Erscheinungsformen Vernetzter Sicherheit: Gendarmerien und Katastrophenhilfe
Workshop auf dem entsichern-Kongreß in Berlin am 29. Januar 2011
Als supranationaler ökonomischer, politischer und administrativer Komplex bündelt und transformiert die Europäische Union sogenannte Sicherheitsinteressen nach außen und innen. Sie positioniert sich als Bündnispartner oder Konkurrent führender Mächte im Gefüge weltweiter Zugriffssicherung und stärkt damit die Einflußnahme der europäischen Nationalstaaten. Zugleich reguliert sie die Rivalität ihrer Mitglieder zugunsten der stärksten Fraktionen und ergänzt so das expansionistische Streben im Kontext eines global entfalteten Raubsystems um die forcierte Vorteilsnahme im Rahmen bestehender Entwicklungsunterschiede auf dem eigenen Kontinent. Grundsätzlich setzt die EU von höherer Ebene ausgehend und mit innovativer Wirkmacht die herrschende Verwertungsordnung gegen widerständige Kräfte durch, wo immer diese in Erscheinung treten.
Im Gefolge dieses Sprungs äußerer und innerer Verfügungsgewalt vollzieht sich nicht zuletzt eine Transformation polizeilicher Funktion, die ihre durch traditionelle Aufgaben und Kompetenzgrenzen gesetzen Schranken sprengt. Die Trennung von Polizei und Militär verschwimmt zugunsten einer engen Zusammenarbeit mit fließenden Übergängen unter der Doktrin Vernetzter Sicherheit. In Fällen von Angriffskrieg und Okkupation wie in Afghanistan geht die bellizistische Intervention in eine polizeigestützte Sicherheitsarchitektur über, in deren Rahmen einheimische Kräfte rekrutiert, ausgebildet und ausgerüstet werden. Im Zeichen internationaler Unterstützung bauen Polizeien aus dem EU-Raum Sicherheitskräfte in Krisenregionen wie den von Israel besetzten Palästinensergebieten auf, um die westlicherseits favorisierten Ordnungsfunktionen zu gewährleisten. In enger Verschränkung mit Katastrophenhilfe faßt die europäische Polizei in Notstandsgebieten wie Haiti Fuß, um die zivil-militärische Zusammenarbeit um eine polizeiliche Komponente zu ergänzen.
Diese nationalstaatliche Verfassungen, Potentiale und Befindlichkeiten überschreitende, ja den Partikularinteressen einzelner EU-Mitglieder nicht selten zuwiderhandelnde exekutive Ermächtigung entfaltet sich auch im Innern der Europäischen Union. Die polizeiliche Aufrüstung und grenzüberschreitende Verschränkung macht nationalstaatliche Souveränität, Gesetzeskraft und Schutzfunktion insofern zur Makulatur, als das Primat sicherheitsrelevanter Kontroll- und Zugriffsfunktionen zu Lasten alle anderen Rechtsgüter durchgesetzt wird. Wenngleich es national verankerte Polizeistrukturen sind, die diesen Übergriff befördern, treibt ihre Verflechtung im Rahmen der EU deren repressives Potential deutlich über jene Möglichkeiten hinaus, zu denen die Mitgliedsländer in ihrer Summe fähig wären.
So werden klassische Bereiche Innerer Sicherheit zunehmend militarisiert, operieren Polizeiverbände teilweise unter Militärkommando, schafft man Begegnungsflächen der verschiedenen Sicherheitskräfte in gemeinsamen Trainings oder Militärmissionen. Zugleich etabliert man zivil-militärische Strukturen in der europäischen Katastrophenhilfe, um in Notstandsgebieten die Herrschaft mit Satelliten und Drohnen, verschlüsselten Lagebildern und einer monopolisierten Krisenkommunikation zu sichern. Aufstandsbekämpfung und „Katastrophenhilfe“ werden das zukünftige Konfliktgeschehen sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU prägen, heißt es denn auch in der Ankündigung eines Workshops zu Gendarmerien und Katastrophenhilfe, bei dem die Referenten Matthias Monroy und Christoph Marischka zwei prägnante Erscheinungsformen Vernetzter Sicherheit vorstellten. [1]
Der Aktivist und Journalist Matthias Monroy lebt in Berlin. Er hat in den letzten Jahren viele Gipfelproteste von Globalisierungs- und Kapitalismuskritikern besucht und dabei die Überwachungsmaßnahmen analysiert. Mittlerweile hat er sich zu einem Experten auf dem Gebiet der europaweiten Polizei- und Geheimdienstarbeit entwickelt. Monroy ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko von der Partei Die Linke.
Christoph Marischka ist Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem „Krieg und Medien“ und „Militarisierung und Flüchtlingspolitik“.
Vorbereitungen für den Bürgerkrieg
Wie Matthias Monroy in einem einleitenden Überblick berichtete, habe die EU im Jahr 2000 beschlossen, sogenannte nicht-militärische Polizeikontingente aufzubauen, die sie in Konfliktregionen einsetzen kann. Bezeichnet als zivilpolizeiliche Instrumente wurden diese Einheiten sukzessive bis auf einen Stand von derzeit rund 5000 Mann aufgestockt, die bei Bedarf rasch mobilisierbar sind. Als Einsatzgebiet dieser Truppe wurden insbesondere Kriegssituationen spezifiziert, in denen die Polizei im Gefolge militärischer Befriedung die weitere Regulation übernimmt. Darunter fällt die Stärkung verbliebener Polizeistrukturen, bei deren Fehlen die vorübergehende Übernahme derartiger Funktionen und der nachfolgende Aufbau lokaler Sicherheitskräfte.
Aus der Etablierung geschlossener Polizeieinheiten unter internationalem zivilen Mandat sei ein Bedarf erwachsen, zwei verschiedene Einsatzformen voneinander zu unterscheiden. Da es sich um Situationen nach erfolgten Kriegshandlungen der NATO oder der EU handelt, sind einerseits administrative Aufgaben zu bewältigen, die sich unter den eher klassischen zivilpolizeilichen Auftrag subsumieren lassen. Unter der Bezeichnung Formed Police Unit sollen diese Kräfte Polizisten ausbilden, Gefängnisapparate errichten, Recht und Ordnung durchsetzen. Hinzu kommt die Kategorie Integrated Police Unit, die einen Schritt weiter geht und mit diversen exekutiven Kompetenzen ausgestattet ist, zu denen nicht zuletzt Aufstandsbekämpfung und geheimdienstliche Tätigkeit in den betreffenden Gebieten gehört. Diese Einheiten können im Unterschied zu den erstgenannten unter militärischer Führung operieren, also den jeweiligen Kommandostrukturen untergeordnet werden.
In beiden Fällen handelt es sich um Hundertschaften, wobei die Formed Police Units über eine Bewaffnung verfügen, wie man sie beispielsweise von der Bereitschaftspolizei kennt. Hingegen verfügen die Integrated Police Units über militärisch anmutende Waffen und haben auch Scharfschützen in ihren Reihen. Ihre Uniform erinnert weniger an Polizei, als vielmehr an die einer Einheit bei den deutschen Feldjägern, die für die sogenannte Crowd Control ausgebildet ist. Sie sind mit Protektoren und Helmen mit Nackenschutz ausgestattet, die sie in direkten Konfrontationen schützen sollen.
Davon zu unterscheiden ist die Europäische Gendarmerietruppe (EGF), bei der es sich um kein Organ der EU handelt, wie Matthias Monroy hervorhob. Gründerstaaten waren mit Frankreich und Italien zwei Länder, die traditionell über Gendarmerien verfügen. Hinzu kamen weitere Länder, die sich an diesem Pool beteiligen wollen, wie etwa Polen und Litauen oder Rumänien, das vor etwa anderthalb Jahren als neuestes Mitglied dazugestoßen ist. Beobachterstatus hat interessanterweise die Türkei, obgleich sie nicht der EU angehört.
Nicht alle EU-Staaten unterhalten eine Gendarmerie, die es beispielsweise auch in Deutschland nicht gibt. Hier hatte der Bundesgrenzschutz in der Vergangenheit eine ähnliche Funktion. Da Gendarmerien Polizeieinheiten sind, die dem Militär unterstellt werden können, weckt diese Option auch hierzulande Begehrlichkeiten, sich an dem Projekt zu beteiligen, so Monroy. Als Ziel der europäischen Gendarmerietruppe wies er das Potential aus, binnen kurzer Zeit ein bestimmtes Kontingent an Polizisten mobilisieren zu können. Hinzu kommt die Kompetenz, einen entsprechenden Einsatzplan zu erstellen und die gesamte Operation auszuarbeiten, wofür ein eingespielter Einsatzstab erforderlich ist. Es bedarf also einer Organisationsstruktur, die flexibel auf aktuelle Anforderungen reagieren kann.
Um sich mögliche Einsatzgebiete der Gendarmerie vor Augen zu führen, kann man einen Blick auf die italienischen Carabineri werfen. Diese übernehmen nicht selten reguläre Polizeiaufgaben und sind insbesondere bei Demonstrationen präsent. So wurde Carlo Giuliani von den Carabineri erschossen, die beim G8-Gipfel in Genua eingesetzt wurden. In Italien untersteht diese Gendarmerie dem Verteidigungsministerium, das damals neben dem Innenministerium und dem Justizministerium für den Gipfel zuständig war, so daß Klage wegen der Massenunterbringung im Gefängnis gegen drei verschiedene Ministerien geführt werden mußte.
Wenngleich man bei der Europäischen Gendarmerietruppe nicht von Privatisierung sprechen kann, wird sie doch nicht von der EU, sondern den gründenden Ländern verwaltet. Sie bietet ihre Dienste den verschiedenen internationalen Organisationen wie beispielsweise der NATO, der EU oder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) an. Da die Gründerstaaten über den Einsatz entscheiden können, verfügen sie über beträchtlichen Einfluß. Entscheidungsträger ist ein sogenanntes interministerielles Komitee, das unter anderem die Präsenz der Gendarmerietruppe beim Polizeitraining in Afghanistan oder dem jüngsten Einsatz in Haiti beschlossen hat. Dabei entfallen sämtliche Kontrollrechte des Europaparlaments und mithin die Möglichkeit, sich durch Anfragen Einblick in die Abläufe zu verschaffen. Folglich bleibt es den Parlamentariern in den Mitgliedsstaaten der Gendarmerie vorbehalten, initiativ zu werden und Auskünfte der jeweiligen Regierung zu erzwingen.
Das Hauptquartier der EGF befindet sich im norditalienischen Vicenza, wo ein Stab von etwa 30 Personen permanent präsent ist, dessen Mitglieder größtenteils von Italien und Frankreich gestellt werden. Am Ort unterhält die EGF eine eigene Akademie, an der Polizeien anderer Länder insbesondere in Aufstandsbekämpfung ausgebildet werden. Die Gendarmerietruppe von insgesamt 2300 paramilitärischen Polizisten ist keine in Vicenza kasernierte Einheit, die auf den Einsatz wartet, sondern ein Konglomerat aus Verbänden der Mitgliedsstaaten, die für die Einsatzplanung reserviert sind und bei Bedarf freigestellt werden. In der Regel handelt es sich aber wie bei den Carabineri in Italien oder der Guardia Civil in Spanien um kasernierte Verbände, die neben ihren Spezialaufgaben auch im regulären Polizeidienst tätig sind.
Um die verschiedenen Polizeistrukturen zusammenzuführen, betreibt die EU seit drei Jahren das European Police Forces Training. Diese Maßnahme dient nach Einschätzung Monroys vor allem dem Zweck, die auf gesamteuropäischer Ebene aufgebauten polizeilichen Kontingente enger mit der Europäischen Gendarmerietruppe zusammenzuführen. Obgleich formal getrennt, operieren die beiden Segmente beispielsweise in Afghanistan vor Ort zusammen. Um diese Strukturen unter der Hand zu synchronisieren, bindet man sie in gemeinsamen European Police Forces Trainings ein, die von der EU-Kommission finanziert werden.
Die ersten beiden Übungen dieser Art fanden in den Gründerstaaten der Europäischen Gendarmerietruppe Frankreich und Italien statt. Zur Illustration zeigte Monroy Bilder von der Übung in Vicenza, auf denen Einheiten aus verschiedenen Ländern zu sehen waren. Die Kulisse war seine Worten zufolge eindrucksvoll, da mit Material nicht gespart und zu Übungszwecken fünf Autos gleichzeitig in Brand gesteckt wurden. Die Bevölkerung wurde über das Polizeitraining nicht informiert und war tagelang mit martialisch aufgerüsteten Fahrzeugkonvois konfrontiert, die zwischen den Übungsplätzen hin und her fuhren.
Die dritte Übung fand in Deutschland bei Potsdam auf einem Truppenübungsplatz der Bundeswehr statt. Dort ist eine kleine Stadt mit 70 Häusern inklusive Flugplatz, Bank, Reisebüro und selbst einer Eisdiele aufgebaut, in der nach Bundeswehrangaben alle möglichen Spezialverbände regelmäßig ihre Übungen durchführen, aber auch das Deutsche Rote Kreuz und das Technische Hilfswerk anzutreffen sind. Dies sei ein eindeutiger Beleg dafür, daß die European Police Force Trainings zum Synchronisieren polizeilicher und paramilitärischer Strukturen benutzt werden. Warum auch Deutschland beteiligt ist, führte die Bundesregierung in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage auf die hervorragenden zivilpolizeilichen Fähigkeiten der Bundespolizei zurück. Wie Matthias Monroy dazu anmerkte, müsse man das wohl eher umgekehrt sehen: Die Bundespolizei habe Ambitionen, in militärische Strukturen integriert zu werden.
Bei der Übung auf dem Truppenübungsplatz in Lehnin hatten Journalisten und Parlamentarier Gelegenheit, von einem Aussichtsturm aus den simulierten Auseinandersetzungen beizuwohnen. Leiter des Trainings war ein früherer Chef der GSG 9, was Monroy zufolge Bände über die Ausrichtung dieser zivilpolizeilichen deutschen Übung sprach. Unter Schwaden von Tränengas und dem Einsatz von Wasserwerfern stellten die Polizeiverbände aus verschiedenen Ländern ihre Einsatztaktik vor, die anschließend ausgewertet wurde. Als Komparsen stellten 50 Bundespolizisten wahlweise Hooligans, Anti-Wahl-Demonstranten und sogar einen Flüchtlingstreck dar. Es flogen Flaschen und Holzklötzchen, bis in der Julihitze die Tränengasgranaten der französischen Polizei das Gas in Brand setzten und der deutsche Wasserwerfer zum Löschen kommen mußte. Monroy beschrieb das Szenario als chaotisch und verwies in diesem Zusammenhang auf den Corpsgeist der zwei Staffeln von jeweils 300 Polizisten, die einander einen Wettstreit lieferten, um sich hinterher in einer gemeinsamen Abschlußfeier, die ins Internet gestellt wurde, noch einmal in Szene zu setzen.
Wenn die Gendarmerien der Gründerstaaten mit den zivilen Polizeien anderer Länder gemeinsame Übungen abhalten, zeichnet sich eine klare Tendenz zur Militarisierung für Einsätze im Ausland und Inland ab. Monroy zitierte den Leiter des Trainings in Lehnin mit der vielsagenden Bemerkung, wer Erfahrung mit Hooligans habe, komme auch im Kosovo zurecht. Ob der Schutz einer Sportveranstaltung geübt wird, die dies in Vicenza unter anderem der Fall war, oder man den Umgang mit Demonstranten probt, stets zielt dieser Verbund auf Aufstandsbekämpfung ab. In Deutschland könnte man von einer Remilitarisierung durch die Hintertür sprechen, da der Bundesgrenzschutz als paramilitärischer Apparat nach 1989 einen zivileren Aufgabenbereich bekam. Heute erhält die Bundespolizei wieder eine Ausbildung mit Ansätzen militärischer Komponenten, die im Kontext der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (ESVP) zu sehen ist.
In Deutschland hat die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) eine Studie durchgeführt, die sich mit der Einbindung in europäische Gendarmeriestrukturen befaßt. Die Autoren machen dazu den Vorschlag, Hundertschaften aufzubauen, die auch unter militärisches Kommando gestellt werden können, wobei vorsorglich zu prüfen sei, ob das vom Grundgesetz gedeckt ist. Dessen Trennungsgebot läßt eigentlich eine Vermengung polizeilicher und militärischer Aufgaben nicht zu, doch verlegt man sich auf die Ausflucht, dies lediglich auf Einsätze im Inland zu beziehen. Sollte das Vorhaben aber politisch nicht durchsetzbar sein, schlagen die Verfasser der Studie vor, Feldjägern auch eine kriminalpolizeiliche Ausbildung zukommen zu lassen und damit die verortete Lücke von der militärischen Seite her zu schließen.
Finanziert werden zudem diverse Sicherheitsforschungsprojekte, die dem Zusammenspiel verschiedener Komponenten des Polizeiapparats gewidmet sind. Wie im Zusammenhang des letzten Castor-Transports im Wendland publik wurde, waren diverse ausländische Polizisten sowohl im Einsatz als auch als Beobachter präsent. Nach Angaben Monroys haben sich 20 Projektpartner aus Polizeien, Polizeihochschulen und deren Umfeld zusammengetan, um linken Massenprotest an verschiedenen Orten zu studieren.
Katastrophenhilfe als Interventionsvorwand
Im zweiten Teil des Workshops regte Christoph Marischka einleitend an, den 2006 aufgetauchten Begriff der vernetzten Sicherheit anhand eines Vergleichs zwischen Europäisierung der Flüchtlingsabwehr und Europäisierung der Katastrophenhilfe grundsätzlich unter die Lupe zu nehmen. Vernetzte Sicherheit erschöpfe sich nicht in der Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Akteuren, sondern laufe letztendlich auf ein ganz anderes Prinzip internationaler Politik hinaus. Die Souveränität einzelner Staaten werde immer weniger respektiert, wobei nicht zwangsläufig NATO oder EU als Interventionsmächte in Erscheinung treten, sondern jeweils ad hoc Netzwerke gebildet werden, die in hohem Maße auf dem Feld der öffentlichen Meinung agieren. Bei Erhebungen wie in Tunesien und Ägypten könne die Einflußnahme auf die öffentliche Meinung das entscheidende Quentchen sein, das über den Verlauf der Revolte entscheidet.
Der abstrakten Begrifflichkeit der sogenannten Security Community – Funktionseliten im Bereich der administrativen sicherheitspolitischen Planung, die in staatlichen und suprastaatlichen Behörden, den Hochschulen und den Think Tanks der Politikberatung tätig sind – auf den Grund zu gehen, stellt diesen neutral wirkenden Expertenjargon in den angemessenen Kontext seiner gewaltpolitischen Absichten. So bringt die Verflechtung von wirtschaftlichen und politischen Akteuren im Rahmen der ökonomischen Globalisierung fast zwangsläufig eine Vernetzung von Sicherheitsakteuren einher, die nationalstaatliche Grenzen überschreitet und negiert. Gleichzeitig verschärft die internationale Arbeitsteilung die Fragmentierung der Gesellschaften, so daß sich für die zusehends supranational organisierten Sicherheitsapparate neue Einsatzprofile und Handlungsdispositive ergeben. Bemerkenswert dabei ist nicht nur die naheliegende Angleichung polizeilicher und militärischer Zuständigkeiten, sondern auch die Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure in repressive Strategien aus dem Bereich der humanitären Hilfe.
In seiner Bedeutung für das globale Krisenmanagement häufig unterbewertet wird der traditionell positiv konnotierte Katastrophenschutz. Dem Primat optimaler Kapitalallokation gemäß werden Kostenfaktoren wie eine zu langfristige Lagerhaltung oder eine zu aufwendige Verwaltung abgebaut. Alles zu eliminieren, was in einer international organisierten Produktion für überflüssig erachtet wird, spiegelt sich Marischka zufolge insofern im Sicherheitsbereich wider, als dort große Angst davor herrsche, redundant zu werden. Dies führe dazu, daß sich Strukturen verdoppeln oder verdreifachen, wenn sich zur Ebene der Bundesländer jene des Staates und nun auch noch die europäische gesellen. Jede dieser Strukturen versucht den Beweis ihrer Unverzichtbarkeit und ständigen Einsatzbereitschaft anzutreten, weshalb man sich unablässig auf den Ernstfall vorbereitet und insbesondere in Netzwerke einklinkt, um nicht überflüssig zu werden.
Für relativ neue Strukturen wie die Europäische Gendarmerietruppe werden keine zusätzlichen Polizisten rekrutiert, sondern bestehende Sicherheitskräfte rekonfiguriert. Wie in der Migrationspolitik spielt auch im Zivilschutz das Prinzipien der Subsidiarität eine zentrale Rolle. Die Staaten sind im Normalbetrieb jeweils selbst dafür verantwortlich, ihre Grenzen zu schützen und die Bevölkerung zu versorgen. Erst in Ausnahmesituationen tritt die nächsthöhere Ebene in Gestalt der EU auf den Plan. Als zweites wichtiges Prinzips kommt die Kosteneffizienz hinzu, die in den entsprechenden Debatten und Dokumenten durchweg thematisiert wird. Die verbreitete Einschätzung, Polizei und Grenzschutz würden fortwährend quantitativ ausgebaut, gilt insofern nicht oder nur eingeschränkt, als die entsprechenden Organisationen durchaus beweisen müssen, daß sie zu möglichst geringen Kosten nennenswerte Resultate erzielen. So sind bei Frontex nicht einmal 200 Mitarbeiter beschäftigt, die eine innovative Form der Grenze schaffen, indem sie vor allem die nationalen Behörden besser vernetzen. Frontex besitzt keine eigenen Schiffe und hat nicht einmal ein zusätzliches Radargerät angeschafft. Vielmehr werden vorhandene Kapazitäten der beteiligten Länder im Küstenbereich koordiniert und möglichst optimal aufeinander abgestimmt.
Diese Vorgehensweise trifft man auch im Katastrophenschutz an, wo durch die mit der Europäisierung verbundene Verdoppelung der Strukturen keine nennenswert höheren Kosten entstehen sollen. Im Rahmen der EU-Katastrophenabwehr werden auch NGOs und andere humanitären Organisationen nach Maßgaben von Kohärenz und Effizienz eingebettet. Als Lösungen werden auch hier eine Standardisierung von Technik und Ausbildung sowie eine verbesserte Koordination vorgeschlagen. Wie man aus den nationalstaatlichen Polizeistrukturen auf europäischer Ebene neue Einheiten zusammenbaut, gemeinsam formiert und zum Einsatz bringt, geschieht dies auch hinsichtlich der Migration und des Katastrophenschutzes. Ein geschlossenes Vorgehen ist nur dann möglich, wenn man gemeinsame Risikoanalysen erstellt und die unterschiedlichen Präferenzen und Systeme der beteiligten Länder nivelliert.
Interoperabilität ist auch beim Katastrophenschutz das Leitmotiv, das man in Grundsatzpapieren und Forschungsansätzen beständig antrifft. Dies bildet sich im Forschungsrahmenprogramm der EU ab, das nur solche Projekte fördert, die grenzüberschreitend sind, also Unternehmen, Universitäten und andere Institutionen aus mehreren EU-Mitgliedsstaaten einbeziehen. Das neu definierte Sicherheitsumfeld hat nicht nur den Bedarf nach Informationen erhöht, sondern auch deren effektive Verwaltung und Teilung vorangetrieben, was als eine der größten Herausforderungen der europäischen Sicherheit erachtet wird.
Unweigerlich mündet die Idee der Informationsverknüpfung und des flexiblen Zugangs zu allen benötigten Daten in die Gründung eines Hauptquartiers (Situation Center). Dieser Begriff ist inzwischen zentral für die gesamte Sicherheitsstruktur, wobei jedoch der Wildwuchs um sich greift, daß jede einzelne Komponente des Gesamtkomplexes ihr eigenes Hauptquartier unterhält. Damit ist die Hoffnung verbunden, auf eine Vielzahl von Informationen Zugriff zu haben und im Bedarfsfall Entscheidungskompetenz zu entfalten. In technischer Hinsicht zeichnet sich ein Situation Center durch ein Tele- und Videokonferenzsystem, geographische Informationssysteme und abgesicherte Kommunikationskanäle aus. Noch wichtiger ist jedoch das Streben, sich Schlüsselpositionen zu verschaffen und zu verfügen, wer einbezogen und wer ausgeschlossen wird.
Wie Christoph Marischka anhand der Ergebnisse einer Fachkonferenz erläuterte, arbeiten das Kommunikationssekretariat für Industrie und Wirtschaftsförderung, Europol und Frontex bei der Frage zusammen, wie die Kommunikationsstrukturen im Katastrophenschutz verbessert werden können. Es kreuzen sich also Erfahrungsberichte und Empfehlungen aus Polizeipraxis und „Flüchtlingsabwehr“ mit der Produktpräsentation der beteiligten Unternehmen. Aus diesem Zusammenwirken resultierte beispielsweise das Projekt, in öffentlichen Gebäuden künftig RFID-Empfänger in die Brandmelder einzubauen. Auf diese Weise will man sämtliche Personen lokalisieren, um im Falle eines Unglücks die Rettungsmaßnahmen zu verbessern. Wie dieses Beispiel illustriert, baut man auch im Namen der Katastrophenbewältigung Überwachungssysteme aus, die als Türöffner zur weitreichenden Aushebelung des Daten- und Persönlichkeitsschutzes dienen.
Unter den zahlreichen Strukturen, die im Katastrophenschutz aufgebaut werden, hob Marischka die drei wichtigsten in der EU hervor: Das Monitoring Information Center untersteht der Generaldirektion für Humanitäre Hilfe der europäischen Kommission und ist der zivilste Vertreter. Es entscheidet darüber, welches Land welche Hilfsgüter in Katastrophengebiete schickt und wer über die dafür erforderlichen logistischen Fähigkeiten verfügt. Da letzteres in der Regel für das Militär gilt, greift man vorrangig auf die Streitkräfte zurück und praktiziert schon im ersten Schritt die geforderte zivil-militärische Zusammenarbeit. Hinzu kommt die Generaldirektion für Auswärtige Beziehungen, die im Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), der durch den Lissabon-Vertrag geschaffenen Außenbehörde der EU, aufgeht. Als dritte wesentliche Institution ist das EU Information Center zu nennen, das der militärischen Infrastruktur zugerechnet wird und gewissermaßen die Vernetzung der europäischen Auslandsgeheimdienste darstellt. Es handelt sich um ein kontinuierliches Lagezentrum, das die ganze Welt beobachten soll und bislang auch der dominante Akteur bei Krisen- und Katastrophenreaktionen im Ausland ist. Bezeichnenderweise gilt dies sowohl für EU-Militärmissionen, als auch die Versorgung mit Hilfsgütern wie Zelten, Decken oder Lebensmitteln.
Im Katastrophenfall tritt zuallererst das Militär auf den Plan, um eigene Staatsangehörige zu evakuieren. Dann versuchen die Botschaften, das Lagezentrum an sich zu reißen. Der EAD entsendet ad hoc Experten, die ihrerseits bestrebt sind, die Kontrolle zu übernehmen. Hinter maßgeblichen Begriffen wie Interoperabilität, Lagezentrum oder Logistik verbirgt sich das Bestreben, sich in chaotischen Verhältnissen gegen zahlreiche konkurrierende Akteure durchzusetzen und die Führung zu übernehmen. Dazu sind die Militärs im ersten Schritt besser als zivile Kräfte befähigt und gerüstet, doch folgt darauf die lange Phase der Hilfsmaßnahmen, die aus administrativer Sicht mit einer zivil-militärische Verschränkung am günstigsten bewältigt werden kann.
Indem Souveränitätsprinzip und Interventionsverbot für nachrangig erklärt werden, erodiert auch die Gültigkeit des Völkerrechts im weltweiten Konfliktgeschehen. Man wirft Nationalstaaten vor, die Menschenrechte ihrer Bürger nicht zu gewährleisten und leitet daraus eine Verantwortung der sogenannten internationalen Gemeinschaft ab, diese Verantwortung zu übernehmen und zu intervenieren. Dazu gesellt sich der Ansatz, Katastrophenhilfe mehr oder weniger militärisch zu erzwingen, indem man die betroffenen Staaten für unfähig oder nicht willens erklärt, die erforderlichen Maßnahmen in die eigenen Hände zu nehmen. In Myanmar wehrte sich die Regierung gegen Hilfsflüge unter dem NATO-Stern, die man als militärische Intervention auffaßte.
Am Beispiel Haitis läßt sich besonders deutlich aufzeigen, wie eine Intervention unter dem Vorwand der Katastrophenhilfe durchgesetzt wird, die einen vormals souveränen Staat de facto in ein Protektorat verwandelt. Haiti war ein armer, aber funktionsfähiger Staat mit einer demokratisch gewählten Regierung, die in einem von Washington unterstützten Putsch gestürzt wurde. Nach der Vertreibung Präsident Jean-Bertrand Aristides okkupierten zunächst US-Marines und im Anschluß die UN-Truppe MINUSTAH das Land. Nach dem verheerenden Erdbeben im Januar 2010 besetzten US-Streitkräfte kurzerhand den Flughafen, während Kriegsschiffe vor der Küste patrouillierten. Die Verhinderung befürchteter Aufstände, die Unterbindung von Flüchtlingsströmen und der Zugriff auf die Versorgungsgüter erhielt absolute Priorität vor dem Leisten wirksamer Hilfe für die Bevölkerung. In der Folge wurde die Staatsführung für nichtexistent erklärt und in wesentlichen Aspekten einem Gremium überantwortet, dem der UN-Sondergesandte Bill Clinton in prominenter Position angehört.
Während man eine Schutztruppe in Haiti stationiert, deren Kosten die zugesagten Hilfsgelder übersteigen, von denen ohnehin nur ein Bruchteil im Land ankommt und dort von den NGOs verbraucht wird, findet der vielbeschworene Wiederaufbau nur rudimentär statt. Der Löwenanteil der Gelder und Maßnahmen ist der Protektoratsverwaltung geschuldet, die insbesondere widerständige Bewegungen eindämmen und das Land unter der Kontrolle der USA und deren Verbündeten halten soll. Dies vor den Augen der Weltöffentlichkeit durchzusetzen ist eine regulative Leistung, welche die Bedeutung der Katastrophenhilfe im Rahmen der Sicherheitsarchitektur unterstreicht.
Wie Christoph Marischka in einem Resumee seines Vortrags zusammenfaßte, gehe es bei der Katastrophenhilfe nicht darum, den Betroffenen nach besten Kräften zu helfen. Vielmehr erprobe und perfektioniere man in Krisensituationen flexibel kombinierbare Sicherheitsakteure und Sicherheitssysteme, deren eigentliche Maßgabe die Schwächung unerwünschter oder Unterstützung favorisierter Regierungen und Bewegungen in der Gesellschaft sei. Zugleich kaschiert das diffuse Netz der beteiligten Strukturen die Stoßrichtung der Intervention, so daß die Verantwortung im Falle des Scheiterns abgewälzt und Erfolge zugunsten der eigenen Reputation geltend gemacht werden können.
Charakterisiert man Krisen und Katastrophen als potentielle Bruchlinien in der Textur gesellschaftlicher Verhältnisse, so ruft die drohende oder erwünschte Möglichkeit ihrer Veränderung intervenierende Mächte auf den Plan, die ihre Sicherheit für gefährdet erklären. Ob die Notlage als solche wahrgenommen und auf welche Weise darauf reagiert wird, hängt am wenigsten von dem Leiden der davon betroffenen Menschen ab. Katastrophen werden von denjenigen definiert, die sich durch ihre Deklaration Machtzuwachs versprechen. Insbesondere geht es dabei für die EU darum, sozial motiviere Aufstände und gesellschaftliche Veränderung zu Lasten der bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu verhindern.
Anmerkungen:
[1] Weitere Informationen:
outofcontrol.blogsport.de
euro-police.noblogs.org
Quelle:
Elektronische Zeitung SCHATTENBLICK im MA-Verlag
www.schattenblick.de -> INFOPOOL -> POLITIK -> REPORT
BERICHT/058: Eurokrake Sicherheit – Netzwerke der Repression (SB)
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Link zum Originaltext:
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0058.html
Pressebericht / Schattenblick
http://www.imi-online.de/2011.php?id=2251
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