Afghanisches Parlament: "Es reicht!" – Gesetz gegen die Willkür ausländischer Truppen gefordert
Heute trat das Parlament in Afghanistan zu einer Debatte zusammen und forderte von der Regierung, einen Gesetzesentwurf vorzustellen, das die ungezügelten Kampfeshandlungen der ausländischen Truppen, die zu Verlusten unter der Zivilbevölkerung führen, einschränkt und dass die verantwortlichen ausländischen Soldaten vor einem afghanischen Gericht zur Rechenschaft gezogen werden.
Der Regierung wird dazu eine Woche Zeit gegeben, diese Gesetzesvorlage zur Regelung der ausländischen Truppen vorzulegen.
„Das afghanischen Parlament will ein Gesetz zur Eindämmung der ausländischen Truppen um zu verhindern, dass die Bombardierungen und das Töten von unseren Menschen weiterhin stattfinden“ sagt Abdul Sattar Khawaasi, der Sekretär des Unterhauses.
„Das ist nicht mehr erträglich … die Aktivitäten der ausländischen Truppen, ihre Präsenz muss legalisiert werden. Wenn ein ausländischer Soldat Handlungen gegen das Gesetz von Afghanistan begeht, so sollte er strafrechtlich nach afghanischen Gesetz verfolgt werden.“(1)
Das Parlament (Wolesi Dschirga) besteht aus 249 Sitzen, wobei 68 für Frauen und zehn für die Nomaden-Minderheit der Kuchis vorbehalten sind.
Artikel 130 der afghanischen Verfassung
Die Gerichte wenden bei den Verfahren die Bestimmungen dieser Verfassung und sonstiger Gesetze an. Wenn in einem zur Entscheidung anstehenden Fall in der Verfassung und den sonstigen Gesetzen keine Bestimmungen zu finden sind, müssen die Gerichte ihre Urteile innerhalb der Grenzen dieser Verfassung in Übereinstimmung mit der hanafitischen Rechtslehre (Fiqh) so fällen, dass der Gerechtigkeit auf bestmögliche Weise gedient ist.
Artikel 131
Gerichte wenden nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen in Fällen, in denen es um persönliche Angelegenheiten der schiitischen Gläubigen geht, den Schia- Rechtskodex an.
Auch in sonstigen Rechtsstreitigkeiten, für die es in dieser Verfassung und den übrigen Gesetzen keine Bestimmungen gibt, urteilen die Gerichte nach den Grundsätzen dieses Glaubens.
Die Scharia, das islamische Recht, wird in der Verfassung zwar nicht explizit festgeschrieben, kommt jedoch durch die Formulierung »Kein Gesetz kann im Widerspruch zu den Grundlagen des Islam stehen« (Art. 3), die jeder nach seiner Vorstellung interpretieren kann, durch die Hintertür wieder zur Geltung. Dies wird den Fundamentalisten die Möglichkeit eröffnen, z. B. die untergeordnete Rolle der Frau daraus abzuleiten. Denn welche Instanz, welches Gremium wird darüber befinden, und was soll als Maßstab dafür gelten, was islamisch oder unislamisch ist? (2)
Hintergrund dieser Forderung der Parlamentarier nach dem neuen Gesetz sind die jüngsten US-Luftangriffe in der Provinz Farah, bei der nach Aussagen des Chefs der Unteren Kammer Mohammad Younus Qanuni mehr als unschuldige 140 Menschen ums Leben kamen.
Präsident Hamid Karzai hatte bereits zu einer Beendigung aller Luftangriffe aufgerufen, was die US-Militärführung ablehnte mit der Begründung, dass ihr dann bei der Bekämpfung der Taliban „eine Hand gebunden“ wäre.
Kundgebungen und Wut gegen die von den USA geführten Koalitionstruppen steigern sich in der afghanischen Bevölkerung. In Farah-Stadt versammelten sich hunderte von aufgebrachten Bürgern in der Hauptmoschee und zogen anschliessend zum Büro des Gouverneurs, wo es wiederum zu Gewalt und Schüssen kam.(5)
Nach der Debatte wurde das Parlament aus Protest für den heutigen Tag geschlossen, um der jüngsten Opfer der US-Luftangriffe zu gedenken.
Heute wurde vom Verteidigungsministerium in Berlin bekannt gegeben, dass deutsche Soldaten letzten Donnerstag bei einem Feuergefecht mindestens zwei Einheimische getötet haben, was sich aufgrund der zunächst „unübersichtlichen Lage“ erst später herausgestellt hätte.
Ministeriumssprecher Thomas Raabe sagte „Es gehöre zum Einsatz in Afghanistan dazu, dass es zu solchen Situationen komme und Einheimische getötet werden könnten. Der Bundestag sei informiert worden, die Soldaten führten mit den Vorgesetzten Gespräche.“ (4)
In Zukunft könnten derartige Vorkommnisse ausser in Deutschland auch afghanische Gerichte beschäftigen, wenn Afghanen im eigenen Land von ausländischen Soldaten erschossen werden und es besteht die Möglichkeit, dass sie nach Artikel 3 der Verfassung (kein Gesetz darf im Widerspruch zu den Grundlagen des Islam stehen) nach islamischen Recht verurteilt werden könnten,
Die neuen Vorgaben aus Washington setzen auf weniger Gewaltanwendungen des Militärs.
General David McKiernan wird seines Postens als Oberkommandierender enthoben. Heute wird die offizielle Ernennung von Veteran Special Operations Commander Lt. Gen. Stanley McChrystal durch Robert Gates in einer neuen eilig um 2.00 Uhr einberufenen Konferenz mit Chairman of the Joint Chiefs of Staff Admiral Mike Mullen erwartet, der den bisherigen Führenden U.S. Commander der ISAF und US Forces in Afghanistan, General David McKiernan ablösen soll.(3)
Artikel zum Thema
10.05.2009 NATO-Krieg in Afghanistan unter deutscher Beteiligung und die grausamen Phosphorverbrennungen kleiner Kinder: das Schicksal der achtjährigen Razia
08.05.2009 Zeitenwende in Washington: Afghanistan-Kommandeur McKiernan vor dem Rauswurf, Zentralkommando strategisch entmachtet
Quellen
(1) http://uk.reuters.com/article/gc05/idUKTRE54A28520090511
(2) http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Afghanistan/baraki4.html
(3) http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2009/05/11/AR2009051101864.html
(4) http://www.focus.de/politik/ausland/afghanistan-bundeswehr-toetet-zwei-aufstaendische_aid_398076.html
(5) http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/639077