Nach der Farce von Schlichterspruch übernehmen am Samstag die Parkschützer die Organisierung der nächsten Stuttgarter Demonstration. Sie sind die einzigen im „Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21“, die dessen ursprüngliche Position gehalten haben.
Das ganze Debakel der Umfaller im Aktionsbündnis, die trotz fortlaufender Bauarbeiten an den Gesprächen mit Bahn AG und Landesregierung teilgenommen hatten, offenbarte sich gestern in einer windelweichen Erklärung (1) von Hannes Rockenbauch, der zusammen mit Genosse Gangolf Stocker für SÖS (Stuttgart Ökologisch Sozial) im Stuttgarter Stadtrat sitzt:
„Es ging lediglich darum, mit genug Zeit und Raum vor einem Millionen-Publikum die besseren Argumente für K21, den Kopfbahnhof, darzulegen. Ich denke, genau das ist uns überzeugend gelungen.“
So überzeugend, dass die Stimmung in Baden-Württemberg sich mittlerweile gedreht hat, jedenfalls wenn man der Telefonumfrage von Infratest-Dimap nach Heiner Geißlers Schiedsspruch glaubt. Demzufolge sprachen sich nach dem Schlichtungsspruch von den 1.010 befragten Wahlberechtigten 54 % grundsätzlich für das Programm „Stuttgart 21“ aus, 38 % dagegen (2). Vor den Schlichtungsgesprächen waren diese Verhältnisse genau umgekehrt. Anfang September hatten sich ebenfalls in einer Umfrage von Infratest-Dimap 54 % grundsätzlich gegen „Stuttgart 21“ ausgesprochen und nur 35 Prozent dafür. (3)
D.h., obwohl sich in den Gesprächen öffentlich geworden ist, dass die gesamte Planung dieses Programms „Stuttgart 21“ (S21) auf Luftbuchungen, technischen Fehlern, Manipulationen und Einbildungskraft der Profiteure gebaut ist, hat die Schlichtung mit Bahn AG und Landesregierung die Situation eben geschlichtet; soll heissen – dem mühsam aufgebauten Widerstand der Stuttgarter gegen ein unter Lügen und Manipulationen verfassungswidrig aus Bundes- und Landesmitteln mischfinanziertem Projekt schon mal die Grube ausgehoben. Jetzt wird den Stuttgartern freundlich zugewunken, man solle doch bitte den großen Sprung nach vorn machen.
Rockenbauch sprach in seinem Statement von der Forderung nach einem „Projektstopp“ von Stuttgart 21, nicht mehr von einem Baustopp. Diese Forderung hatte das Aktionsbündnis – bis auf die Parkschützer – vor der Zustimmung zur Teilnahme an der Schlichtung unter Heiner Geißler fallen gelassen. Diesbezüglich ist es sicherlich von informellem Wert einmal festzustellen, dass gerade die SÖS-Stadtratsabgeordneten Stocker und Rockenbauch zunächst versuchten die selbstorganisierten Parkschützer im Widerstand gegen das Industrie- und Regierungsprogramm „Stuttgart 21“ kaltzustellen. Als dies nicht gelang, sicherte sich Gangolf Stocker die domain parkschützer.de, ausgestattet mit entsprechenden finanziellen und technischen Kapazitäten. Zur Demonstration am Samstag heißt es dort nun:
„Die nächste Großdemo findet am 11. Dezember statt. Sollte die Bahn jedoch schon vorher an die Bäume wollen, dann auf jeden Fall früher. Wer es nicht bis zur Großdemo aushält, hat bereits an diesem Samstag, den 04.12., um 14 Uhr, die Gelegenheit seinen Unmut bei der „Demo zum Schlichterspruch“ kund zu tun“
Solidarisch ist das nicht. Unnötig zu erwähnen, wer nun die Demonstration am 11.Dezember organisiert. Die Seiten der aktiven Parkschützer, parkschützer.org und bei-abriss-aufstand.de, sind übrigens derzeit nicht zu erreichen.
Schon vor dem Verkünden des Schlichtungsspruchs am Dienstag versuchten die Veranstalter der 54. Montagsdemonstration diese essentiellen Proteste kalt abzuwürgen. Randzone online schrieb dazu (2):
„Trotz Schnee und Frost kamen ca. 10.000 Menschen zur 54. Montagsdemonstration gegen das Profitprojekt “Stuttgart 21?. Unmut wurde hörbar, als die Veranstalter die Dauer der Demo auf eine halbe Stunde beschränkten. Bemerkenswert anschließend, daß kaum einer der Redner nach dem “Schlichter”spruch auf den weiteren Kampf orientierte.„
Na so ein Zufall. Redner waren u.a. Judith Vowinkel, Stadträtin der SPD im Stuttgarter Gemeinderat, Sybille Stamm, Sprecherin der Partei-Linken in Baden-Württemberg (sowie langjährige Ver.di-Funktionärin) und die Moderation hatte Muhterem Aras von Bündnis 90/Die Grünen. (5)
Pfeffersäcke aus den Partei-Etagen, Mitläufer des Establishments, Funktionärs-Knallchargen und Schwafelköppe – hatten die Stuttgarter nicht genau damit aufräumen wollen, weil sie jahrelang betrogen wurden, weil sie keine parlamentarische Vertretung ihrer Interessen mehr hatten, weil sie verraten und verkauft werden sollten und deshalb aus dem Nichts eine Bürgerbewegung aus dem Boden stampften und dabei alles selbst organisieren mussten? Und jetzt erzählen ihnen genau diese Leute auf der eigenen Demonstration, ohh, nee, lasst uns das mal machen und haltet still bis zur Landtagswahl, dann wird alles gut?!
Wie vor dem brutalen Polizeieinsatz am Schwarzen Donnerstag am 30.September, den die Stuttgarter unter großem Mut und Einsatz zum Stehen gebracht hatten, waren in den letzten Tagen Meldungen über bevorstehende Baumfällungen im Stuttgarter Schloßpark und eine neue Runde von Bauarbeiten an die Öffentlichkeit gedrungen. Dass diese nun durch die Bahn AG und die ausführenden Firmen dementiert wurden, mag man im Zusammenhang mit der morgigen Demonstration der Stuttgarter Parkschützer sehen. Eine Großdemonstration am 11.Dezember gegen die Farce eines „Schlichtungs“-Spruchs vom 30.November anzusetzen zeugt dagegen nicht gerade von Entschlusskraft, um es vorsichtig zu formulieren.
Am 29.November schrieben die Parkschützer in einer auch auf Radio Utopie veröffentlichten Erklärung (6):
„Trotz ihres blamablen Abschneidens in der Faktenschlichtung wollen Mappus und die Bahn das Projekt S21 nicht aufgeben, sondern schnell wieder mit dem Bauen, Abreißen, Bäumefällen und Ausschreiben beginnen…IHK und interessierte Wirtschaftskreise liefern bereits jetzt das flankierende Feuerwerk. Kosten, Risiken und Fakten spielen offensichtlich keine Rolle. Wer sich derart über Vernunft und Bürgerwillen hinweg setzt, muss mit massiven Widerstand rechnen – in Form von Massendemonstrationen, Blockaden und Aktionen des zivilen Ungehorsams. Wir sind schließlich das Volk, und wir werden uns einen solch unverschämten Machtmissbrauch von Bahn und Politik nicht bieten lassen.“
Die öffentliche Schlichtung mit dem Moderator Heiner Geißler war durchaus eine Sternstunde der Demokratie. Aber wer hat diese ermöglicht? Geißlers Partei, die CDU? Es waren die Stuttgarter – und nur die Stuttgarter – die diese Sternstunde erzwungen haben und niemand anderes sonst. Wenn jetzt Vergleiche zwischen Heiner Geißler und Willy Brandt gezogen werden, so sind diese nicht ganz unzutreffend. Nur sollte man dazu ein Zitat Willy Brandts aus seiner Regierungserklärung am 28. Oktober 1969 vor dem Deutschen Bundestag kennen (7):
„Wir sind keine Erwählten, wir sind Gewählte.“
Und Gewählte kann auch rauswerfen, wenn sie Mist bauen. Und das heisst nicht einmal mehr Demokratie wagen, sondern endlich das zu begreifen und zu bewahren, was von ihr noch übrig ist.
Und das heißt auch, der Zukunft dieser Republik endlich gerecht zu werden.
Vorheriger Artikel:
29.11.2010 Parkschützer veranstalten Großdemo gegen Stuttgart 21
Hier die wichtigsten Daten auf einen Blick:
– Samstag, 4.12.
– Arnulf-Klett-Platz, direkt vor dem Hauptbahnhof
– 14-15 Uhr Kundgebung mit Reden und Musik
– 15-17 Uhr Demozug über den Cityring
(Friedrichstr., Theodor-Heuß-Str., Rotebühlplatz, Eberhardstr., Torstr., Hauptstätterstr., Konrad-Adenauer-Str.)
Quellen:
(1) http://www.parkschuetzer.de/blog/21
(2) http://www.swr.de/nachrichten/bw/-/id=1622/nid=1622/did=7239878/1u44i04/index.html
(3) http://www.swr.de/nachrichten/bw/stuttgart21/-/id=6760318/nid=6760318/did=6865060/3qwll8/index.html
(4) http://www.randzone-online.de/?p=8320
(5) http://www.parkschuetzer.de/termine/268
(6) http://www.radio-utopie.de/2010/11/29/die-fakten-zu-stuttgart-21-konnten-nicht-uberzeugen-der-widerstand-geht-weiter/
(7) http://www.radio-utopie.de/wp-content/uploads/2010/10/mehr_demokratie_wagen.pdf