Erste Entscheidung eines Oberverwaltungsgerichts in Deutschland zu einer ununterbrochenen polizeilichen Videoobservation auf einer kleinen friedlichen Demonstration: Verstoss gegen das Grundrecht des Bürgers auf freie Meinungsäusserung
Im Juni des Jahres 2008 gab es eine kleine Mini-Demonstration von geschätzten 50 Anti-Atomgegnern in Münster. Die Aktivisten hatten gegen den Transport von radioaktiven Material protestiert, das von der Urananreicherungsanlage Gronau zur Endlagerung nach Russland durch ihre Stadt gefahren wurde.
Die Polizei hat während der ganzen Demonstration demonstrativ die Teilnehmer gefilmt, als wären sie ein Haufen Schwerverbrecher im 19.Jahrhundert, die als Sträflinge nach Australien ausgeschifft und ununterbrochen observiert werden müssen.
Diese völlig überzogene Verfahrensweise der Polizeibeamten, die nur die exekutiven Aufgaben zur Aufrechterhaltung der Ordnung zu erfüllen haben, war eine Kompetenzüberschreitung ihrer Befugnisse.
Das sahen auch die Richter so. Das Verwaltungsgericht Münster hatte entschieden, dass diese stattgefundene Überwachung rechtswidrig war.
Die Polizei hatte von einem Fahrzeug aus die ganze Zeit mit einer Kamera das Geschehen gefilmt und in Echtzeit auf einen Monitor in einem voran fahrenden Kamerawagen übertragen. Nach Auskunft der Beamten wurden die Bilder dabei nicht gespeichert. Nur wenn es zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen wäre, hätten sie wahrscheinlich den Aufnahmeknopf gedrückt. Kein Mensch kann wissen, was in solchen Situationen wirklich geschieht – dazu ist das Misstrauen in den Überwachungsstaat einfach zu gross geworden.
Das Verwaltungsgericht Münster sah keine Voraussetzungen für Anhaltspunkte, die die Annahme rechtfertigten, dass von den Demonstranten erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgegangen waren.
Ganz im Gegenteil fanden sie hier, dass ein Eingriff in die Grundrechte eines Versammlungsteilnehmers auf Versammlungsfreiheit und auf informationelle Selbstbestimmung vorlag, der nicht durch entsprechende Regelungen des Versammlungsgesetzes gedeckt gewesen sei. Diese Voraussetzungen für das Verhalten der Polizei lagen im konkreten Einzelfall nicht vor.
Das sah die Polizei ganz anders als die Verteidiger der Bürgerrechte und des Grundgesetzes in Form der Justiz und so landete der Fall vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster.
Der 5. Senat des Oberverwaltungsgerichts NRW entschied am 23.November 2010 endgültig:
Polizeiliche Videobeobachtung einer friedlichen Versammlung von etwa 40 bis 70 Teilnehmern rechtswidrig und bestätigte das Urteil (Aktenzeichen: 5 A 2288/09) und damit ist der Beschluss unanfechtbar, die Berufung der Polizei wurde nicht zugelassen.
Zur Begründung des Urteils hiess es:
„Der 5. Senat ist der Argumentation der Polizei nicht gefolgt, einer gesetzlichen Ermächtigung bedürfe eine Bildübertragung nur, wenn Aufnahmen gespeichert würden.
Er hat hierzu ausgeführt:
Die konkrete Kameraübertragung sei geeignet gewesen, bei den Versammlungsteilnehmern das Gefühl des Überwachtwerdens mit den damit verbundenen Unsicherheiten und Einschüchterungseffekten zu erzeugen.
Aufgrund der Dauer des Einsatzes und der geringen Teilnehmerzahl sei auch ohne Speicherung eine intensive, länger andauernde und nicht nur flüchtige Beobachtung selbst einzelner Versammlungsteilnehmer auf dem Monitor möglich gewesen.
Der Kameraeinsatz habe sich damit signifikant unterschieden von bloßen Übersichtsaufnahmen, die bei Großdemonstrationen zur Lenkung eines Polizeieinsatzes unter Umständen erforderlich seien, sowie von einer reinen Beobachtung durch begleitende Beamte.“
Mit diesem Urteil ist die Polizei als ausführendes Organ immer noch nicht zufrieden und kritisierte die Entscheidung als „wirklichkeitsfremd“. Im Spiegel wurde der Sprecher Stephan Hegger von der nordrhein-westfälischen Gewerkschaft der Polizei mit folgender Aussage zitiert:
„Das Demonstrationsrecht sei ein hohes Gut. Wir müssen aber die Chance haben, Straftäter zu verfolgen.“ Die Erfahrung zeige, dass es immer wieder gewaltsame Übergriffe bei Demos gebe. Die Beamten müssten Beweise sichern können, wenn es Anhaltspunkte gebe, dass es zu Gewalt kommt. (2)
Vielleicht sollte man diese Beamten als Hüter der Gesetze trotz Meinungsfreiheit im Land doch noch einmal auf die Schulbank setzen und ihnen eine Lektion in von ihnen zu wahrenden und zu verteidigenden Bürgerrechten erteilen, ehe sie wieder ihren praktischen Dienst antreten, wenn sie sich nicht mit der Entscheidung abfinden können oder wollen – oder am besten gleich ganz vom Dienst suspendieren, ehe sie wegen ihrer gegenteiligen Einstellung in Versuchung geraten, Recht brechen zu können.
Lesetipp: Auf alle Fälle gilt die Empfehlung einer kleinen Broschüre, die jeder im Haus haben sollte: Das Deutsche Grundgesetz – bitte mit Lesebrille, wenn diese unter Umständen von Nöten sein sollte!
Quellen:
(1) http://www.ovg.nrw.de/presse/pressemitteilungen/26_101129/index.php
(2) http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,731839,00.html