DIE CASTOR-AFFÄRE: Drohnen überm Wendland – wo noch?
Bereits während des Castor-Transportes nach Gorleben berichtete Radio Utopie vom Einsatz von Militär-Kampfflugzeugen, von ausländischer Polizei gegen Demonstranten, sowie vom Einsatz von Drohnen (Ticker und Überblick zum Castor Transport). Letzterer wurde nun gestern offiziell bestätigt. Es bleiben eine Menge Fragen zu klären.
Während das Berliner Bundesinnenministerium sich bezüglich eines am Montag dem 8.November gegen 10 Uhr morgens erfolgten Überflugs eines Tornado-Kampfjets über das Zwischenlager Gorleben immer noch auf einen „Übungsflug“ herauszureden versucht – obwohl die Bundesregierung vor dem Castor-Transport nach Artikel 35 Grundgesetz „Amtshilfe“ durch die Bundeswehr angefordert hatte (1) – wurde mittlerweile (nach eindeutigen Fotobeweisen) der Einsatz von mit Schusswaffen ausgerüsteten ausländischen Polizisten gegen Demonstranten im Wendland zugegeben.
Gestern behauptete dazu eine ominöse „hochrangige“ Quelle der „Frankfurter Rundschau“ aus „Polizeikreisen“, wegen eines „Kommando-Chaos“ habe die Bundespolizei unter Regide des Bundesinnenministeriums zwar vom Einsatz französischer Polizisten, aber nichts vom Einsatz kroatischer Polizisten während des Atommüll-Transportes gewusst zu haben. Dabei begleitete laut einem internen Protokoll des niedersächsischen Innenministeriums die Zentrale Polizeidirektion (ZPD) der Landesbereitschaftspolizei Niedersachsen (LBPN) im Rahmen des sogenannten „Stabilitätspaktes für Südosteuropa“ eine Delegation der kroatischen Bereitschaftspolizei – unter der Federführung des Bundesinnenministeriums, seitens des Inspekteurs der Bereitschaftspolizeien der Länder, Jürgen Schubert. (Castor-Affäre: Bundesregierung und Bundespolizei versuchen sich raus zu blödeln)
Ebenfalls gestern bestätigte nun der Lüneburger Polizeipräsident Friedrich Niehörster, seit 2003 Einsatzleiter bei allen Castor-Transporten ins Wendland (2), einen viermaligen Einsatz von „Aufklärungsdrohnen“ gegen die politischen Demonstranten der Anti-Atomkraft-Bewegung. Niehörster gab an, den Drohnen-Einsatz vorher bestritten zu haben, weil er von diesem Einsatz schlicht nicht informiert gewesen sei.
Nun stellt sich die Frage – was ist denn, wenn Niehörster die Wahrheit sagt? Was, wenn die Einsatzleitung der Polizei im Polizeipräsidium Lüneburgs während des Castor-Transportes tatsächlich nichts von dem Einsatz von Drohnen wusste? Oder vom Einsatz von Zwangsmitteln durch ausländische Polizisten gegen die Demonstranten auf den Gleisen, die unter dem Kommando der Bundespolizei und unter deren Beihilfe erfolgte? Was ist, wenn Lüneburgs Polizeipräsident Niehörster auch vom Überflug der Militärflugzeuge nichts erfuhr, der offenkundig Spionage-Zwecken diente? Es ist schwer vorstellbar, dass die Polizeidirektion Lüneburg das Kommando über einen Tornado-Kampfjet übertragen bekam.
Heute machten beide Polizeigewerkschaften,GdP und DPolG, ihrer Wut über die Einsatzbedingungen während des Castor-Transportes ins Wendland Luft (4). Auch das ging Richtung des Einsatzleiters Niehörster. Allgemein ergibt sich hier der Eindruck, dass Lüneburgs Polizeipräsident Friedrich Niehörster – operativ eigentlich erfahren, aber bundes- oder gar europa-politisch sicher keine Leuchte – hier der Öffentlichkeit als Opfer dargeboten wird, um die ganze Castor-Affäre in ihrer tatsächlichen Bedeutung vom Hals zu kriegen.
Vor dem Castor-Transport waren für die Aufhebung des Atom-Ausstiegs und die Laufzeitverlängerung der AKWs am 28.Oktober nicht nur die Länderkammer Bundesrat, sondern auch die parlamentarischen Rechte der Opposition im Bundestag durch die Regierung ausgeschaltet worden. Leitende Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen sprachen einem „Putsch“ (Putsch der Atomlobby).
Gesetzt den Fall, man glaubt diesen Witz mit dem „Übungsflug“ eines mit Überwachungstechnologie ausgerüsteten Tornado-Kampfjets über das Zwischenlager Gorleben mitten im umkämpfsten und längsten Atommüll-Transport der Geschichte nicht, dann wurden während dieses Transportes in Deutschland das Militär, ausländische Polizei und Drohnen gegen politische Demonstranten im Inneren eingesetzt. Nach neun Jahren verfassungswidrigem (Besatzungs-)Krieg in Asien und Afrika macht dies wieder einmal deutlich, was die Kontrollpropheten in Regierung, Konzernen, Nomenklatura, mitsamt ihren Diener in Behörden, Spionage, Militär, Polizei und eingebetteter Presse mit ihrem immer wieder betonten Zusammenhang zwischen innerer und äußerer Sicherheit wirklich meinen.
Fragen nach dem Einsatz von Drohnen könnten Licht in diesen seit dem 11.September 2001 systemisch gestreuten Nebel von Verwirrung, Verleumdung und Gerüchten bringen, in den politisch Aktive innerhalb der kriegführenden Länder immer wieder hinein gezogen werden, wenn sie sich den Interessen der Banken, Konzerne, Industrien und ausführenden Partei-Eliten wiedersetzen. Diese Fragen müssen sich auf den Kern des Ganzen konzentrieren:
Wer hat die Kontrolle?
Wer hat die Kontrolle über den Einsatz von Drohnen im Inneren: Polizei, Militär, Spionagedienste – wie der Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz oder der Auslandsgeheimdienst Bundesnachrichtendienst (BND), dem der Einsatz im Inneren verboten ist – oder nur die Ministerien? Bundesministerien oder Landesministerien? Und wenn auch die Polizei befugt ist Drohnen gegen die Bevölkerung einzusetzen, ist dies die Länderpolizei, oder die Bundespolizei? Ist es die Bundespolizeibehörde Bundeskriminalamt (BKA)? Braucht es für einen Drohnen-Einsatz einen richterlichen Beschluss? Was passiert mit den Aufnahmen?
Und bleibt es überhaupt bei Filmaufnahmen während der Drohnen-Einsätze? Werden auch Kommunikationsverbindungen hergestellt, Audio-Aufnahmen erstellt, wird abgehört, werden Emails und Handys überwacht oder Nachrichten abgefangen? Oder wird in „Nothilfe“ irgendwann Tränengas zurückgeschossen, wenn man schon mal über der Gegend ist?
Aber welche Gegend eigentlich? Afghanistan oder Berlin? Wer kontrolliert, wo wann durch wen – und das heisst: durch jeden mit Geld – Drohnen eingesetzt werden? Wer hat die Kontrolle?
Wer hat die Kontrolle?
Eines kann man zumindest konstatieren: das Bundesparlament, mit all seinen Möglichkeiten, Rechten, Mitarbeiter-Stäben und Finanzmitteln, hat die Kontrolle über diese Regierung verloren. Auch wenn einzelne Abgeordnete heraus stechen aus dem Sumpf des Tiefen Staates der diese Republik gekapert hat, auch wenn Bündnis 90/Die Grünen derzeit als einzige Partei ihrer Aufgabe nachkommt, so bleibt diese Ausschaltung des Bundesparlamentes ein Versagen aller jetzigen Oppositionsparteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Man könnte allerding auch sagen: dies ist das Ergebnis einer langjährigen Kollaboration dieser Parteien mit den derzeitigen Regierungsparteien CDU und CSU. Die FDP und ihre Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wiederum sollte sich diesbezüglich ernsthaft fragen, ob sie sich nicht lieber selbst auflösen sollte als solche Politik zu mitzuverantworten.
Die Republik wird Zeuge eines von oben geführten strategischen Feldzuges der Merkel-Regierung und ihrer assoziierten Länderregierungen gegen die Verfassung und ihre Grundrechte der Staatsbürger. Im gleichen Atemzug versucht die neokonservative schwarz-gelbe Berliner Regierung – unter tatkräftiger Hilfe ihrer Verbündeten in SPD und tatkräftigem Nichtstun der sogenannten „Linken“ – die Republik finanziell ausbluten zu lassen, an die Banken, Konzerne und Industrien zu verschachern, auf allen Ebenen zu entstaatlichen, den Brüsseler Räten, Kommissaren und EU-Agenturen unterzuordnen und dies alles mit dem historisch äußerst fragwürdigen Begriff „Europäisierung“ zu legitimieren.
Es bleibt als einzige relevante Kraft zur Aufrechterhaltung des Restbestandes von Verfassung und Republik nur noch die unabhängige Öffentlichkeit. Alle anderen Gewalten haben versagt. Das ist die vorläufige Bilanz einer Castor-Affäre, die jetzt ihren Lauf nimmt.
Quellen
(1) http://www.jungewelt.de/2010/10-27/060.php
(2) http://www.fr-online.de/politik/hart–aber-mit-gefuehl/-/1472596/4816488/-/index.html
(3) http://www.tagesschau.de/inland/castor288.html
(4) http://www.tagesschau.de/inland/castor290.html