Am morgigen Donnerstag (2. Dezember), immerhin schon um 22.45 Uhr und eine ganze halbe Stunde lang, wagt das Staatswahrheitsnadelöhr ARD ausnahmsweise eine investigative Reportage in den Volksempfänger durchzulassen. Im Wahrheitsministerium müssen sie sich wahrlich Schreiduelle geliefert haben. Denn Recherchen von ARD-Reportern der Panorama-Redaktion des Norddeutschen Rundfunks (NDR) belegen (1): Der deutsche Auslandsgeheimdienst Bundesnachrichtendienst (BND) war in 2003 unter seinem damaligen Präsidenten August Hanning, dem verantwortlichen Kanzleramtsleiter Frank-Walter Steinmeier (SPD), sowie dem seinerzeit regierenden Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) an den vorbereitenden Kriegslügen zwecks einer Invasion des Irak durch US-Truppen und ihre Alliierten unmittelbar beteiligt. Den Informanten, der mit seinen Erfindungen dem Angriffskrieg Beihilfe leistete, bezahlte der BND noch jahrelang.
Die Dokumentation „Die Lügen vom Dienst – Der BND und der Irakkrieg“ von Stefan Buchen baut auf einem bereits Anfang 2010 im dänischen TV ausgestrahlten Film des dänischen Journalist Poul Eric Heilbuth auf – „Der Mann, der die Welt in den Krieg log“. Die Recherchen in Kurzform:
1999 landet ein Iraker mit einem Touristenvisum für Deutschland auf dem Münchner Flugplatz. Wer ihm dies auf den Namen Rafid Ahmad Alwan ausstellte, nun ja. Anschließend beantragt er Asyl und wird BND-Informant „Curveball“. In Dutzenden Gesprächen mit dem BND behauptet er,
„dass er als Chemieingenieur in einem irakischen Unternehmen Augenzeuge des Biowaffenprogramms von Diktator Saddam Husein gewesen sei. Unter anderem gab er Auskunft über mobile Biowaffenlabore auf Lastwagen, die den Waffeninspektoren angeblich leicht ausweichen konnten. “ (2)
All diese Behauptungen waren erstunken und erlogen. Trotzdem – oder gerade deswegen – bezog sich die gesamte US-Regierung unter dem damalige US-Präsident George Bush bei ihren kreativen und gestenreichen Erfindungen von irakischen Massenvernichtungswaffen immer wieder direkt auf diese Aussagen des BND-Informanten. So auch der damalige US-Außenminister Colin Powell bei seinem legendären Auftritt am 5.Februar 2003 im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (3). Vom Betrachter aus links hinter Powell zu sehen: der damalige CIA-Direktor George Tenet. Er wusste, wie Powell, dass die gesamte Präsentation nur aus Müll bestand und versuchte sich mit mäßigem Erfolg ein Spionagegrinsen zu verkneifen. Seine Agenten hatten Hadschi Halef Omar bin Curveball nicht ein einziges Wort geglaubt und versucht ihn direkt zu vernehmen, was der BND natürlich tunlichst untersagte. (2)
Nach seinem „Rücktritt“ im Juli 2004 beschwerte sich Tenet dann Jahre später öffentlich (4) nicht etwa über Hunderttausende Tote im Irak in Folge der US-geführten Invasion, sondern dass die Bush-Regierung „eine Äußerung von ihm zur Begründung des Irak-Krieges missbraucht und damit sein Ansehen ruiniert“ hätte. Zehn Tage nach Tenets Rauswurf veröffentlichte am 22.Juli 2004 die Regierungskommission der Bush-Regierung bezüglich der Attentate des 11.Septembers 2001 ihren Bericht und schlug darin die Schaffung eines Obersten Geheimdienste-Direktors (DNI) vor. Die CIA wurde entmachtet, die 9/11-Attentate nie gerichtlich untersucht.
„Curveball“ aber ging es gut. Den Berichten zufolge zahlte der BND dem Bundesnachrichteningenieur noch jahrelang 3000 Euro monatlich über eine Tarnfirma namens „Thiele und Friedrichs“. Zwei Beamte des Bundesnachrichtendienstes sollen „Curveball“ als Einbürgerungsbewerber bei der Stadt Karlsruhe vorgestellt haben, dieser erhielt auch tatsächlich die deutsche Staatsbürgerschaft. Laut Panorama
„begleitete der Bundesnachrichtendienst das Verfahren bis zum Ende und half bei der Vorlage der erforderlichen Unterlagen“
Im Vorfeld der Invasion des Irak am 20.März 2003 hatte dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestages der damalige BND-Präsident August Hanning höchstpersönlich aus den „Curveball“-Märchen vorgelesen. Der ehemalige Abgeordnete Friedbert Pflüger (CDU) erinnert sich in einem Panorama-Interview (5):
„Zentrale Äußerungen Powells gehen auf Informationen unseres Bundesnachrichtendienstes zurück. Wir hörten vom BND in einer geheimen Unterrichtung, dass allerhöchstwahrscheinlich der Irak über Massenvernichtungswaffen wieder verfügt. Es wurden uns Charts gezeigt von Biowaffenlaboren…Die Tonbänder sind vorhanden. Ich gehe davon aus, dass auch die Charts dazu vorhanden sind. Ich fordere, dass wir zur Klärung der ganzen Debatte diese Dinge jetzt veröffentlichen.“
Gute Idee. Und keine Minute zu früh. Endlich Feierabend.
ARD, Donnerstag, 2. Dezember
21.45 Uhr: Panorama
22.45 Uhr: Die Lügen vom Dienst – Der BND und der Irakkrieg
Ein Film von Stefan Buchen
Quellen:
(1) http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2010/curveball101.html
(2) http://www.main-netz.de/nachrichten/kultur/kultur/art4214,1440972
(3) http://www.americanrhetoric.com/speeches/wariniraq/colinpowellunsecuritycouncil.htm
(4) http://www.dradio.de/aktuell/620177/
(5) http://www.ndr.de/unternehmen/presse/pressemitteilungen/pressemeldungndr7251.html