Berlin: „Gott sei Dank, eine Entscheidung für das Streikrecht.“ (1) Wer sprach diese Worte nach dem Chemnitzer Gerichtsurteil zugunsten der Lokführer und der Verfassung? Ein Kommunist? Ein Terrorist? Ein Verwirrter, Chaot oder ungebildeter, hässlicher, degenerierter, fauler und unmotivierter Unterschichtler?
Nicht doch. Es war Konrad Freiberg, der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP). (1)
Und wer forderte gestern den faschistischen Putsch gegen unsere Verfassung und ihren Artikel 9 mit dem darin verankerten Streikrecht? Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Rainer Wend. Er will unbefristete Streiks generell „vom Staat“ – also der Exekutive – verbieten lassen. (2)
Es ist nicht das erste Mal, dass Wendt sich über die Arbeiter der GDL und das sie schützende Grundgesetz auslässt.
EINE KLEINE CHRONOLOGIE
– 15.Oktober (Quelle 9):
Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Rainer Wend, wörtlich über die Lokführer der deutschen Eisenbahn: „Diese Egoisten, die nur an sich selbst denken, müssen von der Öffentlichkeit zur Räson gebracht werden“. Er bedauerte, dass Artikel 9 des Grundgesetzes die Arbeiter vor dem Staat schützt. „Sie missbrauchen dieses Grundrecht schamlos auf Kosten des Gemeinwohls.“
Rainer Wend hat nicht nur mehrere ungenannte Mandanten als Anwalt, von denen er neben seiner nebenberuflichen Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter monatliche (!) Gehälter bezieht. Er ist ausserdem noch Mitglied des „Beirates“ der Hamburg-Mannheimer Versicherungs AG in Hamburg. Was man da eigentlich so genau machen muss als „Beirat“, auf die Erklärung wartet die Welt schon eine ganze Weile.
Nun, dann ist Herr Wend auch noch Mitglied des Verwaltungsrates und des Kreditausschusses der Sparkasse Bielefeld.
Er ist ordentliches Mitglied im „Gremium nach § 23 c Abs. 8 Zollfahndungsdienstgesetz – ZFdG-Gremium“. Das heisst, er überwacht den Geheimdienst des Bundesfinanzministeriums und wird höchstwahrscheinlich gar nichts, aber auch überhaupt nichts von den Tätigkeiten der Verfassungsbrecher des Zollfahndungsdienstes wissen. Dieser hatte vor einigen Tagen zugeben müssen, bereits illegale Online-Inlandsspionage heimlich durchzuführen.
Ausserdem ist der ehrenwerte Herr Doktor auch noch im „Ausschuss für Wirtschaft und Technologie“. Jetzt könnte man meinen, seine Zeit wäre so knapp bemessen, dass er keine Zeit für peinliche Pressemitteilungen hätte, die ihm wie ein Bumerang so richtig ins Gekröse hämmern. Aber nein: Dr.Rainer Wend ist auch noch stellvertretendes Mitglied im Rechtsausschuss und im Unterausschuss „Regionale Wirtschaftspolitik“.
Dabei hält es Wend immer nach dem Motto „heute hui, morgen pfui“. Während seines Studiums engagierte sich Wend nämlich im Sozialistischen Hochschulbund. Als Vorsitzender des Juso-Bezirks Ostwestfalen/Lippe galt Wend als wichtiger Repräsentant des marxistischen Stamokap-Flügels der SPD-Nachwuchsorganisation.
– 2.November:
Nach massivem öffentlichen Druck muss das Landesarbeitsgericht Chemnitz die Verfassung und Artikel 9 bestätigen. Der GDL wird das Streikrecht damit eingeräumt.
Unmittelbar nach dem Gerichtsurteil flennt sich Bahnchef Hartmut Mehdorn bei Kanzlerin Merkel aus und verlangt von seinem Arbeitgeber (der Bundesregierung als Verwalter des staatlichen Eigentums der deutschen Eisenbahn) den Verfassungsbruch und das Streikverbot für die GDL, sowie ein „anderes“ Streikrecht insgesamt.
Er behauptet allen Ernstes, die Tarifautonomie sei gesetzlich nicht explizit geregelt. Unter „Experten“ sei die Tendenz zu erkennen, die Tarifeinheit aufzugeben. Er schlägt einen „Ordnungsrahmen zum Erhalt der Tarifeinheit am Standort Deutschland“ vor. „Hier muss die Politik bewusste Entscheidungen treffen und die Weichen stellen,“ so Mehdorn (4). Sogar in Wirtschaftskreisen wie allgemein in der Öffentlichkeit wird der Brief als Blamage gewertet. (5)
– 14.November:
Die Bundesregierung erklärt, der Arbeitskampf sei „eine Belastung für die Wirtschaft“ und stärkt Mehdorn den Rücken. Der Streik der Lokführergewerkschaft GDL bremse das Wirtschaftswachstum in Deutschland. Der Bahn-Streik habe ohne Frage volkswirtschaftliche Folgen und sei eine „Belastung für die positive konjunkturelle Entwicklung“, so Vizeregierungssprecher Thomas Steg. Er könne noch weit schlimmere Folgen haben, je länger er dauere und das Land lahmlege (6).
Gleichzeitig erklärt der Präsident des „Deutschen Industrie- und Handelskammertag“ (DIHK), Ludwig Braun: „Zigtausenden Beschäftigten droht Kurzarbeit, weil der Nachschub fehlt“.
Jürgen Thumann (Präsident des „Bundesverbandes der Deutschen Industrie“, BDI) ebenfalls gestern:“Ein Streik einer kleinen Berufsgruppe von dieser Dauer ist verantwortungslos, selbst wenn er über das Streikrecht gedeckt wird“. (7)
Rainer Wend, der „wirtschaftspolitische Sprecher“ der SPD-Bundestagsfraktion: „Je stärker eine Interessenorganisation das Gemeinwohl in Frage stellt, umso größer wird auch der Druck sein, verfassungsrechtliche Veränderungen beim Streikrecht vorzunehmen“. (2)
Braun und Thumann hatten übrigens am 17.Oktober zusammen mit „Arbeitgeber-Präsident“ Dieter Hundt die Politik davor „gewarnt“, Änderungen an der „Agenda 2010“ der Bundesregierung vorzunehmen.(11)
– 15.November, heute:
Eingereiht in die Einheitsfront des Kapitals erklären mehrere einflussreiche Politiker der Regierungsparteien SPD und CDU das Grundgesetz de facto für Abschussreif.
Wendt´s Pendant der CDU, Laurenz Meyer: er sei „dafür, den Bahntarifstreit auszuwerten, um dann sorgfältig zu prüfen, ob der Gesetzgeber für künftige Fälle aktiv werden muss“. Ein möglicher unbefristeter Streik hätte in diesem Fall nach Meyers Ansicht eine Signalwirkung. Der Bund müsste sich dann überlegen, ob er es sich gefallen lasse, dass eine kleine Gewerkschaftsgruppe die gesamte Volkswirtschaft lahmlege.
Dazu Ludwig Stiegler, ebenfalls SPD, heute:“Die Grenze ist erreicht, wenn die gesamte Volkswirtschaft von der GDL in Geiselhaft genommen wird.“
Der DGB unterstützte diese faschistische Hetze gegen verfassungsgemäss, legal und von der Bevölkerungsmehrheit unterstützte streikende Arbeiter und redete ebenfalls davon, dass die GDL „in die Tarifeinheit zurückkommen“ solle. Die Lokführer, so DGB-Vorstand Matecki, sollten sich „solidarisch“ zeigen… (3)
BUNDESREGIERUNG PLANT MILITÄREINSATZ GEGEN STREIKENDE
Die folgenden Passagen bitte genau lesen.
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Artikel 9 unserer Verfassung:
http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/gg/gesamt.pdf
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen ARBEITSKÄMPFE richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.
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Das heisst, das Grundgesetz regelt hier explezit, nach welchen Artikeln gerade nicht das Streikrecht in irgendeiner Form angetastet werden darf.
Beachten wir jetzt mal den Hinweis auf Artikel 87a und dessen Absatz 4. Was steht da drin?
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Artikel 87a:
(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.
(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.
(3) Die Streitkräfte haben im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrages erforderlich ist. Außerdem kann den Streitkräften im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden; die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen.
(4) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen.
—
Wir halten also fest: auch wenn hier „organisierte und bewaffnete Aufständische“ in Berlin die Schützengräben ausheben, kann in diesem Land immer noch gestreikt werden, ohne dass die Armee eingreifen darf. Ist das jetzt klar? Gut.
Genau diesen Artikel 87a will die Bundesregierung bzw. Innenminister Wolfgang Schäuble ändern. Es soll ein Passus eingefügt werden, der auch den Einsatz der Armee im Falle „eines sonstigen Angriffs auf die Grundlagen des Gemeinwesens“ erlaubt. (8)
Die Änderung ist vorgesehen für Artikel 87a Absatz 2. Das Grundgesetz schützt das Streikrecht in Artikel 9 aber nur ausdrücklich vor Maßnahmen nach den Artikeln 87a Absatz 4.
Das heisst: über diese Verfassungsänderung ist der Schutz von streikenden Arbeitern vor der Armee mittels des geänderten Artikel 87a Absatz 2 ausgehebelt.
EPILOG
Innenminister Schäuble hatte Anfang Juli in einem Interview mit dem „Spiegel“ gefordert, so genannte „Gefährder“ in Unterbringungsgewahrsam zu nehmen oder ihnen die Kommunikation per Handy oder Internet zu verbieten. Außerdem sprach er sich dafür aus, den Straftatbestand der Verschwörung einzuführen und die gezielte Tötung Verdächtiger durch den Staat mittels einer Anpassung des Grundgesetzes zu ermöglichen.
Dazu wiederum Konrad Freiberg, Polizei-Gewerkschaftler der GdP:
Die Aussagen des Ministers seien „eine politische Ablenkungsstrategie für den Fall eines Anschlages, nach dem Motto: ‚Ich habe doch Vorschläge gemacht'“ (10)
(…)
weitere Artikel:
22.10.07
Warum Linke, SPD und DGB die GDL-Lokführer verraten
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=1103&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=10
15.10.07
GDL: Putscht die Bundesregierung gegen das Streikrecht?
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=1075&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=10
05.10.07
Mehrheit der Deutschen unterstützt GDL-Streik
http://radio-utopie.de/index.php?themenID=1020
30.09.07
Der wahre Gegner der GDL: Bundesregierung und DGB
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=1001&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=9
28.09.07
164 Mrd Euro: Goldgrube Bahnprivatisierung
http://www.radio-utopie.de/index.php?themenID=997
02.07.07
Globaler Krieg: Grossbritannien und Deutschland sollen zu faschistischen Polizeistaaten transformiert werden
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=665&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=7
27.05.07
Lafontaine, SPD: warum ist Ludwig Stiegler für die Arbeiterbewegung?
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=549&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=5
Quellen:
(1)
http://www.netzeitung.de/wirtschaft/unternehmen/798730.html
(2)
http://www.focus.de/politik/deutschland/bahnkonflikt_aid_139135.html
(3)
http://www.focus.de/politik/deutschland/streikrecht_aid_139206.html
(4)
http://www.netzeitung.de/wirtschaft/unternehmen/798730.html
(5)
http://www.ftd.de/politik/deutschland/:GDL%20Streiks%20Woche/274594.html
(6)
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,517395,00.html
(7)
http://www.radio-utopie.de/index.php?themenID=1224
(8)
http://www.welt.de/politik/article705832/Schaeuble_bemueht_Kriegsvoelkerrecht_fuer_Abschuss_entfuehrter_Flugzeuge.html
(9)
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=1075&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=10
(10)
http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,,OID7079320_,00.html
(11)
http://www.radio-utopie.de/archiv.php?themenID=1082&JAHR_AKTUELL=2007&MON_AKTUELL=10