Krieg auf falschem Fusse
Nach Attentaten in Russland und Griechenland kommt es zu unverschämten Lügen und Manipulationen der Regierungsbehörden in Moskau und Athen.
Russland:
In Moskau ereignen sich laut offiziellen Angaben im Zeitabstand von 41 Minuten zwei Explosionen im U-Bahn-Netz der Stadt, um 07.56 Uhr direkt am Bahnsteig der Station Lubjanka (mit vielen Toten auch auf dem Bahnsteig) und um 08.37 Uhr in der Station Park Kultury. Trotzdem lassen die Behörden die U-Bahnen der Stadt weiter fahren, nicht nur zwischen, sondern auch nach den Explosionen.
Die Sprecherin des russischen Katastrophenschutz-Ministeriums, Irina Andrianowa, zur ersten Explosion, die sich laut ihren Angaben innerhalb der U-Bahn-Station Lubjanka ereignet habe:
„14 Menschen starben in dem Wagen des (U-Bahn)Zuges und 11 auf dem Bahnsteig„
Der Sonderstaatsanwalt Yuri Syomin spricht, kurz nach den ersten Meldungen über die Explosionen, auf dem Bahnsteig der Lubjanka Station zu Reportern. Er verkündet, die tödlichen Attentate seien von zwei Selbstmördern verübt worden.
„Wir können annehmen, dass Gürtel mit Explosionsvorrichtungen an ihrem Körper angebracht waren“
Ebenfalls zu diesem Zeitpunkt hat der britische Fernsehsender „Sky News“ schon vermeldet, dass es sich bei einer Attentäterin über eine Selbstmordattentäterin handele. Die russische Nachrichtenagentur Interfax zitiert, quasi folgerichtig, einen der vielen Nachrichten-Zitier-Dienstler aus der „Sicherheits“-Branche:
„Es gibt Informationen, dass die Explosion von einem Selbstmord-Bomber verursacht wurde“
Eine andere Quelle meldet Interfax aber folgendes: das „Explosionsmaterial“ könne per Fernzündung via Handy ausgelöst worden sein.
„Die Experten werden anfangen zu arbeiten, sobald allen Verwundeten geholfen wurde und jeder evakuiert worden ist“
Welche Experten gemeint sind, ist unklar. Ein Team von Sonderstaatsanwälten hat die Ermittlungen bereits an sich gerissen – nach Artikel 205 der russischen Gesetzgebung bei kriminellen Delikten, wegen „Terrorismus“, wie der Sprecher der Sonderstaatsanwaltschaft Vladimir Markin erklärt.
Der Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB (ehemals KGB), Alexander Borotnikow, erstellt bereits einen Bericht für den russischen Präsidenten Dmitri Medwedew. Wie es heisst, verfolgt zu diesem Zeitpunkt bereits Russlands ehemaliger Präsident, ex-FSB-Chef und derzeitiger Premierminister Wladimir Putin, genauestens die Berichten zu den Ereignissen. Ein „islamistischer Aufstand“ in Tschetschenien wird erwähnt, ausgebrochen, nachdem die russische Regierung letztes Jahr dem Machthaber Tschetscheniens ( und nach allgemeiner Einschätzung notorischen Massenmörder) Ramsan Achmatowitsch Kadyrow die Sondervollmachten einer laufenden „Antiterror-Operation“ entzog. Auch in den russischen Provinzen von Dagestan und Inguschetien kam es daraufhin zu einem „Anstieg der Gewalt“. (1)
Die Station Lubjanka befindet sich „in der Nähe“ des FSB-Hauptquartiers. Dies wird von Anfang an in allen Meldungen immer wieder erwähnt.
Die russische Nachrichtenagentur Ria Novosti (2) meldet zwei Mitarbeiter, jeweils an an einem Tatort, als Zeugen. Diesen Zeugen zufolge ereignete sich die erste Explosion, entgegen den Angaben der Behörden, nicht auf dem Bahnhof der Lubjanka Station, sondern auf dem Weg zwischen den Stationen Lubjanka und Okhotny Ryad. Opfer auf dem Bahnsteig von Lubjanka wären demnach unmöglich.
Der zweite Ria Novosti-Mitarbeiter spricht zwar von Verletzten in der Kultury Station, sieht sich aber nicht in der Lage Todesopfer zu bestätigen. (2)
„Da war überall Rauch..die leute werden evakuiert“
Stunden später in Deutschland: „SpOn“ meldet, der FSB und der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow seien sich mittlerweile sicher, dass es sich um zwei „Selbstmordattentäterinnen“ handele. Tschetschenien ist bereits ganz grosses Thema. Nebenbei kann man lesen:
„Ein Twitter-Nutzer schrieb, die Moskauer Polizei habe Mobilfunkfrequenzen blockiert – offenbar, um einer möglichen weiteren Sprengsatzzündung per Handy zuvorzukommen.“
Nun, offensichtlich funktionierte aber das normale Handy-Netz immer noch.
Im Versuch Wahnsinn mit Tempo zu erklären, legten sich nun die russischen Behörden richtig ins Zeug, die Presse dackelte hinterher. Die Sonderstaatsanwaltschaft, welche am Morgen die Ermittlungen nach Artikel 205 entsprechender Gesetzgebung wegen „Terrorismus“ an sich gerissen hatte, erklärte nun – abermals über ihren Sprecher Markin – wahrlich Erstaunliches: die Gesichter der zwei „Selbstmordattentäterinnen“ seien bei der Explosion unversehrt geblieben, so Markin. Man könne die toten Tatverdächtigen…die toten Schuldigen also über die Gesichter identifizieren (4).
Da ist es natürlich nicht unwichtig zu wissen, was für ein Glücksfall das ist. Schliesslich hatte Sonderstaatsanwalt Yuri Syomin bereits kurz nach dem Attentat die Sprengkraft der Sprengsätze genauestens einschätzen können – nämlich zwei Kilogramm TNT (5).
Nun, vielleicht hiess Yuri Syomin bei SpOn „Juri Semin“ und es waren „etwa drei Kilogramm TNT“ (2). Wer weiß.
Jedenfalls konnte man alles klar erkennen, besonders die übrig gebliebenen Gesichter der (tschetschenischen) Selbstmörderinnen, entschuldigung, Selbstmordattentäterinnen. Das reichte wiederum dem Präsidenten Russlands zu einer Kriegserklärung (6):
„Russland werde den „Krieg gegen den Terror“ ohne zu zögern und bis zum Ende fortsetzen, erklärte Präsident Dmitri Medwedew am Montag.“
Die EU schloss sich gleich mal an. Der Oberkommissar von Brüssel, Jose Barroso:
„Wir können es nicht erlauben, dass Gewalt gegenüber Freiheit und Demokratie die Oberhand gewinnt..Die EU steht entschlossen den russischen Behörden bei deren Bemühungen zur Seite, Terrorismus in jeglicher Form zu begegnen.“
Nun, wie passend dass es just gestern auch im EU-Mündel Griechenland knallte.
Griechenland:
Wie die „Zeit“ (7) heute kommissarisch berichtet, kam gestern ein autonomer Attentäter in Athen um´s Leben, als vor einem Ausbildungsgebäude der „sozialistischen“ Pasok-Regierung eine Bombe direkt in seinen Händen explodierte. Das habe (mit) der „Zeit“ die Polizei gesagt. Linke würden auch in Griechenland so etwas gern öfter tun – vor Wut explodieren.
Gut, sagten dann dummerweise griechische Ärzte in Athen, das mit dem linken Selbstmordwutexplodierer, das sei leider ein 15-jähriger afghanischer Junge gewesen (8). So ging´s also nicht.
Mittlerweile hat man herausgefunden, dass man vermutet, dass die linksextremistisch-autonome-irgendwas Organisation namens „Verschwörung der Feuerzellen“ dahinter steckt. Die habe sich nämlich letzte Woche zu drei merkwürdigen Bombenattentaten in Athen bekannt – mitten in Generalstreik, drohendem Notstand und Zwangsverwaltung aus Brüssel. Diese „Verschwörung der Feuerzellen“ aus autonomen Gewalttätern habe also in einem „widerlichen Akt des Terrorismus“ (Pasok-Minister für Zivilschutz Michalis Chryssohoides) die Bombe in einen Mülleimer gelegt. Deshalb sei es auch logisch, dass ein 15-jähriger Afghane vor einem griechischen Regierungsgebäude zerfetzt aufgefunden wird – weil er, zusammen mit seiner kleinen Schwester und seiner Muttter, um 22.50 abends in einer Mülltonne gebuddelt hätte (9).
Was wühlen denn die Afghanen auch immer in den Mülleimern. Da liegen doch die Bomben von den Linken drin. Wenn sie nicht an der Regierung sind, natürlich.
update 16.15 Uhr:
die Behörden in Moskau geben bekannt, man habe einen dritten Sprengsatz gefunden. Dieser sei aber nicht etwa eine umher irrende Tschetschenin, sondern ein „Sprengstoffgürtel“ (10). Gut, sonst, hätte man einfach sagen können: eine Bombe. Aber wozu dann noch „Selbstmordattentäterinnen“?
update 16.40 Uhr:
Letzten April wurde die bereits beschriebenen antiterroristischen Privilegien des von Russlands Präsidentem Putin während seiner Amtszeit persönlich eingesetzten Kadyrow durch Moskau aufgehoben, der Ausnahmezustand / das Kriegsrecht für beendet erklärt. Wie angenehm so ein antiterroristischer Kriegszustand der Behörden sein kann (und warum die ihn natürlich nicht missen wollen) lässt Ria Novosti (11) mit diesen Zeilen erahnen:
„Der Anti-Terror-Einsatz sieht zeitweilige Einschränkungen und andere Maßnahmen vor, so die Passkontrolle, einen verstärkten Schutz der öffentlichen Ordnung, das Abhören von Telefongesprächen und gegebenenfalls eine vorübergehende Umsiedlung von Einwohnern an einen sicheren Ort in der Nähe ihres ständigen Wohnsitzes sowie einen eingeschränkten Kraft- und Personenverkehr.“
Krieg und Deportation, das hört sich schlimm an. Es sei, man nennt es einfach anders, dann ist alles in Ordnung. Fast wie im Westen.
update 17.00 Uhr:
Tschetscheniens Machthaber Kadyrow hat mittlerweile sein ausdrückliches Beileid zu den Opfern der Attentate in Moskau bekundet. Er konstatierte, die Drahtzieher der Terroranschläge und diejenigen, die sie ausgeführt haben, wollen Chaos auslösen, Russland in Angst und Schrecken versetzen sowie Russlands Wirtschaft untergraben. (12)
Nun, nicht nur die von Russland. Immerhin sandte der Sonderbeauftragter des Präsidenten Medwedew in Tschetschenien gerade am Freitag erst den Entwurf eines 15 Milliarden Dollar schweren Aufbauprogramms nach Moskau. Mit diesem Geld der Zentralregierung solle Tschetschenien zu einem „Tourismus-Magneten“ gemacht werden (13). Es bleibt abzuwarten, wieviele Camping-Mobile sich jetzt wohl – etwa aus Georgien – auf den Weg machen werden.
Aber wo wir schon beim Thema sind.
Am17.August 2009 forderte ein Bombenattentat in der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Inguschetien Nazran 19 Tote. Inguschetiens Präsident Yunus-Bek Yevkurov (Junus-bek Bamatgirejewitsch Jewkurow) beschuldigte in einem Interview die USA, Grossbritannien und Israel hinter all dem Aufruhr und den Attentaten im Kaukasus zu stecken (14). Ein Klassiker, den auch „Präsident“ Kadyrow durchaus öfters propagiert.
Nur hatten sich Russlands Präsident Medwedew und US-Präsident Barack Obama vor wenigen Tagen erst auf ein weltweites Abrüstungsabkommen geeinigt. Wenig wahrscheinlich, dass die US-Regierung das eigene Abkommen wegbomben will. Auch ist nicht ganz ersichtlich, woher alle diese Terror-„Emire“, gefährlich klingenden Superterroristen und überhaupt die ganzen Massaker kommen, just in dem Augenblick so Moskau im unübersichtlichen Kaukasus endlich den Frieden ausbrechen lassen will.
Kadyrow bewies in seiner Anteilnahme heute übrigens ausserordentliche menschliche Fähigkeiten, die ihm – so ist anzunehmen – vorher niemand zugetraut hätte (12):
„Der Terrorismus fordert den Staat und die Gesellschaft erneut heraus…Dieses Übel wählt seine Opfer nicht nach Nationalität, Religion oder Rasse„
Nun, das vielleicht nicht. Aber dafür die Täter.
(…)
Artikel zum Thema:
27.03.2010 DIE GRIECHENLAND-KRISE (III): Das “nächste Lehman Brothers” – die Entstaatlichung der Staaten
Ende Januar stand die Athener Pasok-Regierung vor einem Trümmerhaufen. Nachdem mitten in einem für Griechenland enorm wichtigen Verkauf von Staatsanleihen am 25.Januar überraschend einen Tag später mehrere brisante Berichte der “Financial Times” aufgetaucht waren, hatte Griechenland dementiert Goldman Sachs mit einem Ausverkauf der National Bank of Greece (NBG) an China beauftragt zu haben. Nach dem Dementi des Goldman-China Deals durch die Athener Regierung fiel der Wert der griechischen Schuldscheine / Staatsanleihen an den Börsen dramatisch. Mit derem völlig überzinsten Verkauf, der den griechischen Staat auf Jahre Milliarden kosten würde, hatte die Athener Regierung vorher ausgerechnet die NBG beauftragt, ebenso jene Banken, welche systematisch von der Griechenland-Krise profitierten: Goldman Sachs, die Deutsche Bank, Morgan Stanley, Credit Suisse und die EFG Eurobank.
Quellen:
(1) http://www.montrealgazette.com/news/Explosions+Moscow+subway+kill+dozens/2737742/story.html
(2) http://en.rian.ru/russia/20100329/158342307.html
(3) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,686107,00.html
(4) http://de.rian.ru/society/20100329/125661484.html
(5) http://en.rian.ru/russia/20100329/158342690.html
(6) http://www.focus.de/politik/ausland/russland-medwedew-erklaert-terroristen-den-krieg_aid_494122.html
(7) http://www.zeit.de/newsticker/2010/3/28/iptc-hfk-20100328-90-24356714xml
(8) http://derstandard.at/1269448380244/Ein-Toter-bei-Bombenanschlag-in-Athen
(9) http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5406596,00.html
(10) http://bazonline.ch/ausland/europa/Dritte-Sprengladung-in-Moskau-entdeckt/story/16926325
(11) http://de.rian.ru/safety/20100322/125566582.html
(12) http://de.rian.ru/safety/20100329/125662841.html
(13) http://www.timesonline.co.uk/tol/news/world/europe/article7080115.ece
(14) http://en.rian.ru/russia/20090817/155832917.html