Wir brauchen einen Cemp, müssen sich die Grünen gedacht haben, als sie Cem Özdemir 2008 zum Bundesvorsitzenden der Grünen wählten. Dass er als Kapitän auf der Ersatzbank sitzen würde, da seine Basis ihm einen Listenplatz für den Bundestag dann doch nicht gewähren, ihn quasi als Mannschaftsführer auf der Tribüne wollte.
Dabei will das so gar nicht zum anatolisch-schwäbischen Grünen passen, dem manche vorwerfen, er habe es politisch und inhaltlich niemals über die Funktion als Quoten-Türke hinaus geschafft, seinen Migrationshintergrund gar als willkommene Kulisse für seine politische Karriere ins Rampenlicht gestellt. Wer weiß, vielleicht waren es auch die Grünen selbst, die in seinem Aufstieg eine Steilvorlage für das Propagieren einer Multikulti-Gesellschaft sahen. Cem Özdemir selbst gehört jener Schicht an, die nicht nur er selbst als bildungsfern- und fremd definieren. Als Sohn einer türkischen Arbeiterfamilie schließt er nach der Mittleren Reife eine Ausbildung als Erzieher ab. Gerade diese Berufswahl, erzählt er oft, habe ihn aufgrund seines kulturellen Hintergrunds immer wieder in Erklärungsnöte gebracht. Wenn seine türkischen Verwandten beispielsweise fragten, welchen Beruf er ausübe und Özdemir sagte, er arbeite in einem Kindergarten, ließen sich die Fragenden davon nicht beirren und bestanden darauf, seinen wirklichen, richtigen Beruf zu erfahren.
Dass also ein anatolischer Mann kein Erzieher sein kann widerlegte er ebenso wie viele andere Vorurteile. So holte er die Fachhochschulreife nach, studierte Pädagogik, wurde er 1981 – also in einer Zeit, in der die Grünen noch in der Lage waren ihr Habitat, Umweltschutz, Pazifismus und Atomausstieg, überzeugend zu besetzen- Mitglied der Grünen, zwei Jahre später Deutscher und 1994 Abgeordneter des Deutschen Bundestages, als erster Volksvertreter mit türkischer Herkunft. Es folgten Jahre der medialen Prä- und scheinbaren gestalterischen Absenz. Immer dann, wenn es nämlich um Themen der Integration ging, schien es, als ob ein unsichtbarer Magnet ihn vor das Mikrophon ziehen und die immer wieder gleichen Floskeln herunterleihern ließe. Natürlich muss man andererseits betonen, dass er als innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion zwischen 1998 und 2002 die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts maßgeblich mitgestaltete. Eine andere Form nahm hingegen darauf seine weitere politische Karriere an. So zwangen ihn privat genutzte Bonusmeilen und ein Kredit bei einem PR-Berater, der sich als Everybody’s Darling der gesamten politischen Kaste erwies, zur Bruchlandung und Evakuierung seiner politischen Ämter.
Es verschlug ihn dahin, wo Lobbyismus alltäglicher Bestandteil politischen Handelns ist. In den USA hielt Özdemir als Fellow des German Marshall Fund Vorlesungen an Elite-Universitäten wie beispielsweise Berkley und arbeitete an den transatlantischen Beziehungen zwischen den USA und Europa mit. Er verlegte seine scharfen Kommentare zwischen Buchdeckel, heiratete, wurde Vater und bekam irgendwann ein Angebot, dass er nicht ausschlagen konnte. Daniel Cohn-Bendit besuchte ihn jenseits des großen Teichs und überrredete ihn sich als Kandidat der Grünen für das Europaparlament aufstellen zu lassen.
Letztendlich nahm Özdemir dann zwischen 2004 und 2008 auch Platz, und zwar als Abgeordneter für die Grünen / Freie Europäische Allianz in Brüssel. Wie und warum genau die Grünen sich letztendlich entschieden, ihn letztes Jahr als ihren Mannschaftsführer aufzustellen, ohne ihn dabei wirklich mit ins Team zu holen, mag unter den schmucken Koteletten und dem schwäbischen Singsang des Cem Özdemir verborgen sein.
Viel weniger multikultureller Lebemann als vielmehr folgsamer Schuljunge- dieses Image haftet Philipp Mißfelder hartnäckig an. Wer weiß, ob es auf seine steile und so geradlinig erscheinende politische Karriere zurückzuführen ist, dass er als stellvertretendes Vorstandsmitglied der Europäischen Volkspartei (EVP) und im Präsidium der CDU mit gerade einmal dreißig jahren gute vierzehn Jahre jünger ist als Özdemir, einen gepflegten Haarschnitt hat und als Gelsenkirchener natürlich nicht schwäbelt, dafür aber Klartext spricht, wenn es um sein JUrope, also jenes erzkonservative und altbackene Europabild der Jungen Union geht.
Dass Mißfelder und Özdemir sich dahin gehend zueinander wie Wasser und Feuer verhalten, verwundert natürlich nicht, propagiert der einstige Bundesvorsitzende der Schüler Union Deutschlands und seit 2002 Bundesvorsitzender der Jungen Union doch im Youtube-Kanal der Jungen Union ein Europa, dass auf den Werten des christlichen Abendlandes basiert. Dass die Sonne genau dort, also im Osten und damit nicht im Morgenland, untergeht, vermag der römisch-katholische Historiker, der seit gut zehn Jahren Mitglied im Bundesvorstand der CDU und seit vier Jahren auch Mitglied des Bundestages ist, ebenso verdrängen wie die Tatsache, dass Schalke 0:4 dem VfL Bochum unterlag. Wenn sich dieses Revierderby auch in der Regionalliga West abspielte und es die jeweils zweiten (römisch II) Mannschaften waren, die sich da gegenüber standen, sei trotzdem erwähnt, dass auch das Duell Özdemir-Mißfelder sich nicht unbedingt immer auf einem Niveau abspielt. Schließlich kann Mißfelder so richtig ungehemmt im Berliner Glaskasten (besser bekannt als Donnerkuppel) mit Steinen um sich werfen, während Özdemir leider draußen bleiben und eben dort Stimmung machen muss.
In jedem Fall bewegen sich beide – sei es auf Umwegen oder auch per Eilzug – festen und entschlossenen Schrittes an die Macht, welche ja bekanntlich mit einem, nie aber mit zweien sein möge. Da sollte sich der Grünen-Chef in Acht nehmen, hat Mißfelder doch als braver und pflichtbewusster Parteisoldat seinen Wehrdienst absolviert und ist nun bereit, den Fußstapfen seines dicken… pardon … großen Vorbilds Helmut Kohl (”Ich schweige lieber, bevor ich gar nichts sage”) zu folgen und Kreuzritter gleich für den Sonnenaufgang im Morgenland zu kämpfen. Schließlich hängt da ja überall der Mond- und das auch noch auf Halbmast.
Ziemlich Ruhr(gebiet)selig ist in jedem Fall sein notorisches Bekenntnis zur katholischen Religion bzw. zum christlichen Glauben, etwas was Mißfelder sich ebenso zum Stigma gemacht hat, wie Özdemir eben immer wieder mit seinem Migrationshintergrund ko(ttellet)kettiert, sie also beide in irgendeine Schublade greifen müssen, um Köder auszuwerfen. Während Mißfelder dies jedoch zumindest ganz Phoenix-MdB 2.0 gleich mit einem Vlog machen könnte (dies aber wohl nicht tut, weil er vermutet, dass Ratzinger keinen Deus ex machina neben sich duldet), steht Özdemir eher für die Generation 2CV, die gemächlich ans Ziel kommt, weil sie den Weg dahin genießt.
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