BDI-Boss Keitel: Zuviel „Öffentlichkeitsbeteiligung“ bei Industrie-„Projekten“

Am lukrativen Beispiel „Stuttgart 21“ erläutert der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans Keitel, dem staunenden Gerichtshof der Öffentlichen Meinung in einem Interview, dass der einfache Pöbel von Deutschland „anfällig“ für „Phobien“ sei und „gegen jeden technischen Fortschritt“. Der Vorsitzende der Industriefürsten Deutschlands Keitel „überlegt“, ob man die eigenen „Projekte“  – wie das größtenteils vom Staat finanzierte Industrie-Programm „Stuttgart 21“ – überhaupt noch dem Volk „erklären“ solle.

Höfliche Stichwortgeber seiner Exzellenz Keitel: Markus Sievers und Steven Geyer in der „Berliner Zeitung“ (1), die seit 2009 vom M. DuMont Schauberg Verlagshaus kontrolliert wird.

Zuerst erklärt uns Herr Keitel, dass die Binnennachfrage in Deutschland im Grunde ganz in Ordnung sei. Nur gäbe es da einfach gewisse Gründe für die globalisierten Industrie-Konzerne mit Sitz in Deutschland, lieber in unbürokratischen und weltoffenen Staaten (wie z.B. China) zu investieren:

„Es gibt zu viele Hindernisse in Deutschland. Beispiel Genehmigungsverfahren: Damit eine Firma beispielsweise in Verkehrsprojekte investieren kann, muss man sie auch lassen.“

Darüber hinaus hat es die Industrie im Grunde – gerade in Baden-Württemberg – mit lauter primitiven, wenn auch renitenten Höhlenbewohnern zu tun. Man streue deshalb nicht Sand in Volkes Auge, nein, nein. Lieber mit Bananen schmeissen:

„Berliner Zeitung: Sie haben den Widerstand gegen Stuttgart 21 als Symbol für den Widerstand gegen jeden technischen Fortschritt beklagt. Ist das nicht überhöht?“

Keitel: Wenn es ein Einzelfall wäre, könnte man das so sehen. Aber massiver Widerstand ist eher die Regel als die Ausnahme. Wir haben mittlerweile überall in Deutschland Proteste und Widerstand, egal um welches Projekt es geht.“

Na so ein Zufall.

Doch wen meint der Herr Keitel da eigentlich? Sicher nicht seine bezahlten Claqueure im Parlament. Die hat er ja gut im Griff. Es könnte für die Industrie-Bosse alles so schön sein in Deutschland. Wenn da nur nicht dieses doofe Volk wäre.

„Berliner Zeitung: Muss die Wirtschaft lernen, die Bürger besser einzubeziehen?

Keitel: Es ist richtig und wichtig, Projekte den Bürgern kontinuierlich zu erklären. Manchmal müssen wir aber überlegen, ob das nicht zu viel und zu langwierig ist und es am Ende sogar mehr schadet als nützt. Wir haben im weltweiten Vergleich eine einmalige Beteiligung von Bürgern und Verbänden. Durch die starke Öffentlichkeitsbeteiligung haben wir aber Verfahrenslaufzeiten, die sich selbst überholen. Wenn die abgeschlossen sind, haben sich manchmal die Bedingungen grundlegend verändert, etwa durch technischen Fortschritt.“

Mal abgesehen davon, dass das verkehrsindustrielle und städtebauliche Programm „Stuttgart 21“ erst 2007 effektiv gestartet worden ist: wo er recht hat, der Keitel, da hat er recht. Man stelle sich jetzt mal diesen Artikel und „Stuttgart 21“ ohne Internet vor. Vielleicht sähe man irgendwo in Stuttgart ein, zwei wutschnaubende Leute irgendwo an einer Straßenecke Zettel verteilen.

Dumm gelaufen für die Privilegierten, das mit der digitalisierten Informationsgesellschaft. Schon wieder ein Buchdruck. Alle paar Jahrhunderte derselbe Ärger. So, und jetzt stellen wir uns mal auf den Kopf und wedeln ein bisschen mahnend mit dem Zeigefinger:

„Technik wird in Deutschland seit jeher hinterfragt – mehr als anderswo. Doch begründete Skepsis darf nicht in eine Phobie ausarten. Vielleicht sind die Deutschen da anfälliger.

Also uns schlottern ja die Knie, wenn wir nur einen Chip von weitem sehen. Das liegt an unseren ungebildeten, barbarischen Genen. Wir sind einfach nicht so intelligent wie der Herr Keitel. Erst die ganze Güte eines Gutsherrn bringt den Fortschritt so richtig in Schwung. Ein kräftiges „Hüh“ vom Kutschbock, das braucht´s, dann rollt die Karre. Die wollen da oben schließlich auch von was leben. Die haben´s auch nicht einfach, die Hohen Herren. Sie herrschen über ein ängstliches Volk. Phobien ohne Ende.

Und überhaupt – wer kam eigentlich auf diese bescheuerte Idee mit der Demokratie? Das lähmt doch nur. Nichts kann man mehr machen, wenn man das Geld dazu hat. Immer hat jemand was zu motzen. Aber der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie stellt sich der Herausforderung:

„Auch wir müssen unsere Sachargumente vortragen und dadurch überzeugen. Dazu gehört auch, dass wir uns Gehör in der Öffentlichkeit verschaffen, wie andere auch.“

Gehör verschaffen. Merken wir uns das jetzt mal.

Bereits vor einer Konferenz des BDI in Berlin am 28.September, zu der auch die Kanzlerin vorgeladen war, hatte BDI-Boss Hans Keitel eine seiner Verlautbarungen veröffentlichen lassen. Stichwortgeber dieses Keitel-Statements war diesmal das „Handelsblatt“ (erste Auszüge des Interviews (2) erschienen am 25.September, das vollständige Interview erst am 29.September (3))

„Handelsblatt: Zeigt die Protestbewegung gegen -Stuttgart 21 nicht, dass Deutschland auf Investitionen gar nicht so erpicht ist?

Keitel: „Stuttgart 21 ist schon dramatisch, zumal ich als Schwabe weiß, dass es dort nicht gerade von Revoluzzern wimmelt. Dort steht aber nicht nur ein sorgfältig geplantes Investitionsprojekt auf dem Prüfstand, sondern unsere repräsentative Demokratie.“

Auf die Frage, ob er denn „noch Hoffnung“ für seine Kanzlerin Merkel sehe, antwortete der Boss der Industrie-Bosse Keitel wenig kryptisch:

Ich erwarte, dass die Regierung anpackt und Entscheidungen abräumt. Für ein Investitionsland Deutschland.“

Auf der BDI-Konferenz in Berlin machte Keitel dann deutlich, dass mit „Stuttgart 21“ mehr auf dem Spiel stehe als ein einfaches „Bahnprojekt“ (4):

„Es geht um die Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit von Innovation in Deutschland.“

Kanzlerin Merkel wiederum kam bei ihrer Grußadresse (5) vor lauter Beipflichten gar nicht mehr raus und sprach auf der Konferenz der Industriefürsten folgende Worte über das „Stuttgart 21“-Programm:

Wenn dieses Projekt nicht realisiert würde, würde das dazu führen, dass wir als nicht mehr verlässlich gelten. Wenn ich als Bundeskanzlerin dann auf europäischer Ebene sage: „Weil bei uns so viel protestiert wurde, können wir leider das, was wir versprochen haben, nicht mehr einhalten“, dann kommt morgen mein griechischer Kollege und sagt: „Weil bei uns so viel protestiert wurde, kann ich die Stabilitätskultur nicht mehr einhalten.“ Das möchte ich auf keinen Fall riskieren, meine Damen und Herren.“

Die Damen und Herren des BDI hatten sich offensichtlich Gehör verschafft – zwei Tage vor dem 30.September in Stuttgart.

(…)

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Der Präsident der “Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände” (BDA) Dieter Hundt, auch ex-Vorsitzender des Verbands der Metallindustrie Baden-Württemberg (VMI), sowie ex-Vizepräsident des Gesamtverbands der metallindustriellen Arbeitgeberverbände, pflanzte sich heute vor die Schreiberlinge der Informationsgeber, lobte seine CDU-Kanzlerin Angela Merkel für deren “S 21?-Lobbyarbeit, bekrittelte ein wenig Merkels begnadeten Einfall die Landtagswahl am 27.März zu Volksabstimmung über “Stuttgart 21? auszurufen, sprach von “unerträglichem Populismus” (der parlamentarischen Demokratie?) und vertat sich dann bei der Aufzählung der staatlichen Transferleistungen für seine industriellen Schäfchen um schlappe 2.9 Milliarden Euro.

Quellen:
(1) http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2010/1015/politik/0007/index.html
(2) http://www.wiwo.de/politik-weltwirtschaft/bdi-regierung-muss-entschlossener-handeln-442447/
(3) http://www.wiwo.de/politik-weltwirtschaft/wirtschaft-ist-noch-nicht-wieder-in-partystimmung-442286/
(4) http://www.presseportal.de/pm/6570/1689497/bdi_bundesverband_der_dt_industrie/api
(5) http://www.bundesregierung.de/nn_774/Content/DE/Rede/2010/09/2010-09-28-merkel-bdi.html

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