Tödlicher Pestizid-Unfall in indischer Bayer-Fabrik

In der Europäischen Union gibt es seit 1998 keine Produkte mit „Pestiziden“ mehr – Bürokraten sind mit Synonymen sehr erfinderisch

In der Pestizid-Fabrik der Bayer CropScience – einem selbstständigen Teilkonzern der Bayer AG mit Sitz in Monheim am Rhein – in der indischen Stadt Ankleshwar ist es am 11.März in den frühen Morgenstunden zu einem Feuerausbruch gekommen, der nach fünfundzwanzig Minuten unter Kontrolle gebracht werden konnte. Das Feuer und Austreten von giftigen Gasen durch ein Leck eines Vorratstanks ereigneten sich im Erdgeschoss des Fabrikgebäudes, in dem das Pestizid Ethoprop hergestellt wird.

Mindestens neunzig Minuten lang traten dennoch hochgiftige gasförmige Dämpfe von Mercaptan und Phosphortrichlorid in die umliegenden Gebiete aus. Der siebenundzwanzigjährige Ingenieur Vaibhav Saxena, Mitarbeiter der Bayer-Firma, kam dabei ums Leben.

Die Polizei führte, nachdem sich Beschwerden der Einwohner in der Nachbarschaft häuften, Messungen der Luftbelastung durch und wiesen hohe Werte der ausgetretenen Gase nach, berichtete die Zeitung Times of India. (1)

Ethoprop ist eine hochgiftige Substanz. Da sie als Bestandteil in einigen Pestizidprodukten verwendet wird, gibt es wohl aus diesem Grund keinen Eintrag in der deutschsprachigen Wikipedia. (2) Auch Hinweise in der englischen „Wiki“ sind äusserst spärlich. Dort heisst es neben dem einzigen Satz „Ethoprop is an organophosphate acetylcholinesterase inhibitor used as an insecticide.“, der zu finden ist, „Main Hazards: toxic“ und es werden einige chemische Angaben zur Molekularstruktur abgebildet. (3)

Wie auch immer, das Thema Pesitizide wird in Deutschland gemieden wie die Pest. Das Wort setzt sich von lat. pestis = Seuche, caedere = töten zusammen, in der Tat kein angenehmer Begriff. Die Ursache liegt jedoch nicht in dieser Wortwahl sondern in der Wirkung.

Ernährungswissenschaftler und Umweltexperten warnen vor den in der Natur schwer abbaubaren Rückständen von Pestiziden, die über den Grundwasserkreislauf und die Lebensmittelproduktion in unseren Körper gelangen und Krebs auslösend sein können und fordern ein Verbot oder wenigstens drastische Reduzierung dieser Anwendungen.

In der Europäischen Union gibt es Richtlinien für den Einsatz der unterschiedlichsten Arten von Pestiziden, die es aber im gesamten europäischen Raum und in Deutschland für die Verbraucher nicht mehr erkennbar gibt und „als wären sie hier verboten“ erscheinen müssen – denn Pestizide sind gefährlich, das hat sich im Laufe der Jahre bis in den kleinsten Winkel herumgesprochen.

Wie so oft ist man deshalb mit Bezeichnungen und Wortwahl nicht zimperlich, um den Bürgern gefährliche Sachen unterzujubeln.

Also spricht man folgerichtig je nach Art der chemischen Zusammensetzung und Verwendungszweck von „Pflanzenschutzmitteln“ – das klingt sehr positiv wie „Schutz der Natur“ oder „Artenschutz“ oder von „Bioziden“ – das ist ausgesprochen Klasse, ein 1A-Wort, denn „Bio“ bedeutet bekanntlich „Leben“, das kennt inzwischen Dank der Bioläden und der Werbeindustrie jeder, mit „ziden“ weiss der Grossteil der Bevölkerung nichts anzufangen.

Unter der deutschen Übersetzung der Europäischen Kommission für Gesundheit und Verbraucherschutz (4) kann man lesen:

„Zwischen den Kommissionsdienststellen und den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten für die Biozid-Produkte-Richtlinie 98/8/EG und die Pflanzenschutzmittel-Richtlinie 91/414/EWG vereinbarte Leitlinien über: die Abgrenzung zwischen der Richtlinie 98/8/EG über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten und der Richtlinie 91/414/EWG über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln.

…“

Analog verhält es sich mit dem in englischer und in französischer Sprache angebotenen Beitrag der EU-Kommission. (5),(6)

Hier hat das „Vereinte“ Europa den Vereinigten Staaten etwas voraus, hinter dem Atlantik findet man den ursprünglichen Begriff noch in der Amtsprache auf der Webseite der Environmental Protection Agency unter der Abhandlung „What is a Pesticide?“ (7)

Das ausufernde Bürokratenmonster EU, das störendes nationales Recht so schnell wie möglich abgeschafft wissen will, ist eine sich immer mehr verselbstständigende Paragraphen-Krake, die bewusst Undurchschaubarkeit und Verwirrung stiftet – die Vorstandsetagen der Riesen mit einem Heer von Juristen blicken sehr gut durch diesen handgemachten Dschungel und finden ihre gewundenen Pfade mit willfährigen Politikern an ihrer Seite zum Nutzen ihrer Konzerninteressen.

Ein kleines, aktuelles Beispiel zum Thema Pestizide, wobei besonders Punkt 11 sehr aufschlussreich ist:

Verordnung (EU) Nr. 196/2010 der Kommission vom 9. März 2010 zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 689/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Aus- und Einfuhr gefährlicher Chemikalien Text von Bedeutung für den EWR – unterzeichnet von José Manuel Barroso (8)

(11) Um den Mitgliedstaaten und der Industrie genug Zeit für die Einleitung der notwendigen Maßnahmen einzuräumen, sollte diese Verordnung erst ab einem späteren Zeitpunkt anwendbar sein.

Quellen:
(1) http://timesofindia.indiatimes.com/city/surat/Fire-gas-leak-at-unit-claims-engineers-life-/articleshow/5669079.cms
(2) http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Spezial:Suche&search=Ethoprop
(3) http://en.wikipedia.org/wiki/Ethoprop
(4) http://ec.europa.eu/food/plant/protection/evaluation/borderline_de.htm
(5) http://ec.europa.eu/food/plant/protection/evaluation/borderline_en.htm
(6) http://ec.europa.eu/food/plant/protection/evaluation/borderline_fr.htm
(7) http://www.epa.gov/pesticides/about/index.htm
(8) http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2010:060:0005:01:DE:HTML

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