Berlin: In einem ca.9 Jahre zu spät kommenden Anfall versuchen jetzt Sozialdemokraten in der SPD ihre Partei zu retten. Irgendwie ist ihnen jetzt schon aufgefallen, dass die ganze ihnen letztlich von Tony Blair aufgeschwatzte Verarmung der Bevölkerung zugunsten einer aufgeblähten Oberschicht gar nichts mit ihnen zu tun hat. Schönheitsfehler dabei: sie haben sie verursacht.DIE MACHT DES MOMENTES
Die gesamte Linie der jetzigen Regierungspolitik entstammt aus einem einzigen Moment in einer der vielen Auseinandersetzungen zwischen Regierung (ausführendes Gremium, Exekutive) und Parlament (gestaltender Staat, Gesetzgeber, Legislative).
1998 ging es nach dem Wahlsieg der SPD – der völlig unverhofft den ersten durch Wahlen herbeigeführten Machtwechsel in der Geschichte Deutschlands seit dem 2.Weltkrieg brachte – um den Vorsitz der SPD-Bundestagsfraktion.
Dies war keine Regierungsfraktion. Noch nicht. Es war die eigentliche Aufgabe des Parlamentes, eine Regierung zu wählen und zu kontrollieren, nicht eine Regierung zu sein.
Nun gab es mehrere Kandidaten. Zuerst einmal den alten Vorsitzenden Rudolf Scharping. Gerade im Nachhinein braucht man zu dieser Person nichts mehr zu sagen, ausser, dass er wie kein anderer die Basis der Partei repräsentierte: dröge, langsam, nichtssagend, elementar vorsichtig und unsagbar langweilig.
1993 wurde Scharping zum Dank dafür von der SPD in dem einzigen Versuch einer Direktbeteiligung der eigenen Basis zum Vorsitzenden der Partei gewählt. Er gewann gegen Gerhard Schröder und Heidemarie Wieczorek-Zeul damals nur durch einen einzigen Spruch in der entscheidenden Podiumsdiskussion, die auch via Fernsehen übertragen wurde: er sprach sich für den „Grossen Lauschangriff“ gegen die Deutschen aus, mit dem Hinweis, dass es da einen Unterschied geben müsse, ob sich da jemand privat in seiner Wohnung oder im „Hinterzimmer eines Bordells“ unterhalte.
Er wiederholte diesen einen Spruch immer wieder in Interviews und Statements (1).
Das von Eingriffen in Grundrechte alle betroffen sind, kapierten die Sozens nicht. Das kapiert heute noch niemand.
Schon damals forderte der damalige BKA-Chef Hans-Ludwig Zachert übrigens, den Artikel 13 des Grundgesetzes zu ändern („Die Wohnung ist unverletzlich“). Damals wegen der „Organisierten Kriminalität“. Wieder gab es die gleiche Reihenfolge: zuerst die Sicherheitsbehörden, dann die CDU/CSU, dann die „Liberalen“ und am Ende stand dann die Frage, wer in der SPD als erster umfiel und als Dank in der rechten Presse die Lorbeeren des starken Mannes der inneren Sicherheit einheimste.
Scharping – sonst gänzlich profil- und inhaltslos – machte in rudimentärer Bauernschläue diesen Schritt und wurde so Vorsitzender der SPD.
Es war die Katastrophe, die diese Partei schon damals redlich verdient hatte. Oskar Lafontaine putschte Scharping auf dem Parteitag am 16. November 1995 nicht weg: er wurde gewählt, und zwar weil es ganz einfach niemand mehr aushielt.
Die Delegierten wählten den durch die Basis der SPD bestimmten Vorsitzenden ab. Nichts konnte den Zustand der Partei damals besser beschreiben.
Bis heute gilt es in der SPD als Schande besser zu sein als die Vorgesetzen, die nie gewählt, sondern durch die parteiinterne Oberschicht vorher ausgeguckt wurden. Eine demokratische Wahl gilt letztlich als genauso anrüchig wie irgendeine Befähigung. Nur das Mittelmass, das Unauffällige, das Nichtssagende, das war und ist die SPD, das ist traditionell, das ist der gute Ton, und der 16.November 1995 war der einzige Punkt in der Geschichte dieser Partei seit Jahrzehnten wo das ein einziges Mal anders war:
der unfähige Vorsitzende wurde einfach gefeuert.
Drei Jahre später stellte die SPD den Kanzler.
Und was geschah dann?
Die Bundestagsfraktion der SPD, bis zu diesem Zeitpunkt wie die ganze Partei von glühenden Gewissensbissen wegen der einzig richtigen Entscheidung von 1995 gequält endlich einen unfähigen Funktionär an der Spitze der Partei vor die Tür gesetzt zu haben, beharrte auf Rudolf Scharping als Fraktionsvorsitzenden.
Oskar Lafontaine, der wie Schröder nie durch eine Urabstimmung in der SPD etwas geworden wäre und die 16 Jahre lang in Agonie verharrende Partei gegen ihren Willen erst zur Opposition gegen Helmut Kohl und dann zum Sieg gezwungen hatte, pochte auf Ottmar Schreiner als Vorsitzenden der SPD-Abgeordneten in der Legislative.
Gewinner in diesem Machtpoker: Gerhard Schröder. Er setzte den damals schon unbeliebten Strippenzieher Peter Struck durch, der jahrelang im Vermittlungsausschuss die SPD zum Erfüllungsgehilfen von Kanzler Kohl degradiert hatte.
Der Auftritt von Lafontaine vor der Bundestagsfraktion nach dieser Posse zeigte bereits das nahende Ende auf. Keine Hand rührte sich für den eigenen Vorsitzenden, jedes Wort von Lafontaine fiel wie ein Stein in einen tiefen Brunnen. Der eigentliche Grund für den späteren Abgang des damaligen Finanzministers und Vizekanzlers war genau dieser Moment.
Er gab Schröder freie Bahn, die Bundestagsfraktion an sich zu binden und seine Regierungspolitik rücksichtslos durchzusetzen.
Am 10. März 1999 erklärte Schröder bei einer Kabinettssitzung, eine wirtschaftsfeindliche Politik sei „mit ihm nicht zu machen“. Am Folgetag stand in der Bildzeitung, er habe mit Rücktritt gedroht und besonders Lafontaine angegriffen. Ein Dementi des Kanzlers erfolgte nicht. Am 11. März 1999 erklärte Lafontaine seinen Rücktritt vom Amt des Bundesfinanzministers. Zugleich legte er den Vorsitz der SPD und sein Bundestagsmandat nieder. In einer kurzen Presseerklärung drei Tage darauf begründete er diesen Rückzug aus allen Ämtern mit dem „schlechten Mannschaftsspiel“ in der Regierung. Näheres wolle er nicht mitteilen, um der Regierung nicht zu schaden. Er war insgesamt 186 Tage im Ministeramt. (2)
Der neue Fraktionsvorsitzende Peter Struck weigerte sich anfangs noch, an den Kanzleramtsrunden Schröders teilzunehmen. Er sah sich als Beauftragter der Legislative, nichts als Passgeber für die Regierung.
Nach einer Kritik an der Steuerpolitik Schröders in der Sommerpause 1999 – in der Folge wurden im Zuge des „Schröder/Blair-Papiers“ und der „Agenda 2010“ die Hartz-Gesetze sowie die de facto-Vernichtung der Einnahmequelle „Körperschaftssteuer“ (6) beschlossen – stauchte ihn Schröder öffentlich zusammen und zwang ihn zur Disziplin unter Regierungsvorgaben. (3)
Struck fügte sich und gehörte dann, als Figur endgültig gebrochen, zum inneren Zirkel um Schröder.
Nie, zu keinem Zeitpunkt, wurde seitdem das Wort von der „Regierungspartei“ in Frage gestellt. Dieses Wort allein ist aber schon Ausdruck der Verachtung gegenüber der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip.
Die „SPD“ wurde im Zuge der nächsten Jahre endgültig zur Scheinpartei, zum Eigentum von Doris ihrem Mann, zum Opfer ihres Selbstopfers, in das sie Millionen Menschen mit hineinzog.
Dabei war und ist Inhalt dieser Wirtschaftspolitik nicht die „Marktwirtschaft“. Auch die grössten Fans des Kapitalismus wissen, dass dieser eigentlich über Angebot und Nachfrage funktionieren sollte. Was passierte war aber folgendes: die liegengebliebene Nachfrage auf den Konten der Reichen – dem Wirtschaftskreislauf entzogen – wuchs ins Unendliche, während denjenigen die ihr Geld traditionell ausgeben (da sie wenig haben), immer weniger gelassen wurde.
Dabei wurde peinlichst darauf geachtet, dass jede Art des Zusammenhalts, der Solidarität, der Hoffnung, des kulturellen Fortschritts, der sozialen Strukturen, der gemeinnützigen Wissenschaft und der gestaltenden Kraft von Politik mit aller Macht unterdrückt wurde.
Man hatte den Eindruck, eine ganze Republik wurde mit Gewalt verbogen und zerbrochen, um einem kontinentalen EU-Monster und transnationalen Finanzimperium zum Frass vorgeworfen zu werden.
DER VORSITZENDE KURT BECK – VORSITZENDER VON WAS?
Seit Monaten läuft eine Kampagne durch Zöglinge des ex-Kanzlers Gerhard Schröder gegen den eigenen Vorsitzenden der Partei.
Franz Müntefering, Peer Steinbrück, Frank Steinmeier und Peter Struck versuchen mit aller Macht die SPD solange wie möglich als Regierungspartei zu erhalten (4). Ob sie danach noch vorhanden ist, kann den Beteiligten völlig egal sein, da ihre Existenz unmittelbar an die Exekutivgewalt gekoppelt ist. Niemand würde nach einem Ende der „grossen“ Koalition noch auf die beteiligten Personen setzen, die es geschafft haben, dass in Sachsen die NPD in Umfragen vor der SPD liegt, es mittlerweile eine Parlamentsfraktion von 8% unter Führung von Lafontaine gibt und die eigene Partei auf die 20% in den Umfragen zusteuert.
Auch die Kriege in Afghanistan, weltweit unter dem OEF-Mandat („Operation Enduring Freedom“) oder die Aktion mit der Flotte vor Libanon und Syrien würden bei einer Besinnung nach dem Zwangstaumel als Juniorpartner von Merkel nicht vergessen werden. Insofern ist das Handeln der Schröder-Fraktion nur allzu logisch.
Was aber ist nun mit denjenigen, die jahrelang das willige Opfer der Exekutivfunktionäre gespielt haben?
„Eine kleine Clique an der Spitze der Partei wollte die reformistische Tradition der SPD als linker Volkspartei entsorgen“, so gestern der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA), Otmar Schreiner, der 1998 nicht Fraktionsvorsitzender im Bundestag wurde.
Die „Entsozialdemokratisierung und Entwurzelung der SPD“ müsse „programmatisch und personell“ gestoppt werden, so Schreiner. (5)
Soetwas würde er nicht sagen, wenn er es nicht sagen dürfte. Schreiner hat Rückendeckung von ganz oben und das ist auch der einzige Grund warum er überhaupt zitiert wird, auch hier. Wenn es in den letzten Jahren eine abschreckende, zutiefst lächerliche Figur gegeben hat, die nicht für einen Cent Mumm in den Knochen hatte, dann ist es Otmar Schreiner. Dieser Mann hat in seinem ganzen Leben noch nie etwas riskiert oder durchgesetzt, es galt eher die Grundregel, dass etwas hundertprozentig NIE passieren wird, WEIL es Otmar Schreiner vorgeschlagen oder „gefordert“ hat.
Auf dem Bundesparteitag hat die SPD die Wahl entweder Regierungspartei oder SPD zu sein. Wer sich in der Politik unterordnet, bekommt nichts als die Krümel und verschwindet irgendwann.
Nur als Partei, die ÜBER der Regierung steht, wird sie absurderweise vielleicht begreifen, dass sie derzeit eine CDU-Kanzlerin am Leben hält, und deren Politik obendrein.
Nur als Partei wird die SPD in der Lage sein, auch wieder den Kanzler zu stellen. Das könnte sie, jederzeit. Sie müsste es nur wollen.
Aber genau da ist das Problem: die SPD will nichts.
Gar nichts.
Wie ich es satt habe, den Therapeuten für 500.000 Penner zu machen.
weitere Artikel:
04.09.07
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http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=897&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=09
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01.07.07
Schäuble, schwarz-grün und die Mär von der Mehrheit des Bürgertums
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=663&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=7
Quellen:
(1)
http://www.goest.de/cm/93_2.html
(2)
http://de.wikipedia.org/wiki/Oskar_Lafontaine
(3)
http://209.85.129.104/search?q=cache:MIRxuTRqgjkJ:www.forschungsgruppe-regieren.de/data/mag_vorrink.pdf+Lafontaine,+Scharping,+Fraktionsvorsitz,Stein,Moment&hl=de&ct=clnk&cd=9&gl=de&client=firefox-a
(4)
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=897&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=09
(5)
http://www.netzeitung.de/deutschland/736690.html
(6)
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=663&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=7