Stirbt die Demokratie?

„Wann, wenn nicht jetzt?

Wo, wenn nicht hier?

Wer, wenn nicht wir?”

Rio Reiser

Da stellt sich der als konservativ geltende britische Historiker Niall Ferguson in der „Welt“ die Frage:

Stirbt die Demokratie? und kommt zu dem Fazit, es liege nicht „an der Armut, sondern an der Geschichte, dass die demokratische Staatsform auf allen Kontinenten im Rückzug begriffen ist“

Niall Ferguson schreibt:

„Weshalb blüht die Demokratie in manchen Ländern und welkt und stirbt in anderen? Die einfachsten Antworten im Angebot sind die der Ökonomie. Dem Politikwissenschaftler Adam Przeworski zufolge gibt es eine direkte Beziehung von Pro-Kopf-Einkommen und der Dauerhaftigkeit einer Demokratie. In einem Land mit einem Jahresdurchschnittseinkommen von unter 1000 Dollar hält eine Demokratie wahrscheinlich kein Jahrzehnt. Übersteigt das Jahresdurchschnittseinkommen erst einmal 6000 Dollar, ist sie praktisch unzerstörbar. … Eine andere einleuchtende Regel stammt vom Harvard-Ökonomen Ben Friedman und besagt, dass (eher als das Durchschnittseinkommen) ein nachhaltiges Wachstum der Demokratisierung zuträglich ist. Auf den ersten Blick scheint das dem langfristigen historischen Trend zu entsprechen, demzufolge Perioden der wirtschaftlichen Depression für eine Demokratie besonders gefährlich sind…

Allerdings haben die jüngsten wirtschaftlichen Entwicklungen Theorien wie diese aufgeweicht. Einen Boom wie den der Jahre 2001 bis 2007 hat die Weltwirtschaft nie zuvor erlebt. Dennoch hat die Demokratie kaum davon profitiert.

Vielmehr sind jene Volkswirtschaften, die seit 2000 am schnellsten gewachsen sind, keine Demokratien – zum Beispiel die sogenannten BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China). Während der Anteil des kommunistisch regierten China am Weltbruttoinlandsprodukt in den vergangenen sieben Jahren um 2,5 Prozentpunkte gestiegen ist, hat der des demokratischen Indien nur 0,6 Prozent zugelegt…

Der Schlüssel zur Demokratisierung liegt nicht darin, undemokratische Regime zu stürzen und Wahlen abzuhalten. Auch reicht es nicht abzuwarten, bis dein Land das richtige Durchschnittseinkommen oder die richtige Wachstumsrate erreicht. Der Schlüssel liegt vielmehr darin, wie der Politikwissenschaftler Barry Weingast seit langem argumentiert, Regeln aufzustellen, die sich selbst verstärken. Je öfter sie angewendet werden, desto mehr werden sie respektiert, bis sie schließlich unantastbar sind.“

So weit geht also die professorale Einfalt: Es werden Regeln aufgestellt, die sich selbst verstärken.

Es bleiben nur zwei Fragen, wer stellt denn diese Regeln auf?

Ein Blick nach Asien mag hilfreich sein. Die Volksrepublik China und die Republik China – Taiwan, beides Staaten unter einem Einparteienregime, verfolgten dieselbe Wirtschaftsstrategie:

Mittels Devisenkontrolle, Außenhandelskontrolle und gezielten staatlichen Beihilfen wurde die einheimische Industriebasis aufgebaut, wie auch in Europa und den USA.

Es bedurfte schon der bewußten politischen Tat, in Taiwan eine demokratische Regierungsform zu etablieren:

„Drei Wochen nach dem Tod seines Vaters Chiang Kai-shek am 5. April 1975 wählte die Kuomintang Chiang Ching-kuo zu ihrem Vorsitzenden. Am 21. März 1978 wurde Chiang zum Präsidenten der Republik China gewählt…. Als Präsident läutete er daraufhin die Demokratisierung und Taiwanisierung der Politik ein… Das Kriegsrecht wurde 1987 aufgehoben und Pressefreiheit gewährt. Im Juli 1987 kam es auch zur Lockerung der Devisenbeschränkungen.“

http://de.wikipedia.org/wiki/Jiang_Jingguo

Und zweitens, sind diese Regeln sich selbst verstärkend?

Hätte sich der professorale Blick zu der „ältesten Demokratie der Welt“, den USA, gerichtet, hätte er eine Regierung gefunden, die willentlich und systematisch die grundlegenden Regeln einer Demokratie untergräbt:

Fascist America, in 10 easy steps

http://www.guardian.co.uk/usa/story/0,,2064157,00.html

Die Autorin Naomi Wolf meint, daß die Regierung von G.W. Bush schon alle diese 10 Schritte zu einem „faschistischen Amerika“ gegangen zu sein scheint:

 

  1. Schwöre einen furchtbaren internen und externen Feind herauf
    Terroristen und ihre Sympathisanten, den „Globalen Krieg gegen den Terror“
  2. Schaffe einen Gulag
    ein Gefängnissystem außerhalb der Norm des Gesetzes, wie Guantanamo
  3. Entwickele eine Schlägerkaste
    bewaffnete private Sicherheitsunternehmen (Blackwater etc.)
  4. Errichte einen internen Sicherheitsapparat
    Homeland Security: Überwachung von Email, Telefon, Geldüberweisungen etc.
  5. Drangsaliere Bürgerrechtsgruppen
    Überwachung und Infiltration von Bürgerrechtsgruppen, Friedensaktivisten bis hin zu Tierschutzgruppen
  6. Führe unbegründete Verhaftungen und Entlassungen durch
  7. Aufgrund einer „No-fly-list“ werden Personen auf Inlandsflügen besonders sicherheitsüberprüft oder dürfen nicht mitfliegen
  8. Ziele auf bestimmte Einzelpersonen
    Drohe Sanktionen für unbotmäßige Akademiker oder Zivilbedienstete an
  9. Beherrsche die Presse
    Worldwide Press Freedom Index 2006, Deutschland Nr. 23, USA Nr. 53
    http://www.rsf.org/article.php3?id_article=19381
  10. Abweichende Meinung ist Verrat
    Bush hat das Recht, jeden Bürger als „feindlichen Mitstreiter“ (Enemy combatant) zu deklarieren, für den die bürgerlichen Rechte außer Kraft gesetzt sind.
  11. Setze die Rechtsstaaatlichkeit außer Kraft
    Bush hat das Recht, in bestimmten Fällen Militär im Innern einzusetzen

 

All dies wurde Gesetz, trotz einer sogenannten Oppositionspartei, den Demokraten, und trotz einer formalen Verfassung (constitution, bill of rights) und trotz einer sogenannten „freien“ Presse.

Nichts da also von „sich selbst verstärkenden“ Regeln!

Ohne den politischen Willen jedes einzelnen Bürgers, die Demokratie zu erhalten und zu fördern, ist die Demokratie zum Untergang verurteilt.

Der politische Wille des Bürgers aber hängt von seiner Selbstachtung ab, und solche Bürger, die ökonomisch in die Armut gedrängt werden, verlieren ihre Selbstachtung, und ihr politischer Wille wird zerbrochen!

Note to „fascism“:

The first truth is that the liberty of a democracy is not safe if the people tolerate the growth of private power to a point where it becomes stronger than their democratic state itself. That, in its essence, is fascism–ownership of government by an individual, by a group, or by any other controlling private power.

Franklin D. Roosevelt: Message from the President of the United States Transmitting Recommendations Relative to the Strengthening and Enforcement of Anti-trust Laws“,

http://en.wikipedia.org/wiki/Definitions_of_fascism#_note-0

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