Berlin: Der auf ganzer Linie gescheiterte Innenminister Wolfgang Schäuble, der gestern noch vor der Sommerpause mit der SPD das Grundgesetz für Online-Durchsuchungen, Militäreinsatz im Innern und einen Polizeistaat ändern lassen wollte, liess heute nun in einem Interview mit Bild am Sonntag erklären, dass er gar nicht mehr mit der SPD wolle. Er strebe 2009 eine schwarz-gelbe Koalition an.
Dabei ist die grosse Koalition schon jetzt am Ende. Sogar sein grösstes Fan-Blatt „Spiegel“ sieht das so.(1)Nochmal in Zeitlupe…
Gestern:
die öffentliche Ankündigung einen „Gesetzentwurf“ einzubringen, mit gleichzeitiger Ankündigung für die bisherige Praxis der illegalen Geheimdienst-Spionage gegen 82 Millionen Menschen nach Wahl die Verfassung dieser „Lebenswirklichkeit“ anzupassen.
Heute:
das Interview erscheint in einer Papierzeitung, die gestern gedruckt wurde.
Wir nannten das gestern einen „Bluff“ (2).
Wer Schäuble glaubt, ist ein Idiot. Dieser Don Quichotte des Kapitals reitet gegen das Grundgesetz an, weil er dazu den „Auftrag“ bekommen hat, und holt sich eine hässliche Beule nach der nächsten.
Und die stehn ihm alle gut.
Schäuble weiss, wie jeder Teil eines Machtapparates, dass er in der schwächeren Position ist und das er alles dafür tun muss, mit allen Mitteln die er hat, damit das nicht auffliegt.
Gegen eine Bevölkerung ist von einer Regierung nichts durchzusetzen, gar nichts. Das ist genauso sinnlos, wie einen G8-Gipfel oder einen militärisch hochgerüsteten NATO-Militärapparat durch militante Aktionen verhindern zu wollen – das geht nicht. Rein physikalisch.
Der Kampf, der sich hier abspielt, ist politischer Natur. Und da ist die herrschende Klasse immer im Nachteil, weil schwächer.
MACHT GEGEN MENSCHEN, MENSCHEN GEGEN MENSCHEN – TEILE UND HERRSCHE
Wenn man die Situation mal im historischen Kontext der letzten 2500 Jahre betrachtet, und nicht im Kontext von maximal 5 Folgen einer Seifenoper, 4 Schlagzeilen der Lieblingszeitung oder der Halbwertszeit von Wolfgang Schäuble´s Aussagen, also ein paar Minuten, dann setzt sich das Bild wie folgt zusammen:
die Bevölkerung eines Landes wird kontinuierlich ausgebeutet, ihre Arbeitskraft und Wohlstand abgeschöpft, die herrschende Klasse will ihre Privilegien behalten und hetzt nun die Menschen gegeneinander auf.
Wie, warum, wer genau, wann, das ist alles völlig belanglos. Es geht darum, DASS das so passiert.
Es geht um´s Prinzip.
Jetzt und hier bedient sich der Apparat aller, die ihm nützlich sind.
Das hat jede Machtstruktur durch die Geschichte immer getan.
Im Augenblick bedient sich der Apparat aller, die das abschaffen wollen, was ihn zügelt und begrenzt: die Verfassung der Republik Deutschland.
Das gilt für Neonazis wie z.B. bolschewistische Gruppen. Das heisst jetzt nicht, dass diese gleichzusetzen wären, historisch die gleichen Wurzeln hätten, usw. Entscheidend ist die Wirkung, das Resultat, der politische Effekt.
Innerhalb der sogenannten „Linken“ bzw. „Linkspartei.PDS“ und der WASG sind im Laufe der letzten 2 Jahre die trotzkistischen Gruppen und Kader enorm gestärkt worden. Ein Teil von ihnen sitzt jetzt an entscheidender Stelle im Bundestag, ein anderer taktiert noch und sucht sich eine Machtplattform für Verhandlungen, wie z.B. das bereits vollkommen unterwanderte und umgedrehte „Netzwerk Linke Opposition“ (NLO).
Gleichzeitig haben Tausende zutiefst verbitterter Demokraten, selbstbewusster Sozialaktivisten, Intellektuelle und einfach politische Handelnde das linke Spektrum und diese Parteien verlassen. Und nicht nur das – sie wurden bewusst als solche „identifiziert, isoliert und eliminiert“, wie es mir mal ein Landesvorsitzender der WASG aus Ostdeutschland beschrieb.
Die demokratischen Kräfte, im eigentlichen Sinne, wurden gekappt. Es blieben Zyniker, Mitläufer und taktisch eingestellte Individuen, die aber niemals als solche eigenständig politisch handeln, sondern sich grundsätzlich einem moral-befreiten Gruppenkonsens unterwerfen.
Diese Klientel findet überall ab dem 1.Stockwerk einer Versorgungsanstalt in der Mehrheit, ob das nun die SPD, Attac, die WASG oder die Gewerkschaften sind.
Das ist weder tragisch, Schicksal, „gottgewollt“ oder Zufall – es ist Resultat einer strategisch ausgerichteten und taktisch hocherfahrenen Hintergrundpolitik.
Involviert, weil von Berufs wegen praktisch erfahren in solchen Dingen – die Geheimdienste.
ROSTOCK UND DER WIDERSTAND GEGEN DEN G8-GIPFEL
Wenn man nüchtern betrachtet was gestern passiert ist, dann ist folgendes abgelaufen:
zuerst einmal haben überall im Lande Neonazis demonstriert. Praktische Folge war, das ein Grossteil der Aktivisten aus dem fortschrittlichen und linken Lager sich damit beschäftigen mussten und der eigentliche politische Kampf gegen das Treffen der Atommächte in Heiligendamm teilweise in den Hintergrund geriet.
In Rostock setzt sich das Geschehen laut Medienberichten wie folgt zusammen:
direkt auf dem Gelände der Abschlussveranstaltung steht gegen 15.00 – als die Demo praktisch vorbei ist – ein einzelner Polizeiwagen unter den Demonstranten (3). Dieser wird attackiert, zieht sich zurück. Daraufhin stürmen einzelne Eingreiftrupps in die Menge und stossen immer wieder auf das Feld der Abschlussveranstaltung vor.(4)
Dann knallt´s.
Interessanterweise scheinen, direkt vor den Fernsehkameras in Positur, gegen 15.00 Steine IN DIE DEMONSTRANTEN zu fliegen (5), laut Berichten eines Zeugen direkt, während eines Knüppeleinsatzes gegen Unbeteiligte, „AUS EINER RICHTUNG HINTER DER POLIZEIMANNSCHAFT“.(5)
Wer sich ein bischen auskennt in der Materie, der kennt auch den Spruch „Nur aus der ersten Reihe werfen, ihr Vollidioten“.
Schon in den 80ern ein Klassiker.
Es darf mit Fug und Recht behauptet werden, dass hier nicht alles mit linken Dingen zuging.
Wer weiss, was die Gegenwart von ca. 50.000 Menschen im Innern von Personen auslösen kann die sonst nur einstecken müssen, weiss auch, dass in Rostock viele Leute waren, die darauf brannten ihre Wut und ihren Zorn über diese festbetonierte Gegenwart und eine geraubte Zukunft loszuwerden.
Eine Fensterscheibe ist da ein leichtes Ziel.
Nun müssen sich aber alle Menschen, die das Kapital, seine Kriege und die herrschende Klasse auf ihrem langen Marsch gegen die Institutionen der Demokratie aufhalten wollen, zuallererstmal eines fragen:
WOLLEN WIR GEWINNEN? JA ODER NEIN?
Das ist die einzige Frage, die zählt. Wenn wir uns daran gewöhnt haben zu verlieren, dann heisst das noch lange nicht, dass wir dieses deutsche Obergesetz – die Gewohnheit – nicht brechen können.
Es fehlt uns eine POLITISCH kampfbereite, eine POLITISCH offensive, eine POLITISCH treue und ehrliche Organisation, welche die strukturelle Kraft hat der Demokratie im besten sozialistischen Sinne von unten nach oben zur Durchsetzung zu verhelfen und einen spürbaren, konstruktiven Effekt nach sich zieht.
Gruppen wie Attac sind das nicht.
Ich persönlich gehe überhaupt nicht mehr auf irgendwelche Demonstrationen. Ich habe das Gefühl, nach ihnen ist es nur schlimmer als vorher.
Militanz heisst ja nicht, etwas kaputt zu machen. Militant sein kann ja auch heissen, einfach irgendwo hinzugehen und dort nicht zu verschwinden. Der Widerstand in Frankreich gegen die asoziale Gesetzgebungen der Regierung hatte durch Blockaden und Streiks Erfolg. Das sind effektive Mittel um etwas durchzusetzen.
Wenn eine wildgewordene Knüppelhorde in eine Demonstration stürmt, ist das schwierig mal stehenzubleiben und sich damit ausseinanderzusetzen und Leute gegebenenfalls zu beschützen. Das würde die öffentliche Meinung bestimmt nicht schocken.
Wer das nicht hinbekommt, sollte sein Mütchen nicht an irgendwelchen Autos oder vor gierigen Kameras an den Fensterscheiben einer Sparkasse kühlen (und selbst daran scheitern, Mann, Mann…)
DIE MÄR VON „DEN“ AUTONOMEN
„Die“ Autonomen gibt es nicht. Meistens handelt es sich um Gruppen bis max. 15-20 Personen, meistens jedoch zwischen 4-8.
Der Rest sind lose Bündnisse und allgemeine Szenebekanntschaften.
Weder gibt es ein Zentralkommando, noch irgendeine Art der übergeordneten Ideologie oder Organisation.
Angriffe gegen das Leben von Menschen sind absolut tabu, und das schon seit diese Art von Szene oder diese Gruppen existieren.
Schon allein deshalb ist der Versuch des Konstruktes der „terroristischen Vereinigung“ indiskutabel.
Bis vor kurzem war die gesamte Szene über die Ausseinandersetzung mit dem globalen Krieg zutiefst zerstritten und praktisch nicht mehr konsistent.
Wenn jetzt auf einmal wieder alles von „den Autonomen“ redet, dann hat das einen Grund – sie sollen mal wieder nützliche Deppen spielen.
DER PUTSCH VON OBEN
Es geht hier in der Tat um einen „Putsch“, wie es die Kollegen von „Journalismus von heute“ geschrieben haben (6). Wer sich den erschreckten und zutiefst ängstlichen Kommentar des Zeugen (5) auf Heise.de noch einmal durchliest, wird zuerst einmal feststellen, wie einfach es ist Hunderttausende von Kriegsopfern oder Hunderttausende von Hungertoten wegen einer Demo als harmlos erscheinen zu lassen.
Auch wegen solchen Leuten gehe ich nicht mehr auf Demos.
Am Schluss heisst es dann, ein Polizeibeamter habe ihm seine Sicht der Dinge dahingehend erläutert, dass die Deutschen keine Verfassung hätten.
Das sei bloss ein von den Besatzern 1945 aufgezwungenes Konstrukt.
Nun, ich kann ihn ja verstehen. Wer liebt schon wirklich seinen Chef?
Allen anderen kann ich nur empfehlen, diesen Nazi-Bullshit bleiben zu lassen, und die Verfassung die nächsten Tage als das zu betrachten, was sie ist:
der beste Schutz vor Schäuble, vor den Atommächten und vor 30.000 Polizisten und Soldaten, den wir jemals hatten.
Quellen:
(1)
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,486324,00.html
(2)
http://radio-utopie.de/index.php?themenID=567
(3)
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,486280,00.html
(4)
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,486296,00.html
(5)
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25426/1.html
(6)
http://oraclesyndicate.twoday.net/stories/3796367/