In diesen Minuten wird Geschichte geschrieben, nicht nur in Ägypten. Das Regime der fast 30 Jahre alten Militärdiktatur unter Husni Mubarak ist dabei unter einem Volksaufstand zu kollabieren. Radio Utopie berichtet in einem Ticker zu den historischen Ereignissen in einem Schlüsselstaat der arabischen Welt, an der Nahtstelle zwischen den Kontinenten Afrika und Asien.
Z.Z. öffentlich zugängliche Quellen:
Live TV Stream Al Jazeera: http://english.aljazeera.net/watch_now/
Twitter Updates: http://english.aljazeera.net/news/middleeast/2011/01/201112523026521335.html
17.05 Uhr
Mubarak schickt das Militär auf die Strassen zur Niederschlagung der Proteste, die in drei Tagen zu einem Volksaufstand geworden sind.
17.08 Uhr
Millionen protestieren in Alexandria, Cairo und Suez.
17.09 Uhr
Hosni Mubarak kündigt an, sich gleich mit einer Rede an die Nation im staatlichen Fernsehen an die revoltierende Bevölkerung zu wenden.
17.20 Uhr
Polizeizentrale in Alexandria gestürmt.
17.27 Uhr
In der laufenden Live-Übertragung meldet der Journalist Al Jazeeras Explosionen in unmittelbarer Nähe. Er berichtet nur einige hundert Meter entfernt vom Informationsministerium.
17.30 Uhr
Das Hauptquartier Staatspartei NDP in der Stadtmitte Kairos steht in Flammen.
17.35 Uhr
US-Aussenministerin Hillary kündigt ein Rede zur Lage in Ägypten an.
17-50 Uhr
Die demonstrierenden Ägypter knien, mitten im Aufruhr, zum Abendgebet auf den Straßen Kairos nieder.
18.00 Uhr
Twittermeldung: Sondereinheiten der Polizei, die noch nicht zu der aufständischen Bevölkerung übergelaufen ist, feuert Tränengas-Granaten in die Betenden.
18.05 Uhr
Unmittelbar vor dem Balkon des Al Jazeera Teams wird durch Demonstranten ein Polizei-Wagen in Brand gesetzt. Die Besatzung konnte sich offensichtlich vorher in Sicherheit bringen.
18.07 Uhr
Rede von Hillary Clinton beginnt. Die US-Regierung betont die universellen Menschenrechte aller Ägypter und fordert Bevölkerung und Regierung auf keine Gewalt einzusetzen. Desweiteren fordert die US-Aussenministerin das Regime Husni Mubarak auf, die Freiheit der Meinung (des Ausdrucks), der Organisation und der Versammlung zu gewährleisten, sowie „politische, wirtschaftliche und soziale Reformen“ einzuleiten.
Analyse: Washington gibt die Mubarak-Diktatur auf und einer noch vor kurzem für unmöglich gehaltenene demokratischen Entwicklung in Ägypten eine Chance.
18.15 Uhr
Al Jazeera Korrespondent Jamal Elshayyal meldet, Militär marschiert in Suez und Alexandria ein. Die Nachrichtenagentur ap meldet: das Aussenministerium ist durch die Bevölkerung gestürmt worden.
Twittermeldung: dramatische Wende: das einrückende Militär in Alexandria schiesst nicht etwa auf die demonstrierende Bevölkerung sondern hebt den Daumen und begrüßt die Demonstranten. Diese brechen in Jubel aus.
Analyse: Diese Entwicklung erinnert an den Umsturz in Tunesien: in der entscheidenden Phase des Volksaufstandes weigerte sich das Militär auf das eigene Volk zu schiessen und ging gegen die Präsidentengarde des Diktators vor.
Die Polizeikräfte des Diktators Mubarak jedenfalls sind offensichtlich vollständig geschlagen. Entscheidend wird jetzt sein, wie sich das Militär verhält.
18.28 Uhr
Al Jazeera meldet aus Port Said, dass Mohammed El Baradei immer noch durch die ägyptische Polizei festgesetzt ist.
18.40 Uhr
Explosionen in Kairo. Militär setzt sich auch in Kairo in Bewegung, Richtung des brennenden Aussenministeriums, des Informationsministeriums und des staatlichen Fernsehsenders.
Die vom Diktator Mubarak verhängte Ausgangssperre wird im gesamten Land nicht beachtet. Während in Kairo die Feuerwehren nirgendwo zu sehen sind, beginnen in Suez Feuerwehren des Militärs ihre Arbeit.
18.55 Uhr
Ein Sprecher Hillary Clintons fasst für das US-Aussenministerium noch einmal die Position der Washingtoner Regierung zusammen: die Aufforderung an das Mubarak-Regime, „Reformen“ durchzuführen.
19.00 Uhr
Al Jazeera und das ZDF berichten übereinstimmend von Verbrüderungen zwischen Militär und Bevölkerung. Inzwischen ist nicht einmal klar, ob das Militär auf Befehl von Diktator Husni Mubarak aufmarschiert ist oder ob es noch unter seinem Befehl steht.
19.20 Uhr
Der schlechteste Generalsekretär seit der Gründung die UNO, Ban Ki Moon, ist auf dem Möchtegern-Weltentscheider-Treffen (World Economic Forum) in Davos mit einem nichtssagenden Statement der US-Regierung hinterher gedackelt. Ebenso die Regierungen von London und Paris.
Einzig aus Berlin…aus Bayern kamen noch individuelle Töne im großen Rauschen der Weltoberhäupter. Der deutsche Militär-Oberbefehlshaber Karl-Theodor zu Guttenberg ließ verlauten, die Entwicklung in Ägypten berge „das Risiko eines infektiösen Momentums für die Region“ in sich.
19.55 Uhr
Kairoer plündern das gestürmte Hauptquartier der Staatspartei NDP.
20.20 Uhr
Nach unbestätigten Berichten sind im Laufe des Freitags fünf Menschen im Zuge des Volksaufstandes gestorben, Hunderte wurden verletzt.
20.25 Uhr
Die Lage in Ägypten ist unübersichtlich. Das Militär ist aufmarschiert. Das wird von der Bevölkerung jubelnd begrüßt. Offiziell heisst es, das Militär habe den Befehl zusammen mit der Polizei den Volksaufstand niederzuschlagen. Es gibt aber keine Berichte über ein Vorgehen des Militärs gegen die Bevölkerung. Derweil ist auch die Präsidentengarde Mubaraks in Kairo aufmarschiert, die nicht Teil des regulären Militärs ist und über eigene Streitkräfte verfügt.
Unterdessen ist der Diktator, Husni Mubarak, abgetaucht. Sein angekündigtes Statement fand nicht statt.
22.50 Uhr
„Einflussreiche Geschäftsleute“ und Mitglieder der ägyptischen Nomenklatura haben laut Al Jazeera das Land verlassen. Die Bevölkerung ist nach wie vor auf den Straßen, das Militär geht nicht gegen sie vor. Panzer haben die Botschaften der USA und Großbritanniens abgeschirmt.
Der Generalstabschef des ägyptischen Militärs, Sami Enan, befindet sich seit Mittwoch zu Gesprächen in der US-Hauptstadt Washington. Nun, am Freitag Abend, macht er sich auf die Rückreise nach Ägypten.
Der Parlamentspräsident kündigt eine wichtige Bekanntmachung im staatlichen Fernsehen an.
23.08 Uhr
Ein sehr, sehr peinlicher Einblick in das Zitatenkarussel der Informationsindustrie und den Fluss von Vorab-Informationen: Al Jazeera meldet, Reuters habe gemeldet, dass das staatliche Fernsehen meldet, dass die Lage bei Diktator Husni Mubarak „in sicheren Händen“ sei. Dabei merkt der Al Jazeera süffisant an: „Ich dachte wir würden das staatliche Fernsehen beobachten“ – denn da ist noch nichts gesendet worden…
Eine Spekulation macht in den Medien die Runde: das Militär hat die Macht übernommen.
23.16 Uhr
Mubarak erscheint auf den Fernsehschirmen und beginnt seine lang erwartete Erklärung.
Mubarak sinngemäß: Ich bedaure die unschuldigen Opfer auf beiden Seiten. Ohne die in Ägypten herrschenden Freiheiten hätte es keine Demonstrationen gegeben. Es gibt einen Unterschied zwischen Freiheit und Chaos. Wir sollten vorsichtig sein angesichts der Beispiele von Chaos um uns herum. Der Wandel kommt nicht durch Chaos, sondern durch Dialog. Wirtschaftliche und soziale Reformen sollen umgesetzt werden. Ich war immer auf der Seite der Armen und werde es immer sein. Es gibt Hinweise auf Verschwörungen („plots“) gegen Ägypten.
Ich rufe jeden Mann und jede Frau auf, einzustehen für das Wohl der Öffentlichkeit. Der Reformkurs kennt keine Rückkehr und wird fortgesetzt, wir werden die Arbeitslosigkeit senken, die Gesundheitsversorgung verbessern, usw, etc, pp.
Ich habe die Regierung aufgefordert zurückzutreten und werde morgen eine neue ernennen.
Analyse: Mubarak versucht sich an die Macht zu klammern. Dazu gilt es festzuhalten, dass formal der Verteidigungsminister der Vorgesetzte des gerade aus Washington zurückkehrenden Generalstabschef Sami Enan und Oberbefehlshaber des ägyptischen Militärs ist. Wenn der Verteidigungsminister jetzt ebenfalls gefeuert wird, könnte es sein, dass Generalstabschef Enan morgen zum neuen Verteidigungsminister ernannt wird. Das würde auf eine faktische Machtübernahme des ägyptischen Militärs (mit Segen Washingtons) hindeuten, mit der Option auf (konrollierte) demokratische Reformen.
23.50 Uhr
An der ehrenwerten Wall Street schmieren die Börsenkurse ab. Millionen von Intellektuellen weltweit brechen darüber in Tränen aus.
00.43 Uhr
In Ägypten ist es ruhig. Die Menschen halten nicht die formal immer noch geltende Ausgangssperre ein, die Unruhen jedoch sind abgeflaut.
Die Ruhe vor der Reform.
Ende des Tickers, für heute.