Der Volljurist Wolfgang Schäuble hat in der aktuellen Ausgabe der juristischen Fachzeitschrift „Zeitschrift für Rechtspolitik“ die als Beilage zum Leib- und Magenblatt aller Juristen „Neue Juristische Wochenschrift“ tausendfach verbreitet wird, einen Aufsatz abgelassen mit dem Titel: „Aktuelle Sicherheitspolitik im Lichte des Verfassungsrechts“ (ZRP 2007, S. 210 f.). Dieser Beitrag ist unter mehreren Gesichtspunkten bemerkenswert, zeigt er doch, wie unverhohlen und unverschämt dieser „furchtbare Jurist“ unsere Verfassung zerstören möchte.Aufhänger für den Aufsatz ist der Umstand, daß „Deutschland im Blickfeld des internationalen Terrorismus“ sei, was auch die jüngsten Anschlagsvorbereitungen gezeigt hätten, zu denen sich die Islamistische Jihad Union bekannt habe. Angesichts dieser „Herausforderung (müsse) unser Staat handlungsfähig bleiben, um die mögliche Sicherheit zu gewährleisten und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Wehrhaftigkeit des Rechtsstaates zu erhalten“.
In einem ersten Absatz heißt es unter der Überschrift „Verantwortung von Regierun, Parlament und Justiz für die Verwirklichung des demokratischen Rechtsstaates“ unter anderem:
„In der inneren Sicherheit gibt es eine Reihe von Entscheidungen des BVerfG, die inhaltliche Anforderungen zur eingreifenden staatlichen Informationsbeschaffung aufgestellt haben. Die Entscheidungen enthalten viele Aussagen, die eins zu eins umgesetzt werden – und die richtig sind, selbst wenn sie den Gesetzgeber korrigieren und zum Handeln zwingen. So beabsichtigt die Bundesregierung beispielsweise, die gesamten strafprozessualen Eingriffsbefugnisse zu systematisieren, neu zu strukturieren und an die inhaltlichen Anforderungen der Rechtsprechung anzupassen“ (S. 210)
Man darf gespannt sein, was bei Gelegenheit dieser geplanten Reform der Strafprozessordnung wohl noch alles an Freiheitsrechten den Bach runtergehen wird.
Unter einem zweiten Absatz mit der Überschrift „Auflösung der Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit“ entwickelt Schäuble dann die These, dass die moderne Massenkommunikation eine Schwächung der (wohl:staatlichen) Souveränität hervorrufe:
„Heute sind die Schauplätze der Welt mit ihren unterschiedlichen Entwicklungsstufen viel stärker miteinander verwoben als früher: Moderne Massenkommunikation, allen voran das Internet, und weltweite Mobilität der Menschen führen zu einem permanenten Austausch und zu einer immer dichteren Vernetzung der Bevölkerung und der weltweiten Infrastruktur . Damit einher geht die Abnahme staatlicher Einflussnahme und Kontrollierbarkeit des Geschehens – und so gewissermaßen der faktische Verlust von Souveränität. Je enger die Verflechtungen werden, umso schneller und unmittelbarer wirkt sich das, was ganz woanders auf der Welt passiert, bei uns aus. Und so müssen wir auch die Sicherheit unseres Landes mit Blick auf weltweite Entwicklungen sehen und gestalten.“ (Seite 210).
Also nicht die Privatisierung in Form von Verscherbelung wichtigster Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Post, Telefon, Bahn, Energieversorger etc. beeinträchtigt die staatliche Souveräntität, sondern die Tatsache, dass die Bürger schnell und preiswert miteinander Informationen austauschen können. Jetzt kommt etwas, was ich für mich den „Blackwater-Absatz“ genannt habe:
„Zu den neuen Bedrohungen gehört nicht nur, dass wir weltweit
vielfältige Krisen und Konflikte haben, sondern auch, dass diese nicht mehr ausschließlich von souveränen Staaten beherrscht werden: Das Konfliktgeschehen wird heute auch von Bürgerkriegen, von selbsternannte Warlords, Guerilla-Kämpfern, regionalen und privaten Kriegsherren bestimmt. Gewaltanwendung in großem Stil ist zu einer Dienstleistung geworden, für die es Märkte gibt. Die Bedrohungen, die vom Verlust staatlicher Souveränität ausgehen, von falling states und asymetrischer Kriegsführung, sind eine grosse sicherheitspolitische Herausforderung unseres Jahrhunderts.“
Also wo bitte gibt es denn in Deutschland – abgesehen von Franz Josef Jung und Wolfgang Schäuble – selbsternannte Warlords und private Kriegsherren? Schäuble aber ist mitten drin im internationalen „War on terrorism“.
Im nächsten Absatz „Staatliche Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit“ führt Schäuble erst aus, daß es eine absolute Sicherheit nicht gibt, meint aber: Dass es keine absolute Sicherheit vor terroristischer Bedrohung geben kann, entbindet nicht davon, immer wieder ein Optimum zu suchen“. Von Freiheitsrechten ist in dem Beitrag von Schäuble übrigens keine Rede und auch nicht von einem Spannungsverhältnis zwischen den Rechtsgütern „Sicherheit“ einerseits und „Freiheit“ andererseits. Nein – die Marschrichtung ist klar: Immer mehr Sicherheit („Optimum suchen“) auf Kosten der Freiheitsrechte, An dieser Suche nach dem Optimum „wäre der Staat gehindert, wenn ihm bestimmte Technologien vorenthalten oder wenn bestimmte Technologien in der Hand des Staates unter Generalverdacht gestellt würden“. (Seite 211). Weiter geht`s:
„Mit zunehmender Durchlässigkeit – oder sogar dem Wegfall – von Grenzen, also mit zunehmender grenzüberschreitenden Aktivitäten der Menschen insgesamt, einschließlich der Kriminellen und Terroristen, brauchen wir eine stärkere internationale und vor allem europäische Zusammenarbeit, Das bedeutet auch, dass wir unsere Sicherheit durch Auslandseinsätze erhalten müsssen.“ (Seite 211).
Kapiert? Sicherheit nicht absolut zu erreichen. Immer Optimum suchen. Auslandseinsätze fördern Sicherheit, sind also optimal für Sicherheit. Also immerwährender Krieg im Ausland unter deutscher Beteiligung optimal.
Jetzt schließt sich einer meiner Lieblingssätze in dem ganzen Beitrag unmittelbar an:
„Wir müssen ebenso grenzüberschreitend agieren wie Terroristen und Kriminelle, und wir müssen ebenso vernetzt sein – international wie national. Wir müssen operativ auf der Höhe derjenigen sein, die unsere Sicherheit gefährden. Das heißt, wir müssen die technischen Mittel anwenden und kontrollieren, die Kriminelle und Terroristen im 21. Jahrhundert zur Ausübung ihrer Taten nutzen.“ (Seite 211).
!! Die technischen MIttel, die Terroristen nutzen!! Autobomben, entführte oder ferngelenkte Passagierflugzeuge, Friseurbedarf – das ganze Programm! Ich stifte einen Sprengstoffgürtel für Herrn Schäuble!
In dem Stil geht es weiter. In einem weiteren Absatz unter der Überschrift „Information und Informationsvernetzung als Voraussetzung der staatlichen Sicherheitsvorsorge“ fordert Schäuble, daß Selbstbeschränkungen des Staates bei der Informationsgewinnung weiter abgebaut werden. Dazu schreibt er:
„Gerade die dezentrale und globale Struktur des Internets hat nicht wenig dazu beigetragen, dass die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit immer mehr verschwimmen und jedenfalls die Bedrohung durch Terrorismus oder Organisierte Kriminalität global geworden ist.
Die globale Informationsgesellschaft ist auch die Basis des Verbrechens. Deswegen darf der demokratische Rechtsstaat, was die Nutzung der Informationstechnolgie betrifft, nicht hinterwäldlerisch sein. Der Rechtsstaat muß Terrorismus und Organisierte Kriminalität auf Augenhöhe begegnen. Mein Verständnis von Datenschutz ist daher nicht, dass sich der Staat selbst blind und dumm macht, sondern dass der Gesetzgeber transparente Grundlagen schafft, wer welche Daten wofür erhebt, welche Daten vernetzt werden können, wie lange sie gespeichert werden usw. Die Sicherheitspolitik kann einer zunehmend dezentralen Informationsstruktur und der sich dadurch verändernden Bedrohungslage nicht ausweichen. Sie muss sich aktiv darauf einstellen.“ (Seite 211).
Das Problerm ist nur, daß mit den Bestrebungen nach „Augenhöhe“ auch die Grenzen zwischen Rechtsstaat und Organisierter Kriminalität und Terrorismus verschwimmen – siehe USA.
Dann holt Schäuble aus zum großen Schlag gegen die Verfassung und setzt den Hebel zur Aushebelung der Menschenrechte in Deutschland ganz, ganz tief an: Er stellt die Rechtsprechung des BVerfG zum Kernbereich der Grundrechte in Frage.
„Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang die Grundrechtsdogmatik, die der Erste Senat des BVerfG unter dem Stichwort „Kernbereich“ entwickelt hat. Dahinter steht die durchaus zutreffende Vorstellung, dass es absolut geschützte Bereiche individuell- persönlicher Lebensgestaltung geben muss, die den Staat nichts angehen – die allerdings, was häufig verkannt wird, den Rechtsstaat auch gar nicht interessieren: Kernbereichsinformationen sind bedeutungslos für Ermittlungsbehörden, denen es um kriminelle Organisationen und begangene oder bevorstehende Straftaten geht.
Es ist unbestritten, dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung vom Gesetzgeber anzuerkennen ist. Das BVerfG geht aber weiter, indem es sagt, dass umfassende Löschungsgebote und Verwertungsverbote nicht ausreichen, sondern schon präventiv das Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in Wohnungen verhindert werden müssen, wenn ‚Anhaltspunkte dafür bestehen, dass absolut geschützte Gespräche erfasst werden‘. Außerdem müsse eine Überwachung abgebrochen werden, wenn ‚unerwartet eine Situation eintritt, die dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen ist‘.
Diese Vorgaben führen nicht nur zu dem Problem, dass derjenige, der seine staatliche Überwachung befürchten muss, die Ermittlungsbehörden in der Hand hat, indem er brisante Äußerungen in einen intimen Kontext packt. Sie sind auch so verstanden worden, dass stets eine Person ‚live‘ mithören muss, die dann je nach Kommunikationssituation angehalten ist, das Band abzuschalten.
Wann das Band wieder eingeschaltet werden darf, bleibt offen – ebenso wie offen bleibt, woher die Ermittlungsbehörde die vielfältigen Fremdsprachenkenntnisse nehmen sollen, um diese Verantwortung im Mehrschichtbetrieb wahrzunehmen. Dass die Gerichtssprache nach § 184 GVG deutsch ist, hilft im Gerichtssaal, nicht jedoch bei verdeckten Ermittlungen.“ (Seiten 211, 212)
Hier ist Schäuble an Dreistigkeit nicht zu überbieten. Das BVerfG hat gut überlegt, was es sagt. Nämlich z.B. dies: „Zur Entfaltung der Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge wie Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse höchstpersönlicher Art zum Ausdruck zu bringen, und zwar ohne Angst, dass staatliche Stellen dies überwachen.“ (NJW 2004, 1002). So schlau wie Schäuble war vorher das BVerfG auch gewesen, um zu wissen, dass eine immer weitergehende Suche nach dem „Optimum an Sicherheit“ auf Kosten dieses Kernbereichs von Grundrechten denkbar ist. Und hat dieser Suche eine Absage erteilt:
„Dieser Schutz darf nicht durch Abwägung mit den Strafverfolgungsinteressen nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes relativiert werden.
Zwar wird es stets Formen von besonders gravierender Kriminalität und entsprechende Verdachtssituationen geben, die die Effektivität der Strafrechtspflege als Gemeinwohlinteresse manchem gewichtiger erscheinen lässt als die Wahrung der menschlichen Würde des Beschuldigten. Eine solche Wertung ist dem Staat jedoch durch Art. 1 I, 79 III GG verwehrt.“ (a.a.O.)
‚Verwehrt!‘ period! Das schert Schäuble jedoch einen triefendenKehricht. Er muß die Verfassung treten, verhöhnen, besudeln mit der Äußerung:
„Dass der Schutz von strafprozessual völlig bedeutungslosen Informationen verhindert, strafrechtlich relevante Erkenntnisse zu erlangen, kann nicht richtig sein. Der erforderliche Persönlichkeitsschutz würde hier auch durch das Gebot nachträglicher Löschung erreicht “ (Seite 212).
Ja, will ich denn auf dem Scheißhaus gefilmt werden, bloß weil meine Kacke strafprozessual völlig bedeutungslos ist? Habe ich gleichviel Freude am Geschlechtsverkehr wie sonst, wenn ich weiß, daß die Tonaufnahmen davon gleich nach der Auswertung vielleicht gelöscht werden, wenn ich nicht gerade schreie: Ja Baby, oh es kommt, es kommt, oh das ist fast so geil wie neulich beim Anschlag auf die US-Botschaft ??
Schäuble ist ein eiskalter Zyniker, der systematisch das Ziel verfolgt, die verfassungsrechtlichen Grundfreiheiten der Bürger unseres Landes zu zerstören. Die Turbokapitalisten dieser Erde spüren, dass die immer prekärer lebenden normalen Menschen wachsenden Unmut gegen die bestehenden gesellschaftlichen Zustände entwickeln und suchen hektisch und immer aggressiver nach Machtmitteln, um sich weiter zu behaupten und weiter ihre Zerstörungswut in allen Lebensbereichen ausleben zu können.
Schäuble sondert in seinem Aufsatz noch mehr ab: Die Forderung nach Ausweitung der Rasterfahndung, die altbekannte Forderung nach Änderung des Art. 87a GG, um Militär im Inneren einsetzen zu können.
Bei letzterem greift er eine dummdreiste Phrase von Franz Josef Jung auf, der sich einredet, ein Terrorangriff sei „ein Angriff auf die Grundlagen des Gemeinwesens“, der einen Militäreinsatz rechtfertige.
Dabei hatte das BVerfG im Urteil über das Luftsicherheitsgesetz klar gesagt, dass durch einen Terrorangriff wie vom 11.09.2001 das Gemeinwesen in seinen Grundlagen nicht berührt werde und so etwas gar nicht der Anwendungsfall sei. Schäuble geht nur sogar noch einen Schritt weiter in seiner perfiden Denke und sinniert schon über die „punktuelle Bekämpfung von Angriffen auf die Grundlagen des Gemeinwesens“ mit militärischen Mitteln:
„Deswegen muss es geregelt sein, damit wir im Ernstfall handeln können: Erstens, indem wir bei besonders schweren Unglücksfällen im Rahmen der unterstützenden Gefahrenabwehr nach Art. 35 II und III GG auch den Einsatz militärischer Mittel vorsehen, und zweitens, in dem wir die punktuelle Bekämpfung von Angriffen auf die Grundlagen des Gemeinwesens als eigenständige, der Verteidigung vergleichbare Aufgabe in Art. 87a II GG ergänzen.“
Punktuelle Bekämpfung? Also militärische Angriffe auf kleine Rädchen im großen Getriebe des angeblichen Internationalen Terrorismus? Wenn demnächst eine Cruise Missile den türkischen Gemüseladen nebenan ausradiert, dann wird das wohl sowas gewesen sein.