Späte Einsicht: Grossbritanniens Kapitulation in Afghanistan

Britische Regierungs- und Armeespitze: Militärischer Sieg in Afghanistan unmöglich – Verhandlungen mit Aufständischen einzige Lösung

Die Front bröckelt – die heilige eiserne Allianz der beiden am festesten zusammengeschmiedeten Länder, was Kriegsführung, Politik, Wirtschaft und Kultur betrifft, beginnt sich an der Frage des Krieges in Mittelasien aufzulösen. (Foto: Parlamentärsflagge, Jan Jacobsen/Wikipedia)

Tony Blair (Labour-Partei), Kreationist und Bush‘s poodle, ist seit Juli 2007 nicht mehr im Amt, was sich nun spätestens seit den letzten Wahlen ausserordentlich positiv auf der Insel und auf andere Staaten auszuwirken scheint.

Der Chef der britischen Armee, General Sir David Richards gab mit einem „private view“, einer privaten Sicht der Dinge zu Afghanistan, am 27.Juni ein Interview auf Radio 4 in der Sendung „Radio 4‘s the World this Weekend“, in dem er mitteilte, dass er nicht sicher ist, ob der militärische Sieg der alliierten Verbündeten zu erreichen sei. Die Koalitionstruppen in Afghanistan sollten sehr bald offene Gespräche mit den Taliban als Teil einer künftigen Exit-Strategie führen, so Richards. Weiter führte der General aus, dass es in einem Konflikt dieser Art schliesslich unvermeidlich sei, Gespräche mit dem Feind zu suchen und bezweifelte, dass die Koalition den Taliban eine strategische Niederlage zufügen könnten.

„Wenn Sie in der Geschichte zurückblicken, werden Sie feststellen, dass es in jeder Kampagne zur Bekämpfung von Aufständen immer ein Punkt gab, an dem Sie beginnen zu verhandeln, wahrscheinlich durch Bevollmächtigte in der ersten Instanz.“

Auf die Bemerkung, ob das seine private Anschauung wäre, antwortete Richards

„Ich denke, es gibt keinen Grund, warum wir nicht bald auf diese Art die Dinge betrachten sollten.“

Die Minister würden sich vorsichtiger über diese Aussichten, auf diese Weise Friedensgespräche zu führen, äussern aus Angst, dass es als ein Eingeständnis der Niederlage gewertet wird – doch Richards sagte, dass er nicht glaube, dass Verhandlungen und ein totaler Krieg „einander sich widersprechende“ Teile wären.

„Zur selben Zeit, in der Sie mit dem Feind im Gespräch sind, haben Sie weiterhin die Arbeit, die wir tun: militärische, Regierungsarbeit und Entwicklungsperspektiven zu machen – so dass sie gar nicht denken, dass wir aufgeben. Es ist ein gleichzeitiger Prozess.“

sagte Richards und bemerkte dazu zur Selbstbestätigung und recht realitätsfremd, so wie das unvermeidlicherweise die meisten Militärs auszeichnet:

„Wir müssen weiterhin den Taliban das Gefühl geben, dass sie im militärischen Sinne besiegt sind.“

Wenn das nicht ein haushohes Eingeständnis der Niederlage ist, was dann?

Eine Quelle des britischen Verteidigungsministerium sagte zu den Bemerkungen des Armeechefs, „obwohl die Regierung nicht dazu aufgerufen hat, derartige Gespräche ganz so direkt zu führen wie Richards das tat mit seinen Ansichten der „Private View“ auf Radio 4, wären die allgemeine Anmerkungen dennoch im Einklang mit der ministeriellen Denkweise.“ (1)

„We can‘t win a purely military victory in Afghanistan – Wir können einen rein militärischen Sieg in Afghanistan nicht gewinnen.

Dieser muss mit einer politischen Lösung Hand in Hand gehen.“

so die Quelle am 27.Juni zum Guardian.

In der letzten Woche sagte David Cameron, dass er die britischen Truppen bis 2015 nach Hause holen will. In einem separaten Interview sagte am 27.Juni jedoch Sir Richard Dannatt, der Vorgänger von General Sir David Richards

„Es gibt einen Begriff: strategische Geduld.

Denken Sie jetzt zurück. Nordirland, vielleicht durch ganz anderen Umstände, aber wir waren dort achtunddreissig Jahre lang. Bosnien, wir waren vierzehn, fünfzehn Jahre dort. Im Kosovo waren wir zehn Jahre. Diese Dinge brauchen Zeit. Und obwohl die Menschen mit Recht sagen: ‚Nun, wir sind seit 2001 in Afghanistan. “ – tatsächlich begann die massive Beteiligung an dieser grossen Operation erst 2006.“

Der britische Premierminister David Cameron sagte am Montag, den 28.Juni im Unterhaus (House of Commons)

„Wir müssen die Arbeit beenden und unsere Truppen nach Hause bringen.“

Die Beamten sind ängstlich bemüht, diese Kommentare von David Cameron und General Sir David Richards herunterzuspielen, so der Guardian. Auf dem G8-Gipfel in Toronto wurde Cameron gefragt, ob er die britischen Streitkräfte vor der nächsten Wahl im Jahr 2015 nach Hause wollte.

„Ich möchte, dass das so geschehen wird, machen wir uns nichts vor. Wir können nicht für weitere fünf Jahre da sein, nachdem wir schon bereits seit neun Jahren dort sind.“

Brigadegeneral George Norton, der stellvertretende Kommandeur der 30.000 US- und britischen Truppen in Helmand denkt nicht daran, aufzugeben und sagte neulich, dass seine Truppen entschlossen wären, die notwendigen Ergebnisse zu „unumkehrbaren Fortschritten“ zu erzielen. Vielleicht wird er demnächst auf einen anderen Posten versetzt werden.

Um ein Niederlage nicht offen zugeben zu müssen, machten Cameron und sein Verteidigungsminister, Liam Fox, überdeutlich klar, dass sie weit davon entfernt sind, mangelnde Fortschritte in Afghanistan zu sehen. Es ist ebenso klar, dass der Zeitplan für den Truppenabzug von der Politik diktiert ist. Es gibt keine militärische Lösung, darin stimmen die britische Generäle und ihrer politischen Meister miteinander überein. Die Frage ist nur wann, um mit dem Feind zu sprechen.

Die klügsten Generäle, darunter Sir Graeme Lamb, ein ehemalige Berater des entlassenen US-General Stanley McChrystal und die intelligentesten Diplomaten – vor allem Sir Sherard Cowper-Coles, Grossbritanniens Sondergesandter für Afghanistan und Pakistan, der gerade zurückgetreten ist (3) – glauben, dass die Zeit, um mit den Taliban zu sprechen, jetzt ist.

Diese Auffassung wird auch vom britischen Geheimdienst MI6 geteilt, der diese seit langer Zeit nach Gesprächen mit dem Feind, wann immer er diese führen konnte, ausgesprochen hatte.

Die Beendigung des Afghanistankrieges kann doch nun nicht an der albernen Sorge um einen Gesichtsverlust von Feiglingen scheitern – für wie beschränkt hält die Politik die Weltöffentlichkeit. Derjenige, der in dieser Frage jetzt Stärke und Entschlossenheit zeigt, hat die Zustimmung von Millionen – und rettet tausende von Menschenleben. Der Monat Juni 2010 hat die grössten Verluste unter den ISAF-Truppen seit dem Einmarsch in Afghanistan im Jahr 2001 gebracht.

Guido Westerwelle, Karl Theodor von und zu Guttenberg und Angela Merkel, Obamas Zamperl, müssen sich ranhalten, um nicht vom Zug der Zeit überrollt zu werden.

Wie sagte doch Michail Gorbatschow zu Erich Honecker bei einem Vieraugengespräch so schön treffend?

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

Artikel zum Thema

23.06.2010 McChrystal raus, Petraeus degradiert: Die “Warlord AG” Afghanistan bekommt einen neuen Geschäftsführer

Quellen:
(1) http://www.guardian.co.uk/politics/2010/jun/27/taliban-talks-afghanistan-head-army
(2) http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2010/jun/28/british-troops-withdrawal-afghanistan-cameron
(3) http://www.radio-utopie.de/2010/06/23/mcchrystal-raus-petraeus-degradiert-die-warlord-ag-afghanistan-bekommt-einen-neuen-geschaftsfuhrer/

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