Am Einsatz von Streubomben durch das Gaddafi-Regime gegen Zivilisten gibt es begründete Zweifel.
In Libyen tobt derzeit ein internationaler Krieg zwischen dem Regime von Diktator Muammar el Gaddafi und aufständischen Milizen, die von einer Kriegsallianz aus einzelnen Nato-Staaten, sowie dem von Saudi Arabien geführten Militärpakt „Golfkooperationsrat“ (Cooperation Council for the Arab States of the Gulf, GCC) durch Luftangriffe, Geldzahlungen, Waffenlieferungen, Training und Versorgung mit Infrastruktur gestützt werden. Erklärtes Ziel der internationalen Kriegsallianz ist der Regimewechsel in Tripolis. Faktisch bedeutet das den Versuch einer Invasion Libyens durch Proxy-Verbände.
Dabei steht die Kriegsallianz und ihre Lobby vor einem Trümmerhaufen ihrer Pläne. Sowohl der von uns vor über anderthalb Monaten umschriebene Plan A (Sturz Gaddafis), als auch Plan B (die Intervention mit eigenen Truppen) ist durch den Widerstand der Öffentlichkeit, gerade in Deutschland, in sich zusammen gebrochen. (3.März, Ein kleines bisschen Schweinebucht)
Da die Politik, entgegen der Definition von Clausewitz, nach unserer Definition die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln ist und nicht umgekehrt, ist das Scheitern des Libyen-Krieges für die Invasoren als ein politisches Scheitern zu betrachten und war abzusehen. (31.März, Analyse: Der Libyen-Krieg bricht politisch zusammen)
Da der Versuch eigene Bodentruppen in Libyen landen zu lassen fehlgeschlagen ist, versucht die Kriegsallianz nun die Öffentlichkeit in den kriegsentscheidenden Staaten – d.h.: in Deutschland – dahingehend umzudrehen und zu beeinflussen, damit die geführten Proxy-Milizen im libyschen Aufstandsgebiet maximal unterstützt werden. Der Einsatz von eigenen Bodentruppen in Libyen, gleichwohl gescheitert, soll immer noch propagiert werden. Das deutet auf eine strategische Hilflosigkeit der Operateure und Betreiber des Krieges hin.
Seit Tagen machen Meldungen die Runde, dass das libysche Regime im Kampf um die Stadt Misrata Streubomben eingesetzt hat. Misrata wird derzeit noch von den libyschen Proxy-Milizen der Kriegsallianz gehalten. Dabei sind die Verbände der regulären libyschen Armee, trotz fehlender Kontrolle des Luftraums und schwerer Luftangriffe auf die eigenen Verbände, am Boden eindeutig im Vorteil und auf dem Vormarsch.
Nun ergeben sich zunächst folgende Fragen: Warum sollte das Regime Streubomben einsetzen, wenn es militärisch im Vorteil ist? Woher stammen die Angaben über diesen Einsatz?
Die erste Meldung über den Einsatz von Streubomben in Misrata stammt von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch mit Sitz in New York und wurden letzten Freitag am 15.April veröffentlicht (1). In diesem Bericht heisst es, Human Rights Watch habe „beobachtet“, wie Streubomben dreimal „in der Nacht des 14. April“ auf den Stadtteil el-Shawahda eingesetzt wurden. Researcher von Human Rights Watch, so die Menschenrechtsorganisation, hätten die Trümmerteile einer Streubombe inspiziert und Zeugen von zwei weiteren „offenbar“ (apparent“) durch Streubomben geführten Angriffe interviewt. Steve Goose aus der Waffenabteilung („Arms Division“) von Human Rights Watch wird in der Erklärung der Organisation, einen Tag nach dem vermeldeten Einsatz der Waffen, wie folgt zitiert:
„Es ist ekelerregend, daß Libyen diese Waffe benutzt, besonders in einer bewohnten Gegend. Sie stellen eine gewaltiges Risiko für Zivilisten dar, sowohl während der Angriffe wegen ihrer willkürlichen Natur, als auch im Nachhinein, wegen ihrer immer noch gefährlichen nichtexplodierten verstreuten Blindgänger.“
Dem Experten Steve Goose wird sicherlich nicht entgangen sein, dass die von ihm und seiner Organisation innerhalb eines Tages inspizierten und identifizierten MAT-120 Geschosse spanischer Produktion nach Angaben des Herstellers Instalaza weltweit die einzigen Streubomben sind, die keine explosionsfähigen Streuteile bzw „Blindgänger“ hinterlassen (2). Das erklärt auch, warum die vermeldeten Trümmerteile „zuerst von einem Reporter der „New York Times“ vor Ort „gefunden“ werden konnten (1), ohne dass dieser bei der so gefährlichen Suche zu Schaden kam.
Christopher John Chivers, ex-Marine, Veteran des ersten Irak-Krieges 1991, war nachfolgend als Journalist der „New York Times“ von 1999 bis 2001 Beobachter bei der New Yorker Polizei und berichtete von vielen Kriegsschauplätzen vor Ort, u.a. aus Afghanistan nach der Invasion 2001 und aus dem zweiten Irak-Krieg ab 2003. Bereits am 15.April war Chivers ausführlicher Bericht über den Streubomben-Einsatz in Misrata in der „New York Times“ (3) zu lesen.
Chivers Bericht zufolge fanden die von Human Rights Watch „beobachteten“ drei Angriffe mit Streubomben am „späten Donnerstag Abend“ des 14.April statt. Auch der NYT-Reporter umschrieb sie ausführlich, ohne zu erwähnen, ob er und Beobachter der Menschenrechtsorganisation sich dort vielleicht zusammen an der Front befanden, oder ob er als ex-Marine und Reporter ebenfalls Aktivist für die Menschenrechtsorganisation ist und es sich somit hinsichtlich der „beobachteten“ Angriffe mit Streumbomben um die Angaben einer einzelnen Quelle mit hohen Fachkenntnissen handelt. Am Einsatz der Waffen durch das Gaddafi-Regime liess jedenfalls auch Chivers, wie Human Rights Watch (deren Erkenntnisse vom selben Tag er bereits ausführlich zitierte) keinen Zweifel; ebenso wenig am mutmasslichen Effekt seiner eigenen Story:
„Der derartig erfolgte Einsatz solcher Waffen könnte die Dringlichkeit der Argumente Großbritanniens und Frankreichs erhöhen, dass die Alliierten ihre Angriffe auf die Streitkräfte Gaddafis verstärken müssen, um das Mandat der Vereinten Nationen zum Schutz von Zivilisten besser zu erfüllen.“
Nur einen Tag nach dem von Human Rights Watch „beobachteten“ Einsatzes von Streubomben, vom Fund von Trümmerteilen spanischer MAT-120 und der anschließenden Inspektion war in New York der Bericht von Human Rights Watch erschienen. Darauffolgend erschien der Bericht von C.J. Chivers in der „New York Times“. Dieser enthielt allerdings schon ein Zitat aus Berlin, wo sich – wie es der Zufall wollte – zu dieser Zeit die Außenminister der Nato-Staaten versammelt hatten, um dem unter medialen Streubomben-Beschuss stehenden schwulen deutschen FDP-Außenminister Guido Westerwelle endlich den Krieg ums Abendland ein Stück weit näher zu bringen.
NYT-Reporter Chivers umschreibt in seinem Bericht vom 15.April, wie US-Außenministerin Hillary Clinton in Berlin während einer Pressekonferenz mit den brisanten Neuigkeiten aus Misrata konfrontiert wird. Für Clinton bedeuteten diese Neuigkeiten von eingesetzter Streubomben-Munition ganz ohne Zweifel neue politische Munition im heiligen Kreuzzug gegen diesen verdammten deutschen Pazifismus.
„Auf die Munition bei einer Pressekonferenz in Berlin angesprochen, sagte Ministerin Hillary Rodham Clinton, ihr sei der spezifische Gebrauch von Streubomben oder anderer willkürlicher Waffen in Misrata `nicht bekannt`, sagte aber, `Ich bin nicht überrascht von irgendetwas, was Gaddafi und seine Streitkräfte tun`“.
Das ist nur allzu verständlich. Wer möchte in Zeiten des Krieges schon von irgendetwas überrascht werden.
Sie aber, sehr geehrte und vielleicht doch etwas überraschte Geschworene am Gerichtshof der Öffentlichen Meinung, sollten sich allerdings fragen, wie die Zeugen der Anklage gegen das Völkerrecht eigentlich erklären wollen, dass durch das Regime in Tripolis ausgerechnet Streubomben zum Einsatz gekommen sein sollen, die nicht von Kampfflugzeugen, sondern von Artilleriegeschützen abgefeuert werden (ansonsten hätte man ja eine Urheberschaft der libyschen Streitkräfte ausschliessen können) und warum ausgerechnet solche, deren Streumunition dem Waffenproduzenten zufolge nach dem Einsatz keine explosionsfähigen Überreste hinterlässt. Ganz zu schweigen von der Frage, wie diese Munition, deren Produktion übrigens seit Jahren eingestellt wurde, in die Hände der libyschen Streitkräfte gelangt sein sollen und warum sie ausgerechnet in dem Augenblick zum Einsatz kam, in dem der militärische Vorteil bei den libyschen Streitkräften des Regimes und nicht bei den durch die Kriegsallianz gestützten Milizen der Aufständischen lag; von Aufständischen die – nur Tage nach der erfolgereichen demokratischen Revolution in Ägypten – unter der Flagge der Monarchie aus den 60er Jahren des 20.Jahrhunderts als vermeintliche Freiheits- und Demokratiebewegung in einen Bürgerkrieg zogen, mit selbsterwählten Anführern eines „Nationalen Übergangs-Rates“, deren leitende Angestellte bis zum Ausbruch des plötzlichen Aufstandes in Libyen noch leitende Angestellte eines seit Jahren von der jetzigen Kriegsallianz gestützten Diktators waren und die am Tag des Angriffs der Kriegsallianz bereits die Gründung ihrer eigenen Zentralbank und Ölfirma bekannt gaben.
Quellen:
(1) http://www.hrw.org/en/news/2011/04/15/libya-cluster-munitions-strike-misrata
(2) http://www.instalaza.es/eng/productos2.html
(3) http://www.nytimes.com/2011/04/16/world/africa/16libya.html