25.September 2001, Sarajewo (1) : Mitten in der Nacht stürmen maskierte US-Soldaten das Hotelzimmer des dreifachen Familienvater Abdel Halim Khafagy, der heute 75 Jahre alt ist seit 1979 in München lebt.
Sie verschleppen den alten Mann – dessen einziges Verbrechen es ist, ein Muslim zu sein – in ein US-Geheimgefängnis in Bosnien und schlagen ihn mit Gewehrkolben halbtot, offenbar weil sie ihn wegen seines Namens mit irgendwem verwechseln.„Sie kamen rein und haben blind um sich geschlagen. Sie haben mich mit den Gewehrkolben verletzt. Dann ist das Blut an mir herunter gelaufen,“ so Abdel Halim Khafagi in seiner Zeugenaussage.
„Ich dachte sie wollten mich töten. Ich habe angefangen zu beten: Es gibt keinen Gott außer Allah, Mohammed ist sein Prophet, das Glaubensbekenntnis, um mich auf den Tod vorzubereiten. Ich habe es nicht verstanden, ich dachte, es sei ein Irrtum.“
Khafagi ist Verleger und zu diesem Zeitpunkt in Sarajewo auf Geschäftsreise. Seine drei Kinder sind Deutsche, oder besser – sie haben die deutsche Staatsbürgerschaft.
Dem verletzten Khafagy werden die Augen verbunden. Er wird zu einem Hubschrauber gebracht, sie fliegen ihn 180 Kilometer nach Tuzla, ins SFOR-Hauptquartier „Eagle Base“ gebracht, wo sich u.a. 180 deutsche Soldaten, Agenten und Militäragenten im Einsatz befinden.
Dort wird er in einem US-Geheimgefängnis in Isolation und ohne Anwalt festgehalten.
„Sie haben uns in eine Zelle geworfen und alle anderthalb bis zwei Stunden haben sie die Zelle wie Raubtiere geöffnet, damit wir nicht schlafen können. Sie sind in die Zelle reingestürmt mit Gewehren im Anschlag, sie haben die Gewehre auf uns gerichtet. Es sind drei rein gekommen, mit Gewehren. Ich habe sie angeschaut. Die haben die Tür zugeschlagen. So ging das die ganze Nacht durch.“
Jeden Tag wird der Deutsch-Ägypter, Verzeihung, der seit 1979 mit seinen drei deutschen Kindern in München lebende unbescholtene Ägypter Abdel Halim Khafagy mit verbundenen Augen Augen zum Verhör geführt.
„Ich sagte: Ich habe mit Bin Laden nichts zu tun. Ich kenn Bin Laden nicht.“
Khafagy will, so sagt er später, günstig Koran-Übersetzungen drucken lassen. Das sagt er auch während der Verhöre immer und immer wieder.
Auch dem Verhörer, der sich ihm irgendwann als ein Deutscher vorstellt.
„Ich war von diesem Mann überrascht. Sein Aussehen war deutsch, das hat man deutlich gesehen. Normalerweise sind sie zu mir in Militäruniformen gekommen, er hatte einen Anzug an. Ich habe von ihm verstanden, dass er Deutscher ist. Und er hat mir das auch gesagt. Der deutsche Mann ist zwei Mal gekommen. Mehr nicht. Und ich habe ihn gefragt: Was hat dich zu den Amerikanern gebracht? Und er antwortete: Ich frage und Du antwortest.“
Wer war dieser Mann?
DER NATO-GEHEIMDIENST AMIB, MAD, BKA, BND – EIN ZUSAMMENTREFFEN AUF DER US-„EAGLE BASE“ IN TUZLA
Fest steht: er verhörte Khafagy in einem vor der Öffentlichkeit verborgenem Gefängnis des US-Militärs. Das heisst nicht unbedingt zwingend, dass es vor den verbündeten anderen NATO-Militärs des SFOR-Hauptquartiers in Tuzla auch verborgen blieb.
In Tuzla waren laut Aussagen des Zeitsoldaten Jürgen Russ, damals in Sarajewo, zu diesem Zeitpunkt auch deutsche Soldaten, Agenten und Militäragenten des hochgeheimen AMIB, des „Allied Military Intelligence Battalion“.
Dieser militärische Geheimdienst der NATO „AMIB“ ist ein multinationales Bataillon des westlichen Militärbündnisses mit vor der Öffentlichkeit verborgenen Aufgaben. Mitglieder sind u.a. Militäragenten vom deutschen „Militärischen Abschirmdienst“ (MAD) sowie laut Recherchen von Kontraste mindestens ein Agent des Bundesnachrichtendienstes BND.
„Herr Ö. ist vermutlich der einzige BND-Mitarbeiter der damals Verbindung nach Tuzla hatte,“ so ein Zitat aus geheimen Dokumenten, was bereits im November 2006 Kontraste vorlag.
Offenbar hat auch ein BND-Beamter die Vermutung geäussert, dass es der hochgeheime NATO-Militärgeheimdienst AMIB unter Beteiligung des MAD war, der die Verhöre von Khafagy leitete.
2 BKA-Beamte sollen überdies auf eine Vernehmung von Khafagy, der ihnen im Schlafanzug vorgeführt werden sollte (ohne dass sie ihn angeblich je zu Gesicht bekamen) verzichtet haben, nachdem sie völlig blutverschmierte Dokumente sahen.
Die Reaktion des BND auf eine Anfrage, ob Ö. der vernehmende Beamte von Khafagy und in Tuzla gewesen sei:
„Der Bundesnachrichtendienst wird Indiskretionen nicht durch eine Stellungnahme würdigen.“
Der Anwalt von Abdel Halim Khafagy hat auch den heutigen Aussenminister und damaligen Kanzleramtschef Frank Steinmeier gefragt, ob er zu den Vorgängen irgendetwas zu sagen hat.
Er bekam bis heute keine Antwort.
Der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Neskovic (Linke) sieht „Anhaltspunkte“ dafür, dass Steinmeiers Kanzleramt früh von der Verschleppung Khafagys erfahren hatte.
Denn bereits wenige Tage nach der Entführung des Münchner Verlegers waren drei Beamte von Bundeskriminalamt (BKA) und Bundenachrichtendienst (BND) in Tuzla.
Einigermassen geschockt berichteten sie wieder in Deutschland davon, dass Khafagy von den Amerikanern schwer misshandelt worden sei, sollen ihn aber gleichzeitig nie gesehen zu haben.
Ein BKA-Beamter verfasste extra eine Vorlage für die durch den Fall Murat Kurnaz bekannt gewordene „Präsidentenrunde“ der deutschen Geheimdienste.
Deren damaliger Chef – Frank Steinmeier.
im nächsten Kapitel:
AMIB, MAD, MILITÄR – WER HAT DAS KOMMANDO? WER HAT DIE KONTROLLE?
TUZLA: US-BASIS FÜR VERSCHLEPPUNG UND KRIEGSPOLITIK