sagte er voraus, würden die extremsten Formen des Islamismus aufstreben und triumphieren. Aber Gorbatschows Warnung wurde ignoriert. Während sowjetische Truppen Afghanistan verließen, gelangten sowohl die Amerikaner als auch die Islamisten zu dem Glauben, dass sie nicht nur die Schlacht um Afghanistan gewonnen, sondern ebenso den Niedergang des Reichs des Bösen eingeleitet hatten.
Bearden: „Ich sah uns als Gewinner, weil ich ein Teil dessen war; ich bin sicher, die afghanischen Araber sahen sich als Gewinner, und dann, den ganzen Sommer lang, begannen sich die Ostdeutschen zu versammeln – mal hier Hundert, dort Tausend, Zehntausende – bis zum 9. November, als die Mauer fiel. Und das war‘s. Die Zeit für die Sowjetunion läuft ab. Und es war vorbei. Damit war die Sowjetunion geknackt und gebrochen. Und es war vollbracht.“
Sprecher: Für die Neokonservativen war der Zusammenbruch der Sowjetunion ein Triumph. Und aus diesem Triumph heraus entwickelte sich der zentrale Mythos, der sie heute noch inspiriert: daß sie durch den aggressiven Gebrauch amerikanischer Macht die Welt verändern und die Demokratie verbreiten konnten. Aber in Wirklichkeit war ihr Sieg eine Illusion. Sie hatten einen Fantomfeind besiegt, eine übertriebene und verzerrte Fantasie, die sie in ihren eigenen Köpfen erschaffen hatten. Der wirkliche Grund warum die Sowjetunion zusammenbrach, war, weil diese ein heruntergekommenes System war, das von innen zerfiel.
Melvin Goodman, 1976-87 Amtsleiter für Sowjetangelegenheiten der CIA: „Ich denke, möglicherweise einer der größten Mythen in Amerika im derzeitigen, aktuellen politischen Diskurs ist, dass Aktionen der amerikanischen Regierung für den Zusammenbruch der Sowjetunion verantwortlich sind. Die Sowjetunion brach wie ein Kartenhaus zusammen, weil sie ein Kartenhaus war. Sie verrottete von innen. Die Wirtschaft war verrottet, der politische Prozeß war verrottet, sie hatten eine Zentralregierung entwickelt, an welche die Menschen außerhalb Moskaus nicht glaubten, durch das gesamte sowjetische Regierungssystem zog sich ein totaler Zynismus, es gab keine wirkliche Zivilgesellschaft. Aber die Reagan-Administration und ihre – die Günstlinge der Reagan-Administration – werden Ihnen erzählen, dass genau Afghanistan zum Zusammenbruch der Sowjetunion führte – der Fall der Berliner Mauer 1989, der Zusammenbruch des Osteuropäischen Imperiums. Wir sagten, dass dies vollkommen abstrus ist und dass die Vereinigten Staaten all dies verpassten, weil sie an ihre eigenen Mythen und Fantastereien glaubten. Sie wurden zu Opfern ihrer eigenen Lügen.“
Sprecher: Und ebenso war für die Islamisten ein großer Mythos aus dem Kampf in Afghanistan geboren – dass sie diejenigen waren, die die Sowjetunion besiegt hatten.
[Untertitel bei Mujaheddinversammlung: Gott ist groß! Tod für Gorbatschow! Lang lebe Afghanistan!]
Sprecher: Die Islamisten glaubten, dass dieser große Sieg eine Revolution beginnen würde, der durch die arabische Welt fegen und die korrupten Führer stürzen werde. Aber wie auch bei den Neokonservativen war dieser Traum auf einer Illusion erbaut.
Gilles Kepel, Historiker der islamistischen Bewegung: „Die Islamisten waren überzeugt, dass sie das Schlüsselinstrument beim Niedergang der Sowjetarmee in Afghanistan waren. Sie wollten sich bloß nicht gerne daran erinnern, dass sie ohne Hilfe und Training des U.S. Militärs nichts hätten tun können. Und außerdem waren die Afghanen diejenigen, die die Sowjets verdrängten, nicht die arabischen Jihadis, die nicht wirklich kämpften, sie wurden nur trainiert, sie waren nicht die Kämpfer. Aber der Mythos will es so, dass sie diejenigen waren, die gewannen.
Ich meine, es war ein Jihad, der triumphiert hatte. Dies war etwas sehr Machtvolles, was eine mobilisierende Antriebskraft für Islamisten weltweit darstellte.“
Sprecher: Aber es gab ein tiefes Zerwürfnis innerhalb der islamistischen Kämpfer aus Peshawar – zwischen den gemäßigten, angeführt von Abdullah Azzam, die glaubten, dass diese Revolution auf politischem Wege Erfüllung finden könne und den Extremisten wie Ayman Zawahiri, der eine gewaltsame Revolution als einzigen Weg ansahen. Und Zawahiri begann nun, seinen Einfluss auf die Bewegung auszudehnen und Abdullah Azzam zu untergraben. Um dies zu bewerkstelligen, leitete er Osama bin Laden und dessen Geld weg von Azzam. Er versprach Bin Laden, dass er der Emir, der Führer von Zawahiris kleiner, extremistischer Gruppierung „Islamischer Jihad“ werden könne.
Anas: „Ayman Zawahiri und eine andere Gruppe Ägypter lehnten es ab, hinter Abdullah Azzam in Peshawar zu beten. Sie pflegten Aufruhr in Peshawar gegen Abdullah Azzam anzuzetteln. Deshalb wurden wir wütend auf Osama, weil er…weil er diese Leute an sich band. Sie akzeptierten ihn als Emir und er akzeptierte sie als Gruppe. Schlussendlich weiß ich nicht, wer wen benutzte.“
Interviewer: „Was denken Sie?“
Anas: „Ich denke, dass die anderen ihn benutzten.“
Interviewer: „Weil er das Geld hatte.“
Anas: „Ja.“
Sprecher: Dann, Ende 1989, wurde Abdullah Azzam durch eine gewaltige Autobombe in Peshawar getötet. Es ist noch immer unbekannt, wer das Attentat durchführte. Aber trotz seines Todes schien es so, als ob Azzams Vision einer politischen Revolution hätte obsiegen können. In den frühen 90ern erhielten islamistische Parteien in der gesamten arabischen Welt massenhaften Zulauf.
[Untertitel bei politischer Großkundgebung: Islamischer Staat!]
Sprecher: In Algerien errang die „Islamische Heilsfront“ auf lokaler Ebene überwältigende Siege und es sah fast so aus, als würde sie die nächste Landeswahl gewinnen. Gleichzeitig erhielt die „Muslim-Bruderschaft“ in Ägypten zunehmend die Unterstützung der Massen und eine zunehmende Anzahl an Sitzen im Parlament. Beide Parteien strebten, getragen von einer idealistischen Vision, zur Macht. Sie würden den Islam in politischer Weise nutzen, um ein neues Gesellschaftsmodell mit friedlichen Mitteln zu erschaffen.
Saif al Banna, führendes Mitglied der ägyptischen „Muslim-Bruderschaft“, (in Arabisch mit Untertiteln): „Wir können Leute durch Erziehung und religiöse Überzeugung verändern. Wir wollen eine populäre Basis schaffen. Dies ist der richtige Weg. Wir wollen keinen Militärputsch, wir wollen keine Gewalt, wir wollen unsere Rechte. Wenn das Volk an uns glaubt, muß die Regierung den Wünschen des Volkes nachgeben.“
Sprecher: Aber sowohl die Regierungen von Ägypten als auch von Algerien sahen sich in einer schrecklichen Klemme: Im Kern der islamistischen Vision steckte die Idee, dass der Koran als politisches Rahmenwerk für die Gesellschaft benutzt werden sollte. Eine absolutistische Auflistung von Gesetzen, denen fernab jeder Debatte alle Politiker hätten folgen müssen. Die Schlussfolgerung daraus war, dass politische Parteien irrelevant gewesen wären, weil es eine Nichtübereinstimmung (mit dem Koran, Anm.d.Übers.) nicht hätte geben dürfen. Die Leute waren dabei, Parteien zu wählen, die diese Macht dazu hätten nutzen können, die Demokratie zu beenden.
Ali Haroun, algerischer Minister für Menschenrechte (1991-1992) (französisch sprechend, mit Untertiteln): „Aber was für ein Dilemma! Finden sie eine Möglichkeit, das Wahlprozedere zu stoppen und den zweiten Durchgang zu revidieren? Oder überlassen Sie die Macht einer Partei, die den Anspruch erhebt: Ein Mann, eine Stimme, aber nur einmal! Danach werden wir keinerlei Wahlen mehr wie diese haben, weil Demokratie unreligiös ist. Sind wir erstmal an der Macht, werden wir dort für immer sein, denn nur wir sind die Bewahrer religiöser Wahrheit und allein wir wenden den Koran an.“
Sprecher: Angesichts dieses Dilemmas entschloss sich die Armee einzuschreiten und im Juni 1991 führte sie einen Staatsstreich durch und erklärte die Wahlen sofort für ungültig. Massenproteste wurden gewaltsam unterdrückt und deren Anführer festgenommen. Gleichzeitig griff auch die Regierung in Ägypten scharf durch. Sie inhaftierte Hunderte von Mitgliedern der „Muslim-Bruderschaft“ und verbot der Organisation jegliche politische Aktivität.
Essam el Erian, Altmitglied der Muslim-Bruderschaft, Ägypten: „Was passierte, war eine Verhaftungswelle gegen die Muslim Brüder, eine Welle von Militärgerichtsverfahren gegen Muslim Brüder, die einige Muslim Brüder unter der Folter töten wird. Sie stoppten alle freien Wahlen in allen ihren gesellschaftlichen Institutionen. Und diese Welle, auf diese Weise, öffnen Sie das Tor zur Hölle, für die gewalttätigen Gruppierungen die sich im Untergrund verbargen – und stoppten die Gemäßigten, öffneten die Tür für die Gewalt.“
Sprecher: Für Ayman Zawahiri war dies eine dramatische Bestätigung seiner Ansicht, dass das westliche System der Demokratie ein korrupter Schwindel war. Gruppierungen radikaler Islamisten, die seine Theorien in noch radikalerer Form weiterentwickelt hatten, machten sich nun daran, gewaltsame Revolutionen in Algerien und Ägypten zu erzeugen. Es würde der Beginn eines Jihad sein, der die muslimische Welt von der Korruption befreien würde.
Osama bin Laden, (arabisch sprechend, mit Untertiteln): „Der einzige Weg, die Erniedrigung und Kufr (arab.: Unglaube) auszumerzen, die das Land des Islam überkommen hat, sind Jihad, Kugeln und Märtyrer-Operationen.“
Kepel: „Bin Laden und die anderen begannen von nun an ihren eigenen Jihad zu führen, d.h. keine Zugeständnisse zu machen, nicht zu versuchen, gemäßigteren Gruppierungen Zugeständnisse zu machen, aber zu denken, dass eine bewaffnete Avantgarde in der Lage sein würde, die Machtergreifung umzusetzen. Sie waren davon überzeugt, dass sie den Afghanischen Sieg verdoppeln könnten – den „Sieg“ in Anführungszeichen – dass sie einen Islamistischen Staat in Algerien, in Ägypten und dergleichen einrichten könnten. Sie dachten, dies würde die Herzen und Köpfe („hearts and minds“) der moslemischen Massen erfassen; dass die Leute erkennen würden, dass die Kraft und der Sieg mit den Jihadis sein würde.“
[Titel: Washington 1991]
Sprecher: Genau zur gleichen Zeit in Washington war die andere Gruppe, die glaubte sie hätte die Sowjetunion erledigt – die Neokonservativen – ebenso entschlossen, ihre revolutionäre Agenda voranzutreiben. Sie waren überzeugt, dass die Sowjetunion nur eines von vielen bösen Regimes auf der Welt war, welches von Tyrannen geführt wurde und Amerika bedrohte. Regime, die sie bezwingen mussten, um die Welt zu befreien und die Demokratie zu verbreiten.
Michael Leeden, neokonservativer Theoretiker: „Wir wollen, wissen Sie – nieder mit der Tyrannei. Wir wollen freie Länder. Wir denken, dass es Amerika besser geht, wenn wir in einer Welt leben, die hauptsächlich von freien Ländern bevölkert ist, die sich auf ihr eigenes Volk als Quelle ihrer Macht und Bewilligung ihrer Entscheidungen berufen müssen. Und wir denken, dass wir viel sicherer wären, wenn die ganze Welt so wäre – und das wir typischerweise von Tyrannen angegriffen wurden.
Ich denke, es ist Amerikas Bestimmung, weil ich denke, dass Amerika immer wieder von Tyrannen angegriffen werden wird. Also denke ich, dass wir nur die Wahl haben, ob wir gewinnen oder verlieren werden; und wann wir kämpfen werden und unter welchen Umständen, aber dass wir werden kämpfen müssen, das kommt automatisch, weil sie hinter uns her sein werden.“
Sprecher: Die Neokonservativen beschlossen, dass Saddam Hussein einer der grausamsten von diesen Tyrannen war. In den 1980er Jahren war Saddam Amerikas enger Verbündeter gewesen. Aber 1990 marschierte er in Kuwait ein. Die Neokonservativen sahen ihn jetzt als Schlüssel, um ihre nächste Phase zur Transformation der Welt verfolgen zu können. Eine amerikanisch geführte Koalition wurde von Präsident Bush senior gebildet, um Kuwait zu befreien. Aber Neokonservative wie Paul Wolfowitz, der stellvertretender Verteidigungsminister war, wollten bis Bagdad vordringen und eine Transformation des Mittleren Ostens bewerkstelligen. Es würde Amerikas einzigartige Rolle erfüllen, das Böse auf der Welt zu besiegen.
Professor Stephen Holmes, Staatstheoretiker: „Sie sehen bereits 1991 die Hoffnungen von Wolfowitz und anderen, dass die Schlacht gegen Saddam Hussein und andere unbedeutende Tyrannen, anstelle der Schlacht gegen die Sowjetunion, zu einem Kampf zwischen Gut und Böse umgedeutet werden könnte. Was sie also sehen, ist das Bestreben, die Idee am Leben zu halten dass Amerika mit einem Kampf des rein Guten gegen das rein Böse beschäftigt ist und dieses Rahmenwerk für eine Welt nach dem Ende der Sowjetunion aufrecht zu erhalten.“
Sprecher: Aber Präsident Reagan hatte nicht mehr das Sagen. Nun hatten die Neokonservativen einen Führer, der ihre Vorstellung nicht teilte.
Präsident George H.W. Bush: „Kuwait ist befreit. Iraks Armee ist besiegt. Unsere militärischen Ziele sind erreicht. Und ich verkünde zufrieden, dass alle Kräfte der Vereinigten Staaten und der Koalition die Kampfhandlungen einstellen.“
Sprecher: Sobald Kuwait befreit war, befahl Bush, den Kampf zu beenden. Seiner Ansicht nach war es Amerikas Rolle, Stabilität in der Welt zu schaffen und nicht zu versuchen, sie zu verändern. Wie Henry Kissinger, der während der Siebziger der Feind der Neokonservativen gewesen war, sah Bush Fragen nach Gut und Böse als irrelevant an. Das höhere Ziel war ein stabiles Gleichgewicht der Mächte im Mittleren Osten.
Brent Scowcroft, Nationaler Sicherheitsberater von Präsident George Bush Sen., 1996 im Interview: „Saddam Hussein stellt für seine Nachbarn keine Bedrohung dar. Er ist ein Ärgernis, er ist eine Belästigung, aber er ist keine Bedrohung. Das haben wir erreicht. Es war nie unser Ziel, Saddam Hussein zu schnappen. Hätten wir dies tatsächlich versucht, würden wir Bagdad immer noch besetzt halten. Das hätte einen großen Erfolg in eine sehr unschöne, mögliche Niederlage verwandeln können.“
Sprecher: Unter vier Augen waren die Neokonservativen wie Paul Wolfowitz wütend. Nicht nur deshalb, weil man Saddam Hussein an der Macht gelassen hatte, sondern weil sie dies als klaren Ausdruck der korrupten, liberalen Werte ansahen, die Amerika beherrschten – ein moralischer Relativismus, der bereit war, den Mächten des Bösen auf der Welt Zugeständnisse zu machen.
Holmes: „Wolfowitz‘ Zorn ist grundsätzlich ein Zorn auf die Schwäche des amerikanischen Liberalismus: die kompromittierende Natur eines Mannes wie George Bush Senior. Seine Bereitschaft, Zugeständnisse zu machen, zu verhandeln, nicht bis zum bitteren Ende zu gehen. Und interessanterweise wird sein Zorn weniger vom Hass auf Saddam Hussein genährt, als vom Hass auf amerikanische Liberale, die ein Quell der Schwäche sind, und ein Quell der Fäulnis und des Relativismus, der die amerikanische Gesellschaft seit Dekaden zerfressen hatte.“
Sprecher: Angesichts dieser Niederlage wandte sich die neokonservative Bewegung nun nach innen um zu versuchen, die Kräfte des Liberalismus, die sie aufhielten, zu besiegen. Und um dies zu tun, wandten sie sich wieder den Theorien des Leo Strauss‘ zu. Strauss glaubte, dass gute Politiker die absoluten moralischen Werte erneut bekräftigen sollten, welche die Gesellschaft einten und dass dies den moralischen Relativismus überwunden würde, den der Liberalismus erschuf. Einer der einflußreichsten Straussianer war der neue Assistent des Vizepräsidenten, William Kristol.
William Kristol, 1988-92 Stabschef des Vizepräsidenten: „Für Strauss erzeugte der Liberalismus einen vernünftigen Lebensstil, von dem er dachte, dass er es wert sei verteidigt zu werden, aber eine Sackgasse darstellte, wo nichts als wahr gelten konnte. Es gab keine Anleitung, wie man leben sollte – alles war relativ.
Strauss schlägt vor, dass wir vielleicht nicht einfach herumsitzen und akzeptieren sollten, dass dies unser Schicksal sei. Politik könnte helfen, die Lebensweise der Leute zu formen, ihnen einige gute Lektionen erteilen, wie man ein vernünftiges und stattliches Menschenleben lebt. Und können wir darüber nachdenken, welche Kulturen und welche Politik, welche sozialen Aufträge bewundernswertere Menschen erzeugen? Ich meine, diese ganze Frage wurde von Strauss wieder auf den Tisch gepackt, denke ich.“
Sprecher: Die Neokonservativen machten sich daran, Amerika zu reformieren. Und im Zentrum ihres Projektes stand die politische Verwendung von Religion. Zusammen mit ihren Langzeitverbündeten, der religiösen Rechten, begannen sie eine Kampagne, um moralische und religiöse Belange wieder in den Mittelpunkt konservativer Politik zu stellen. Dies wurde bekannt als die „Kulturkriege“.
[Titel: Reklamesendung der Christlichen Koalition]
(Reklamesendung): „Ihre Steuerdollars wurden benutzt, um obszöne und pornographische Vorführungen zu finanzieren.“
Pat Robertson: „Ich mag es nicht, wenn Jesus Christus, mein Herr und Erretter, von einem Homosexuellen in ein Pissbecken getaucht wird und ich auch noch mit meinem Geld dafür bezahlen muß! Das finde ich obszön.“
Robertson: „Verschwinde, Satan! Hinaus aus diesem (unverständlich)! Los!“
Sprecher: Für die religiöse Rechte war diese Kampagne ein aufrichtiger Versuch, die religiöse Basis der amerikanischen Gesellschaft zu erneuern. Aber für die Neokonservativen war Religion ein Mythos, so wie der Mythos von Amerika als einer einzigartigen Nation, den sie während des Kalten Krieges gefördert hatten. Strauss hatte gelehrt, dass diese Mythen notwendig seien, um gewöhnlichen Leuten Sinn und Zweck zu geben und so eine stabile Gesellschaft zu gewährleisten.
TV-Reklame-Mutti: „Ärgerst Du dich auch immer, dass sie zu viel Nintendo spielen?“
Mutti 2: „Oh, nicht mehr. Sieh‘ mal: Matt hat Bibel Abenteuer. Jetzt lernen sie Bibelgeschichten wenn sie Nintendo spielen.“
Michael Lind, Journalist und ehemaliger Neokonservativer: „Für die Neokonservativen ist Religion ein Instrument, um Tugendhaftigkeit zu fördern. Religion wird zu dem, was Plato eine „noble Lüge“ nannte. Es ist ein Mythos, der der Mehrheit der Gesellschaft von der philosophischen Elite erzählt wird, um soziale Ordnung zu gewährleisten.“
Ansager bei christlicher Fitness-Werbesendung: „Gibt es einen besseren Weg, sich der göttlichen Schöpfung zu erfreuen, als ein Gebetsgang?“
[Titel: Redlichkeits Musik Fitness]
Lind: „Indem er eine Art verschwiegener, elitärer Herangehensweise darstellt, ähnelt der Straussianismus dem Marxismus. Diese Ex-Marxisten, oder in einigen Fällen ex-liberale Straussianer, konnten sich selbst als eine Art leninistische Gruppe ansehen, wissen Sie, die diese verdeckte Vision haben, welche sie dazu benutzen wollen, um einen Wandel in der Geschichte herbeizuführen, während sie Teile davon vor Leuten verbergen, die unfähig sind diese zu verstehen.“
Sprecher: Ausgehend von dieser Kampagne begann eine neue und machtvolle moralische Agenda die Republikanische Partei zu übernehmen. Sie erreichte auf dem Parteitag der Republikaner 1992 einen dramatischen Höhepunkt, als die religiöse Rechte die Kontrolle über den politischen Apparat der Partei erlangte. George Bush wurde verpflichtet, als Präsident mit einer Politik anzutreten, die Abtreibung, die Rechte von Schwulen und Multikulturalismus verbot. Redner, die versuchten, die traditionellen konservativen Werte der individuellen Freiheit zu unterstützen, wurden von der Bühne gebuht.
William Weld, republikanischer Gouverneur von Massachusetts: „Zufällig denke ich, dass individuelle Freiheit auch bis zu dem Recht einer Frau reichen sollte, (zwischen pro / contra einer Abtreibung, Anm.d.Übers.) zu wählen.“
Parteitags-Delegierte: (Pfiffe und Buhrufe)
Weld: „Ich möchte, dass sich die Regierung aus Ihrer Handtasche und Ihrem Schlafzimmer heraushält!“
Sprecher: Für die Neokonservativen war die Absicht hinter dieser neuen Moralität die Nation zu einen. Tatsächlich aber, hatte dies den komplett gegenteiligen Effekt. Die Hauptströmung der republikanischen Wähler wurde von dem strengen Moralismus, der ihre Partei ergriffen hatte, verscheucht. Stattdessen wandten sie sich Bill Clinton zu, einem Politiker, den sie mit ihren wirklichen Anliegen und Bedürfnissen verbanden, wie den Steuern und der Wirtschaftslage.
Diane Blair, Clinton Kampagne: „In der Woche nach dem Parteitag der Republikaner sagten gemäßigte Republikaner, junge Leute und insbesondere Frauen: „Irgendwie war ich hin und her gerissen zwischen den beiden Parteien, aber wo kann ich unterschreiben, um Clinton dabei zu helfen, gewählt zu werden? Mir macht diese ultrakonservative Agenda Angst, die ich da aus Houston kommen höre.“
Bob Matera: „Ein Leben lang war ich Republikaner. Ich bin eingetragener Republikaner. Diesmal stimme ich für Clinton. Genug ist genug. Es ist Zeit für einen Wechsel.“
Sprecher: Ende 1992 errang Bill Clinton einen dramatischen Sieg. Aber die Neokonservativen waren entschlossen, die Macht wieder zu erlangen. Und um dies zu bewerkstelligen, machten sie sich daran, Bill Clinton das anzutun, was sie der Sowjetunion angetan hatten: sie würden den Präsident der Vereinigten Staaten in einen Fantasie-Feind verwandeln, ein Abbild des Bösen, welches die Menschen die Wahrheit über die liberale Korruption erkennen lassen würde.
[Titel: Algerien 1992/Juni 1992]
Muhammad Boudiaf (spricht arabisch, mit Untertiteln): „Wir stellen fest, das uns andere Nationen übertroffen haben. Worin? Im Wissen. Und im Islam…
[Ein einzelner Schuss, dann Salven, eine Explosion, Chaos]
Sprecher: In den frühen 90er Jahren wurden Algerien, Ägypten und andere arabische Länder von einer entsetzlichen Welle islamistischen Terrors auseinander gerissen. Die Jihadisten, die aus Afghanistan zurückgekehrt waren, versuchten, die Regime zu stürzen. Der Kern ihrer Strategie war die Idee, welche Ayman Zawahiri und andere ihnen gelehrt hatten: dass jene, die in Politik involviert waren, legitim getötet werden konnten, weil sie korrumpiert worden waren und dementsprechend nicht länger Moslems waren. Diese Gewalt, so glaubten sie, würde das Volk schockartig in Empörung versetzen und die korrupten Regime würden dann gestürzt werden.
Abdullah Anas, 1993 Mitglied des politischen Führungsgremiums, Islamische Heilsfront, Algerien: „Sie müssen sterben! Sie müssen nicht nur sterben, sie HABEN getötet. Sie haben Leute getötet. Nicht irgendeine – es ist nicht nur eine weit hergeholte Idee, sie wurde wahr. Leute wurden getötet.“
[Titel: 4. Juni 1993]
Anas: „Viele, viele Herrscher, viele, viele heilige Männer, viele, viele Gelehrte, viele, viele Politiker in der islamischen Welt wurden wegen dieser Ideen getötet. Warum? Einfach weil sie gegen den Koran sind. Sie lehnten den Koran ab. Warum lehnten sie den Koran ab? Weil sie zur Wahl gingen.
Sprecher: Ayman Zawahiri hatte nun mit Bin Laden seinen Sitz auf dieser Farm im Sudan. Er nutzte sie als Basis für seine Gruppe „Islamischer Jihad“, um Angriffe auf Politiker in Ägypten zu starten. Aber als einer der führenden Ideologen der Revolution bereiste er ebenso die arabische Welt und beriet andere Gruppen bei ihrer Strategie. Aber die Revolutionäre fanden bald heraus, dass die Massen sich nicht erhoben und ihnen nicht folgten. Die Regime blieben an der Macht und die radikalen Islamisten wurden zur Strecke gebracht. Angesichts dessen erweiterten die Islamisten ihren Terror. Ihre Logik war brutal: Nicht nur jene, die in der Politik mitmischten sollten getötet werden, sondern einfache Leute, die das unterstützten. Ihre Weigerung, sich zu erheben zeigte, dass auch sie korrumpiert worden waren und so sich selbst zum Tode verurteilt hatten.
Dr. Azzam Tamimi, Institut für islamische politische Theorie: „Es gab durchaus eine Logik. Die Logik besteht darin, dass Du die Führer angreifst, dass Du diejenigen angreifst, die zu ihrem Umfeld gehören und schließlich greifst Du die Leute an, die dem Vorhandensein solch eines despotischen Führers zugestimmt haben, selbst wenn sie dieses nur passiv durch ihr Schweigen unterstützt haben. Und dann beginnst du, wirtschaftliche Institutionen anzugreifen, du beginnst Touristen anzugreifen, weil diese dem Land Geld einbringen und dieses Geld in die Taschen der korrupten Elite wandert. Also, es ist ein endloser Prozess.“
Sprecher: In Algerien geriet diese Logik komplett außer Kontrolle. Die islamistischen, revolutionären Gruppen töteten tausende Zivilisten weil sie glaubten, dass all diese Leute korrumpiert worden waren.
Mann (arabisch sprechend, mit Untertiteln): „All diese Unschuldigen, was haben sie denn getan? Die Beine weggerissen! Welch Horror! Selbst die französischen Extremisten haben nie solche Dinge getan. Warum? Was haben wir getan? Was haben unsere Kinder getan? Lasst mich allein! Ich will sterben!“
Sprecher: Im Gegenzug unterwanderten die Algerien regierenden Generäle die revolutionären Gruppen. Sie wiesen ihre Agenten an, die Islamisten dazu zu überreden, die Logik noch weiter voran zu treiben, sogar noch mehr Leute zu töten. Dies würde einen solchen Horror erzeugen, dass die Gruppen jeglichen verbleibenden Rückhalt verlieren würden und die Generäle die Furcht und Abscheu dazu nutzen könnten, ihre Macht zu steigern.
Anas: „Die Generäle unterwanderten die Jihad-Ideen, die Jihad-Gruppen, um die Gesellschaft der Angst auszusetzen, durch das Erzeugen von Terror und Gewalt, um alles in der Gesellschaft zu stoppen, keine Politik, keine Wirtschaft, überhaupt nichts, nur um zu bleiben und dem Westen sagen, „Wir stehen vor Terror“.“
Interviewer (Kamera aus): „..Furcht benutzen.“
Anas: „Furcht benutzen, um an der Macht zu bleiben.“
Mann mit Gewehr (spricht Französisch, mit Untertiteln): „Heute töten sie; sie töten jeden: unschuldige Leute, Kinder, Alte. Sie haben ihre Opfer sogar zerhackt. Wer wird ihnen trauen, wenn sie morgen die Macht ergreifen?“
Demonstranten (rufen in Französisch, mit Untertiteln): „Nieder mit dem Fundamentalismus! Nieder mit dem Fundamentalismus!
Sprecher: Bis zum Jahr 1997 scheiterte die islamistische Revolution. Es gab Massendemonstrationen gegen die islamistischen Gruppen durch Tausende von der Gewalt entsetzte Menschen. Und dann, im Juni jenes Jahres, griff eine Gruppe ägyptischer Islamisten westliche Touristen in den Ruinen von Luxor an. In drei Stunden wahlloser Gewalt wurden 58 getötet. Das Massaker schockierte das ägyptische Volk und die Anführer der revolutionären Gruppen erklärten sich bereit, einen Waffenstillstand auszurufen. Einige wenige Gruppen harrten in Algerien aus. Aber sie begannen, sich gegenseitig zu zerreissen, indem sie der Logik folgten, die ihre Revolution zu ihrem ultimativen -und logischen- Ende führte: sie begannen, sich gegenseitig zu umzubringen.
Tamimi: „Es führte zu ihrer Selbstzerstörung. Eine Gruppe, die an hundertprozentig reine Moslems glaubt, kann die Reinheit in niemandem sonst, als sich selbst erblicken. So wird, wer auch immer mit ihnen nicht einverstanden ist, zum Feind; fliegt aus dem Haus des Islam heraus. Und wenn sie zufällig untereinander nicht einverstanden sind, beginnen sie sich gegenseitig umzubringen. Und sie kämpfen weiter gegeneinander: es kommt zu Machtkämpfen. Schließlich endet es mit Selbstmord.“
Sprecher: Die Haupt-Islamisten Gruppe in Algerien, die GIA, endete indem sie von einem Mr. Zouabri, einem Hühnerfarmer geführt wurde, der jeden, der ihm widersprach, umbrachte. Er verfasste ein finales Kommuniqué, in dem er erklärte, dass die gesamte algerische Gesellschaft getötet werden solle, mit Ausnahme seines winzigen, verbleibenden Trupps von Islamisten, sie seien die einzigen, die die Wahrheit begriffen hätten.
[Titel: Amerika 1996]
Sprecher: Mitte der 90er Jahre wurde die Politik in Washington von einem Thema dominiert: dem moralischen Charakter des Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Frau in TV-Werbesendung: „Wenn sie glauben, dass sie ein Opfer sexueller Belästigung durch den Präsidenten geworden sind, wollen wir ihnen helfen.“
Sprecher: Dahinter steckte ein außerordentliches Trommelfeuer von Anschuldigungen gegen Clinton, welches die Medien heimsuchte. Dies beinhaltete Geschichten über sexuelle Belästigung; Geschichten, dass Clinton und seine Frau in Whitewater verstrickt waren, ein korruptes Grundstücksgeschäft; Geschichten, dass sie ihren engen Freund Vince Foster ermordet hätten und Geschichten, dass Clinton mit Drogenschmuggel von einem kleinen Landeplatz in Arkansas zu tun hatte. Aber keine dieser Geschichten stimmte. Sie alle wurden von einer jungen Gruppe von Neokonservativen orchestriert, die entschlossen waren, Clinton zu zerstören. Die Kampagne ging aus von einem kleinen Magazin des rechten Flügels namens „American Spectator“, welches mit etwas aufmachte, was das „Arkansas Projekt“ genannt wurde, um Clintons früheres Leben zu untersuchen. Der Name des Journalisten, der im Mittelpunkt dieses Projektes stand, war David Brock.
Kreuzfeuer Ansager: „Heute abend, die Arkansas Anschuldigungen. Im Kreuzfeuer: David Brock vom American Spectator Magazin.“
David Brock: „Sie war mit einem Regenmantel und einem Hut bekleidet und kam um 5:15 morgens herein und hatte mit Clinton im Freizeitraum im Erdgeschoss des Gouverneurssitzes eine Liaison.“
Kreuzfeuer Moderator: „David, das wird jetzt aber etwas bizarr. Als nächstes werden wir sehen, wie Jane Fonda….“
Brock: „Es ist bizarr! Aber, hey, Clinton ist ein bizarrer Typ“
Moderator: „Warte mal ‚ne Sekunde.“
Sprecher: Seitdem hat sich Brock gegen die neokonservative Bewegung gewandt. Er glaubt nun, dass die Angriffe gegen Clinton zu weit gingen und konservative Politik beschädigten.
Interviewer: „War Whitewater die Wahrheit?“
Brock: „Nein. Es gab kein, ich meine…bei Whitewater gab es kein kriminelles Fehlverhalten. Absolut nicht. Es war ein Land-Geschäft, bei dem die Clintons Geld verloren haben. Es war eine komplette Verkehrung dessen, was geschehen war.“
Interviewer: „Wurde Vince Foster ermordet?“
Brock: „Nein, er hat sich selber umgebracht.“
Interviewer: „Haben die Clintons Drogen geschmuggelt?“
Brock: „Absolut nicht.“
Interviewer: „Wußten jene, die diese Geschichten verbreiteten, dass dies nicht wahr war, dass keine dieser Geschichten stimmte?“
Brock: „Es war ihnen egal.“
Interviewer: „Warum?“
Brock: „Weil sie einen verheerenden Effekt hatten. Warum also aufhören? Das war Terrorismus. Politischer Terrorismus.“
Interviewer: „Aber Sie waren einer der Agenten.“
Brock: „Absolut. Absolut.“
Sprecher: Die Geschichten begannen Amerika zu packen und trotz Clintons Dementis griffen die Republikaner im Kongress die Skandale auf und begannen auf Nachforschungen zu drängen, gegen diese Amoralität im Herzen der Regierung.
Präsident Bill Clinton: „Im Grunde hat die Presse mit diesen Leitartikeln die Politiker dazu gedrängt, zu sagen: Hier ist ein Typ, der so weit wir wissen, nichts Falsches getan hat – niemand beschuldigt ihn, irgendetwas Falsches zu tun, es gibt keinen Beweis, dass er etwas Falsches getan hat, aber wir finden, dass die Mutmaßung von Schuld schon fast auf ihm lasten sollte. Sie sollten irgendwie seine Unschuld beweisen.“
Sprecher: Durch diesen Druck war Clinton gezwungen, einer unabhängigen Untersuchung zu Whitewater zuzustimmen. Den Vorsitz hatte ein Oberster Richter aus Washington namens Kenneth Starr. Was jedoch weithin unbekannt war, war dass Starr Mitglied einer rechtsradikalen Gruppe von Anwälten namens „Föderalistische Gesellschaft“ war, die finanzielle und ideologische Verknüpfungen zu den Neokonservativen hatte. Und wie die Neokonservativen sahen sie in Clinton eine Gefahr für das Land und waren entschlossen, dies dem amerikanischen Volk zu beweisen.
Richter Robert Bork, amtsältestes Mitglied, Föderalistische Gesellschaft: „In der Merck-Gebrauchsanweisung – Merck ist eine pharmazeutische Firma – haben sie eine Liste, die verschiedene Störungen auflistet und darin stand „Soziopath“. Und wenn man unter „Soziopath“ nachsieht, wird exakt Clinton beschrieben. Jemand der charmant ist, der überhaupt kein bestimmtes Gefühl für all die Leute hat, zu denen er charmant ist, unfähig, sofortiger Befriedigung zu widerstehen, usw. usw. Immer der Liste entlang. Wir hatten einen sehr funktionsgestörten Mann in der Präsidentschaft. Dies wäre sehr gefährlich, sowohl als Vorbild, als auch im Falle einer Krise, ich hatte kein Vertrauen darin, dass er sie gemeistert hätte.“
Sprecher: Doch trotz all seiner Anstrengungen konnte Kenneth Starr kein Belastungsmaterial im Fall Whitewater finden. Noch konnte er irgendeinen Beleg zur Bekräftigung irgendeines sexuellen Skandals finden, der aus dem Arkansas Projekt hervor gekommen war. Bis schließlich sein Komittee über Clintons Affäre mit Monica Lewinsky stolperte, die Clinton bestritt. Und in dieser Lüge glaubte die neokonservative Bewegung das gefunden zu haben, wonach sie gesucht hatten: einen Weg, um dem amerikanischen Volk die Wahrheit über die liberale Korruption ihres Landes aufzuzeigen. Nun begann eine Kampagne, um den Präsidenten wegen Amtsvergehens anzuklagen. Und in der Hysterie zeichnete die gesamte konservative Bewegung Clinton als ein verderbtes Monster, der aus seinem Amt entfernt werden musste. Aber schon wieder hatten die Neokonservativen durch Übertreibung und Verzerrung einen Fantasie-Feind erzeugt.
Joe Conason, Author von „Die Jagd auf den Präsidenten“: „Sie waren gefangen von einer mythologischen Person, die sie konstruiert hatten oder Personen – die Clintons, diese hinterhältigen, schrecklichen Leute – die sie, die erhabenen Verfolger, bezwingen würden. Ich denke, in der Führungsetage des Konservativismus gab es während der Clinton-Ära ein Element der Korruption. Es gab ein Element der Bereitschaft, alles zu tun um das Ziel zu erreichen, Clinton zu erledigen. Es war eine Art im Benehmen dieser Leute, welche Clinton als unmoralisch wahrnahmen, das selbst unmoralisch war.
Es kam letztendlich so, dass sie sich schlechter benahmen, als die Leute, die sie angriffen.“
Sprecher: Aber all die moralische Raserei und der Schwindel liefen ins Leere. Das Amtsenthebungsverfahren scheiterte, weil die Umfragen durchweg zeigten, dass sich die Amerikaner immer noch nicht um diese moralischen Belange scherten. Ein führender Neokonservativer, William Bennett, schrieb ein Buch namens „Der Tod der Entrüstung“ welches die Menschen anklagte. Er beschuldigte die Öffentlichkeit, einen Pakt mit dem Teufel zu schliessen. Ihr Versagen bei der Unterstützung des Amtsenthebungsverfahrens, sagte er, sei ein Beleg für deren moralische Korruption.
[Titel: Afghanistan 1997]
Sprecher: 1997 waren Bin Laden und Ayman Zawahiri nach Afghanistan zurückgekehrt, wo sie sich zehn Jahre zuvor das erste Mal getroffen hatten. Damals hatte es den Anschein gehabt, als ob der Islamismus als eine revolutionäre Volksbewegung erfolgreich sein könne. Aber nun standen sie vor dem Scheitern. Alle Versuche, die Regime in der arabischen Welt zu stürzen, waren nicht erfolgreich gewesen. Die Menschen hatten sich wegen der entsetzlichen Gewalt gegen sie gewandt und Afghanistan war der einzige Ort, wohin sie noch gehen konnten.
Gilles Kepel, Historiker der islamistischen Bewegung: „Nun, 1997 war ihr Scheitern. Ägypten, Algerien; es klappte nirgendwo. Es ging schief, weil die Bevölkerungen nicht hinter ihnen standen. Weil sogar Leute, die ihnen am Anfang mit Symphatie begegneten, von ihrer Gewalt abgeschreckt wurden, von ihrer Unfähigkeit zu kommunizieren und fehlendem Zugang zum Volk und dies war sehr deutlich in Zawahiris Buch „Ritter unterm Banner des Propheten“, wo er sich quasi von diesem Experiment distanziert und sich über ihre Unfähigkeit beklagt das Bewußtsein der Massen zu erheben und spürt, dass sie – wissen sie – als eine Avantgarde es nicht vermochten, zu kommunizieren. Sie blieben isoliert und deshalb scheiterten sie. Und von da an begannen sie diese neue Strategie.“
Sprecher: Im Mai 1998 luden Bin Laden und Zawahiri eine Gruppe Journalisten zu dieser Pressekonferenz, wo sie einen neuen Jihad verkündeten. Zawahiri war überzeugt, dass es nicht an ihren Theorien läge, die für das Versagen verantwortlich gemacht wurden, es sei die Schuld der Moslem-Massen, ihre Gemüter seien von den liberalen Ideen aus dem Westen korrumpiert worden. Aber anstatt aufzugeben, glaubten sie, dass die Lösung sei, die Quelle der Korruption direkt anzugreifen. Der neue Jihad würde sich gegen Amerika selbst richten.
Mann mit Bart liest vom Blatt: „Wie ich bereits erwähnte, fokussieren wir unsere Bemühungen, um gegen die Juden und Christen oder Amerikaner zu kämpfen. Wir haben keine Einwände gegen irgendeine Partei oder Person, die in aller Welt gegen Amerikaner kämpft. Und wir wollen es durchführen im Rahmen des Krieges gegen Amerikaner. Amerika wird besiegt werden. Amerikaner kennen unsere Macht und….“
Sprecher: Dies war eine Strategie der Verzweiflung, geboren aus dem Versagen einer kleinen Gruppe, deren Revolution gescheitert war. Und der Zorn, der von diesem Versagen herrührte, war im Begriff, den Vereinigten Staaten zu gelten.
Was Zawahiri und Bin Laden im Begriff waren zu tun, würde in dramatischer Weise die Zukunft der neokonservativen Bewegung beeinflussen. Bis 1998 waren all ihre Bestrebungen, durch das Erschaffen einer moralischen Revolution Amerika zu transformieren, gescheitert. Angesichts der Gleichgültigkeit des Volkes wurden die Neokonservativen marginalisiert, in der Innen-, wie Außenpolitik. Aber mit den Attacken, die im Begriff waren Amerika zu treffen, würden die Neokonservativen schließlich den bösen Feind finden, den sie seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion immer gesucht hatten. Und in ihrer Reaktion auf die Attacken würden die Neokonservativen die scheiternde islamistische Bewegung zu dem transformieren, was als die große revolutionäre Kraft erscheinen würde, von der Zawahiri immer geträumt hatte.
Aber vieles davon würde nur in der Einbildung der Leute existieren. Es würde der nächste Phantomfeind sein.
DIE MACHT DER ALBTRÄUME – Episode III: Die Schatten in der Höhle
Artikel aktualisiert am 11. September 2012