Unter Passivität bzw aktiver Kollaboration aller 621 Abgeordneten der Staatsparteien im deutschen Parlament hat sich vor Libyens Küste eine kleine Affäre abgespielt.
Die Bundesregierung hat vier Kriegsschiffe der Bundeswehr-Marine im Mittelmeer wieder dem eigenen Kommando unterstellt. Dies erklärte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums unter Thomas De Maiziere gegenüber der dpa nach deren Anfrage (1, 2).
Es handelt sich demnach um die zwei Fregattenschiffe (FGS) Hamburg (F 220) und Lübeck (F 214), beide Einsatzflottille 2, das Flottendienstboot Oker (A 53) aus dem 1. U-Boot-Geschwader, sowie das Minenjagdboot M1068 Datteln (beide Einsatzflottille 1). Den Angaben zufolge sollen die Fregatte Hamburg und das Flottendienstboot Oker bisher an antiterroristischen Kriegsoperationen beteiligt gewesen sein und die Fregatte Lübeck, sowie das Minenjagdboot Datteln zu „anderen Nato-Verbänden“ gehört haben.
Seit Ausrufung des weltweiten antiterroristischen Krieges 2001 unterhält der Nordatlantikpakt eine ständige Kriegsflotte im Mittelmeer unter US-Oberbefehl und Beteiligung deutscher Streitkäfte. Operationsname: Active Endeavour. Flottenverbände: „Standing NATO Maritime Group 1“ (SNMG 1) und „Standing NATO Maritime Group 2“ (SNMG 2). Beide Flottenverbände unterstehen den Nato-Interventionsstreitkräften („NATO Response Force“).
Die FGS Lübeck zog als Teil der SNMG 1 während des Kaukasus-Krieges zwischen Georgien und Russland im August 2008 ins Schwarze Meer vor die Küste Abchasiens, Georgiens und Russlands. Das deutsche Flottenkommando log dazu über ein angeblich „seit langem geplantes Manöver“. Die deutschen Staatsparteien SPD und CDU, zum damaligen Zeitpunkt gemeinsam in einer Regierungskoalition unter Kanzlerin Angela Merkel, forderten zeitgleich einen EU-Militäreinsatz in Georgien mit deutschen Soldaten. (22.08.2008, Deutsches Kriegsschiff für „Manöver“ mit NATO-Flotte im Schwarzen Meer)
Laut Angaben der Marine sind z.Z. keine deutschen Militäreinheiten Teil der SNMG 2 und an der SNMG 1 bisher nur die FGS Lübeck beteiligt.
Doch nun zieht Deutschland nach Angaben des Bundesverteidigungsministerium offenbar seine Streitkräfte aus der Nato-geführten Operation Active Endeavour und den Nato-Interventionsstreitkräften ab. Grund ist der Beschluss der Nato, eine von den UNO Resolutionen 1973 und 1970 gedeckte Seeblockade gegen Libyen einzuleiten. Diese soll das verhängte Waffenembargo durchsetzen. Faktisch ermöglichen die UNO Resolutionen eine komplette Seeblockade, sowie einen umfassenden Krieg. (18.März, Analyse zur UN-Resolution: Eine umfassende Kriegsvollmacht gegen Libyen)
„Da das Waffenembargo auch eine exekutive Komponente vorsieht, die notfalls mit Waffengewalt durchzusetzen ist, hat Deutschland erklärt, sich an keiner solchen Aktion zu beteiligen“ (1)
so dazu der Sprecher von Oberbefehlshaber de Maiziere. Vom militärischen Oberfehlshaber de Maiziere.
Das Kommando über die zur Seeblockade gegen Libyen eingesetzten Nato-Flotten im Mittelmeer hat der Leiter des US-Europakommandos (Eucom), gleichzeitiger militärischer Oberbefehlshaber der Nato (Saceur), James G. Stavridis. Wie die Nato nach ihrem gestrigen Treffen erklärte, aktiviere Admiral Stavridis nun die entsprechenden Einheiten. (3).
Am 15.Februar, zwei Tage bevor der Aufstand in Libyen begann, liefen der Einsatzgruppenversorger (EGV) Berlin (A 1411), das Fregattenschiff (FGS) Rheinland-Pfalz (F 209) und die Fregatte Brandenburg (F 215, Klasse F 123) “Richtung Mittelmeer” aus Wilhelmshaven aus. Alle drei Schiffe gehören zur Einsatzflottille 2 (EF2), deren Standorthafen und Einsatzstab sich in Wilhelmshaven befindet. Die EF2 ist an vier internationalen Kriegseinsätzen beteiligt: Operation Atalanta (vermeintlich zur Jagd auf “Piraten”) an der strategisch wichtigen Meerenge zwischen Asien und Afrika, dem Golf von Aden zwischen Jemen und Somalia, am Unifil- Einsatz vor Libanon (der auf Drängen Israels nach dessen gescheiterter Invasion im Libanon 2006 durch die deutschen Staatsparteien beschlossen wurde), Operation Active Endeavor (“zur Entdeckung und Abschreckung terroristischer Aktivitäten”), sowie dem nach dem 11.September 2001 durch die USA, Nato und Alliierte begonnenen weltweiten “antiterroristischen” Krieg der Operation Enduring Freedom (OEF).
Am 22.Februar erklärte die Marine, die EF2-Kriegsschiffe Berlin, Rheinland-Pfalz und Brandenburg seien als “Einsatzausbildungsverband 2011 (EAV)” unterwegs:
“Ein Auftrag des EAV: Die praxisnahe Ausbildung der OA (Offizieranwärter)”
Am gleichen Tage dieser Marinemeldung drangen deutsche Luftlande-Einheiten auf libysches Territorium vor. Zwei Tage später hiess es am 24.Februar aus dem Berliner Verteidigungsministerium, noch unter Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU):
„Zur Rettung deutscher Staatsbürger aus Libyen sind drei deutsche Marineschiffe auf dem Weg zur libyschen Küste. Es handele sich um die Fregatten “Brandenburg” und “Rheinland-Pfalz” sowie den Einsatzgruppenversorger “Berlin”, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin am Donnerstag.“
Sämtliche Staatsparteien und alle 621 Abgeordneten im Bundestag deckten aktiv oder passiv die Affäre und schwiegen vor der Öffentlichkeit. (4.März, Deutsche Kriegsschiffe vor Libyen: Staatsparteien, Militär und Informationsindustrie decken Vorbereitung zum Angriffskrieg)
Am 4.März hatte es aus dem tunesischen Hafen Ras Jedir an der libyschen Westgrenze noch geheißen, im Laufe des Tages würden die drei deutschen Kriegsschiffe anlegen. (4)
Stattdessen hiess es dann aus dem Einsatzführungskommando in Potsdam, die deutschen Kriegsschiffe hätten am Abend des 5. März aus dem tunesischen Hafen von Gabes abgelegt, Hunderte von Kilometern von der Grenze zu Libyen entfernt. Man sei mit 412 ägyptischen Flüchtlingen auf dem Weg nach Alexandria. (5, 6)
Interessanterweise hatte der am 15.Februar aus Wilhelmshaven ausgelaufene „Einsatzausbildungsverband“ sich auf die „praxisnahe Ausbildung“ der Offiziersanwärter recht gut vorbereitet. Nicht nur waren arabisch-sprechende Dolmetscher an Bord, sondern auch ortsübliche Nahrungsmittel und eine in arabisch verfasste „Hausordnung“ für geladene Gäste („Absolutes Rauchverbot“) (7).
Eben alles eine Frage der Planung. Verzeihung – Planungstheorie.
Am 25.Februar war die FGS Brandenburg, die FGS Rheinland-Pfalz und die EGV Berlin aus Malta Richtung Libyen ausgelaufen (8), wo sie einen Zwischenstopp eingelegt hatten. Was genau die drei Kriegsschiffe in den folgenen sieben Tagen bis zur Aufnahme der Flüchtlinge am 5.März nun alles anstellten, ist nicht bekannt.
Bekannt ist dagegen, dass das deutsche Militär ab dem 26.Februar auf libyschem Territorium im Einsatz war und zwar ohne das Parlament zu informieren. Die Bundesregierung berief sich später auf § 5 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (ParlBG). Die Operationen der Bundeswehr in Libyen seien wegen „Gefahr im Verzug“ ohne Information des Bundestages unternommen worden. (Warum die FDP vom Nein zum Libyen-Krieg profitieren sollte)
Bekannt ist ebenfalls – nunja, vielleicht ist dies dem Mittelbürger ein wenig bekannter als alles andere – daß am 1.März Ehrendoktor Karl-Theodor zu Guttenberg als Verteidigungsminister zurücktrat. Praktisch die erste Amtshandlung vom neuen Oberfehlshaber des deutschen Militärs, Thomas de Maiziere, war Staatssekretär Walther Otremba rauszuschmeissen.
Otremba, ehemals Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn AG, für das Wirtschaftsministerium im Lenkungssausschuss des Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (Soffin) und graue Eminenz hinter dem grauenvollen Wirtschaftsminister Michael Glos (2005 bis Februar 2009), war ab dem 27. Januar 2010 beamteter Staatssekretär von Verteidigungsminister Guttenberg. Seine sofortige Versetzung in den einstweiligen Ruhestand durch den neuen Oberfehlshaber de Maiziere erfolgte ohne Angaben von Gründen.
Am 21.März postete die Bundeswehr-Marine eine wirklich entzückende Meldung. „Frankreich und Portugal“ seien die „Übungspartner“ des „Einsatzausbildungsverbandes“ der FGS Brandenburg, FGS Rheinland-Pfalz und EGV Berlin gewesen – „im Atlantischen Ozean“. (9)
„Gemeinsam mit den Seestreitkräften der beiden Nationen wurde die Gelegenheit genutzt, um durch gemeinsame Übungen die Zusammenarbeit zu optimieren. Zweimal bot sich diese Möglichkeit zum so genannten PASSEX (Passage Exercise) und zweimal ergaben sich spannende Begegnungen.“
Wie gut, dass die FGS Brandenburg offensichtlich noch über eine Art Astralleib verfügt. Sonst hätte man glatt denken können, sie läge in Beirut. (1,2)
Wie passend, dass die Ferienmeldung vom angeblichen Ausbildungsmanöver im Atlantik (9) von genau jenem Presseoffizier Marco Hüde verfasst worden war, der am 5.März der „associated press“ im tunesischen Hafen Gabes noch erklärt hatte, warum man arabisch-sprechende Dolmetscher, ortsübliches arabisches Essen und Anweisungen in arabischer Schrift und Sprache dabei habe. (7)
Ob die deutsche Regierung nun auch das Kommando über die FGS Brandenburg, FGS Rheinland-Pfalz und EGV Berlin (übernommen) hat – und wenn ja, seit wann – ist unklar.
Gestern nun bot die Bundesregierung der Nato an, 300 Soldaten für den Einsatz in Awacs-Luftraumüberwachungsfliegern in Afghanistan abzustellen (10). Das muss nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 7.Mai 2008 durch den Bundestag genehmigt werden. (DAS DEUTSCHE PARLAMENTSHEER: NATO im Tintenfass)
In seinem Urteil 2 BvE 1/03 hatte Karlsruhe Regierung und Parlament folgendes vorgeschrieben:
„Für den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt kommt es nicht darauf an, ob bewaffnete Auseinandersetzungen sich schon im Sinne eines Kampfgeschehens verwirklicht haben, sondern darauf, ob nach dem jeweiligen Einsatzzusammenhang und den einzelnen rechtlichen und tatsächlichen Umständen die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen konkret zu erwarten ist und deutsche Soldaten deshalb bereits in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind
(vgl. auch Dreist, ZaöRV 64 <2004>, S. 1001 <1036>; Nolte, a.a.O., S. 678; Röben, a.a.O., S. 594; Schröder, a.a.O., S. 203).Diese Unterscheidung hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 12. Juli 1994 zugrunde gelegt, indem er nicht von einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen, sondern in „bewaffnete Unternehmungen“ (BVerfGE 90, 286 <388>) gesprochen hat, welche schon nach ihrem Wortsinn nicht implizieren, dass es tatsächlich zu Kampfhandlungen kommen muss..
Für Einsätze auf der Basis von Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen hat der Senat ausgeführt, dass angesichts der fließenden Übergänge zwischen den verschiedenen Einsatzformen und der möglichen Reichweite des Selbstverteidigungsrechts eine Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen stets gegeben ist (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>)…
..Auch eine Betrachtung der Einsatzplanung und der Einsatzbefugnisse kann erweisen, dass eine gleichsam automatisch ablaufende Beteiligung deutscher Soldaten an der Anwendung bewaffneter Gewalt von der Gesamtsituation her wahrscheinlich ist und praktisch nur noch von Zufälligkeiten im tatsächlichen Geschehensablauf abhängt. Dies kann der Fall sein, wenn integrierte Bündnisabläufe bereits in Gang gesetzt sind, die vor der Anwendung von Waffengewalt praktisch kaum mehr reversibel oder jedenfalls politisch nicht mehr zu beeinflussen sind. Dann ist die entscheidende Schwelle für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte bereits überschritten, was von Verfassungs wegen ohne Beteiligung des Deutschen Bundestags nicht zulässig ist.„
Heute nun zog die deutsche Regierung jedenfalls – in aller Stille – die „etwa 60 bis 70 deutschen Soldaten“ ab, die bisher an den Awacs-Operationen „im Mittelmeer“ beteiligt waren. (1,2)
Hier nun die Frage – wann hatte der Bundestag dem zugestimmt?
Quellen:
(1) http://www.ruhrnachrichten.de/nachrichten/blickpunkt/Deutschland-steigt-aus-Nato-Operation-aus;art302,1228931
(2) http://www.mittelbayerische.de/nachrichten/politik/artikel/deutschland_zieht_marine_aus_m/645987/deutschland_zieht_marine_aus_m.html
(3) http://www.nato.int/cps/en/SID-4E956E56-38EFA032/natolive/news_71689.htm
(4) http://www.tagesschau.de/ausland/libyen422.html
(5) http://en.trend.az/regions/met/arabicr/1840890.html
(6) http://m.zdf.de/h/1/0,6741,8218737,00.html
(7) http://www.cbsnews.com/stories/2011/03/06/ap/middleeast/main20039780.shtml
(8) http://de.reuters.com/article/worldNews/idDEBEE71O0DA20110225
(9) http://www.marine.de
(10) http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/awacs-mandat-bundeskabinett-beschliesst-300-weitere-soldaten-fuer-afghanistan_aid_611430.html
letzte Ergänzung: 14.56 Uhr