Nun ist in Deutschland in 2 weiteren Supermarktketten ein konzerneigener Geheimdienst aufgeflogen. Nach Recherchen des „Stern“ gibt es ausser bei „Lidl“ auch bei „Plus“ und „Edeka“ Spitzel und Beschnüffeleien von Bürgern („Kunden“) und Arbeitern („Mitarbeiter“) durch „Sicherheitsunternehmen“.
Es ist die winzige Spitze eines gigantischen, geheimen Eisberges.
Denn erstaunlicherweise fragt immer noch niemand nach Konzerngeheimdiensten von Ölmultis, Software-Giganten, Waffenproduzenten, sowie Medien- und Kommunikationsindustrie und nach deren Querverbindungen in den Staatsapparat.
TELECOM ITALIA
Bereits im Oktober 2006 war bekannt geworden, dass nach der Superaffäre um die Telecom Italia – über die praktisch jeder Prominente in Italien 10 Jahre lang mittels eines „privaten Supergeheimdienstes“ abgehört und bespitzelt worden war – auch noch die Steuerdateien von Ministerpräsident Prodi und anderen Politpromis nach Belieben von irgendwelchen „Unbekannten“ direkt vom Finanzamt downgeloaded worden waren.
Tief verstrickt: der Militärgeheimdienst SISMI.
Er spionierte ausserdem von 2001 bis 2006 via Telefon und Internet nicht nur jene Staatsanwälte aus, die gegen Berlusconi ermittelten sondern auch noch 203 Richter in Italien und in zwölf weiteren europäischen Ländern.
WAL MART
Im April 2007 flog der Konzerngeheimdienst des US-Handelskonzern „Wal Mart“ auf.
Dieser hatte eine gewerkschaftsnahe Gruppe von Wal-Mart-Kritikern mit V-Männern unterwandert, Mitglieder eines Beratungsteams von McKinsey sowie von Wal-Mart-kritischen Initiativen ausspioniert und routinemäßig Telefonate und E-Mails von Arbeitern und Büroangestellten bei Wal Mart abgehört.
HEWLETT-PACKARD
Im September 2006 schrieb Multimillionär und ex-HP-Manager Tom Perkins einen Brandbrief an seine ehemaligen Kollegen im Verwaltungsrat des zweitgrössten Computerkonzerns der Erde.
Darin beschuldigte er die Verwaltungsratschefin Patty Dunn „illegaler Praktiken“, „betrügerischer Methoden“ und „fragwürdiger Ethik“.
Im Zuge einer wilden Intrige hatten Konzerngrössen sich gegenseitig abgehört und Telefonunterlagen von Konkurrenten bei der Gesellschaft AT&T besorgt.
Der Kommunikations-Konzern rückte diese auch einfach raus – die Praxis war in Kalifornien noch nicht einmal illegal.
Das Verfahren gegen Dunn wurde Mai 2007 eingestellt.
DER SWIFT-SKANDAL
So gut wie jede einzelne Banküberweisung, die irgendjemand in Deutschland oder weltweit tätigt, läuft über das sogenannte SWIFT-System der weltweit operierenden Banken und Finanzkonglomerate.
Auf Wunsch werden sämtliche Daten einfach an die US-Geheimdienste weitergereicht. Diese weltweite Kontenspionage war nach dem 11.September eingerichtet worden und flog im Juni 2006 auf.
Was passierte? Die EU und die deutsche Bundesregierung segnete blitzschnell auch diesen Superskandal ab und meinte dies sei alles in Ordnung wenn die Weitergabe „notwendig und angemessen“ sei.
Das heisst: es ging einfach alles weiter.
Der oberste Geheimdienstchef der USA, Mike McConnell, der frisch ernannte oberste US-Geheimdienstkoordinator, war übrigens zehn Jahre lang in der Geschäftsführung der in den SWIFT-Skandal verwickelten IT-Berater Booz Allen. Dort ging der Ex-NSA-Admiral unter anderem als Sicherheitsexperte für Banken- und Finanznetze seinen Geschäften nach.
DAS PENTAGON UND DIE RÜSTUNGSINDUSTRIE
Dass zwischen „Verteidigungsministerien“, Rüstungsfirmen, Spionage und organisiertem Verbrechen keine Trennwand gibt, bewies u.a. der US-Abgeordnete Randy „Duke“ Cunningham.
Selbst im Geheimdiensteausschuss sitzend liess er sich mit Millionen Dollars von Zulieferern des US-Militärs bestechen.
Erst 2006 wurde der einflussreiche Abgeordnete der „Republikaner“ im US-Kongress endlich verurteilt.
WEITERE SKANDALE
2002:
– der Direktor der europäischen Polizeibehörde EUPOL, Jürgen Storbeck, lässt die Telefone von Mitarbeitern abhören und deren emails ausspionieren. Er landet schliesslich in Brandenburg beim Brandschutz.
2004:
– New Yorker Polizeiagenten des „RNC Intelligence Squad“ fliegen nach Europa um hier Gegner der Bush-Regierung auszuspionieren, offenbar mit Unterstützung der hiesigen Behörden.
November 2006:
– die grüne Landtagsfraktion in Bayern beschwert sich darüber, dass sie offenbar via Internet vom chinesischen Geheimdienst ausspioniert wird.
– es wird bekannt, dass das Spionagesatellitensystem der Bundeswehr namens „SAR-Lupe“ auch dem BND zur Verfügung gestellt werden soll.
Auch die Komplettübernahme des „Zentrums für Nachrichtenwesen der Bundeswehr“ (ZNBw) sei geplant, hiess es damals. Inzwischen ist das ZNBw aufgelöst.
Inoffizielle Schätzungen gingen bereits 2006 von ca.1000 Soldaten aus, die ebenfalls im Auslandsgeheimdienst Dienst tun – viele davon „ohne Uniform im Ausland“..
Januar 2007:
– laut „New York Times“ erhalten Militäragenten des Pentagon und die CIA je nach Wunsch, direkt und von allen Banken, Daten von Konten und Kreditkarten jedes beliebigen Bürgers.
Tausende werden willkürlich ausspioniert, mit Zustimmung der eingeweihten Kongress-Ausschüsse.
April 2007:
– es wird bekannt, dass der BND über die selbst gegründete Tarnfirma Institut für Wirtschaftsrecherchen (IWR) (eine GmbH die dem Schweizer Banker André Strebel und seinem Luxemburger Partner Ernest Backes gehörte) versuchte an geheime Bankunterlagen zu kommen.
Es gibt Querverbindungen zur französischen Clearstream-Affäre.
Juli 2007:
Der US-Konzern Oracle wirft dem Software-Konzern SAP vor, dass Angestellte des SAP-Tochterunternehmens TomorrowNow Log-Ins von Oracle-Kunden genutzt hätten, um Tausende von Softwareprodukten und andere vertrauliche Dokumente von Oracles Servern herunterzuladen und zu nutzen.
Außerdem sei Oracles Lösung zur Anpassung der PeopleSoft-Software an die neuen Sommerzeitregelungen in den USA von SAP gestohlen worden. Dabei seien in der angeblich kopierten Version von SAP TomorrowNow sogar kleine Fehler enthalten, die Oracle erst später in seinem Code beseitigte.
SAP räumt daraufhin „einige unangemessene Downloads“ ein.
August 2007:
– in Berlin wird bekannt, dass ein BND-Mitarbeiter den Liebhaber seiner Frau ausspionierte.
September 2007:
– der Hollywood-Regisseur („Die Hard“, „Predator“) John McTiernan wird wegen einer Abhöraffäre zu vier Monaten Gefängnis und 100.000 Dollar Strafe verurteilt. Er versuchte seinen Produzenten Charles Roven abhören zu lassen und log gegenüber dem FBI.
Oktober 2007:
– die Bundesregierung schlägt ernsthaft vor, Kinder als sogenannte „Alkohol-Spitzel“ einsetzen zu lassen. Inzwischen als kleine Schnapsidee wieder unter den Tisch gefallen.
Dezember 2007:
– in NRW wird im Zuge eines Gerichtsverfahrens bekannt, dass in der Landesbehörde für Verfassungsschutz ein V-Mann-Führer Neonazis vor Razzien gewarnt hat und sogar „die Nutzung von Telefonzellen“ anordnete.
Seitdem laufen die „Ermittlungen“ der der Bielefelder Staatsanwaltschaft – ohne Ergebnis.
Der Bielefelder Staatsanwalt Christoph Mackel gegenüber der Presse: „Das Innenministerium ist nicht kooperativ“.
Der arme Kerl. Und weiter:
„Wir haben weder Namen noch Identität des V-Mann Führers“.
Der Mann ist nicht bei der Presse. Der Mann ist bei der Justiz.
Ein Verfahren wegen Geheimnisverrats wurde vom Dienstherren der Exekutivdienste, Innenminister Ingo Wolff (FDP), der Gerichtsbarkeit einfach untersagt. Angeblich wegen der möglichen Aufdeckung weiterer V-Männer in der Naziszene und deren anschließender Gefährdung.
Februar 2008:
– es wird bekannt, dass ein niederländischer Regierungsbeamter die landesweit grösste Nachrichtenagentur angerufen und sich über eine Story beschwert hat.
Das Dumme daran: sie war noch gar nicht veröffentlicht.
Die Geheimdienste hatten sich in die Computer der Journalisten gehackt.
Und so weiter.
FRANKREICH: INTERNETVERBOT FÜR MUSIKTAUSCHER
Einen Tag nach der Forderung des Rechtsausschusses des Bundesrates zur Weitergabe der Vorratsdaten von 80 Millionen Menschen an Privatfirmen, Musik-, Film- und Medienindustrie verkündete am 25.November 2007 der französische Präsident Sarkozy „einen entscheidenden Moment für die Zukunft eines zivilisierten Internets“:
ein Internetverbot für die Besucher von Tauschbörsen.
Wer „illegal Daten tauscht“, so Sarkozy, solle seinen Internetzugang gesperrt bekommen.
Innenminister Wolfgang Schäuble hatte diesen Juli bereits ein „Internetverbot“ und „Handyverbot“ gefordert – für „Terrorverdächtige“.
Bereits im Juli letzten 2006 hatten Bürgerrechtler vor neuen Vollmachten für die Geheimdienste gewarnt. Die schliesslich von den Bundestagsnickern am 1.Dezember 2006 unterschriebenen Schäuble-Entwürfe im Zuge des sogenannten „Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz“ (TBEG) geben dem Militärischen Abschirmdienst MAD, dem Inlandsgeheimdienst Verfassungschutz sowie dem Auslandsgeheimdienst BND die Vollmacht, „Auskünfte bei Fluggesellschaften, Banken sowie Post- und Telekommunikations-Unternehmen einzuholen..wenn..die Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden angegriffen..und der öffentliche Frieden gestört wird.“
Jetzt ist die Frage: änderte sich durch den jüngsten Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes auch diese Praxis, rund um das TBEG? Immerhin geht er hier wohl kaum um „schwere Straftaten“.
Aber wer überprüft das?
Wer will das überhaupt überprüfen?
DES VOLKES NEUE KLEIDER
In der Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) ist geregelt, mit welchen technischen Mitteln staatliche Geheimdienste in die Computer der Bürger einbrechen können.
Jeder größere Provider ist verpflichtet spezielle Geräte in seinem Netz installieren, mit denen ein Abhören von Telefonaten und des Datenverkehrs möglich ist.
Daher ist der Schutz gegen die staatlichen Schnüffler unmöglich, der Bürger ist Spionage hilflos ausgesetzt.
Dabei ist natürlich Missbrauch und Korruption Tür und Tor geöffnet. Jeder Angestellte in privaten „Sicherheitsdiensten“ der jeweiligen Kommunikations-Konzerne kann diese Machtmöglichkeit nach eigenem Gutdünken nutzen, jeder Agent oder Bürokrat im staatlichen Geheimdienstapparat ebenfalls.
Dabei genehmigen Überwachungsmassnahmen gegen einzelne, den Behörden vielleicht einfach nur missliebige Personen, nicht etwa Richter.
Wie der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, selbst im Dezember 2007 erwähnte, genehmigen die sogenannten „G 10“-Kommissionen des Bundestages und der Länderparlamente diese Massnahmen.
Diese G-10 Kommissionen bestehen aus einem einzigen Juristen (!), der vom jeweiligen Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) ernannt wird, mit noch 3 Beisitzern.
Dabei ist schon das PKG ein Witz und nicht in der Lage auch nur annähernd seinen Job zu tun. Und das sagte ein Mitglied dieses Gremiums bereits vor geraumer Zeit.
Der ex-Richter am Bundesgerichtshof und linke Bundestagsabgeordnete Wolfgang Neskovic am 18.Dezember 2006 in einem Interview über sein eigenes Gremium:
Neskovic: Diese Veranstaltung ist ein Witz. Seit dem Praktikum (beim BND) bin ich mir noch sicherer, dass wir das Kontrollgremium in der vorhandenen Form gleich abschaffen können. Der Begriff der Kontrolle der Dienste durch das Parlament ist eine Irreführung der Öffentlichkeit, ein Placebo. Das Gremium hat keine effektiven Mittel. In erster Linie bestimmt der zu Kontrollierende Umfang und Ausmaß der Kontrolle. Das ist absurd.
Frage: Der BND arbeitet Ihrer Meinung nach de facto unkontrolliert?
Neskovic: Die neun Mitglieder des PKG haben nicht den blassesten Schimmer, was die 6000 Mitarbeiter des Dienstes tun. Wir treffen uns alle drei bis sechs Wochen und hören meistens das, was die Geheimdienste uns erzählen wollen. So kann das nicht funktionieren.
Wohlgemerkt: da spricht ein Mitglied des PKG, und nur über die Unmöglichkeit einen einzigen Geheimdienst zu kontrollieren.
Was ist denn mit allen anderen Geheimdiensten? Den jede Sekunde laufenden SAR Lupe-Aufnahmen aus dem Orbit, von jedem von uns, wenn der Mann am Bildschirm gerade irgendwie Lust drauf hat?
Das Internet ist rund wie die Welt. Wer schützt uns vor dem Zugriff von allen Geheimdiensten dieser Welt, auch vor der Beschnüffelung durch „private“, also konzerneigene Satelliten? Ist unser Recht auf informelle Selbstbestimmung im Orbit nichts mehr wert?
Über welche Dimensionen der Überwachung es im 21.Jahrhundert geht, zeigt die offiziell gewordene Werbung eines entsprechenden britischen Spionagekonzerns, der Kameras entwickelt hat welche aus 25 Metern Entfernung durch die Kleidung eines x-beliebigen Passanten schauen können.
Wer kontrolliert diese Firmen, wer ihre Entwicklungen? Wohin werden diese verkauft, wer benutzt sie und wer berichtet wem darüber?
Der Kriegskonzern Blackwater hat vor geraumer Zeit seinen eigenen globalen Konzerngeheimdienst „Total Intel“ eröffnet.
Total Intel „beobachtet“ nach eigenen Angaben weltweit politische und wirtschaftliche Entwicklungen – z.B Streiks in Europa – die den Profit des Auftraggebers gefährden könnten.
Die US-Regierung hat letzten Sommer ein neues orbitales Spionageprogramm gestartet. Endgültig fliessen Militär und Geheimdienste zu einem gigantischen Überwachungsapparat der eigenen und der Weltbevölkerung zusammen welcher völlig ohne jede Kontrolle – nur immer „Terror-Terror-Terror“ vor sich hinbrabbelnd – mittels seiner Satelliten durch Wolken, Gebäude, sogar unter die Erdoberfläche schauen kann.
In unsere Zimmer. Jetzt. Genau jetzt.
Solche Technologien gibt es in der Regel lange bevor Regierungen und Militärs ihre Existenz zugeben.
Derweil hält das unterträgliche Opfer-Gewäsch der hochbezahlten Parlamentarier, „Datenschutzbeauftragten“ und noblen Schwatzmaschinen an, die im Prinzip nur erklären warum sie alle nichts machen können und warum das alles so schlimm sei.
Die Welt ist ein Warenhaus geworden und wir die Ware.
Der Rest ist Gewäsch, vom Winde verweht..
(…)
weitere Artikel:
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03.11.2007
Blackwater: Globaler Konzern-Geheimdienst „Total Intel“ ausser Kontrolle
26.06.2006
Erdbeben in Babel Kapitel III
Links, Keywords aus dem immer gleichen Anlass am 30.10.2013 aktualisiert, Inhalt wurde nicht verändert