Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 18
Freitag, 11.Februar des Jahres 2011 nach dem Handwerker. Es ist der achtzehnte Tag im Aufstand der Ägypter gegen ihre Diktatur und die Welt wandelt sich hier vor unseren Augen.
In der Nacht nach den Reden von Diktator Husni Mubarak und dessem Stellvertreter Omar Suleiman im Staatsfernsehen betonte der Dissident Ramy Raoof in einem Interview, dass im derzeitigen historischen Machtkampf am Nil Gewalt und Auseinandersetzung vom Regime gesucht würden und nicht von der Freiheits- und Demokratiebewegung.
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Ticker zu Tag 18 im Volksaufstand in Ägypten
Die Tage zuvor:
Donnerstag, 25.01., Live Bilder aus Ägypten: Einem Land platzt der Kragen
Freitag, 28.01., Volksaufstand in Ägypten: Ticker
Samstag, 29.01., Übernehmen Mubarak und Suleiman die Taktik Ben Alis in Tunesien?
Sonntag, 30.01., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 6
Montag, 31.01., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 7
Dienstag, 01.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 8
Mittwoch, 02.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 9
Donnerstag, 03.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 10
Freitag, 04.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 11
Samstag, 05.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 12
Sonntag, 06.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 13
Montag, 07.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 14
Dienstag, 08.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 15
Mittwoch, 09.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 16
Donnerstag, 10.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 17
Öffentlich zugängliche Quellen:
Live TV Stream Al Jazeera: http://english.aljazeera.net/watch_now/
Twitter Al Jazeera: http://english.aljazeera.net/news/middleeast/2011/01/201112523026521335.html
Ticker Al Jazeera: http://blogs.aljazeera.net/middle-east/2011/02/10/live-blog-feb-11-egypt-protests
08.24 Uhr
Die staatliche ägyptische Nachrichtenagentur Mena berichtet von einem zweiten Treffen des Obersten Militärrates. Es werde bald eine „wichtige“ Erklärung veröffentlicht. (Stunden später wird die kommerzielle Nachrichtenagentur „Reuters“ melden: der Oberste Militärrat verspricht den Ausnahmezustand aufzuheben – wenn es die Umstände zulassen…)
09.00 Uhr
Per Telefon melden sich mehrere Personen bei der Nachrichtenagentur „Reuters“ und sagen, sie seien Armee-Offiziere, die sich der Freiheitsbewegung angeschlossen hätten. Eine Person gibt am Telefon seinen Namen mit Major Ahmed Ali Shouman an und sagt, die „Solidaritätsbewegung“ der Armee mit dem Volke habe nun begonnen.
Analyse: Es gibt bisher keinen Beleg für einen Bezug der Realität zu diesem Telefongespräch.
10.37 Uhr
Das Mubarak-Regime kündigt an, dass aus dem „Komitee der Weisen Männer“, welches sich vereintlichen Oppositionellen und Angehörigen der Oberschicht zusammensetzt , ein Vize-Premierminister ernannt werden soll, der dann einen „Dialog“ führen soll.
Anmerkung: Diese Komitee entstand aus einem Komitee von “Oppositionsparteien”, die mit dem Volksaufstand nichts zu tun haben wollten, bis er erfolgreich war. Am 4.Februar benannte sich dieses Komitee um in “Komitee der weisen Männer”. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte es sich mit dem Mubarak-Regime getroffen und verhandelt. Mitglieder in diesem Komitee sind u.a. Mohammed El Baradei und der Tycoon. der Tycoon Naguib Sawiris, aus einer der Herrscherfamilien Ägyptens, Chef der Orascom Group
?12.00 Uhr
Es sind mindestens Hunderttausende, wenn nicht über eine Million Ägypter auf dem Tahrir Platz. Die Menschen stehen bis weit in die Seitenstraßen hinein.
12.25 Uhr
Hunderttausende sind in Alexandria auf den Straßen. Ein Meer von ägyptischen Flaggem.
12.35 Uhr
Sowohl vor dem Gebäude des Staatsfernsehens, als auch vor dem rund 11 Kilometer vom Tahrir Platz entfernten Präsidentenpalast, befinden sich mehrere hundert Demonstranten. Beide Gebäude werden von der Armee bewacht.
12.50 Uhr
Wie ein Aktivist vom Tahrir Platz berichtet, sind mehrere kleinere Demonstrationen auf dem Weg zum Präsidentenpalast. Mindestens eine ist von der Armee blockiert und aufgehalten worden.
13.00 Uhr
Der ehemalige General des Militärgeheimdienstes Mahmoud Zaher gibt mal wieder ein Interview auf Al Jazeera. Er versucht der Weltöffentlichkeit allen Ernstes anzudrehen, dass der seit 30 Jahren geltende Ausnahmezustand mit den zur Zeit stattfindenden Demonstrationen zusammenhänge und vor dem Ende nicht aufgehoben werden könne.
Eine Al Jazeera Reporterin berichtet, dass den demonstrierenden Ägypten die vor wenigen Stunden erfolgte zweite Erklärung des Obersten Militärrates „den Buckel runter rutscht“
13.07 Uhr
Der Oberste Militärrat unter Mubaraks Verteidigungsminister Muhammad Hussein Tantawi kündigt die dritte Erklärung innerhalb von 24 Stunden an.
Analyse: Der Oberste Militärrat verliert die Kontrolle über das Militär.
13.10 Uhr
Reporterin Rawya Rageh vom Präsidentenpalast: Versammlung dort friedlich. Reporterin Sherine Tadros: mehr und mehr Demonstranten kündigen an, zum Präsidentenpalast zu ziehen. Reporter Evan Hill: rund 1000 Menschen ziehen vom Tahrir Platz zum Präsidentenpalast.
13.26 Uhr
Tausende demonstrieren in Mansoura, Mahala, Tanta, Alexandria, Ismailia und Suez. Genaue Zahlen nicht zu bestimmen. Derweil wieder einmal aus dem Staatsfernsehen des Regime gestreute Gerüchte: Mubarak habe angeblich das Land verlassen.
Analyse: Noch mehr plumpe Lügen aus der Diktatur – ein Zeichen von Verzweiflung.
13.34 Uhr
Bizarre Posse im Machtbereich der „Europäischen Union“ : mehrere politische Beamte und Funktionäre sondern irrelevante und heuchlerische Erklärungen ab, darunter der deutsche Aussenminister Guido Westerwelle (FDP), die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU) und französische Präsident Nicolas Sarkozy. Nicht einer der politischen Nomenklatura im EU-Machtbereich fordert den Rücktritt des Diktators.
13.40 Uhr
Mehr und mehr Menschen versammeln sich um das Gebäude des Staatsfernsehens.
13.55 Uhr
Auf „Al Arabiya“ gibt es eine Sammlung lauter widersprüchlicher Meldungen über den Aufenthaltsort Mubaraks.
Vor dem Präsidentenpalast des Diktators eine erschütternde Szene: die Mutter eines getöteten Demonstranten trifft ein und spricht zu den Menschen. Sie sagt, sie würde auch ihren zweiten Sohn für den Kampf um die Demokratie geben.
Reporter Evan Hill, der sich offenbar mit den Demonstranten bewegt, berichtet, dass die vom Tahrir Platz Richtung des elf Kilometer entfernten Präsidentenpalastes marschierende Menge auf 2000 bis 3000 Personen angewachsen ist.
14.20 Uhr
Der dänische Premierminister Lars Lokke Rasmussen, Vorsitzender der rechtsliberalen Partei Venstre, fordert den Rücktritt des Diktators Mubarak.
Analyse: Auch die Front der Unterstützer der Mubarak-Diktatur im Machtbereich der sogenannten „Europäischen Union“ und „Mittelmeerunion“ – allen voran Merkel und Sarkozy – bricht in sich zusammen.
14.30 Uhr
Mittlerweile sind Tausende vor Mubaraks Palast. Entgegen wieder einmal gestreuten Gerüchten, der Diktator habe Kairo verlassen, berichtet die seit 10 Uhr MEZ (11.00 Uhr ägyptischer Zeit) vor Ort anwesende Korrespondentin Rawya Rageh, dass kein Helikopter vom Präsidentenpalast gestartet ist.
14.45 Uhr
Analyse: Der Aufenthaltsort des Diktators ist irrelevant. Was der Oberste Militärrat erzählt, ist irrelevant. Gerüchte und Versprechungen sind irrelevant.
Der Diktator Mubarak ist im Amt und muss sofort zurücktreten. Alles andere ist irrelevant.
14.52 Uhr
Der britische Telegraf veröffentlicht eine Liste der vielen Erklärungen, Reden und unterschiedlichen Positionen der Washingtoner US-Regierung unter Marack Obama seit Beginn des ägyptischen Volksaufstand vor 17 Tagen.
14.55 Uhr
Live-Bilder aus Alexandria: vor dem dortigen Präsidentenpalast ist eine Menschenmenge aufgezogen. Panzer der Armee und Matrosen der ägyptischen Marine blockieren die Demonstration, aber verteilen Nahrungsmittelrationen unter ihren Landsleuten. Es kommt zu keinen Auseindersetzungen.
15.00 Uhr
In Suez haben Einwohner zehn Staatsgebäude umstellt und angekündigt, vor dem Rücktritt des Diktators nicht mehr zu gehen.
15.09 Uhr
Anmerkung: Es ist nur ein kleines Bild, dort vor dem Präsidentenpalast am Mittelmeer in Alexandria – aber es sagt viel. Matrosen der Marine verteilen nach Nahrungsmitteln nun auch Wasserflaschen unter den Demonstranten vor dem Palast. Während das Fahrzeug der Marine mit den Wasserflaschen sich nähert, wird es durch Demonstranten eingewunken. Diese drängeln sich anschließend nicht etwa um das Wasser, oder behalten jede Flasche für sich – sie reichen das Wasser durch an die Demonstranten hinter ihnen.
Dieses Volk wird gewinnen. Es hat bereits gewonnen.
Derweil berichtet vom Marsch Richtung Kairoer Präsidentenpalast Reporter Evan Hill, dass der Zug nun am Verteidigungsministerium vorbeizieht. Militär-Offiziere stehen als Zuschauer auf den Balkonen.
15.40 Uhr
Ein Artikel der „New York Times“ vom 9.Februar mit dem Titel „Was die Muslimbruderschaft will“. Gastautor: Essam El Errian, ein Mitglied des Führungsrates der Muslimbruderschaft.
15.41 Uhr
Im Staatsfernsehen wird ein Statement „aus dem Präsidentenpalast“ angekündigt.
15.43 Uhr
Reporter Evan Hill berichtet vom Kairoer Präsidentenpalast: Zwei Helikopter kreisen über dem Gebäude
15.48 Uhr
Erste Live TV-Bilder vom Kairoer Präsidentenpalast. Tausende vor dem Gebäude, Stimmung entspannt, aber entschlossen. Viele Menschen stehen in Gruppen zusammen und diskutieren.
Bericht: niemand hat versucht die Stacheldrahtsperre zu überwinden, Stimmung sehr zivil. Auch hier wurden durch das Militär Nahrung und Wasser unter die Menschen verteilt.
15.54 Uhr
Militärhelikopter landen beim Kairoer Präsidentenpalast, dem „Oruba Palast“, Mubaraks bevorzugtem Wohnsitz.
Das Staatsfernsehen berichtet, in einem surrealen Akt von Stiller Post, dass laut „internationalen Nachrichtenagenturen“ der Diktator die Hauptstadt bereits verlassen hat.
Während dort der Tahrir Platz immer noch mit rund einer Million Menschen bis in die Seitenstraßen hinein völlig überlaufen ist, demonstrieren in ganz Kairo an allen neuralgischen Regierungsgebäuden jeweils Tausende von Ägyptern für einen sofortigen Rücktritt des Diktators.
16.20 Uhr
Aus El-Arish nahe Israel wird von einem Angriff mit Schusswaffen auf eine Polizeistation berichtet.
Analyse: Das wäre das erste Mal, dass irgendjemand aus der Freiheits- und Demokratiebewegung Schusswaffen einsetzt. Ebenfalls höchst seltsam, dass dies ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt passieren soll und in den Schlagzeilen auftaucht.
16.25 Uhr
Analyse: Die Mubarak-Diktatur und ihre Militärführung spielen auf Zeit, um die Lage irgendwie wieder in den Griff zu bekommen. Derweil ertönt aus den Herrscherländern und ihre Hauptstädten Washington, London, Paris, Berlin und Brüssel durch politische Funktionäre allerlei beschwichtigendes Geschwätz.
Der Dikator ist im Amt.
16.40 Uhr
Reporter Ayman Mohyeldin: Alle Hoffnungen im Establishment der Diktatur durch die gestrigen Erklärungen und Reden ein „Appeasement“ der Freiheitsbewegung zu erreichen, haben sich zerschlagen.
16.55 Uhr
Zwischenspiel: Na guckt doch mal. Was für böse Leute. Diese Ägypter. Was würden die bloß alle machen – ohne ihrem „Papa Mubarak“…
Da fällt mir ein – also der Typ da oben, auf dem Foto, der nach oben schaut. Der guckt doch bestimmt zum Husni.
17.02 Uhr MEZ, 18.02 Uhr ägyptischer Zeit. Tag 18 im Volksaufstand.
Der Diktator ist zurückgetreten.
Vize-Präsident Omar Suleiman verkündet in einer kurzen Ansprache den Rücktritt von Husni Mubarak und die Übergabe der Macht an den Obersten Militärrat.
Unbeschreibliche Szenen auf dem Tahrir Platz, dem Platz der Befreiung.
Radio Utopie beendet nun seine aktuelle Berichterstattung, beglückwünscht das Volk von Ägypten und wünscht ihm alles Gute für seine Zukunft. Diese verwandelte Welt wird weiter mit den Ägyptern sein, die sie ermöglicht haben.