Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hält Wort.
Die Bundesregierung hat gestern in einer Kabinettssitzung beschlossen, einen Gesetzentwurf zur Aufhebung des „Gesetzes zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen“ ins Parlament einzubringen. Die bisher rein rechtlich in Kraft befindlichen Sperren – die für die Kontrolle des Zugangs von 82 Millionen Menschen zum Weltinformations- und Kommunikationsnetz Internet das Grundrecht auf Fernmeldegeheimnis (Artikel 10 Grundgesetz) einschränken – sollen also aufgehoben werden.
Doch die Internet-Sperren des „Zugangserschwerungsgesetzes“ (ZugErschwG) waren, entsprechend der üblichen Taktik von Täuschung und Tarnung durch SPD, CDU und CSU, nur ein Teil vom „Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen“ (EGZugErschwG). Geändert wurde auch Paragraph 96 vom „Telekommunikationsgesetz“ (TKG). Durch die Hintertür wurde eine Ermächtigung zur Verwendung von Verkehrsdaten des Bürgers durch die staatlichen Behörden geschaffen, mithin auch eine getarnte Vorratsdatenspeicherung. Paragraph 96 des Telekommunikationsgesetzes lautete nun wie folgt (1):
“ 1) Der Diensteanbieter darf folgende Verkehrsdaten erheben, soweit dies für die in diesem Abschnitt oder in § 2 oder § 4 des Zugangserschwerungsgesetzes genannten Zwecke erforderlich ist:
1. die Nummer oder Kennung der beteiligten Anschlüsse oder der Endeinrichtung, personenbezogene Berechtigungskennungen, bei Verwendung von Kundenkarten auch die Kartennummer, bei mobilen Anschlüssen auch die Standortdaten,
2. den Beginn und das Ende der jeweiligen Verbindung nach Datum und Uhrzeit und, soweit die Entgelte davon abhängen, die übermittelten Datenmengen,
3. den vom Nutzer in Anspruch genommenen Telekommunikationsdienst,
4. die Endpunkte von festgeschalteten Verbindungen, ihren Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit und, soweit die Entgelte davon abhängen, die übermittelten Datenmengen,
5. sonstige zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation sowie zur Entgeltabrechnung notwendige Verkehrsdaten.
Diese Verkehrsdaten dürfen nur verwendet werden, soweit dies für die in Satz 1 genannten oder durch andere gesetzliche Vorschriften begründeten Zwecke oder zum Aufbau weiterer Verbindungen erforderlich ist. Im Übrigen sind Verkehrsdaten vom Diensteanbieter nach Beendigung der Verbindung unverzüglich zu löschen.“
Es stellt sich nun die Frage, ob nach der Aufhebung der Internet-Sperren nun auch die im Zuge dieser Vollmacht beschlossene Ermächtigung im Telekommunikationsgesetzes zurückgenommen wird.
Doch es geht um noch mehr, viel mehr. Es geht um sämtliche Terror-Gesetze, die nach dem bis heute ungeklärten und nie einer ordentlichen Gerichtsverhandlung unterzogenem Mord an 3000 Menschen in New York und Washington am 11.September 2001 in Deutschland von Geheimdiensten, Militärs, Polizei-Behörden und leitenden Funktionären in den Staatsparteien durch das Parlament gepeitscht wurden. (Hintergrund: In Deutschland laufen die Terror-Gesetze aus, 1.November 2010)
ENDE OHNE SCHRECKEN
Ende 2011 laufen die Ende 2001 beschlossenen und Ende 2006 verlängerten Terror-Gesetze mit fünfjähriger Laufzeit aus, das “Terrorismusbekämpfungsgesetz”, bzw das “Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz” (TBEG). Sie entsprachen ähnlichen Sondergesetzen in allen ab 2001 kriegführenden Ländern, wie dem Patriot Act in den USA. Dort bewilligten die Abgeordneten in beiden Kammern des US-Kongresses, Repräsentantenhaus und Senat, den Patriot Act ohne ihn vorher überhaupt gelesen zu haben. Der demokratische Abgeordnete John Conyers gab gegenüber Michael Moore im Film “Fahrenheit 9/11? diesbezüglich zu, dass die Abgeordneten des US-Parlamentes die meisten Gesetze nicht lesen, über die sie abstimmen.
Das erste Pendant zum “Patriot Act” der USA in Deutschland, das “Terrorismusbekämpfungsgesetz”, wurde zeitnah mit dem Einmarsch in Afghanistan durch die Regierung von SPD und Bündnis/Die Grünen unter Kanzler Gerhard Schröder und seinem Kanzleramtsleiter Frank-Walter Steinmeier ohne viel Federlesens durch den Bundestag gewunken. Niemand klagte gegen die Sondergesetze vor dem Bundesverfassungsgericht – niemand.
Ende 2006, nach einem Psychokrieg der Behörden um zwei vermeintliche “Kofferbomben” in Nahverkehrszügen in Dortmund und Koblenz, und nachdem nach Informationen von Radio Utopie mindestens einer der angeblichen Attentäter erst nach den vermeintlichen Attentatsversuchen extra aus Syrien eingeflogen worden war, beschloss der Bundestag am 1.Dezember 2006 die Verlängerung des “Terrorismusbekämpfungsgesetzes”, sowie das das “Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz”. (LAW ON TERROR, 1.Dezember 2006)
Das Terror-Gesetz TBEG, welches abermals nur für 5 Jahre galt, institutionalisierte die Zusammenarbeit zwischen Militär, Spionage und Polizei und schuf das “gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum” GTAZ in Berlin-Treptow, mit angeschlossenem “gemeinsamen Internet-Zentrum”. Ebenso wurde die heute fast in Vergessenheit geratene Datentauschbörse „Anti-Terror-Datei“ ins Leben gerufen. Der von entsprechenden Kräften ins deutschsprachige Wikipedia bugsierte Eintrag ist ein legendäres Beispiel dreisten Polizeistaats-Zwiesprechs und spricht für nichts außer sich:
„Die Antiterrordatei ist eine gemeinsame Datenbank von 38 verschiedenen deutschen Ermittlungsbehörden, die bisher prinzipiell nicht zusammenarbeiten, darunter Inlands- und Auslandsgeheimdienste als auch Polizeibehörden.“
Nun stehen alle Sondergesetze und Ermächtigungen auf dem Prüfstand. Dabei geht es nicht nur um die Vollmachten von staatlichen Spionen, Militärs (denen der Einsatz in Deutschland, aber offensichtlich nicht im Internet verboten ist), sowie von Polizei-Behörden. Es geht auch um einen wuchernden „Sicherheits“-Apparat von kommerziellen Geheimdiensten von Konzernen, Detekteien, Software-Firmen, einer ganzen Industrie von Spionage- und Überwachungstechnologie die weltweit lukrativ Diktaturen und formale Demokratien beliefert, bis hin zu Söldner-Firmen, die in der afghanischen Besatzungszone und anderen faktischen Kriegsgebieten weltweit operieren.
DAS SCHLECHTESTE PARLAMENT IST IMMER NOCH EINES OHNE MACHT
Nächste Woche nun beginnen die Verhandlungen zwischen den Bundestagsfraktionen von FDP, CDU und CSU über die Terror-Gesetzes-Pakete und ihrer seit fast 10 Jahren in den Verfassungsstaat gewucherten Strukturen. Laut dem neuen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sollen die Verhandlungen bereits diesen Monat abgeschlossen werden (2).
Offensichtlich versucht man in der „Union“ den Durchmarsch, zwecks einer Verlängerung des rechtlichen Ausnahmezustands, der den Exekutivbehörden über ermächtigende Rechtskonstrukte durch Begriffe wie „präventiv“, „Gefahrenabwehr“ oder „potentiell“ Tür und Tor zuerst zur informellen, dann politischen und dann sehr, sehr praktischen Willkür öffnet. Kein einziger Geheimdienst in Deutschland wird durch das Bundesparlament oder ein Landesparlament effektiv überprüft, geschweige denn kontrolliert. Von den Polizei-Behörden, gerade dem Bundeskriminalamt (BKA), sowie der als internationale Schattenarmee weltweit operierenden Bundespolizei (ehemals „Bundesgrenzschutz“) redet im Berliner Regierungsviertel sowieso niemand mehr. Und wenn, dann leise.
Während der Verhandlungen in den nächsten drei Wochen darf mit urplötzlich auftretenden (fiktiven) Bedrohungslagen – zwecks einer um 5 Jahre verlängerten Schutzhaftung unserer Demokratie – durchaus gerechnet werden. Vielleicht wieder ein kleines Bonmot vom Geheimdienst einer ehrenwerten Majestät, wie Saudi-Arabien. (US-Regierung: “Al Kaida” und “Taliban” aus Saudi-Arabien finanziert, 6.Dezember 2010)
Das BKA, oops, die Bundespolizei sitzt da ja direkt an der Quelle (2). Und der Bundestag weiss zwar nichts (3), aber mal ehrlich – was will der überhaupt noch wisssen…?
Die Aufhebung des Internetsperren-Gesetzes ist noch nicht durch einen Bundestag, in dem (leider) immer noch die durch ganze 23 Prozent an abgegebenen Wählerstimmen legitimierten SPD-Abgeordneten sitzen. Die neueste Forsa-Umfrage hat das Wahlergebnis der Bundestagswahl im September 2009 nun bestätigt. Immer noch kommt die SPD auf 23 Prozent der Stimmen. Das muss man sich mal vorstellen. Diese Partei hat die Internetsperren beschlossen. Diese Partei hat alle Terror-Gesetze beschlossen, die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) jetzt mühsam aufheben muss, nachdem sie vor ihrer Regierungsverantwortung noch beim Bundesverfassungsgericht gegen diese Gesetze von SPD, CDU und CSU klagen musste.
Der Kabinettsentschluss ist bereits jetzt ein großer Erfolg in Zeiten des Zweifels an der Nomenklatura und weiterer kommender Landtagswahlen. Bei diesen sollte die Bundespolitik nicht vergessen werden.
DANKE, FRAU BUNDESJUSTIZMINISTERIN.
Sabine Leutheusser-Schnwarrenberger, oder kurz „Schnarre“, hat etwas getan, was sonst fast niemand in den etablierten Staatsparteien jemals tut, schon aus Prinzip nicht. Sie hat Wort gehalten. Das macht man nicht, in Berlin, im Regierungsviertel, in der Politik und nein, meistens auch in der FDP nicht. Das tut man nicht, Wort halten. Das ist quasi unanständig. Das ist, als würden Leute einfach in den Fernseher gucken und es wäre immer noch kein Televisor, der einem sagt, „Duhuuu, Du bist nur einen Knopf von sehr viel Ärger entfernt“, oder „Duhhuuuu, was guckst´n dahaa?“ oder „Wir sind hier, um Dich zu beschützen, weil, da ist so ein Sender, also den kriegen wir einfach nicht abgestellt…“.
Die FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat sich u.a. auch deshalb gegen CDU, CSU und SPD durchgesetzt, weil sie weiss, dass man dazu nicht mit denen, sondern mit der Öffentlichkeit redet.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat aber noch etwas getan, was man nicht tut, im SPD-CDU-CSU-Grünen-Linken-Liberalen Partei-Führungsfunktionärsviertel, dass sie in Berlin-Mitte um den Reichstag rumgebaut haben. Sie hat sich Gedanken gemacht. Und das als Bundesministerin. Das muss man sich mal vorstellen. Das ist ungefähr so, als wenn man Eintritt – viel Eintritt – für ein Degenfecht-Turnier bezahlt, dann in einer finsteren Arena gröhlende Massen um ein laufendes Schlammcatchen vorfindet und dann steht da eine auf sticht einfach zu. Und dann schreien sie alle „auaaa, auaa“ und beschweren sich noch.
1. Im Zweifel für die Freiheit
Seit Jahren wurde die Innen- und Rechtspolitik von einer beispiellosen Erosion der Grundrechte geprägt. Noch nie sind durch immer neue so genannte Sicherheitsgesetze so viele Eingriffe in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen der Bürgerinnen und Bürger erfolgt wie in den letzten zwölf Jahren. Nicht erst seit den Terroranschlägen von New York und Washington wurden diejenigen auf den Plan gerufen, die im Staat des Grundgesetzes immer schon den Leviathan vermissten. Online-Durchsuchung, Vorratsdatenspeicherung, immer mehr weitergehende Eingriffsbefugnisse für Polizei und Nachrichtendienste wurden lange Zeit gefordert und eingeführt.
Die neue Bundesregierung hat der Versuchung widerstanden, Sicherheit vor Freiheit zu stellen. Wir haben in dem einen Jahr der Illusion widerstanden, von dem Schutz der Freiheit zu reden und in Wirklichkeit den Abbau von Freiheitsrechten zu betreiben.
Stattdessen machen wir Ernst mit einer Regierungspolitik, die die Grundrechte achtet und bewahrt. Die Koalition hat sich darauf verständigt, dass die konsequente Anwendung geltenden Rechts, eine gute Ausstattung der Sicherheitsbehörden und die Beseitigung von Vollzugsdefiziten immer Vorrang haben vor der Erweiterung staatlicher Eingriffsbefugnisse.
Erstmals seit nunmehr zwölf Jahren gibt es am Ende eines Regierungsjahres keine Verschärfung von Sicherheitsgesetzen. Ein neues Sicherheitspaket wurde verhindert. Und die ersten Weichen für dauerhafte Korrekturen rechtspolitischer Fehlleistungen sind gestellt. (4)
Wissen Sie, seit vor knapp zehn Jahren ein paar mächtige Leute den Krieg gegen den Schrecken (terror) ausgerufen haben und damit ihren Schrecken vor Verfassung und einer potentiellen Demokratie des einfachen Pöbels meinten, da hat man solche Sätze nicht oft gehört. Und schon gar vor den Schrecklichen an der Regierung. Nicht hier und nicht da. Eigentlich nirgrendwo. Man könnte jetzt sagen, Schnarre, Du bist ein Phänomen. Wenn da nicht auch noch eine Partei wäre, die mir fern, feeeern war wie der Morgenstern dem Abendland. Aber Sterne können sich auch nicht aussuchen, worauf sie scheinen.
SIEG DER FREIHEIT
Belassen wir es bei einem allgemeinen Glückwunsch an die Republik und ihre aufrechten Gesellen. Ihre standhaften und freien Gesellen, die dem guten Geist der Verfassung nicht von der Seite gewichen sind. Bedankt Euch bei Schnarre, bedankt Euch bei allen in den so verschiedenen und authentischen Gruppen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Bürgerrechtsbewegung, die uns diesen Stiefvater Staat vom Hals gehalten haben, der als reiner Anweisungsadressat von Volk, Verfassung und Parlament sich und seine ausführenden (exekutierenden) Ämter, Diener und Behörden penetrant mit einem Befehlsgeber verwechselt, der er nicht ist.
Bleiben wir wachsam, bleiben wir unserer Sache treu. Der Wille zum Sieg, nicht der Wille zur Macht, wird die Entscheidung bringen.
Quellen:
(1) http://www.buzer.de/gesetz/9194/index.htm
(2) http://www.heise.de/newsticker/meldung/Koalition-kippt-Websperren-1222473.html
(3) http://www.mdr.de/fakt/8420448.html
(4) http://www.focus.de/politik/ausland/krise-in-der-arabischen-welt/innenministerium-bundespolizei-bildet-saudische-sicherheitskraefte-aus_aid_614619.html
(5) http://www.bmj.de/DE/Buerger/_doc/Fokus/Ein_Jahr_liberale_Rechtspolitik_in_Verantwortung.html?nn=1356310