Berlin: Innerhalb von 48 Stunden ist der Machtkampf zwischen der alten Schröder-Riege und Hartz IV-Fraktion einerseits und dem Reformflügel um Kurt Beck andererseits zugunsten des SPD-Vorsitzenden entschieden worden. Gestern lobte Beck den ex-Kanzler Gerhard Schröder für seine politischen Verdienste, sagte aber, er wolle die 5 Jahre alten Beschlüsse der Agenda 2010 „weiterentwickeln“. Diese Formulierung hatte bereits der SPD-Generalsekretär Hubertus Heil am 10.September verwendet (1). Schröder bekundete nun seine „Loyalität“ (2) zu Beck, den er bei seiner Rede anlässlich der Verleihung des Quadriga-Preises gestern Abend in der Komischen Oper in Berlin „meinen Vorsitzenden“ nannte.Die Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Elke Ferner, kündigte heute an, sich mit der CDU über eine Verbesserung der Lebenssituation von älteren Erwerbslosen auseinanderzusetzen. Sie drohte indirekt damit, das Thema sonst zum Wahlkampfthema 2009 zu machen.
„Immerhin gibt es einen Parteitagsbeschluss der CDU für einen längeren Arbeitslosengeldbezug für Ältere“, so Ferner am heutigen Donnerstag. „Es muss doch möglich sein, hier einen sinnvollen Kompromiss zu finden.“ Gelinge dies nicht, werde die SPD in der nächsten Legislaturperiode einen neuen Anlauf machen. (2)
Die Partei-Linke Andrea Nahles, die im Oktober 2005 für ihren Wahlerfolg gegen den Willen des damaligen SPD-Vorsitzenden Müntefering bei der Nominierung für den Posten als Generalsekretärin (4) jahrelang bestraft worden war, stärkte dem jetzigen SPD-Chef Beck den Rücken. „Er klärt politisch-inhaltlich, wo es hingehen soll, er zeigt neue Wege auf, und er guckt, wie die SPD Wahlen gewinnen kann,“ so Nahles. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass seine Haltung in einem entsprechenden Wahlergebnis am kommenden Parteitag belohnt werde.
Desweiteren bezeichnete sie ausgerechnet die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe als „Kern“ der Hartz-Gesetze (3). Dieser Teil der Agenda-Politik – und damit die Besserstellung der bis dato völlig abgeschriebenen Sozialhilfeempfänger – war aber der am wenigsten umstrittene Teil von Hartz IV.
Auch Umweltminister Sigmar Gabriel – als erstes Regierungsmitglied – stellte sich hinter Beck und rief die SPD zu mehr Geschlossenheit auf. Beck sei der Kapitän, und die Mannschaft solle zeigen, dass sie einig hinter ihm stehe, so Gabriel. (3)
Die Spitzenkandidatin der SPD in Hessen, Andrea Ypsilanti, nutzte die Gunst der Stunde und warb für sich bei den kommenden Landtagswahlen im „Morgenmagazin“. Auch sie warb nun plötzlich für die Verbesserung der Lebenssituation von brutal verarmten Bevölkerungsschichten und deren Familien.
Mittlerweile präsentiert sie sich nicht mehr als deutsche „Ségolène Royal“. (8)
DER GESCHEITERTE KANZLERKANDIDAT FRANK STEINMEIER
Verlierer des monatelangen Machtkampfes in der SPD: u.a. Frank Steinmeier. Obwohl er selbst (zusammen mit dem derzeitigen SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Peter Struck) vor Monaten eine veritable Intrige gegen den eigenen Vorsitzenden startete, indem beide ungefragt Beck zur „Rampensau“ erklärten und zum Kanzlerkandidaten ausriefen (6), bekam er nun Hosenflattern und flehte um ein Ende der ganzen Diskussion.
Im bizarren Plural verkündete der Aussenminister, der wie Vizekanzler Müntefering als Ziehkind Schröders und Verfechter der Koalition mit der CDU gilt, gestern folgendes:
„WIR gehen auf einen Parteitag zu, wo WIR uns diesen öffentlichen Streit nicht leisten können“. (5)
Steinmeier, Struck, Müntefering und Finanzminister Peer Steinbrück hatten versucht die Merkel-Regierung zu retten, indem sie die schlechten Umfragewerte der eigenen Partei auf den selbst ausgerufenen Kanzlerkandidaten Beck abzuwälzen.
Diese Intrige dürfte für die Beteiligten so ziemlich das grösste Eigentor aller Zeiten werden. Nicht nur das Wahlergebnis für den NRW-Wahlverlierer und ex-Ministerpräsidenten Peer Steinbrück, sondern auch das für den Aussenminister der Merkelregierung, Frank Steinmeier, wird auf dem SPD-Bundesparteitag sicherlich Spuren hinterlassen.
Beide Regierungsmitglieder kandidieren als Stellvertreter des SPD-Vorsitzenden Beck und bringen sich damit in Lauerstellung für einen möglichen Putsch, um dessen Nachfolge anzutreten.
Vor kurzem hatte sich Steinmeier nach Einschätzung der lieben Kollegen von „Spiegel online“ durch Wechsel des Ortsverbandes für eine mögliche Kanzlerkandidatur in Stellung gebracht. (7)
weiterer Artikel:
04.09.07
Müntefering,Steinmeier,Steinbrück: der Putsch gegen Beck und die SPD
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=897&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=9
Quellen:
(1)
http://www.live-pr.com/spd-spitze-will-agenda-2010-weiter-entwickeln-r1048140357.htm
(2)
http://www.focus.de/politik/deutschland/spd-arbeitsmarktstreit_aid_134718.html
(3)
http://www.tagesschau.de/inland/alg4.html
(4)
http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/470/63407/
(5)
http://www.ad-hoc-news.de/Politik-News/de/13553423/Beck-Vorsto%DF-zu-Arbeitslosengeld-keine-Abkehr-von
(6)
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=897&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=9
(7)
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,496941,00.html
(8)
http://www.zeit.de/2006/50/Weiblich_laestig_furchtlos