(ter) 1998 strebte der BND die Entwicklung einer eigenen Spracherkennungs- und Übersetzungstechnologie an – nannte dieses Projekt „Sensus“ und beantragte dafür Forschungs- und Entwicklungsfördergelder der EU-Kommission.
Sensus war ein multilinguales Informationssystem für europäische Polizeibehörden und Nachrichtendienste – basierend auf einer speziellen Datenbanktechnologie. Die BND Tarnorganisation AfA (Amt für Auslandsfragen) fungierte als Projektkoordinator. Herzstück des Sensus Prototypen wurde die „POLYGON“ Technologie.
Die Polygon- Technologie
Polygon ist ein Begriff der Geometrie und der Planimetrie (Flächeninhaltsberechnung in der Ebene.) Die Polygon-Technologie in der Software ist – vereinfacht gesagt – ein „Datenbankverwaltungssystem“ für die Verknüpfung oder Darstellung komplexer Sachverhalte auf einer oder mehreren Ebenen [eine Art Content zur Strukturierung von Informationen in Datenbanken]. Polygon arbeitet unabhängig vom Betriebssystem und fast mit jeder Datenbank zusammen.
Anmerkung zum besseren Verständnis
Mein Traum in der Software war und ist ein Aktenverwaltungssystem, welches ermöglicht 100.000 oder 200.000 Seiten Gerichts- oder Rechercheakten in mehreren Ebenen auszuwerten oder gezielt nach Wörter oder Sätzen zu suchen. Zeitliche Parallelen mit anderen Fällen herzustellen oder einen verdeckten modus operandi zu erkennen.
Der Leser muss sich nur einen Strafverteidiger in einem Großverfahren vorstellen, mit 120 Ordner Gerichtsakten.
Mein Schlüsselerlebnis war eine solche Strafverteidigung, in der der Staatsanwalt meinem damaligen Mandanten vorhielt: „Sie lügen! In dieser Zeit waren Sie in Moskau und lebten 3 Tage in einem Luxushotel. Ich verweise auf Blatt 935 (fiktiv) der Akten. – also hatten sie zu diesem Zeitpunkt Geld.“
Vor mir lag ein einziger Ordner – mit Suchbegriffen und vernetzten Vorgängen – und dieser sagte: Blatt 935 steht im Zusammenhang mit (fiktiv) den Blättern 1036, 2711, 4712 und dem Vorgang Peter Kieberer (fiktiv).
Der Vorgang Kieberer sagte mir etwas und deshalb lautete meine Replik in etwa wie folgt:
„…Würde die Anklage ihre eigenen Ermittlungsakten lesen, dann würde sie auch die Blätter 1036, 2711 und 4712 der Akten kennen und wissen, dass die damalige Moskaureise im Auftrag und auf Kosten und insbesondere mit einem Vorschuss der Firma Kieberer erfolgte.
Herr Vorsitzender – ich verwahre mich gegen die ständigen Versuche der Staatsanwaltschaft hier „Türken“ aufzubauen und mit falschen Behauptungen Stimmung gegen meinen Mandanten zu machen…..“
Wie ich später erfuhr, brannte sich diese schnelle Replik tief in das Gedächtnis der ehrenamtlichen Richter ein – und einer von ihnen erzählte mir Monate nach der Rechtskraft des Urteils – dass dieser Vorgang ihn davon überzeugt hätte, dass der Angeklagte – mangels finanzieller Möglichkeiten – gar nicht mehr Herr der ihm zur Last gelegten Entwicklung gewesen sei. Meine Frage an mich selbst war damals:
• „Was wäre gewesen, wenn diese Vernetzung nicht im Suchordner zu finden gewesen wäre?“
Eine wichtige Frage, da die fünf Mitangeklagten meinen Mandanten als Sündenbock ihrer Machenschaften auserkoren hatten und ihre 14 Verteidiger ein (Strategie-) Kartell bildeten und man selbst als Pflichtverteidiger zwischen – dieser fremden Verteidigungs-Strategie und einer Anklage, die in die gleiche Richtung ging – eingezwängt ist.Strafverteidigung auf zwei Ebenen (gegen die Anklage und gegen die Mitangeklagten) wird nur noch von der Verteidigung – jeder gegen jeden – übertroffen.
Das Beispiel zeigte hoffentlich, dass Datenbankverwaltungssysteme Sinn machen, wenn sie es ermöglichen Vernetzungen und (Such-) Register aufzuzeigen und sichtbar zu machen. Die Krönung ist dann aber – von den Registern – gleich auf die Vorgänge oder die angezeigten Seiten gehen zu können.
Bisher ist es nur möglich in einem Word-Dokument oder in einer PDF zu suchen.
Einsatz von Polygon
Diese Datenbanktechnologie fand in den 90-igern Verwendung im „Schalck-Golodkowski“ Untersuchungsausschuss des Bundestages – aber auch bei der Polizei in Ungarn, der Ukraine, der Slowakei und einiger Bundesländern – meist in der grafischen Darstellung von Vernetzungen von Beziehungsgeflechten in der Organisierten Kriminalität.
Heute werden selbst 3-D-Produktvorstellungen über diese Technologie auf den PC gezaubert.
Einsatz beim Sensus – Projekt
Wie wir aus dieser Serie wissen, werden akustische Signale (Sprache) in eine digitale Kunstsprache umgewandelt – ohne das die Spracherkennungssoftware in der Lage wäre festzustellen, in welcher Sprache die TK- Teilnehmer kommunizieren. Die umgewandelten akustischen Signale müssen daher mit allen (hinterlegten) Wörterbüchern (Sprachen) abgeglichen werden und dies in Echtzeit.
Eine Realisierung der strategischen Telefonüberwachung – in der vorgesehenen Art und Weise – war daher ohne die Polygon Technologie gar nicht möglich.
Verwunderlich
Die Zusammenarbeit mit den Eigentümern der Polygon Technologie und dem BND ist längst beendet. Was mich wundert, ist der Umstand, dass noch kein Abgeordneter des PKGr auf die Idee gekommen ist den BND zu fragen –
• mit welcher Technologie er im Moment arbeitet?
Bei jedem Jugendlichen der Musik illegal kopiert treten Polizisten die Kinderzimmertüren ein – eine mögliche Verletzung des Urheberrechtes durch eine Bundesbehörde interessiert keinen einzigen Volksvertreter.
Der vertuschte Skandal – Der Raubzug
Freizeichnungsklausel: Nachfolgender Artikel bezieht sich nur auf das geschäftliche Verhalten des Bundesnachrichtendienstes (BND) in dieser Sache. Jede Ähnlichkeit mit dem Verhalten der Mafia ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Die Polygon-Technologie – ein Content zur Strukturierung von Informationen in Datenbanken – wurde von der 1979 gegründeten bayerischen Firma GENESYS bearbeitet und gepflegt – den Vertrieb der Technologie übernahm die 1986 gegründete Firma POLYGENESYS.
Die Aufspaltung der Entwicklung/Weiterentwicklung in einer am Markt nicht aktiven Firma (Genesys) und einer marktaktiven Firma (Polygenesys) war damals in der Software- Branche gängig.
Die Software- Entwicklung selbst sollte nicht in wirtschaftliche Turbulenzen geraten und gesichert bleiben – auch wenn die Vertriebsfirma Konkurs ging.
Hintergrund war, dass Software- Entwicklungen keinen „Beleihungswert“ bei Bankkrediten hatten, sehr wohl aber der Firmenwert des Vertriebs. Die damals sehr kleinen Software- Entwickler waren alle nicht bereit – quasi als Zugabe im Falle der Insolvenz der Bank auch noch die Software- Entwicklung zu überlassen – welche aus eigener Tasche finanziert worden war.
Verdacht auf gezielte Schädigungsabsicht
Die Polygon- Technologie besteht aus mehreren Komponenten – unter anderem aus dem Polygon Database Access Library. Eine Komponente von höchstem Interesse für den BND.
Ärgerlich – die Entwickler hatten seit 1995 die „Notifications of Allowece“ des US- und des Europäischen Patentamtes – waren also patentrechtlich geschützt.
• Erster Schritt – Vertrauensbildende Maßnahmen
Zunächst erwarb der Bundesnachrichtendienst eine Lizenz für 6 Arbeitsplätze in Bezug auf die grafische Komponente. Sodann begann die Einbindung der Entwickler in das Sensus- Projekt.
• Zweiter Schritt – unbezahlte Vorleistungen
Stefan Bodenkamp verstand es den für die EU- Fördergelder notwendigen Vertrag immer wieder zu verzögern und schaffte es so, dass unentgeltlich Vorleistungen der Entwickler (ab November 1998) in Höhe von etwa 360.000 DM (1 € = 1,9598 DM) erbracht wurden – für die der BND eine Abschlagszahlung von gerade einmal 120.000 DM leistete.
• Dritter Schritt – Abwerbung von Mitarbeitern
Fast gleichzeitig fing er an Mitarbeiter der Entwickler zu umwerben und besorgte einen Investor für eine Firmengründung dieser Mitarbeiter (Sommer 1999).
Ein Mitarbeiter kopierte die gesamte Entwicklung auf einen Laptop und gründete dann mit diesen vom BND beschafften Investoren die Firma Mevisto Software GmbH.
• Insolvenz
Mangels Vertrag konnten die Forderungen gegenüber dem Sensus- Projekt nicht bilanziert werden, weshalb eine Überschuldung der beiden Firmen eintrat – mit der Folge der Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrages. Meines Erachtens war der fehlende Vertrag möglicherweise lediglich eine Ausrede für die Hausbank, um die Finanzierung einzustellen.
• Vierter Schritt – Vernichtung des Ausgeraubten
Im Februar 1999 hatte der BND bzw. seine Tarnorganisation AfA eine Abschlagzahlung von etwa 120.000 DM (61.000 €) geleistet. Ein Vertrag mit den Entwicklern der Polygon-Technologie bestand zu diesem Zeitpunkt nicht. Im September 1999 legte die AfA endlich den Vertrag bezüglich des Sensus-Projektes vor. Ausgestellt auf die Firma Polygenesys.
Vertragsunterzeichnung erfolgte am 8.9. 1999 – obwohl Stefan Bodenkamp schriftlich von der Firmenleitung über die finanzielle Schieflage der Firma informiert worden war.
Die Hausbank der Firma lehnte nun – trotz des Vertrages – eine weitere Finanzierung der Entwicklungsarbeiten ab, weshalb der Konkursantrag unvermeidlich wurde.
Infolge des Konkurses verwertete die Bank das gesamte Privatvermögen der Gesellschafter, welches diese für die Bankkredite beliehen hatten.
Die Mitarbeiter der Firma kündigten.
Der Geschäftsbetrieb wurde daher zum 30.9.1999 eingestellt. Gleichzeitig nahm die Mevisto Software GmbH ihre Tätigkeit auf – an dieser waren die ehemaligen Mitarbeiter der beiden Polygon-Technologiefirmen mit 25 % beteiligt und die Firma wurde stillschweigend in das Sensus- Projekt aufgenommen.
• Fünfter Schritt – Verfälschung des Vertrages
Im Januar 2000 legte der BND der Insolvenzverwalterin den im November 1999 abgeschlossenen Vertrag mit der Firma Polygenesys vor.
Nun lautete dieser Vertrag mit der Firma Genesys – auch waren die Vertragsbedingungen derartig verändert, dass eine spätere Beteiligung der Firma an der wirtschaftlichen Verwertung des Sensus-Projektes ausgeschlossen war.
Strafanzeige gegen Bodenkamp und den BND
Die Staatsanwaltschaft reagierte für den BND ungewohnt. In der AfA, im BND und im Privathaus des Herrn Bodenkamp marschierten die Fahnder mit einem richterlichen Beschluss ein und beschlagnahmten Vertrag und eMail- Verkehr.
Unter dem Druck der Beweise gestand Stefan Bodenkamp die Urkundenfälschung und wurde deshalb zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt.
Verfehlung eines Mitarbeiters oder finanzieller Hintergrund?
Alles nur eine Verfehlung des Stefan Bohnenkamp – argumentierte später der BND. Der weitere Verlauf der Geschichte wird zeigen, dass es tatsächlich um einen zweistelligen Millionenbetrag ging.
Höhepunkt der Geschichte erreicht?
I wo – es kommt noch härter – und zum zweiten Mal wird diese Webseite private Details aus dem Leben eines BND-Mitarbeiters offenbaren – die klar machen, das diese Geschichte Wirtschaftskriminalität pur ist – und keine „falsa demonstratio“(*) – wie es der BND später behauptete.
[*Falsa demonstratio non nocet – ist eine unschädliche falsche Bezeichnung einer Person, eines Rechtsmittels oder des Gewollten. Sie spielt im Zivilrecht, bei schlampigen Verträgen, eine erhebliche Rolle. Im Strafprozessrecht ist die falsa demonstratio non nocet in § 330 StPO zu finden und besagt dort: „ ein Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels ist unschädlich.“
„Schön“ – sagte ich mir als junger Anwalt und als die Strafkammer mir eine beantragte Raucherpause (zwischen zwei Zeugenvernehmungen) verweigerte – legte ich gegen den prozesslenkenden Beschluss –„alle zulässige Rechtsmittel ein“. 32 denkbare Rechtsmittel wies die Kammer zurück (nach meiner Erinnerung) – nach 3 Tagen Raucherpause. Sie hätten gründlicher suchen sollen – ich war auf etwa 34 denkbare Rechtsmittel gekommen.
Aber – der Vorsitzende vergaß den nächsten Zeugen in die Richtung des Zeugen – vor diesem merkwürdigen Antrag – zu befragen und hielt es für wichtiger meine Drogensucht zu geißeln.
Nun denn – Nikotin ist zwar eine Droge – manchmal aber auch nur Taktik.]
Artikel dieser Serie:
Der BND – mein zweiter Schatten
http://www.r-archiv.de/article3096.html
Der vertuschte Skandal – Einführung
http://www.r-archiv.de/article3098.html
Der vertuschte Skandal – Bodenkamps Auftrag
http://www.r-archiv.de/article3101.html
Der vertuschte Skandal – Die Basis
http://www.r-archiv.de/article3103.html
Der vertuschte Skandal – Die Polygon-Technologie
http://www.r-archiv.de/article3109.html
Der vertuschte Skandal – Der Raubzug
http://www.r-archiv.de/article3110.html