Die Arbeit einer Partei von morgen
SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier hat 20 Jahre zu spät eine Gesellschaftsvision der Sozialdemokratie vorgestellt. Sie könnte mit ihm verschwinden.
Als Frank-Walter Steinmeier gestern in der Kreuzberger SPD-Zentrale steht, bedankt er sich erstmal ausschweifend bei den Journalisten, dass sie so zahlreich erschienen sind. Sehr bezeichnend. Dann steht er natürlich direkt vor Hofhund Franz Müntefering, der fortan so begeistert klatscht, als gelte es den Fliegen auf seiner Handfläche um keinen Preis weh zu tun. Auch Peter Struck, irgendwie nach linksaussen verbannt, dreht sich ab und zu um, schaut in die Runde und blickt dann dabei, als hätte er irgendeinen Taliban gesehen.
SpOn gab gestern damit an, Steinmeiers Papier „Die Arbeit von morgen“ bereits über das Wochenende verbrannt zu haben (1). Steinmeier beklagt sich dann auch, dass die Presse das Konzept selbst „Deutschland-Plan“ getauft habe und benutzt den Begriff fortan selbst. Es gibt keinen effektiveren Weg sich quasi vorausschauend zu ergeben, als die eigenen Papiere umtaufen zu lassen und dies dann auch noch zu akzeptieren.
Bereits zum Ende von Kurt Beck als einem Vorsitzenden, der sich nicht der Parteiform „Regierungspartei“ unterwarf, war indirekt über eine doch recht signifikante Nähe der SpOn-Redaktion zu Müntefering und dem Wirtschaftsflügel der SPD gesprochen worden (2). Man brüstete sich dort, beim Absägen von Beck eine nicht unbedeutende Rolle gespielt zu haben. Dass nun dieses Papier Steinmeiers vor seiner Vorstellung vorab in der Presse totgetrampelt wurde, könnte damit zusammenhängen dass Müntefering die SPD schlicht als Grabbeilage der grossen Koalition bis 2013 und Merkels Wahlhelfer sehen will und sonst gar nichts mehr.
Dass das Papier „Die Arbeit von morgen“ (3) nicht auf der SPD-Webseite, sondern auf Steinmeiers Netzpräsenz zu finden ist, mag ein kleines Detail sein. Trotzdem hatte man gestern den Eindruck, gerade wenn man während der Rede Steinmeiers manche Gesichter dort im Führerbunker der seit 11 Jahre an der Regierung amtierenden Hartz- und Kriegspartei sah, hier stört jemand die Totenruhe.
Als Steinmeier den Ex-Chef von General Electric Jack Welch zitiert, „Wie die Sache aussieht, ist Shareholder Value die dümmste Idee der Welt“ (4), und dann lacht als er hätte er einen schmutzigen Witz gerissen, rührt Müntefering (das Kinn über der Nasenspitze) keinen Finger und Peter Frey, Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, taucht im Publikum mit dem Gesicht in seinen Notizen ab, als hätte er Angst gesehen zu werden.
Schon beim Anfang der Rede Steinmeiers, als er die üblichen rethorischen Tricks verwendet die er alle nicht kann, merkt man, dieser Mann ist erleichtert, weil er ausserdem wirklich etwas in petto hat. Es scheint, als hätte in der Tat ein Stab von 6-8 Leuten monatelang einfach mal überall nachgelesen was denn so passiert in der Welt, wer wo wann welche Ideen hatte und auf welchem Planeten man so ist. Für diese Partei der systemrelevanten Soziopathen und Broschürenleser ist schon das ein Akt der gesteigerten Ketzerei.
Das Papier selbst ist eine Schönschrift. Es atmet den Geist von Menschen die wenig haben, aber immerhin welchen erkennen und dann gut verkaufen können. Ohne eine einzigen praktischen Handlungsvorschlag schafft es dieses Papier manche Entwicklungen der letzten 20 Jahre im Nachhinein richtig zu beschreiben und mutig anzunehmen in 10 Jahren die politischen Konsequenzen daraus gezogen zu haben, allerdings ohne einen triftigen Grund dafür zu liefern.
Dabei wird deutlich: wir, die SPD, haben immer alles richtig gemacht, erst Recht Gerhard, Gerhard, Gerhard Schröder und wenn wir gerade absaufen, dann nur aus Zufall und weil die Welt, die wir begriffen haben, uns nicht wirklich kennt, so gut wie wir sind.
Es ist dann auch manchmal schwer, das Wort „Fetisch“ zu vermeiden, wenn man im Jahre 2009 so eine Grütze lesen muss:
„Robert Kennedy hat einmal gesagt: „Das Bruttoinlandsprodukt misst alles, nur nicht das, was das Leben lebenswert macht.” Wir wollen darum qualitatives Wachstum schaffen: Wachstum, das gute Arbeit schafft, das sozialen Ausgleich stärkt und das ökologisch nachhaltig ist. Qualitatives Wachstum muss besonders den schwächsten Mitgliedern unserer Gesellschaft dienen und darf die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen nicht gefährden. Es geht uns um Fortschritt durch Wachstum.“
Mal abgesehen davon, dass es scheinbar immer darum geht geistreiche Zitate in maximaler Geschwindigkeit zu verhunzen: zu Zeiten erfolgreicher rechter Wahlkämpfe gegen wirklich sozialdemokratische Kandidaten wie Robert Kennedy gab es halb so viele Menschen auf der Welt wie heute (4). Das ist knapp 40 Jahre her. Wer jetzt immer noch das Wort „Wachstum“ vor sich her betet, und das noch in Verbindung mit „ökologisch“ und für ein Programm was 10 Jahre in die Zukunft schauen will, der ist schlicht nicht ganz dicht.
Man braucht sich auch nicht weiter bei „industrieller Produktion“ und „produktionsnahen Dienstleistungen“ totzulesen, kommen wir gleich zur Sache: die entscheidenden Punkte sind 2 und 7. Der Rest ist all das was man 20 Jahre versäumte, nie tun wollte und deswegen diejenigen rausschmiss, die es versuchten.
Versteckt in Punkt 2 ist mit dem Wort „Kreativwirtschaft“ eine gesellschaftliche Bombe. Ich will das hier an ein paar Beispielen erläutern.
Kein Mensch braucht einen Verlag. Die Menschen brauchen Bücher. Leider brauchen Autoren immer noch einen Verlag um (gedruckte) Bücher erscheinen lassen zu können, an denen sie fast nichts verdienen.
Kein Mensch (der Begriff „keine Sau“ wäre auch hier grundfalsch) braucht die „Musikindustrie“. Die Menschen brauchen Musik. Leider muss jeder Musiker immer noch in diesen Bordellen Universal, EMI, Sony BMG, Warner und den ganzen anderen Verbrechern mit Sitz in der IFPI durch die Flure kriechen, um „Airplay“, „manpower“, „promo“ und den ganzen anderen Bullshit zusammen zu betteln, an dessen Ende vielleicht sogar eine CD sogar im Laden steht von dessen Verkaufspreis er dann 70 Cent für die ganze Band bekommt, während der Bassist dann mit seiner Freundin schläft, weil er die ganze Zeit am Dummquatschen mit irgendwelchem Pack ist, anstatt Musik zu machen. Es sei denn natürlich, man hat noch einen „Manager“ der alles in die Grütze reitet, wenn man ein einziges Mal nicht hinschaut und nicht alles selbst macht wofür man andere bezahlt, genauso wie der Psycho von Toningenieur, der mit dem Produzenten unter einer Decke steckt, fleissig Linien zieht und die Gitarre leiser macht, weil das mehr „Marktchancen“ hat. Eben wie in der Politik.
Keiner braucht die Filmindustrie. Wenn man nur ein einziges Mal über einen Abend auf einer einzigen Scheiss-Promiparty erzählen würde was da abgeht, würde es erstens niemand glauben, zweitens niemand mehr hinwollen und drittens niemand mehr so dumm sein Schauspieler in einem Land werden zu wolllen, was Künstler fragt wovon sie eigentlich leben wollen noch bevor sie welche sind und im gleichen Atemzug bereit ist die gesamte Volkswirtschaft für Leute zu vernichten, die noch nie in ihrem Leben gefragt worden sind wovon eigentlich genau ein Banker lebt.
Filme, Musik, Bücher, Zeitungen, Webseiten, Portale im Weltkommunikationsnetzwerk Internet, was gleichzeitig auch eine weltweite Handelszone ist, entstehen heute am Produktionsmittel Computer. Es geht nicht darum es zu vergesellschaften, es geht darum es vor staatlichem und gesellschaftlichem Zugriff zu bewahren und so individuelle Freiheit, Geist und Kreativität vor der verblödeteten Masse und durchgenallten Weltherbergsvätern zu sichern.
Das Internet bietet zusammen mit dem Produktionsmittel Computer die Möglichkeit für Künstler und Kreative, als das neue und entscheidende Proletariat des 21.Jahrhunderts, ihre Werke selbst zu produzieren und damit Handel zu treiben; ohne die „Rechte“ am eigenen Werk an skrupellose Verbrecher abgeben zu müssen, die dann mit Schurken, Lügner und Heuchlern aus den „Parteien“ in Berlin-Mitte oder St.Pauli einen saufen gehen, die eigene Kultur und Gesellschaft mit Füssen treten, selbst in Saus und Braus leben ohne einen Finger dafür zu rühren und die Verarmten – die sie verraten und verkauft haben – dann noch für die Dummheit zu bestrafen jemals die „SPD“ für anders gehalten zu haben, wenn sie einmal an die Regierung kommt.
Es gab nur einen einzigen vollständigen Regierungswechsel in der Geschichte der Deutschen seit dem 2.Weltkrieg: der Amtsantritt Gerhard Schröders und Joschka Fischers für die SPD und Bündnis 90/Die Grünen 1998. In der DDR regierte auch vorher schon die Blockpartei CDU und im Westen blieb immer eine Partei über die verschiedenen Regierungswechsel am Ruder.
Die Chance, diese einmalige Chance auf eine substanzielle Veränderung, hat die SPD auf die nur denkbar dreckigste Art und Weise verraten. Dafür wird sie bezahlen.
Die Arbeit von morgen wird bereits heute gemacht, von Leuten die der SPD nicht nur weit voraus sind, sondern auch noch dabei sie zu ersetzen. Das weiss auch die SPD und versucht seit Jahren mit aller Kraft die Verfassung loszuwerden, das Militär im Innern marschieren zu lassen, die Banken zu finanzieren, dabei das Internet auszubremsen und sich irgendwie in das Zeitalter „EU“ zu retten, in dem man dann auch ohne Parlament oder Pressefreiheit auskommt. Dabei im Weg ist ihr nur leider der Fortschritt. Jetzt, 25 Jahre nach der ersten email zu sagen, „aha, das Internet“ und von Breitbandnetzen in 2020 zu reden, das ist mitleiderregend und sonst gar nichts.
Was jetzt passieren wird, ist folgendes: viele Künstler werden nun in den Wochen vor der Bundestagswahl zur SPD angerannt kommen und sich einbilden, dass dies die erste Partei in Deutschland ist die sie wahrnimmt, auch wenn sie es wagen etwa in deutscher Sprache zu singen oder so bekloppt sind hier arbeiten zu wollen, und nicht raus, rauuuuuus in die Weeeeelt wollen, im Zuge der Globalisierung, blablabla.
Die Musikindustrie wird schon vorher da sein und ihre Schlampen und Schlipsstricher mit gefrorenem Lächeln schicken, die sich von Büro zu Büro durchfragen, was denn das mit dem „Creative Commons“ soll, während irgendein Lumpi von irgendeiner „Softwarefirma“ wegen dem mit dem „Open Source“ rumschreit und über die Arbeitsplätze in seiner Firma erzählt, die demnächst alle selbstständig zur Tür rauslaufen könnten um dann mehr verdienen als er anschliessend Hartz 4 bekommt.
In den ganzen Etagen aller Berliner und Hamburger Glaspaläste der grossen Plattenfirmen – mit ihren drei, vier Kommandeuren irgendwo und den Myraden von scheissarroganten Nichtstuern in ihren piekfeinen Büros, ihren fetten Etats und ihren ganzen Bildschirmen drumrum – wird ein paar Tage lang ein Riesengebibber losbrechen, genauso wie in der „Medienindustrie“, die nur noch Angst davor hat es könnte sich mal ein Werbenetzwerk gründen was so schlau ist es wie Google zu machen und mit vielen kleinen Webseiten viel Geld zu verdienen, was aber eben ein Unternehmen ist und kein ideologisch gesteuerter Kontrollfreakverein für Geistesgestörte, der immer nur fragt, „Darf ich das? Darf ich das?“ und nicht eine Sekunde überlegt was eigentlich eine Regierung, ein Amt oder eine verdammte Behörde darf und trotzdem den ganzen Tag macht.
Diese Panik, dieses Gebibber – was beim Amtsantritt der rotgrünen Regierung physisch in der Luft lag, wie ein Energiefeld, und ca.eine Woche andauerte bis alle begriffen hatten, es wird alles schlimmer und nicht besser werden und erleichtert waren – diese Panik, sie wird verfliegen wenn am Wahltag die SPD zu Recht 20 Prozent bekommt und der SPD-Vorsitzende Müntefering dem Kanzlerkandidaten Steinmeier elegant die Schuld dafür gibt, dieses Papier mit der „Arbeit von morgen“ auf Nimmerwiedersehen versenkt, um dann mit allen Mitteln noch einmal Minister unter Merkel zu werden, bis man es dann gemeinsam mit dem Lissabon-Vertrag und der toten Republik im Rücken nach Brüssel geschafft hat und den Bundestag endlich losgeworden ist.
Derweil brodelt es irgendwo in einer Hexerküche vor sich hin und die Wixxer von Berlin können nur dumm zugucken.
Es ist schon eine Freude, dieser Tage. Auch wenn es nur die Vorfreude ist…
Quelle:
(1) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,640178,00.html
(2) http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/843827/
(3) http://www.frankwaltersteinmeier.de/_media/pdf/Politik_fuer_das_naechste_Jahrzehnt_navigierbar.pdf
(4) http://de.wikipedia.org/wiki/Weltbev%C3%B6lkerung