Siegesmarsch der Freiheits- und Demokratiebewegung: Analyse zur Lage in Ägypten

In Kairo und Alexandria demonstrieren über eine Million Ägypter und feiern den vor einer Woche erfolgten Sturz des Diktators Husni Mubarak. Eine Analyse.

Kairo: Auf dem Platz der Befreiung haben sich eine Woche nach dem Sturz der Mubarak-Diktatur rund eine Million Ägypter zum „Freitag des Sieges und der Kontinuität“ versammelt (1). Aufgerufen hat die „Jugend der Revolution“ (The Revolution‘s Youth), eine bereits am 9.Februar gegründete Koalition aus Gruppen der Freiheits- und Demokratiebewegung. (2)

Der Koalition gehören die Jugendbewegung des 6.April, die Gruppe Gerechtigkeit und Freiheit (Justice and Freedom), die Demokratische Volksbewegung für den Wandel (Popular Democratic Movement for Change, HASHD), die Demokratische Front (Democratic Front ), die Muslimbruderschaft, junge Unterstützer einer Kampagne für Mohammed El Baradei, sowie die Organisatoren der Kampagne auf der Facebook Gedenkseite für Khaled Said (Khaled Mohamed Saeed) an, die entscheidenden Anteil am Volksaufstand des 25.Januars hatten. Ebenso sind unabhängige Aktivisten in der Koalition der Freiheitsbewegung engagiert, wie Naser Abdel Hamid, Abdel Rahman Faris, die politisch links stehende irisch-ägyptische Psychologin und Feministin Sally Moore, s0wie der vom Regime wochenlang verschleppte Google Experte Wael Ghonim.

Ghonim war am 7.Februar, kurz vor der Gründung der Koalition und dem Sturz des Diktators, aus der Haft des Militärs freigekommen und hatte noch am Abend einem ägyptischen TV Sender ein Interview gegeben. Als Bilder vom Regime ermordeter Landsleute gezeigt werden, bricht er in Tränen aus. Das Interview erschüttert Ägypten und trägt zu einer weiteren Stärkung der pro-demokratischen Revolution bei. (Talk like an Egyptian)

Bilder vom heutigen Siegesmarsch der Revolution der Jugend gegen die Mubarak-Diktator auf dem Kairoer Tahrir Platz.

Al Jazeera berichtet auch von anhaltendem freundlichen Gesten zwischen Demokratiebewegung und Militär. U.a. kam eine Militärkapelle auf den Platz und spielte für die Demonstranten, Soldaten verteilten ägyptische Flaggen.

Das Freitagsgebet leitete eine der einflussreichsten Geistlichen der sunnitisch-muslimischen Welt, der von Katar nach Ägypten zurückgekehrte Großmufti Yusuf al Qaradawi. Er war einer Einladung der Jugendkoalition gefolgt.

Obwohl vom Geistlichen al-Qaradawi, nun ja, auch sehr bedenkliche politische Statements im deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag akribisch aufgelistet sind, scheint man sich in der Nomenklatura Israels darin einig zu sein, dass er eine Umlenkung des säkular-demokratisch gesprägten und initiierten Volksaufstandes befördern könnte. Entsprechende Analysen des Arabik-Politologen Mordechai Kedar von der Bar-Ilan Universität in Israel veröffentlichte u.a. die „Cleveland Jewish News“ (3). Mordechai Kedar redete nach der Machtübernahme des Obersten Militärrates von einem „Machtvakuum“ und dass das Mitglied der Muslimbruderschaft al-Qaradawi

„eine religiöse Authorität bringen könnte, um das Chaos zu beenden“.

Analyse: Ein wie immer plumper Versuch aus der Nomenklatura des verfassungslosen asiatischen Kirchenstaates Israel, nach dem Sturz des von ihnen gestützten Diktators Mubarak in Ägypten wieder irgendwie einen Fuß in die Tür zu bekommen. Hier soll jetzt ein „sunnitischer Khomeni“ an die Wand gemalt werden. Das hat mit der Realität nichts tun und ist eines von vielen Anzeichen der Verzweiflung in der Upper Class West-Jerusalems und Tel Avivs, wo man das eigene, vollständige, strategische Scheitern nicht einmal begreifen kann; geschweige denn, was einem selbst noch alles blüht – wohlgemerkt: durch die Demokraten und Dissidenten im eigenen Staat. Auch die gibt es. Und sie sind not amused.

Auf dem ägyptischen Platz der Befreiung begann heute der sunnitische Großmufti Yusuf al-Qaradawi sein Gebet auf dem Tahrir Platz wie folgt (4):

„Meine Söhne und Töchter, Kinder von Ägypten. Üblicherweise sage ich `Meine muslimischen Brüder. Heute sage ich, `Meine koptischen und muslimischen Brüder`. Es ist ein Tag für alle.“

Er bedankte sich bei der Jugend, durch deren Entschlossenheit Ägypten vom Diktator befreit worden sei und die nicht nur über Husni Mubarak, sondern auch über Ungerechtigkeit und Unterdrückung triumphiert habe. Der sunnitische Geistliche begrüßte das Militär, forderte eine Freilassung der politischen Gefangenen, sowie eine Entlassung des Regierungskabinetts, was Mubarak in den letzten Tagen seiner Diktatur noch ernannt hatte.

Auch in Alexandria demonstrierten Zehntausende. Die Forderungen sind die gleichen wie vor dem Sturz des Diktators: Freiheit, Würde, Brot, Demokratie, Verfassung.

Analyse: Der Militärrat sollte sich etwas beeilen damit, diesen Forderungen der eigenen Landsleute – der eigenen Landsleute – nachzukommen.

Für Ausländer, wie wir in Ägypten wie 7 Milliarden Andere genannt werden, ist es diesbezüglich wichtig zu begreifen, wer im Militärrat und im derzeitigen Regime über Ägypten die Macht hat. Das ist nicht diese Leiche Tantawi, um den sich niemand  schert, sondern Generalstabschef Safi Enan, der einen Tag nach Ausbruch des Volksaufstands nach Washington flog und von dort aus in Kairo jeden Tag aus dem Televisor in seinem Arbeitszimmer angeblafft wird.

Dass die US-Regierung unter Präsident Barack Obama im Vorfeld der Proteste, Aufstände und schließlich Revolutionen in Tunesien und Ägypten Pläne für Veränderungen in den von ihnen finanzierten und gestützten Diktaturen im afrikanischen und asiatischen Raum entwickelt hat, gab sie vor zwei Tagen selbst an die „New York Times“ weiter (5). Das bedeutet nichts. In Washington (von Langley ganz zu schweigen) gibt es Abertausende von Bürokraten, in den beiden Staatsparteien, im Kongress, im Pentagon und im Weissen Haus, die den ganzen Tag nichts anderes machen als irgendwelche Pläne. Was wirklich passiert, ist eine andere Geschichte. Das ist Geschichte und nicht das Geschwätz irgendwelcher Imperialisten und Spätrömer.

Die Vereinigten Staaten von Amerika, und mit ihnen ihr derzeitiger Präsident, pflegen eine traditionelle Haßliebe gegenüber allen demokratischen und republikanischen Bewegungen weltweit. Die diesbezüglich transportierte Mentalität unterscheidet sich nur wenig von der Mubaraks – ihr seid alles nur unsere Kinder, und im Grunde reicht ihr nicht an uns heran. Ihr seid noch nicht reif. Blablabla. Kurz gefasst kann man diese Politik wie folgt umschreiben: Im Zweifel für die Diktatur.

Wir, die Deutschen, sind zu dämlich für die Demokratie, zugestanden. Das beweisen wir jeden Tag. Leider ist die Summe der einzelnen Teile ebenso wenig wegzudiskutieren wie das daraus resultierende Ganze, auch wenn einzelne Individuen und Gruppen in bestimmten Regionen da anders sind.

Die Ägypter jedoch haben sich mit ihrem Willen, ihrem Mut, ihrer Moral, ihrer Ausdauer und Zähigkeit gemeinsam erhoben, dann über alle Differenzen hinweg organisiert und sich letztlich das geholt, was sie wollen und was ihnen zusteht. Und das werden sie nicht mehr aus den Händen geben.

Ich würde jedem empfehlen in Ägypten auf die Ägypter zu setzen und auf niemand anderen sonst. Den Deutschen dagegen kann ich nur empfehlen weiter verwirrten Unsinn zu erzählen. Sonst kriegen sie noch Phantomschmerzen zwischen den Ohren und dort, wo auch sie einmal ihre Seele hatten.

(…)

11.02.2011 Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 18
Freitag, 11.Februar des Jahres 2011 nach dem Handwerker. Es ist der achtzehnte Tag im Aufstand der Ägypter gegen ihre Diktatur und die Welt wandelt sich hier vor unseren Augen.

Quellen:
(1) http://english.aljazeera.net/news/middleeast/2011/02/20112189124268649.html
(2) http://english.ahram.org.eg/NewsContent/1/64/5257/Egypt/Politics-/Egypt-revolution-youth-form-national-coalition.aspx
(3) http://www.clevelandjewishnews.com/articles/2011/02/18/news/local/doc4d5d5cf5a3923865522702.txt
(4) http://blogs.aljazeera.net/middle-east/2011/02/15/live-blog-egypt
(5) http://www.nytimes.com/2011/02/17/world/middleeast/17diplomacy.html

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