Jobcenter verstoßen mit ihren Sanktionen an schwangere Hartz IV-Bezieherinnen gegen das grundgesetzlich geschützte Gebot der Unversehrtheit des Lebens, das auch für das Ungeborene gilt
Gut eine Woche, nachdem das Erwerbslosen Forum Deutschland den Fall einer jungen Schwangeren aus Braunschweig, die wegen des Nichtantritts eines unzumutbaren Ein-Euro-Jobs die Hartz IV-Leistungen gestrichen wurden, mehren sich die Fälle von jungen werdenden Mütter, denen die Leistungen entzogen wurden. Erneut wurden dem Erwerbslosen Forum Deutschland Fälle vom kompletten Leistungsentzug von Schwangeren bekannt. In Passau strich das Jobcenter einer 21jährigen den Regelsatz und die Unterkunftskosten, weil sie einen Ein-Euro-Job in einer Großküche nicht antrat, obwohl sie in ca. sechs Wochen ihr Kind erwartet. Das Brisante: Der Einsatz von Schwangeren in Großküchen unterliegt beispielsweise nach den Mutterschutzrichtlinien des Universitätsklinikums Heidelberg einem generellen Beschäftigungsverbot.
Auch in Berlin wurde eine Schwangere auf Null gekürzt, obwohl dem Jobcenter bekannt war, dass sie schwer psychisch krank war und sich im Sanktionszeitraum in einer Psychiatrie wegen akuter Psychosen befunden hat. Erst vor zwei Tagen hatte das Jobcenter Berlin-Neukölln den Sanktionsbescheid vom September aufgehoben. Für die 24jährige wenig tröstlich, denn inzwischen hatte sie ihre Wohnung verloren und war von Oktober bis Ende Dezember nicht krankenversichert. Ob und wann sie ihre Leistungen rückwirkend erhält, ist nicht klar, da bisher nur der Sanktionsbescheid aufgehoben wurde. Die junge Frau wurde inzwischen wieder von ihrer Mutter aufgenommen, da sich jemand wegen der schweren psychischen Erkrankung um sie kümmern muss.
Der neueste Vorgang ereignete sich im bayerischen Passauer Land. Die junge Frau war seit Beginn ihrer Schwangerschaft fast durchgängig krankgeschrieben gewesen, und hatte es einmal versäumt, ihrem Sachbearbeiter eine Folgekrankmeldung vorzulegen. Daraufhin schnappte Sanktionsfalle sofort zu. Der gegen die Mittelstreichungen eingelegte Widerspruch läuft seit November, bisher aber ohne jedes Ergebnis. Auch hier hat das Erwerbslosen Forum Deutschland inzwischen einen Anwalt besorgt, der heute eine Eilklage beim zuständigen Sozialgericht eingereicht hat. Die junge Frau erwartet gegen Ende Februar ihr Baby und wird seit Dezember mit Lebensmittelgutscheinen abgespeist.
?Wir sind der Ansicht, dass das Jobcenter mit Bekanntgabe der Schwangerschaft sofort den Ein-Euro-Job in einer Großküche hätte abblasen müssen. Stattdessen wartete man nur auf einen Fehler der jungen Frau, um dann mit voller Härte zuzuschlagen. Die junge Mutter ist seit August – mit Ausnahme einer Unterbrechung – durchgehend krank geschrieben und befindet sich laut einem fachärztlichen Attest in einem schlechten psychischen Zustand. Zudem gibt es familiäre Dispositionen zu Fehlgeburten, wovor die junge Frau große Angst hat. Diese Tatsachen sind dem Jobcenter bekannt, dennoch wurde der Widerspruch seit November bisher nicht bearbeitet, so dass jetzt auf eine Eilentscheidung des Gerichts gewartet wird.
„Wir sind der Meinung, dass die Sanktionspraxis bei Schwangeren eklatant gegen den durch das Grundgesetz garantierten Schutz auf Unversehrtheit verstößt. Dieser Schutz gilt auch ausdrücklich für das ungeborene Leben. Jeder weiß, dass Mütter in Schwangerschaften erheblich mehr Ernährung und andere Dinge benötigen, weshalb bei Hartz IV deshalb ein Mehrbedarf gewährt wird. Diesen bekommt die junge Frau aber nicht, sondern wird mit Lebensmittelgutscheinen abgespeist, die schon unter normalen Umständen völlig unzureichend sind?“,
so Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland.
Der Ende vergangener Woche bekanntgewordene Fall in Braunschweig (1) nahm vorläufig einen guten Ausgang. Am vergangenen Freitag hatte die zuständige Behörde die Kürzung gegen eine 22jährige im vierten Monat Schwangere zurücknehmen müssen. Auch diese junge Frau litt seit längerem an gesundheitlichen Problemen. Gleichwohl sollte sie zu einem Ein-Euro-Job in einer Schulkantine antreten. Sie weigerte sich, weil ihr die Arbeit in ihrem körperlichen Zustand nicht zumutbar erschien. Daraufhin verhängte das Braunschweiger Jobcenter eine dreimonatige Sperrung ihrer Regelleistung und strich darüber hinaus den Zuschlag für den Mehrbedarf bei Schwangerschaft ab 1. Januar. Nach Ansicht des Erwerbslosen Forum Deutschland hat das »Verhalten der Verantwortlichen alles getoppt, was man bisher in der Sanktionspraxis erleben konnte. So wurde das Erbitten einer Verkürzung des Zeitraums der Sperrung ausdrücklich damit zurückgewiesen, dass dies „im Interesse der Allgemeinheit nicht in Frage“ komme. Die Frau sollte ein Viertel Jahr lang mit Lebensmittelgutscheinen über die Runden kommen, die sie wöchentlich beim Jobcenter hätte abholen sollen. Für die Fahrtkosten sollte sie selbst aufkommen, zudem verweigerte man ihr die Übernahme der Kosten für die Praxisgebühr sowie für Zuzahlungen für dringend benötigte Medikamente.
Ein Eilantrag beim zuständigen Sozialgericht hatte Erfolg, das Jobcenter lenkte ein, und die Leistungen der Betroffenen werden nun wieder in voller Höhe ausgezahlt. Sie fühlte sich „wie eine Verbrecherin“ behandelt.
Das Erwerbslosen Forum Deutschland fordert, angesichts dieser absurden Sanktionspraxis, dass Verantwortliche in der Politik sich endlich für ein Sanktionsmoratorium einsetzen, statt die Sanktionen im Zuge der Hartz IV-Reformen noch verschärfen zu wollen.
„Wenn Betroffene mit uns rechtlich gegen Sanktionen vorgehen, werden die Sanktionen fast immer zurück genommen. Im übrigen hat die derzeitige Sanktionpraxis der Jobcenter kaum etwas mit Menschenwürde und Rechtstaatlichkeit zu tun.“,
so Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland.
Quelle: (1) http://www.elo-forum.net/topstory/201101129138.html