(ter) Das Amt für Auslandsfragen (AfA) – eine Tarnorganisation des BND – trat unter einer Legende auf und stellte sich selbst wie folgt der Wirtschaft vor:
• „…Das Testzentrum für künstliche Intelligenz und maschinelle Übersetzung des Amts für Auslandsfragen ist eine Regierungseinrichtung, das dem deutschen Bundeskanzleramt untersteht.
• Seine Hauptaufgabe besteht im Test und der Evaluierung kommerzieller NLP-Systeme (natural language processing) mit dem Ziel, sie in eine Office-Umgebung von Regierungseinrichtungen zu integrieren.
• Das Zentrum ist an großen, nationalen NLP-Projekten beteiligt und berät auf technischer und organisatorischer Ebene eine Reihe von nationalen und internationalen Institutionen und Organisationen.
• Es hat neue MT-Projekte (machine translation) in Deutschland und Spanien in Auftrag gegeben, unterhält sein eigenes NLP-Testzentrum und ist spezialisiert auf domain-spezifische NLP-Nutzeraspekte [Hit words], den Aufbau nutzer-orientierter Lexika, Textkorpora und auf mehrsprachige Datenbanksysteme…..“
Technologische Grundlage waren die Forschungen/Entwicklungen an der University of Texas/Austin wo bereits 1961 das Linguistic Research Centre gegründet wurde. Mechanical Translation and Analysis of Language (METAL) nannte sich das Übersetzungssystem dieses Zentrums, welches von der US-Army finanziert wurde – ab 1978 aber auch mit Gelder der Firma Siemens arbeitete.
Siemens gelang es tatsächlich 1989 das METAL- System auf den Markt zu bringen und konnte 1991 bereits 25 Installationen vermelden, von Kunden, die verschiedene Sprachen mit Hilfe von METAL übersetzten.
Zur Verfügung standen damals – Deutsch-Englisch – Deutsch-Spanisch – Holländisch-Französisch und es gab die ersten Ansätze für Gegenrichtungen – also Englisch – Deutsch.
Mit dem „Übersetzungsluxus“ – welchen wir heute bei Google finden – hatte das noch nichts zu tun.
Wer bei der heutigen Google Übersetzung Bauchschmerzen bekommt – der wäre vermutlich 1991 – vor Schmerzen – gestorben.
Die Abnehmer des METAL Systems waren in der Regel keine staatlichen Behörden, sondern die Wirtschaft und der Finanzmarktbereich (z.B. Banken).
Das Amt für Auslandsfragen (AfA) gehörte jedoch schon zu den ersten METAL- Kunden.
Der damals größte Bedarf des BND war Russisch – Deutsch und ausgerechnet bei den slawischen Sprachen hatte METAL erhebliche Defizite.
Wie praktisch, dass die DDR gerade zusammengebrochen war und das VIRTEX – Team des Zentralinstituts für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR zur freien Verfügung stand.
Für das VIRTEX- Team wurde 1993 die Firma GMS (Gesellschaft für multilinguale Systeme mbH) in Berlin gegründet.Bei der Wirtschaft stieß die Entwicklung Russisch – Deutsch nicht auf Verständnis – sie benötigte Deutsch- Russisch und so verwunderte es auch keinen, dass die Gelder für das Projekt 1994 ausliefen.Was sich so harmlos anhört war für die Wissenschaftler und Computerlinguisten des VIRTEX- Teams ein existenzieller Vorgang. Siemens hatte ihr Wissen abgeschöpft – nun stand ihre wirtschaftliche Existenz – in Form des Arbeitsplatzes – auf dem Spiel.
Affären
Hamburger Zöllner entdeckten im Hamburger Hafen 1991 Panzer, die der BND illegal (deklariert als Landmaschinen) nach Israel transportieren wollte.
Im gleichen Jahr fielen die Urteile gegen drei Manager der Imhausen- Chemie, welche an der Planung und dem Bau einer Giftgasfabrik im libyschen Rabta mitgewirkt hatten.
Diese beiden Affären waren Anlass für die Neudefinition des Begriffs – „Sicherheitspolitik“.
Wurde unter diesem Begriff bisher
• die Abwehr realer Bedrohungen verstanden,
so verstand man nun unter Sicherheitspolitik
• präventive Risikovorbeugung und Neutralisierung potenzieller Risiken vor Realisierung der erkannten Gefahren.
Zu den neuen Risiken zählte man nun
• die Organisierte Kriminalität
• die Verbreitung bzw. Weitergabe von Massenvernichtungswaffen (Proliferation)
• und den internationalen Terrorismus.
Dr. Wolfgang Schäuble
Sicher wird sich kein Leser dieser Webseite wundern, dass der wichtigste Befürworter dieser präventiven Sicherheitspolitik Dr. Wolfgang Schäuble (CDU) war.
Mit dem neuen „Verbrechensbekämpfungsgesetz (1994) errangen die Befürworter der neuen Definition des Begriffs Sicherheitspolitik einen umfassenden Sieg – und die bürgerlichen Freiheitsrechte in Bezug auf das Fernmeldegeheimnis ihre erste umfassende Einschränkung.
Die Befugnisse des BND wurden erheblich erweitert. Er war nun für die präventive Vorfeldaufklärung von Gefahren wie
• Begehung terroristische Anschläge in der Bundesrepublik,
• Verbringung von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge aus dem Ausland in die Bundesrepublik,
• im Ausland begangene Geldfälschungen,
• sowie Geldwäsche im Zusammenhang mit diesen Handlungen — zuständig.
Während des „Kalten Krieges“ hatte der BND den Funk- und Fernmeldeverkehr aus dem Ausland nach Deutschland und umgekehrt – illegal – abgehört.
Nun (1994) wurde dies legalisiert als
• „strategische TK – Überwachung“
Peinlich für den Dienst – eine neue Aufgabe hatte er nun – aber keine technische Lösung – ja noch nicht einmal die notwendigen Haushaltsmittel für diese neuen Aufgaben.
Die „strategische Überwachung“ des Funk- und Fernmeldeverkehrs
Bei der strategischen Überwachung des TK- Verkehrs werden keine Leitung angezapft oder gezielt der TK- Verkehr bestimmter Personen aufgezeichnet – sondern Flächendeckend mittels „Suchworte“ – welche die G 10 Kommission zu genehmigen hat – der internationale nicht-leitungsgebundenen Fernmeldeverkehrs gescannt.
Bereits diese Aufgabenstellung ist ein Witz, da fast nur mittels Richtfunkstrecken der Telefon- und Telefaxverkehr übertragen wird – findet praktisch auch eine strategische Überwachung des innerdeutschen TK- Verkehrs – durch den BND – statt.
Aber nicht nur der Fernmelde- Telex- und Telefaxverkehr war betroffen, sondern auch der eMail Verkehr und die Teilnehmer von Chatboxes oder Messageboards.
Umfang der Überwachung
Der genaue Umfang der Überwachung ist unbekannt. 1997 sprach der damalige BND- Präsident von 288.000 Telefonaten pro Tag – davon würden 600 Vorgänge pro Tag ausführlich überprüft und etwa 45 dauerhaft gespeichert werden.
1998 sprach Dr. August Hanning von 800.000 überwachten TK- Verbindungen pro Tag. Davon würden etwa 700 nach Schlüsselworten durchsucht und davon 20 dauerhaft gespeichert.
Noch einmal zur Klarstellung
Bei der strategischen TK- Überwachung wird zunächst nicht abgehört oder mitgeschnitten. Bei den etwa 10 Millionen Telefongesprächen täglich auch unmöglich.
Der TK- Verkehr aus und in festgelegte Regionen wird nach Schlüsselworten („Hit words“) gefiltert oder es wird nach bestimmten Stimmenprofilen gesucht.
Betroffen dürften allenfalls 10 bis 20 Prozent des TK- Verkehrs sein.
Verdächtiger Verkehr wird überprüft. Vermutete Treffer dauerhaft gespeichert.
Wer im TK-Verkehr in derartige Regionen verschlüsselt, zieht die Lauscher an, wie das Licht die Motten.
Die Sprachdigitalisierung
Die akustischen Signale im Äther müssen aufgefangen und gefiltert werden (entstört) und so dann digitalisiert, damit die Computer scannen können.
Lernout & Hauspie war so ein Spezialist auf dem Gebiet der Digitalisierung akustischer Signale (Sprachen).
Wie weit die Technik 2008 ist, kann jeder – der eine Diktatsoftware einsetzt – unschwer selbst feststellen.
Auf die damals gravierenden technischen Probleme – geringe Speicherkapazität – kleine Arbeitsspeicher – hatte ich bereits hingewiesen.
Welche Sprache?
Erster Schritt wäre – der Computer erkennt die Sprache des Telefonats von selbst.
Kann er aber nicht.
Auch heute muss jede Diktatsoftware noch vom Nutzer trainiert werden und wirklichen Nutzen hat nur der, der kontinuierlich spricht.
Continous speech war aber bei der Vielzahl der TK-Teilnehmer nicht zu erwarten.
Fazit
Vorstehender Abriss gibt sehr kleine Einblicke in die historische Situation des Projektes und beleuchtet nur kleine Teilbereiche der politischen Situation, der Rechtslage und der damaligen technologischen Realität.
Für mich war es ein Genuss wieder in die Vergangenheit einzutauchen – die damals bescheidenen, technischen Möglichkeiten mir wieder vorzustellen und auf die Anfänge jener Politik zu stoßen, die den Bürger zum Generalverdächtigen machte – zum Feind der Sicherheitsdienste.
Mit diesem Artikel verlassen wir die „Geschichte des Projektes“ und beschäftigen uns mit den Handlungen und geschäftlichen Aktivitäten – der Bohnenkamp AG – wie dieser riesige Betrug auch genannt wird.
Wissend, welche Probleme in etwa zu überwinden waren und vielleicht ahnen wir schon die Kluft zwischen der Erwartung der Auftraggeber (im Bundeskanzleramt und BND) und der technologischen und finanziellen Realität.
Würde ich für diese Kluft einen Vergleich wählen müssen – so wäre dies ein Hauptmann, dem man eine Kompanie Elitesoldaten gibt – und den Auftrag – die UdSSR militärisch niederzuringen.
Der Lächerlichkeit eines solchen militärischen Unternehmens steht die Lächerlichkeit der Erwartungen der Auftraggeber dieses Projektes in nichts nach.
Was Stefan Bodenkamp auf die Beine stellte – war enorm. Es machte ihn nicht nur zum Kriminellen – seine Leistung (auf Kosten Dritter) machte ihn zu einem der Pioniere der maschinellen Übersetzung und der digitalen Spracherkennung.
Hätte man diesem Mann ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt – er wäre sicherlich als einer unserer Helden in die Geschichte der digitalisierten Welt eingegangen.
Stolz konnte er bei der Jahrtausendwende verkünden:
• „….wir haben gegenüber den USA (NSA) einen technologischen Vorsprung von über 5 Jahren…
Zu diesem Zeitpunkt brach „sein“ Technologie- Imperium bereits zusammen und vernichtete allein im Falle der Firma Lernout & Hauspie Gelder der Aktionäre und Banken in Höhe von etwa 10 Milliarden €.
Artikel dieser Serie:
Der BND – mein zweiter Schatten
http://www.r-archiv.de/article3096.html
Der vertuschte Skandal – Einführung
http://www.r-archiv.de/article3098.html
Der vertuschte Skandal – Bodenkamps Auftrag
http://www.r-archiv.de/article3101.html
Der vertuschte Skandal – Die Polygon-Technologie
http://www.r-archiv.de/article3109.html